Politik des Als-ob

46pdf der Druckfassung aus Sezession 46 / Februar 2012

von Karlheinz Weißmann

Wahrscheinlich sollte man die Pokermanie, die für eine gewisse Zeit Deutschland und die westliche Hemisphäre überhaupt heimgesucht hat, nicht überbewerten. Aber signifikant ist doch das, was die Aura, den Chic dieses Spiels ausmacht: die Täuschung, der bluff. In der Vergangenheit konnte man den Begriff sogar synonym für Poker verwenden. Man darf seinen Kontrahenten etwas vormachen, was nicht ist, um sie zu verblüffen (eine denkbare etymologische Wurzel von bluff) und sich einen Vorteil zu verschaffen, der ist und der sogar zum Sieg führen kann, falls sich die anderen übertölpeln lassen und der, der blufft, die Nerven behält. Der bluff ist für das Pokern von zentraler Bedeutung, die Bewunderung für den geschickten bluff jenseits dieses Raumes jedoch kaum so groß.

Dabei gibt es die erlaub­te Täu­schung auch in ande­ren intel­li­gen­ten Spie­len. Das hängt mit der exis­ten­ti­el­len Bedeu­tung des Spiels für den homo ludens zusam­men: Wir üben im Spiel für das Leben, und die Nei­gung, ein Spiel ernst zu neh­men, trotz des Wis­sens, daß es sich um ein Spiel han­delt, gehört zu unse­rem Wesen. Wir ler­nen früh und immer neu, daß Täu­schung zum Men­schen gehört. Denn wir sind dau­ernd mit Täu­schung befaßt, täu­schen ande­re und wis­sen das, dul­den das oder ent-täu­schen, ach­ten dar­auf, nicht getäuscht zu wer­den, täu­schen uns selbst und wis­sen auch das, fah­ren aber damit fort, weil die Ent-Täu­schung zu bit­ter oder unbe­quem wäre. Es gibt zwar so etwas wie ein prin­zi­pi­el­les mora­li­sches Ver­dikt gegen die Täu­schung, aber still­schwei­gend bleibt ange­nom­men, daß es erlaub­te, gnä­di­ge, nütz­li­che Täu­schun­gen, viel­leicht sogar not­wen­di­ge Täu­schun­gen gibt. Das gilt im Hin­blick auf unse­re pri­va­te wie gesell­schaft­li­che Exis­tenz, und die Ein­sicht dar­ein ist ein alter Hut.

Das »mun­dus vult deci­pi« – »die Welt will betro­gen sein«, ein Satz unkla­rer Her­kunft, den man in sei­ner latei­ni­schen Fas­sung den Römern durch­aus zutrau­en darf, wel­cher aber noch bes­ser zu Machia­vel­li paßt, der in sei­nem legen­dä­ren Fürs­ten einen Hym­nus auf die Täu­schungs­fä­hig­keit schrieb. Er leg­te dar, daß der Mäch­ti­ge in sich die Tugen­den von Löwe und Fuchs ver­ei­ni­gen müs­se; die des Löwen brau­che er, um über­haupt in den Besitz von Macht zu kom­men, die des Fuch­ses, um sich ihren Besitz zu erhal­ten. Denn dazu genü­ge nicht, Gewalt anzu­dro­hen, man müs­se viel­mehr bereit sein, jede List und jede Lüge zu gebrau­chen, sein Wort zu bre­chen und Ver­rat zu bege­hen: »Wer am bes­ten Fuchs zu sein ver­stan­den hat, ist am bes­ten gefah­ren! Doch muß man sich dar­auf ver­ste­hen, die Fuchs­na­tur gut zu ver­ber­gen und Meis­ter in der Heu­che­lei und Ver­stel­lung zu sein. Die Men­schen sind ja so ein­fäl­tig und gehor­chen so leicht den Bedürf­nis­sen des Augen­blicks, daß der, der betrü­gen will, immer einen fin­det, der sich betrü­gen läßt.«

