Natürlich könnte man dem entgegenhalten, es habe auch eine deutliche Polemik gegen den neuesten Soziolekt – »Kiezdeutsch« – gegeben und eine andere gegen die Art und Weise, wie der »Ehrensold« des gewesenen Bundespräsidenten gerechtfertigt wird. Aber es bleibt dabei, daß das nur Nebentöne sind, leise, kaum vernehmbar, nicht die Melodie. Und es ist für diesen Zusammenhang auch nicht von Interesse, daß Politik- und Wirtschaftsteil wie eh und je der Stimme der Vernunft Geltung verschaffen. Denn das, worum es hier geht, ist der jüngste Linksruck des FAZ-Feuilletons. Es ist nicht der erste.
Mancher meint zwar, daß es seit je zur Struktur einer Qualitätszeitung gehörte, im ersten Buch konservativ (Politik), im zweiten liberal (Wirtschaft) und im dritten rot (Feuilleton) zu sein. Aber das bleibt doch Ausdruck der Hilflosigkeit, galt nie für die Süddeutsche, die Frankfurter Rundschau oder die taz. Da gab und gibt es keine erkennbare Diskrepanz zwischen den Grundausrichtungen, sicher keine Möglichkeit, hinten im Blatt das Gegenteil von dem zu behaupten, was vorn behauptet wird, also etwa in einem Organ der Progressiven ein rechtes Feuilleton zu etablieren.
Man könnte natürlich auf dem Standpunkt stehen, daß die Intelligenz per se links sei, aber das galt in der ferneren Vergangenheit nicht, und es gilt heute erst recht nicht. Bleibt also die Frage, wieso sich die Frankfurter Allgemeine den Luxus eines knallroten, halbroten, hellroten Kulturteils leistet? Der Verfasser dieses Textes hat an anderer Stelle schon einmal die Annahme formuliert (und begründet), wie es zu der eigenartigen Schieflage der FAZ-Struktur in der Nachkriegszeit kommen konnte. Hingewiesen werden mußte dabei auf die Rolle von Karl Korn, des ersten Feuilletonchefs, dessen Wunsch nach Deckung vor Anwürfen wegen seiner eigenen braunen Vergangenheit ihn dazu brachte, die schon damals einflußreichen Spalten für die Neue Linke zu öffnen. Das alles soll hier nicht noch einmal ausgebreitet werden, es sei aber doch erwähnt, daß der Entschluß, Joachim Fest als seinen Nachfolger zu installieren, keine Korrektur bedeutete. Die Einschätzung von Fest als Konservativen hatte mehr mit dessen Bildung und dessen Habitus zu tun, als mit einer entsprechenden politischen Ausrichtung. Tatsächlich gehörte Fest zu den liberalen Newcomern der sechziger Jahre und sympathisierte fallweise mit der Linken. Wieviel das mit persönlichen Bekanntschaften in der Hamburger Journalistenszene zu tun hatte, wieviel mit Sentimentalität, ist hier nicht von Bedeutung. Wichtig aber ist die Tatsache, daß Fest nach Übernahme der Leitung des FAZ-Feuilletons 1973 Leute wie Karl Heinz Bohrer protegierte, die für eine mehr als »progressive« Ausrichtung sorgten. Damals setzte sich zum ersten Mal die Vorstellung fest, daß die Linke den Kulturteil der FAZ als ihren claim betrachten dürfe.
