Einer der Beiträger ist der Medizinethiker Axel W. Bauer. Er argumentiert zurückhaltend und abwägend, doch stellt er dabei unmißverständlich den Zusammenhang her zwischen zu erwartender demographischer Alterung bei sinkendem Wohlstandsniveau, steigenden Pflegekosten und objektiven Verteilungsproblemen. Bauer erinnert an den hippokratischen Eid. Ein Arzt, so hatte Hufeland im 18. Jahrhundert gesagt, der sich an der Tötung eines Patienten beteilige, werde zum »gefährlichsten Mann im Staate«. Bauer schärft den Blick dafür, daß seit den 1990er Jahren das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in der medizinethischen Debatte verabsolutiert wurde.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom Beginn des Jahres 2013 ist vor diesem Hintergrund aufschlußreich nicht so sehr in den Punkten, die er regelt, als vielmehr in den anderen, über die er schweigt. Inkriminiert wird in der Neufassung des Paragraphen 217 lediglich die »Gewinnerzielungsabsicht«. Jede nicht vordergründig kommerzielle Suizidbegleitung werde durch dieses Schweigen des Gesetzes privilegiert.
Suizidneigungen beruhen zumeist auf Depressionen. Sie erfordern Begleitung; in nicht wenigen Fällen kann Abhilfe geschaffen werden. Völlig verfehlt ist es hingegen, eine Autonomie zu definieren, die über die Vorgegebenheit des menschlichen Lebens, seine physische Grundlage selbst, befinden möchte. Freilich: Der Konstruktivismus der Gender-Ideologie argumentiert ebenfalls mit der Zielsetzung einer Außerkraftsetzung der Wurzeln der Natur. Ist der Suizid auf Krankenschein nur die logische Folge? Solche Linien zieht Andreas Krause Landt in einer Polemik, deren sprachlich rhetorische Kraft den Vergleich mit einem Karl Kraus nicht scheuen muß. Die sogenannte »Sterbehilfe« ist für ihn Mitwirkung am Suizid, ideologischer Höhepunkt einer neuen Diktatur des Egalitarismus, die auch vor dem Tod nicht haltmacht. Mit gelegentlich überdehnten heroischen Metaphern charakterisiert Landt den Selbstmord als äußersten und letzten Akt. Doch unheimlich und zugleich niedrig ist die implizite Alternative zwischen totaler Inklusion und dem Tod. Eindrücklich zeigt Landt, daß die Antwort auf das Unbehagen am Leben nur die bleibende Affirmation auf Glaube, Liebe und Hoffnung sein kann.
Damit ist auf den wundervollen, wiederabgedruckten Text von Reinhold Schneider, »Über den Selbstmord« (aus dem Jahr 1947), verwiesen, der aus der Erfahrung von Depression und Verzweiflung einen inneren Bezug zum äußersten Akt hatte. Schneiders Maxime war aber: »Lassen wir uns nicht täuschen mit den Worten unseres Bezirks über einen Bezirk, von dem wir nichts in Erfahrung bringen!« Ob man der Auflösung des tragischen Abgrundes in Schneiders urchristlichem Bekenntnis zum Erlösungsglauben folgen kann oder nicht – diese Schwelle sollte nicht überschritten werden, im Denken nicht und nicht im Handeln.
Andreas Krause Landt u. a.: Wir sollen sterben wollen. Warum die Mitwirkung am Suizid verboten werden muß, Waltrop/Leipzig: Edition Sonderwege 2013. 200 S., 14.90 €