Winterakademie „Reaktion!“ – Kurzbericht

Wenn das Thema der „Reaktion“ diskutiert wird, kann Nicolás Gómez Dávila nicht fern sein.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Zu jeder Gele­gen­heit gibt es einen ent­spre­chen­den Apho­ris­mus des kolum­bia­ni­schen Phi­lo­so­phen, der sich als zitier­fä­hig erweist, so auch zum Reak­tio­när als his­to­ri­sche Gestalt:

Der Reak­tio­när hat Gegen­stän­de der Bewun­de­rung, kei­ne Modelle,

schrieb Dávila und es ließ(e) sich treff­lich strei­ten, ob alle der cir­ca 50 Teil­neh­mer der 13. Win­ter­aka­de­mie des Insti­tuts für Staats­po­li­tik (IfS) in Bad Pyr­mont am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de (22.–24. Febru­ar) die­ser Auf­fas­sung folgen.

Auf die gewohnt kun­di­ge Ein­füh­rung des wis­sen­schaft­li­chen Lei­ters des IfS, Dr. Karl­heinz Weiß­mann, folg­te der Vor­trag Prof. Dr. Harald Seu­berts. Seu­bert sieht in der Tat die „Reak­ti­on als geis­ti­ges Prin­zip“ ohne „Modell“. Die Reak­ti­on sei eine Her­aus­for­de­rung an den Kon­ser­va­ti­ven, des­sen Kon­ser­va­tis­mus sich erst im Ver­lust sei­ner eige­nen Selbst­ver­ständ­lich­keit artikuliert.

Sehr wohl einem Modell folg­te aber die ers­te Gene­ra­ti­on der Reak­tio­nä­re, die sich nur zum Teil aus der „ers­ten Rei­he der Zuschau­er bei einer Revo­lu­ti­on“ (Dávila) zusam­men­setz­te. Dr. Felix Dirsch nahm sich der „Poli­ti­schen Theo­lo­gie der Gegen­auf­klä­rung“ an und prä­sen­tier­te plas­tisch wie prä­zi­se die Köp­fe der Reak­ti­on auf 1789. Joseph de Maist­re – „la révo­lu­ti­on fran­çai­se est sata­ni­que dans son essence“ – war als Ultra­mon­ta­ner, Frei­mau­rer und Ver­tre­ter der Phi­lo­so­phia peren­nis reak­tio­nä­rer und mili­tan­ter Feind der jako­bi­ni­schen Exzes­se. Anders als sein Zeit­ge­nos­se Lou­is de Bonald, der sich geis­tes­ge­schicht­li­cher Debat­ten annahm und einen „phi­lo­so­phi­schen Tra­di­tio­na­lis­mus“ ver­tief­te, war de Maist­re in der Tat ein aus­schließ­li­cher Reak­tio­när, der poli­tisch wie reli­gi­ös auf die Welt vor der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on fixiert blieb. Dirschs wei­te­re Erör­te­run­gen über Phi­lo­so­phie und Welt­an­schau­ung der Den­ker Fried­rich Kleu­cker und Franz von Baa­der zeig­ten in der Fol­ge, daß es auch eine Reak­ti­on auf den viru­len­ten Jako­bi­nis­mus gab, die eine Erneue­rung der Kul­tur auf der Basis des Bestehen­den anstreb­te, und nicht, wie noch de Maist­re, das Heil aus­schließ­lich in der roman­ti­sier­ten Ver­gan­gen­heit suchte.

Von der Theo­rie zur Pra­xis gelang man am Fol­ge­tag im Ver­lauf des Vor­tra­ges von Dr. Karl­heinz Weiß­mann, der Reak­tio­nen aus dem Volk ins Bewußt­sein rief. Zwei der bedeu­tends­ten Aspek­te sei­nes Streif­zu­ges durch die Geschich­te kon­kret gewor­de­ner Reak­ti­on waren die Car­lis­ten Spa­ni­ens und vor allem katho­lisch-roya­lis­ti­sche Bemü­hun­gen in der Ven­dée, wel­che durch die Revo­lu­tio­nä­re auf bru­ta­le Art und Wei­se beant­wor­tet wurden.

Joa­chim Volk­mann, Über­set­zer Jean Ras­pails ins Deut­sche, mach­te den inter­es­sier­ten Teil­neh­mern die fran­zö­si­sche Mon­ar­chie bekannt. Mythen und Sym­bo­le, Kon­ti­nui­tä­ten wie Zäsu­ren wur­den empa­thisch ver­an­schau­licht; auch bezüg­lich der Grün­de für die bis heu­te fort­dau­ern­de Drei­tei­lung mon­ar­chis­ti­scher Grup­pen in Bona­par­tis­ten, Orléa­nis­ten und Legi­ti­mis­ten wur­de Licht ins Dun­kel gebracht.

