Daß die Historisierung des Nationalsozialismus verhindert wird, hat nach Maschke einen guten Grund: »Da man Hitler nicht erklärt, kann er nicht sterben, – er darf ja nicht sterben. Nebenbei kann man die deutsche Geschichte in ein Verbrecheralbum, betitelt ›Von Luther bis Hitler‹, umwandeln. Und so wirkt diese Literatur, deren Vertreter dauernd fordern, daß noch mehr bewältigt und aufgearbeitet werde, nicht nur staats‑, sondern auch volkszerstörend; sie ist ein Beitrag zum psychischen Genocid am deutschen Volk bzw. zum deutschen Autogenocid.« Denn: »Selbst nach den Vorstellungen der UNO gibt es einen psychischen Genocid, indem man etwa einem Volke seine Kultur, sein Gedächtnis raubt (und durch ein anderes ersetzt). Wenn Angehörige eines Volkes selbst diese Zerstörung betreiben, ist die Zeit für klare Feinderklärungen innerhalb dieses Volkes da«. Der Begriff »Autogenozid« wurde übrigens gelegentlich benutzt, um die Verbrechen der Roten Khmer am eigenen Volk im Namen einer radikalkommunistischen Kulturrevolution zu beschreiben.
II. |
Aus dem Geleitwort zum ab 1933 ausgegebenen »Ahnenpass«: »Die Eltern der Ehegatten und jedes Kind, das den Ehegatten geboren wird, werden aufgezeichnet. Jeder Mensch wird in Beziehung gesetzt zu seinen Vorfahren und Nachfahren. Dem Einzelnen wird zum Bewußtsein gebracht, daß er nur ein verbindendes Glied in einer langen Kette von Geschlechtern ist. Es wird in ihm das Gefühl der Verantwortung geweckt, die er für die Erhaltung seines Geschlechts und damit zugleich für die Zukunft des deutschen Volkes trägt. Das Familienbuch soll den jungen Eheleuten ein steter Mahner sein: Du sollst dir möglichst viele Kinder wünschen! Erst bei drei oder vier Kindern bleibt der Bestand des Volkes sichergestellt. … Du vergehst, was du deinen Nachkommen gibst, bleibt; in ihnen feierst du Auferstehung. Dein Volk lebt ewig!« An diesen Forderungen ist nichts Verwerfliches, und sie sind durchaus aktuell; man wird traurig, wenn man sie heute liest, weil auch sie vom schwarzen Loch des Nationalsozialismus verschluckt wurden. Freilich fällt auf, daß man offenbar schon in den dreißiger Jahren von staatlicher Seite anmahnen mußte, was früheren Generationen eine Selbstverständlichkeit war. Fraglich ist auch, ob die rein biologische Transzendenz im Generationenstrom ausreichend ist. Selbst im Alten Testament, dem Manifest der Vaterfolge und Volkskontinuität schlechthin, ist es erst der Bund mit Gott, der dem Volk und dem Samen der Stammväter seinen Wert verleiht. Im Zeitalter des Nihilismus und der »Auflösung aller Dinge«, in dem man über jeden vorbeitreibenden Strohhalm dankbar sein muß, ist das aber fast schon ein hochmütiger Anspruch. Niemand kann Gott zu etwas zwingen. Man muß sich heute also bescheiden.
Der heutige Massenmensch teilt nach Hans-Dietrich Sander nicht mehr die Sorge, vor seinem Tod »letzte Weisungen für das Leben nach ihm in seinem kleinen und großen Lebensraum getroffen zu haben … Er fühlt keine Verantwortung mehr für Weib, Kind, Knecht, Magd, Vieh, alles was sein ist, und was über sein Eigen hinausreicht in das Gemeinwesen, in die Geschichte. Er ist, vom Tod her gesehen, nicht einmal sich selbst und für sich selbst verantwortlich. So stirbt der Mensch, der Müll geworden ist. … Was in den Zeiten des Sinnverlusts und der Gottverlorenheit Lebens- und Sterbehilfe war – die Kinder, das Volk, die Leistungen, die stoische und die epikuräische Philosophie –, hat in solcher Perspektive keine Heilkraft mehr.« Heute leistet man sich die mutwillige Zerstörung dieser Dinge, deren Verlust durch die Verteilung von sozialistischem Opium kompensiert werden soll. Man wähnt sich mit mathematischer Sicherheit auf der richtigen Seite, wenn man das genaue Gegenteil jeglicher im »Dritten Reich« betriebenen Politik propagiert – eine frevelhafte Verblendung, die nur in eine neue tiefe Schuld führen wird.
Eine junge Politikerin der »Linken« äußerte im Januar 2012, sie »liebe und fördere den Volkstod«, angeblich nur, um einen rechten Vogel im Internet zu provozieren. Später relativierte sie die Aussage dahingehend, daß der Begriff des »Volkstodes« wie »Volk« selbst doch ein bloßes Konstrukt sei – eine typische Behauptung der Linken, die andererseits beliebt, die Deutschen als ewig in der »Schuld« und »Verantwortung« stehende Abstammungsgemeinschaft zu betrachten. Der »Volkstod« ist indessen eine unbestreitbare demographische Tatsache. Der Begriff ist nicht weniger unscharf als jener des »Genozids« selbst, denn bisher geschah es in der Geschichte eher selten, daß tatsächlich ganze Völker biologisch restlos ausgerottet wurden. Eher lösten sie sich per Ethnomorphose in andere, stärkere Völker auf. Diesem Umstand trug die Theorie des Genozids von Anfang an Rechnung.