Für Machia­vel­li ging es immer um den »Anschein«. Der, der die Macht aus­übt, muß sich gnä­dig, gerecht, groß­her­zig, mil­de geben, es aber nur aus­nahms­wei­se sein – dann näm­lich, wenn ihm das einen Vor­teil ver­schafft. Ech­te Tugend­haf­tig­keit hielt Machia­vel­li für pro­ble­ma­tisch, sie schwä­che den Füh­rer und zöge letzt­lich den Unter­gang sei­ner Herr­schaft nach sich. Der Rea­lis­mus Machia­vel­lis ist unbe­strit­ten, aber bedurf­ten die Mäch­ti­gen jemals sol­cher Beleh­rung? In den poli­ti­schen Eli­ten aller Zei­ten und Welt­ge­gen­den muß es ein Wis­sen um die arca­na impe­rii und die Not­wen­dig­keit gege­ben haben, im Umgang mit sei­nes­glei­chen und Unter­ge­be­nen deren Anwen­dung zu trai­nie­ren. Die bei­den ers­ten Rat­schlä­ge, die der ster­ben­de Maza­rin dem jun­gen Lud­wig XIV. gab, waren: »Täu­sche« und »Ver­stel­le Dich«. Aber weni­ge hat­ten die Vir­tuo­si­tät in der Umset­zung, die dem Kar­di­nal­pre­mier eigen war, der jeden­falls wuß­te, daß zur Kunst des Befeh­lens immer auch gehört, Sicher­heit und Über­blick vor­zu­täu­schen, vor allem aber die Unter­ge­be­nen in der Idee der Vor­züg­lich­keit der Obe­ren zu bestär­ken. Ande­rer­seits war die Basis sel­ten so dumm, das Spiel über­haupt nicht zu durch­schau­en. Noch jede Hun­ger­re­vol­te speis­te sich aus der Über­zeu­gung, daß man kein Brot habe, wäh­rend die Her­ren Kuchen essen wür­den, noch jede reli­giö­se Umwäl­zung aus der mehr oder weni­ger gut­be­grün­de­ten Ahnung, daß die Pries­ter den Regeln selbst nicht folg­ten, die sie den Gläu­bi­gen auf­er­leg­ten. Nur die Intel­li­genz war hin- und her­ge­ris­sen zwi­schen dem Bedürf­nis nach Demas­kie­rung, um die Sit­ten zu bes­sern, und der Fas­zi­na­ti­on durch den Wech­sel von Lar­ve und Entlarvung.

Erst die Auf­klä­rung im Vor­feld der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on – deren Kern­pro­gramm Ent-Täu­schung war – bestand ganz kon­se­quent dar­auf, Ein­sicht in die Zusam­men­hän­ge brei­ten­wirk­sam zu machen. Und moch­te der Bau­er in der Pro­vinz nur eine jener jac­queri­en im Kopf haben, die es immer wie­der gege­ben hat­te, wenn es dar­um ging, die Las­ten und Diens­te abzu­schüt­teln: der Bür­ger der Stadt sah auf der Büh­ne den klu­gen Die­ner den dum­men Adli­gen über­töl­peln, konn­te den süf­fi­san­ten Bemer­kun­gen sei­nes Abbé anmer­ken, daß er glau­bens­los war, und im Jour­nal lesen, wel­che Sit­ten­lo­sig­keit es unter denen gab, die sich nach wie vor Aris­to­kra­ten nann­ten und mit­hin als »die Bes­ten« betrach­te­ten. Hip­po­ly­te Taine hat in sei­ner gro­ßen Geschich­te der Revo­lu­ti­on dar­auf hin­ge­wie­sen, daß es nicht so sehr die Reform­un­fä­hig­keit der Mon­ar­chie war, die deren Unter­gang her­bei­führ­te. Es sei viel­mehr die Sen­ti­men­ta­li­tät des Adels gewe­sen, der die Hohl­heit sei­ner eige­nen Exis­tenz durch­schau­te, die­ses Wis­sen nicht mehr ertrug und fata­ler­wei­se glaub­te, die Din­ge dadurch zu bes­sern, daß er jovi­al auf­trat. Er habe die Miß­stän­de gar nicht mehr beschö­nigt, son­dern jede Feder unter­stützt, die sie anpran­ger­te. Dabei über­sah er nur, wie weit der Zer­fall längst gedie­hen war, und hat­te von der Situa­ti­on, in der er sich befand, kei­ner­lei Vor­stel­lung, pfleg­te viel­mehr einen grund­lo­sen Opti­mis­mus: »Die Salons haben beschlos­sen, es wer­de alles gut wer­den, – nun, so muß denn alles gut wer­den. Nie­mals war eine Ver­blen­dung voll­stän­di­ger und freiwilliger.«

