Sarkozy trat also in seinem politischen Dissens mit Chirac keinesfalls (ausschließlich) als bärbeißiger Nationalkonservativer hervor. Vielmehr schien er um ein Profil als Transatlantiker (gegenüber den „gaullistischen” Attitüden Chiracs) sowie als Liberaler oder kultureller Pluralist (gegenüber der eher „jakobinischen” Linie des damaligen Präsidenten zumindest im Bereich „laizistischer” Symbolpolitik) bemüht. Gerade der fundamentaloppositionell auftretenden nationalen Rechten jedoch, wie sie insbesondere im Front National und seinem langjährigen Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen verkörpert wird, lagen (und liegen) die amerika- wie die islampolitischen Avancen Sarkozys programmatisch fern: Durch Sarkozys Verständnis für die Haltung der Bush-Administration gegenüber Saddam Hussein sah diese Rechte die Würde Frankreichs als einer auch nach außen hin souverän handelnden Großmacht in Zweifel gezogen – von den politischen Beziehungen des FN-Vorsitzenden zu der baathistischen Staatsführung des Irak einmal ganz abgesehen -, während Sarkozys Eintreten für staatlich subventionierten Moscheenbau vielen Parteigängern des FN (und der kleineren Rechtsparteien) als Ausdruck des Kotaus der politischen Klasse Frankreichs vor den oftmals aggressiv vorgetragenen islamischen Forderungen nach Anerkennung im öffentlichen Raum erscheinen mußte.
Auf der anderen Seite trat Sarkozy aber als Innenminister in einwanderungs- und integrationspolitischen Fragen, soweit sie nicht unmittelbar seine „liberalen” religionspolitischen Prämissen tangierten, durch Law-and-Order-Proklamationen und Vorstöße gesetzgeberischer Art hervor und eröffnete sich dadurch die Möglichkeit, potentielle Wähler des FN und von Philippe de Villiers’ national-konservativem Mouvement pour la France (MPF) für seine UMP zu gewinnen. Hier positionierte er sich, insbesondere, als die französische Öffentlichkeit seit Ende Okto ber 2005 unter dem Eindruck der Gewaltexzesse junger Muslime arabischer und schwarzafrikanischer Herkunft in der banlieue stand, gezielt „rechts” von Chirac sowie von anderen Mitgliedern der Regierung, an der er selbst beteiligt war. Daß in Frankreich die Debatten über einwanderungspolitische Probleme traditionell außerordentlich kontrovers geführt werden und von parteipolitischer Polarisierung geprägt sind, machte sich Sarkozy zunutze, um sich rechtskonservativen Franzosen als der politisch handlungsfähige Gegenspieler einer sozialistischen Linken zu präsentieren – einer Linken, deren „moralische Autoritäten”, wie etwa Jack Lang, sich im Frühjahr 2006 ostentativ zu dem Protest gegen die Abschiebung eines neunzehnjährigen Marokkaners ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung bekannten, eine als inhuman angeprangerte Maßnahme, die durch die auf Sarkozys Initiative zurückgehende einwanderungsrechtliche Regelung erst ermöglicht worden war.
Der Fall des marokkanischen Schülers stand, im Kontext der „menschenrechtlichen” Kampagne des PS, stellvertretend für 50.000 bis 100.000 Kinder illegal eingewanderter Familien, die von den Auswirkungen des mit dem Namen Sarkozy verbundenen Gesetzesprojekts potentiell betroffen waren.