III. |
Der Begriff »Völkermord« wurde ausgerechnet in Deutschland geprägt. August von Platen verwendete ihn 1831 in einer Ode, die die Unterwerfung der polnischen Nation anprangerte. Das lateinisch-griechische Kunstwort »Genozid« hatte allerdings von Anfang an eine deutschenfeindliche Tendenz. Erfunden wurde es 1944 in den USA von dem polnisch-jüdischen Juristen Raphael Lemkin im Rahmen der Propagandaschrift Axis Rule in Occupied Europe. Lemkin plädierte dafür, den Völkermord zur internationalen Straftat zu erklären. Im Nürnberger Prozeß wurde der Begriff von der Anklage bereits ausgiebig verwendet, fand sich jedoch noch nicht unter den offiziellen Anklagepunkten. Der Durchbruch kam 1951 mit der UNO-Resolution zur »Verhütung und Bestrafung des Völkermordes«, pünktlich nach Abwicklung eines Völkermordes im größeren Stil, verantwortet von den Richternationen von Nürnberg. Die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten des Reiches forderte rund 2,1 Millionen Tote und erfüllt die meisten der UN-Kriterien des Völkermords, der definiert wird als »eine der folgenden Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören: a) das Töten von Angehörigen der Gruppe, b) das Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen der Gruppe, c) die absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen, d) die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung, e) die gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.«
Es ist keine Nebensache, daß weder die englische noch die französische, italienische oder spanische Version des Wikipedia-Eintrags zu »Genozid« (um nur die wichtigsten Sprachen zu nennen) die Vertreibung der Deutschen als Beispiel für Völkermord erwähnt. Auf der deutschen Version der Seite wird in der Regel jeglicher Versuch, die Vertreibung neben den Völkermord an den Armeniern und Herero, neben Ruanda und Kosovo, neben Holocaust und Holodomor einzureihen, von den Torwächtern der »freien Enzyklopädie« blockiert. Die Vertreibung ist wohl weltweit der Genozid mit dem geringsten Prestige und Bekanntheitsgrad, was in keinem Verhältnis zu seiner Opferzahl steht. Diese Vertuschung läßt sich direkt auf die politische Verwendung des Begriffes seit dem Nürnberger Prozeß zurückführen, der Deutschland für alle Zeiten als »das klassische Land der genozidalen Praxis« (Raphael Lemkin) abstempelte.
Die Verachtung für die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges, insbesondere durch deren Nachkommen selbst, hat ihre Wurzel in diesem Urteil. Die Deutschen der Kriegszeit werden als Volk wahrgenommen, das sich des Genozids par excellence schuldig gemacht hat, eine Schuld, die nur durch das Opfer der Enkel und Urenkel gesühnt werden kann: Auge um Auge, Zahn um Zahn, und Sühne bis ins siebte Glied: auch in seiner säkularen Inkarnation als »Holocaust« ist der alte Rachegott Jahwe unerbittlich. Oder vollstreckt man hier doch noch den letzten Willen des Führers, der nach einem Zeugnis von Albert Speer das deutsche Volk gegen Kriegsende ohnehin nicht mehr des Weiterlebens für würdig hielt? Die bundesdeutsche Geschichtspolitik gegenüber den Vertreibungs- und Bombenkriegsopfern, die de facto an eine Billigung grenzt, gehört zur Fortführung der genozidalen Praxis mit anderen Mitteln. Die Haltung gegenüber den Deutschen der Vergangenheit spiegelt die Haltung gegenüber den Deutschen der Zukunft wider. Maschkes Vorwurf des »Völkerselbstmords« ist mehr als nur Polemik: Er trifft präzise den Kern der Sache.