Wenn man fest­hält, daß zu jedem gesell­schaft­li­chen Sys­tem die Bereit­schaft zu täu­schen und die Bereit­schaft, sich täu­schen zu las­sen, gehö­ren, kommt sein Ende, sobald die Bereit­schaft zu täu­schen erlahmt und die Bereit­schaft, sich täu­schen zu las­sen, in der Brei­te auf­hört. Die Grün­de dafür mögen ver­schie­de­ne sein, aber aufs Gan­ze gese­hen gilt hier so etwas wie ein sozia­les Gesetz – bis heu­te, muß man beto­nen, denn obwohl die in der Moder­ne mäch­ti­gen poli­ti­schen Bewe­gun­gen immer wie­der mit dem Ver­spre­chen von »Öffent­lich­keit«, »Trans­pa­renz«, »Mit­be­stim­mung«, »herr­schafts­frei­em Dis­kurs« auf­ge­tre­ten sind, haben sie sich – ein­mal an der Macht – doch stets der Täu­schung bedient. Aller­dings ist die Situa­ti­on inso­fern qua­li­ta­tiv ver­än­dert: Die Moder­ne ist gekenn­zeich­net durch eine neu­ar­ti­ge Zugäng­lich­keit von Infor­ma­tio­nen, und die Kol­lek­ti­v­er­fah­run­gen des 19. und 20. Jahr­hun­derts lie­fen auf so nach­hal­ti­ge – weni­ger theo­re­ti­sche als viel­mehr prak­ti­sche – Ent­täu­schun­gen hin­aus, daß eine dau­er­haf­te Rück­kehr zur Leicht­gläu­big­keit der Ver­gan­gen­heit unmög­lich gewor­den ist.

Der His­to­ri­ker Fried­rich Meine­cke hat­te schon für die Zeit vor dem Ers­ten Welt­krieg einen »Mas­sen­ma­chia­vel­lis­mus« beschrie­ben, also eine all­ge­mei­ne, von jedem mehr oder weni­ger geteil­te, mehr oder weni­ger zyni­sche Welt­deu­tung. Zwar hat es auch spä­ter immer wie­der Pha­sen sekun­dä­rer Nai­vi­tät gege­ben – eine Art wil­lent­li­cher Blind­heit –, aber die Grund­ten­denz der Ent­wick­lung lief doch letzt­lich dar­auf hin­aus, daß alle allen mit einem Augu­ren­lä­cheln begeg­nen. Ein Indiz am Ran­de: Aus­ge­rech­net die »skep­ti­sche Gene­ra­ti­on« (Hel­mut Schelsky) der fünf­zi­ger und sech­zi­ger Jah­re mach­te Bil­ly Wil­ders Eins, zwei, drei genau­so zum Kas­sen­er­folg wie die seich­te Ver­fil­mung von Tho­mas Manns Bekennt­nis­se des Hoch­stap­lers Felix Krull. Der jugend­li­che Held, im einen wie im ande­ren Fall gespielt von Horst Buch­holz, war der erfolg­rei­che Bluf­fer, also gera­de nie­mand, der das Leis­tungs­prin­zip des Wirt­schafts­wun­ders ver­kör­per­te oder die Wer­te der »Restau­ra­ti­on« mit Ord­nung, Sit­te, Pünkt­lich­keit, son­dern einer, der nur vor­täusch­te, durch Über­zeu­gungs­treue oder Anstren­gung nach oben gekom­men zu sein.