Im Zentrum des Einwanderungsgesetzes, das am 17. Juni 2006 schließlich durch den Senat angenommen wurde, steht der Begriff der „ausgewählten Einwanderung”, durch welche das Prinzip der „erduldeten Einwanderung” ersetzt werden sollte. Dabei strich Sarkozy heraus, daß durch das Gesetzeswerk dem einwanderungspolitischen Sonderweg Frankreichs ein Ende bereitet werden solle (während gleichzeitig die Zuwanderung von „Experten” und „Talenten” forciert werde). Das Gesetz vom 17. Juni 2006 zielt vor allem auf die Eindämmung unkontrollierter Zuwanderung unqualifizierter Afrikaner. Anstelle des bislang großzügig ausgelegten Rechtes auf Familienzusammenführung ist der Nachzug nun nur noch dann gestattet, wenn er mit Einkommen und Wohnraum des bereits legal in Frankreich ansässigen Familienangehörigen vereinbar ist. Mit dem Gesetz wurde der Naturalisierung (Einbürgerung) von illegalen Einwanderern, die über zehn Jahre lang in Frankreich lebten, die Rechtsgrundlage entzogen.
Weit davon entfernt, den nationalistischen Postulaten eines umfassenden Einwanderungsstopps zu genügen, legt die Einwanderungsrechtsreform Zeugnis ab vom Geschick Sarkozys als Gegenspieler einer sich humanitaristisch gebärdenden, „politisch korrekten” Linken, dem es gleichzeitig gelang, Le Pen einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Anhänger abspenstig zu machen. Der Erfolg dieser Strategie läßt sich mit Blick auf die Ergebnisse sowohl der ersten als auch der zweiten Runde der diesjährigen Präsidentschaftswahlen belegen: Le Pen, der in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen von 2002 mit 16,9 Prozent der Stimmen den PS-Kandidaten Lionel Jospin überrundet (und in der Stichwahl, als Kontrahent Chiracs, sogar 17,8 Prozent der Stimmen erhalten) hatte, konnte fünf Jahre später nur noch 10,4 Prozent der französischen Wähler überzeugen. In der Stichwahl votierte dann das Gros der FN-Anhänger für Sarkozy.
Die deutsche Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik, herausgegeben unter anderem von Jürgen Habermas und Walter Jens, sah sich in Anbetracht des Ausgangs der französischen Präsidentschaftswahlen dazu veranlaßt, einen gleichsam kulturrevolutionären Prozeß zu diagnostizieren: „Frankreich vor der konservativen Revolution”, so ist der Artikel des traditionalistischen Linken Bernard Schmid in der Juni-Ausgabe der Blätter betitelt, der den Sieg des „gröbere[n] Übel[s]” in Paris und die möglichen gravierenden Folgeerscheinungen dieser rupture zum Gegenstand hat. Bereits mit dem auf eine Sammlung der Franzosen rechts des PS ausgerichteten Lagerwahlkampf Sarkozys kamen – Schmid zufolge – erste Konturen jener „Konservativen Revolution” zum Vorschein, deren telos Schmid in nichts geringerem zu erkennen glaubt, als in einem Generalangriff auf die „sozialen Errungenschaften der französischen Geschichte”. Schmid beschreibt mit Mißvergnügen, wie der konservative Präsidentschaftskandidat sich in seiner „Rede von Besançon” ausdrücklich „als Opfer der Political Correctness im Gefolge von 1968” in Szene zu setzen vermochte und – horribile dictu – „nicht weniger als achtundzwanzig Mal die Worte ‚Identität‘, ‚nationale Identität‘ und ‚identitär‘” benutzt habe.
Tatsächlich nahm Präsident Sarkozy praktisch unmittelbar nach den für die UMP ebenfalls erfolgreichen Parlamentswahlen die Realisierung eines politisch brisanten Programmpunkts seines Wahlkampfes in Angriff: die Einrichtung eines „Ministeriums für Einwanderung, Integration, nationale Identität und Zusammenarbeit in Entwicklungsfragen” – ein Vorstoß, der Historiker wie Jacques Le Goff, Roger Chartier und Henry Rousso zu scharfen Protesten veranlaßte. Befürchtet wird eine regierungsoffizielle national- patriotische Geschichtspolitik, die nicht nur auf eine Apologie etwa der französischen Kolonialvergangenheit ziele, sondern auch auf eine Infragestellung des universalistischen Charakters des Modells der „republikanischen Integration” zugunsten einer (letztlich ethno-kulturell gefaßten) Exklusivität einer nationalen französischen Identität, die durch Einwanderung bedroht werde.