Die Einschätzung galt nie durchgängig, aber eindeutig war immer, daß die intellektuelle Rechte konsequent mit Nichtachtung gestraft wurde. Fest sorgte zwar auch für Gegengewichte – etwa in Gestalt von Konrad Adam – und wußte natürlich, wie stark der dezidiert konservative Einfluß im Politikteil war, aber das änderte nichts an der Tatsache, daß selbst unter dem Eindruck der »Bleiernen Jahre« und der »Wende« keine prinzipielle Korrektur der Ausrichtung stattfand. Schließlich ist vor diesem Hintergrund auch die Gründung von »Fests Kindergarten« in den achtziger Jahren zu werten, das heißt die Einbeziehung einer Reihe von zum Teil noch sehr jungen Mitarbeitern wie Gustav Seibt, Jens Jessen, Patrick Bahners und Frank Schirrmacher. Fest hat Schirrmacher später als seinen Nachfolger installiert; nach seinem Ausscheiden übernahm Schirrmacher bald auch die Position in der Herausgeberschaft.
Seitdem hat Schirrmacher zwar für häufigen Personalwechsel gesorgt (aus dem »Kindergarten« ist nur noch Bahners übrig) und eine erstaunliche Energie beim agenda setting entfaltet (das Ende des Feuilletons ausgerufen, die Entzifferung des menschlichen Genoms zum Thema gemacht, dem »Fürchtet euch nicht!« in der Demographiedebatte die Hatz auf Sarrazin und dann die freundlichen Aufforderungen an die anarchistische Linke folgen lassen). Eine ideologische Orientierung im eigentlichen Sinn war dahinter jedoch nicht zu erkennen. Zwar favorisierte Schirrmacher zeitweise Leute wie Ulrich Raulff oder Franziska Augstein in der Redaktion, aber der Konservative las ihre Stellungnahmen doch nur mit Achselzucken. Dasselbe galt im Prinzip für alle, von denen man wußte, daß sie »im Zweifel links« argumentierten, und man tröstete sich mit den Kontrapunkten, die Adam, Jürgen Kaube oder Lorenz Jäger, gelegentlich auch Henning Ritter, setzten. Nun hat Adam längst den Dienst quittiert, Kaube war immer ein Einzelgänger und hält sich etwas zugute auf seine Unberechenbarkeit, und wahrscheinlich kann man Jägers Rückkehr zum Gutmenschentum doch nicht ganz trennen von dem Prozeß, der sich am Ende des vergangenen Jahres ankündigte, als zu vernehmen war, daß Bahners in die USA wechseln solle und an seiner Stelle Nils Minkmar die Leitung des Feuilletons übernehmen werde.
Soweit erkennbar, verfügt Minkmar, Jahrgang 1966, über einen deutschen wie französischen Paß, studierte an der Universität des heimatlichen Saarlands (amtierte zwei Semester als AStA-Vorsitzender; man wagt gar nicht zu fragen, für welche Gruppierung) und saß bei Bourdieu im Seminar, promovierte und arbeitete dann als Journalist für das ZDF, die Süddeutsche Zeitung und seit 1999 als Redakteur der Zeit, bis er zwei Jahre später in das Feuilleton der FAZ eintrat. Jetzt ist er an dessen Spitze angekommen, obwohl man – die Dinge von außen betrachtend – nicht ganz sehen kann, was ihn auszeichnet. Immerhin begann seine Amtszeit mit einem Trompetenstoß – »Stellt endlich die Systemfrage!« – und dann folgte die Neuausrichtung des FAZ-Feuilletons nach einer Phase zugegebenermaßen lustlos wirkender Führung.
Jetzt soll der »kluge Kopf« hinter der FAZ also nicht nur mit Minkmar leben lernen und dem wiedergekehrten Quasi-Kommunisten Dietmar Dath, sondern auch mit der Begeisterung für die Restauration des Marxismus, dem Hochschreiben von Occupy und Piratenpartei, und einer ideologischen Gesamtausrichtung, die überhaupt keine Differenz mehr zu dem erkennen läßt, was hierzulande allüberall zu hören ist. Ein guter Freund meinte schon zu Jahresbeginn, man solle eine Kampagne mit dem Slogan »Kündigt der FAZ!« ins Leben rufen. Aber abgesehen von der Trägheit des Konservativen auch in Abonnementsfragen: Was ist die Alternative?