Der heu­te fast ver­ges­se­ne Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Lio­nel Tril­ling hat in sei­nem Buch Das Ende der Auf­rich­tig­keit die Pha­sen eines Zer­set­zungs­pro­zes­ses nach­ge­zeich­net, dem zuerst die Vor­stel­lung von der aus reli­giö­sen Grün­den not­wen­di­gen Tugend, dann die der Anstän­dig­keit und inner­welt­li­chen Aske­se des Bür­gers zum Opfer fie­len, zuletzt aber auch der Glau­be an die Mög­lich­keit indi­vi­du­el­ler Authen­ti­zi­tät. Tril­ling bezog sich bei sei­ner Ana­ly­se auf Nietz­sches Rede vom »Ver­lust des Schwer­ge­wichts«, gemeint war das »Schwer­ge­wicht« des Lebens. Die moder­ne Welt, so sei­ne Argu­men­ta­ti­on, ermög­li­che eine Exis­tenz, die glau­be, von ihren Bedin­gun­gen abse­hen zu kön­nen, die kei­ne Kon­se­quen­zen fürch­te, weil sie deren Aus­blei­ben regel­mä­ßig erfah­re. Das Leben wer­de leich­ter und des­halb wer­de die Här­te und Stren­ge der alten Ord­nung, vor allem deren not­wen­di­ger Über­schuß, uner­träg­lich. Immer weni­ger sehen die vie­len ein, wie not­wen­dig das Sich-Fügen ist, wie eng es mit dem Auf­be­geh­ren zusam­men­ge­hört und die Kon­tu­ren eines Cha­rak­ters zieht.

Cha­rak­ter­schwä­che wie­der­um hat mit Gewis­sens­schwä­che zu tun und damit, daß ohne die frü­he­re Beschrän­kung auch die Auf­rich­tig­keit an Rang ein­büßt. Ihre meta­phy­si­sche Stüt­ze hat sie längst ver­lo­ren (noch Rous­se­au woll­te kei­nen Schwur eines Athe­is­ten aner­ken­nen, da die­sen nichts zwin­ge, die Wahr­heit zu sagen), und wenn auf Nütz­lich­keit abge­stellt wird, kann sie kei­nen Nut­zen bewei­sen. Nur als Teil der Kon­ven­ti­on hat sie kei­ne Exis­tenz­be­rech­ti­gung, kommt nur noch im Tableau der wün­schens­wer­ten Ver­hal­tens­wei­sen vor. Man ver­kauft sei­ne See­le eben mit einer gewis­sen Saloppheit.

Bei die­ser Schil­de­rung der Ent­wick­lung konn­te Tril­ling noch gar nicht abse­hen, wel­che Per­spek­ti­ven sich durch die Schaf­fung der Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft einer­seits, die vir­tu­al rea­li­ty ande­rer­seits erge­ben wür­den. Was den ter­tiä­ren Sek­tor angeht, so bot er seit je – viel eher als die Pro­duk­ti­on in Land­wirt­schaft, Han­del und Indus­trie – die Mög­lich­keit, eine Fähig­keit oder ein Tun nur vor­zu­täu­schen. Durch das stür­mi­sche Anwach­sen sei­ner Bedeu­tung in den ent­wi­ckel­ten Län­dern ent­stand eine immer brei­ter wer­den­de Schicht, die im Grun­de nie Rück­mel­dung erhielt, ob das, was sie tat, taug­te oder nicht; gleich­zei­tig lern­ten ihre Ange­hö­ri­gen, sich nicht nur wich­tig zu neh­men, son­dern für unver­zicht­bar zu hal­ten. In ihrem Inter­es­se lag und liegt der immer wei­ter gehen­de Aus­bau der Büro­kra­tie bei gleich­zei­ti­ger Ent­kop­pe­lung von den Sach­ver­hal­ten, auf die sie Bezug nimmt, und sie kon­trol­liert auch den Aus­bau einer Rekru­tie­rung, die wohl­wol­lend als »Bil­dungs­expan­si­on«, weni­ger wohl­wol­lend als Sys­tem von Schein­qua­li­fi­ka­tio­nen beschrie­ben wer­den kann. 