IV. |
Am 16. November 2011 stellte die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern den Antrag, »den biologischen Fortbestand des deutschen Volkes zu bewahren«. Die Antwort darauf ließ sich unschwer erraten. Stefanie Drese, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, erklärte im Namen aller »demokratischen Fraktionen des Landtags«, dieses Ansinnen werde »mit aller Nachdrücklichkeit und auf das Schärfste« abgelehnt. Es sei »rassistisch und menschenverachtend, engstirnig und rückwärtsgewandt zugleich« und zeige »einmal mehr auf erschreckende Weise das Gedankengut der NPD und ihre geistige Nähe zur NS-Ideologie. … Sie stellen somit das deutsche Volk über alle anderen Menschen. Gerade diese Arroganz und der damit verbundene Größenwahn der Überlegenheit anderen Völkern gegenüber hat der Menschheit in der Vergangenheit immer wieder Tod, Zerstörung und Unglück gebracht.«
Das eigene Staatsvolk zugrunde gehen zu lassen, wäre demnach wohl »antirassistisch und menschenliebend, großherzig und vorwärtsgewandt zugleich«, während schon das bloße Ansinnen, als Volk zu überleben, Zeichen von »Größenwahn« und Selbstüberhebung sei? Und diese Politik der Deutschland- und Deutschenabschaffung führe dann wohl zu Leben, Aufbau und Glück? Wer will, kann hier unschwer den Schatten typischer »Umerziehungs«-Axiome erkennen, die den lange nach dem Krieg geborenen Generationen in ihrer plattestmöglichen Form in Fleisch und Blut übergegangen sind. All dies läßt sich durchaus unter »Maßnahmen zur Geburtenverhinderung« verbuchen. Noch mal Günter Maschke, der von der »Blockierung einer wirklich pronatalistischen Politik« spricht, betrieben von einer »politischen Klasse, die auf diese Weise sowohl den Imperativen unserer Büßergemeinschaft als auch denen unserer hedonistischen Spaßgesellschaft Tribut entrichtet«: »Am perfektesten büßt, wer an seinem Verschwinden arbeitet, und den meisten Spaß hat, wer ihn nicht mit zu vielen teilen muß. Das deutsche Volk soll aufhören, und zu einem beträchtlichen Teil will es das auch – subventionierte es denn sonst sein Verschwinden, sprich Abtreibung, das heißt Tötung von Millionen Wehrlosen? Oder soll man das ›Massenselbstmord‹ nennen? Man subventioniert die Auslöschung von soundsovielen Menschen und subventioniert anschließend das Hereinkommen von soundsovielen, die auch noch Fremde sind. Erst Entpeuplierung und dann kaum gelingen könnende ›Aufforstung‹!«
V. |
In Zeiten der globalen Massengesellschaft ist man auch in der Frage, was denn ein Volk eigentlich ausmache, bescheidener geworden. Analog dazu wird auch die Frage nach der Unterscheidung von Kultur und Zivilisation oder Geschichte und Chronik zunehmend unverständlich. Man kann nicht mehr über das »Volk« reden, wie es die Romantiker oder noch die Köpfe der Konservativen Revolution taten. Wenn heute das Spottwort vom »Biodeutschen« kursiert, dann hat das einen tieferen Sinn. Die Vorstellung von den Völkern als »Gedanken Gottes« impliziert, daß zum »Volksein« mehr gehört als Biologie und Genetik. Ein Echo davon findet sich noch in Pier Paolo Pasolinis Polemik gegen den »anthropologischen Genozid« an den Italienern, insbesondere ihrer regionalen Kulturformen, deren verschiedene »Arten, ein Mensch zu sein«, durch die homogenisierende Walze der Konsumgesellschaft eingeebnet würden. Hier war natürlich nicht von einem biologischen Verschwinden die Rede. Es geht aber um viel mehr als Folklore, Sitten und Mundarten. Es geht auch um das, was man einst – heute ebenso achtlos in die Tonne getreten – die »Seele« nannte.
Hans Blüher benutzte den Begriff des »Anthropologischen« in Abgrenzung zum »Ethnologischen«, das »rein empirisch« sei und »nichts von einem transzendentalen oder metaphysischen Einschlag an sich habe«. Die »anthropologische« Frage nach dem »Menschsein« stellte sich für Blüher aber erst jenseits der Biologie im Metaphysischen: »Die Rasse ist das allgemeinste Gebilde, das sich nun, bestimmt durch die geographische Lage, zu den Völkerschaften und Stämmen verengt, während man unter einem Volk bereits etwas versteht, was in die Geschichte eingetreten ist.« Nach 1945 hielt er die Geschichte der deutschen Nation für beendet, unwiderruflich untergegangen »nach dem Gesetz, wonach sie angetreten«: »Ich habe, als Einzelmensch, mein Schema, das jedermann in wenig Strichen zeichnen kann.
Das ist eine milde Sache, die nicht viel auf sich hat; zudem ist es stabil, denn mein empirischer Charakter ist es auch. Außerdem aber bin ich Schicksalsträger mit meinem Volk, das heißt, ich habe eine historische Note, und die ist nicht stabil, denn die Geschichte, der ich angehöre, liegt in heftiger Bewegung: das ist der Mythos, dem ich verfallen bin. Für einen Deutschen ist es vorwiegend der Nibelungenmythos, unter dem er steht. Diesem Schicksal – auf der Etzelburg – zu entrinnen und es durch ein gnädigeres zu ersetzen, ist der immer wieder vergebliche Versuch der deutschen Geschichte gewesen. Früher gelang es einem der germanischen Stämme, ihm in Würde zu erliegen, so unter Teja am Vesuv; heute gelingt es nicht mehr.« Sind die Deutschen auch heute einem »Mythos« verfallen, der in einen »Untergang ohne Würde« führt? Und erleben wir bloß die letzten nachplätschernden Wellen einer bereits vorübergegangenen Sintflut? »Es wird bald keine Deutschen mehr geben, es sei denn im ethnologischen Sinne«, schrieb Blüher. »Hier ist ein historischer Moment verpaßt worden oder auch vertan.«