Die Fokus­sie­rung auf Frank­reich und den Katho­li­zis­mus bei eini­gen Vor­trä­gen war inso­fern nahe­lie­gend, als daß das The­ma „Reak­ti­on“ zuvor­derst im gegen­re­vo­lu­tio­när-katho­li­schen Roya­lis­mus Frank­reichs ein Gesicht (oder meh­re­re Gesich­ter) bekommt.

Eben­falls von Frank­reich aus ging die Bewe­gung der katho­li­schen Tra­di­ti­on des Erz­bi­schofs Mar­cel Lefeb­v­re. Die meist unter dem Namen Pius­bru­der­schaft genann­ten vor­kon­zi­lia­ren Katho­li­ken sehen sich in den Medi­en vor­wie­gend mit den immer glei­chen Vor­ur­tei­len und Ver­kür­zun­gen kon­fron­tiert. Her war es not­wen­dig, Klar­heit zu schaf­fen und die theo­lo­gi­sche Wei­chen­stel­lun­gen sowie die Fun­da­men­te des Glau­bens auf­zu­schlüs­seln. Her­vor­zu­he­ben ist sicher­lich auch die anschlie­ßen­de Dis­kus­si­on, in der anhal­tend kon­tro­vers über die Stel­lung der Ver­ei­ni­gung in der Welt­kir­che, aber auch über die theo­lo­gisch umstrit­te­nen Aus­le­gun­gen dis­ku­tiert wur­de. Dr. Weiß­mann äußer­te schließ­lich den Gedan­ken­gang, daß sich die Pius­brü­der auf­grund ihrer vehe­men­ten Beto­nung der Gewis­sens­be­fra­gung als Grund für die fort­wäh­ren­de Distanz zur katho­li­schen Amts­kir­che just einer genu­in luthe­ri­schen Argu­men­ta­ti­ons­wei­se bedienten.

Die Debat­ten, die im Lau­fe des wei­te­ren gesel­li­gen Abends – vor und nach dem gemein­sam ver­folg­ten Film „Admi­ral“ – naht­los in klei­ne­ren Grup­pen fort­ge­setzt wur­den, zeig­ten, was viel­leicht den eigent­li­chen Reiz einer sol­chen Aka­de­mie aus­macht: die Begeg­nung unter­schied­lichs­ter Denk­ty­pen und Cha­rak­te­re, die sich – ange­regt durch vor­aus­ge­hen­de, ent­spre­chend abwechs­lungs­rei­che Vor­trä­ge – in gegen­sei­ti­gem geis­ti­gen Aus­tausch befruch­ten. Vor­kon­zi­lia­re Katho­li­ken tref­fen auf nach­kon­zi­lia­re Katho­li­ken und bei­de wie­der­um auf Evan­ge­lisch-Luthe­ri­sche, Bün­di­sche auf Groß­stadt­iden­ti­tä­re, elek­tri­sier­te Jung­rech­te auf behut­sa­me Gärtnerkonservative.

Die­se aus­ge­spro­chen bun­te Hete­ro­ge­ni­tät konn­te lei­der nicht ver­hin­dern, daß sich eine aus­ge­spro­chen homo­ge­ne „IG Bunt“ vor der Tagungs­stät­te posi­tio­nier­te, um mit ihren schät­zungs­wei­se 60 Teil­neh­mern gegen rechts zu demons­trie­ren. Man war­te­te viel­leicht auf eine Reak­ti­on der ver­mu­te­ten Reak­tio­nä­re – wäh­rend es die Teil­neh­mer der Win­ter­aka­de­mie frei­lich bevor­zug­ten, zum gemein­sa­men Jog­gen durch den Kur­ort aufzubrechen.

Am Sonn­tag­vor­mit­tag folg­te noch ein Vor­trag über das Ele­ment der Reak­ti­on im ambi­va­len­ten Gesamt­werk des Gen­fer Phi­lo­so­phen Jean-Jac­que Rous­se­aus, des­sen man­nig­fal­ti­ge Ideen nach wie vor „erstaun­li­che Aktua­li­tät“ (Alain de Benoist) auf­wei­sen, bevor es Insti­tuts­lei­ter Dr. Erik Leh­nert vor­be­hal­ten war, die Ent­wick­lun­gen mon­ar­chis­ti­scher Lebens­zei­chen in Nach­kriegs­deutsch­land zu beleuch­ten, wobei ins­be­son­de­re auch das rege Wir­ken des preu­ßisch-jüdi­schen His­to­ri­kers Hans-Joa­chim Schoeps gewür­digt wur­de, der sich neben sei­ner schrift­stel­le­ri­schen und aka­de­mi­schen Tätig­kei­ten im Ver­ein „Tra­di­ti­on und Leben“ enga­gier­te. Schoeps zeig­te damit auch, daß Reak­ti­on kei­nes­wegs zwin­gend die exklu­siv nost­al­gi­sche Fixie­rung auf eine ver­gan­ge­ne Epo­che mei­nen muß.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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