Obwohl es zum All­tags­wis­sen der meis­ten gehört, daß es hier nicht um Kom­pe­tenz, son­dern um das Vor­täu­schen von Kom­pe­tenz geht, ist die Ent­schlos­sen­heit erheb­li­cher Bevöl­ke­rungs­tei­le unbe­streit­bar, die Lüge auf­recht­zu­er­hal­ten, deren Vor­tei­le für den ein­zel­nen auf der Hand lie­gen. Ein ähn­li­ches Zusam­men­spiel kann man auch für die Hin­nah­me der Dys­funk­tio­nen des Sozi­al­staats, die Akzep­tanz der Poli­ti­schen Kor­rekt­heit oder ande­rer For­men von Wirk­lich­keits-Erfin­dung ver­mu­ten. Es ist nie so, daß der Täu­schungs­cha­rak­ter nicht begrif­fen wür­de, son­dern so, daß man die Nütz­lich­keit des Als-ob ver­steht und nutzt. Das vor­aus­ge­setzt, erklärt sich auch der Man­gel an ech­ter Empö­rung über die mehr oder weni­ger dra­ma­ti­schen Ent­lar­vun­gen der letz­ten Mona­te. Gelas­sen schaut man auf die Unfä­hig­keit der poli­ti­schen Klas­sen halb Euro­pas, die Bereit­schaft der eige­nen, lang­fris­ti­ge natio­na­le Inter­es­sen zu opfern, die sys­te­ma­tisch gefälsch­ten Wirt­schafts­da­ten der Grie­chen, den eige­nen Sta­tus in der Lis­te der kor­rup­ten Staa­ten, die Sta­tis­tik der Analpha­be­ten oder den erschli­che­nen Dok­tor­ti­tel des Bun­des- und den wert­lo­sen des Lan­des­mi­nis­ters, schließ­lich die Chuz­pe des Bundespräsidenten.

Wenn Frank Schirr­ma­cher beklagt, daß die Inte­gri­tät des höchs­ten Staats­am­tes nur noch auf »Fik­ti­on«, also Täu­schung, beru­he und daß die­ser Sach­ver­halt als sym­pto­ma­tisch zu betrach­ten sei, weil die Eli­te sich längst dar­auf ver­stän­digt habe, sol­ches zu dul­den, so sind sei­ne Erwar­tun­gen in die Abhil­fe durch Basis­be­we­gun­gen, ob es sich um die Pira­ten oder Occu­py han­delt, doch merk­wür­dig naiv. Denn die Men­schen wer­den durch die Vor­gän­ge nicht erschüt­tert. Sie haben sich in sehr gro­ßer Mehr­heit mit dem Als-ob arran­giert, weil ihnen ihre Erfah­rung sagt, daß so durch­zu­kom­men ist. Und noch in der Bemer­kung des Kom­men­ta­tors, das Staats­ober­haupt habe »sei­ne Rol­le« (Nils Mink­mar) ver­fehlt, kommt mehr zum Aus­druck als die sozio­lo­gi­sche The­se vom Merk­mals­trä­ger Mensch: Da wird moniert, daß einer sich nicht dar­auf ver­steht, jene Schau zu lie­fern, für die man ihn bezahlt.

Tat­säch­lich ist das ein Unbe­ha­gen an der All­ge­gen­wart der »Fik­ti­on« (Schirr­ma­cher dixit). Es gehört seit je zur kon­ser­va­ti­ven Zeit­kri­tik, daß sie an die­ser Stel­le ansetzt, daß sie dar­auf beharrt, daß mit der Täu­schung als Grund­la­ge nicht durch­zu­kom­men ist. Arnold Geh­len hat in Moral und Hyper­mo­ral geäu­ßert, es sei nichts per­fi­der, als das »Reich der Lüge« zu errich­ten. Womit er nicht rech­ne­te, nicht rech­nen konn­te, war des­sen Auf­bau mit Zustim­mung aller Betei­lig­ten. Das unter­schei­det die gegen­wär­ti­ge Lage so ein­deu­tig von jeder frü­he­ren: daß es aus­sieht, als ob eine Ord­nung dau­ernd auf sys­te­ma­ti­scher Täu­schung beru­hen kann. Es gibt ange­sichts des­sen nur zwei Hoff­nun­gen: daß die Men­schen noch nicht so viel an See­len­kraft ein­ge­büßt haben, daß sie einen sol­chen Zustand wirk­lich ertra­gen; und daß jene dras­ti­schen Erfah­run­gen nicht län­ger auf sich war­ten las­sen, die schon immer und unfehl­bar zur Ent-Täu­schung bei­getra­gen haben.

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