Für jede Opposition ist unverzichtbar, einen objektiven Gegengeist auszubilden. Das birgt zwar die Gefahr der Entfremdung und Isolierung, verhindert aber Zynismus. Der Erfolg mißt sich an der Stärke dieses Gegenbildes.
Im Kampf des Geistes um die Macht dürfen die irrationalen Momente nicht unterschätzt werden. Geist ist gerade nicht nur rational, bloßer Verstand. Die besseren Argumente allein genügen nicht.
Der Kampf des Geistes wird über Ideen geführt und entschieden. Ideen zeichnen sich weniger dadurch aus, daß sie gut begründet sind, sondern daß sie als Wahrheit akzeptiert werden, für die genügend »Verrückte« (Kaltenbrunner) bereit sind, vielleicht nicht ihr Leben, aber wenigstens ihren guten Ruf zu opfern. Vor allem also dadurch erhalten Ideen Macht.
Das Prinzip der Jüngerschaft wird Ausnahme bleiben, nicht zuletzt, weil die Wirksamkeit beschränkt ist und von der Person des Meisters abhängt, mit ihm steht und fällt. Dennoch bleibt der Geist exklusiv, allerdings nicht im Sinne eines Geheimwissens, sondern als etwas, das mit Fleiß, Aufmerksamkeit und dem entsprechenden Willen erschlossen werden kann.
Der personale Geist muß, um objektiver Geist zu werden oder daran Anteil zu haben, einen entsprechenden Machtanspruch vertreten. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: Die vertretene Idee darf nicht den Eindruck erwecken, verhandelbar zu sein. Das verstärkt die Geschlossenheit. Sie muß aber andererseits mit einem gewissen Spielraum vertreten werden, um nicht als »fixe Idee« in den Bereich des Pathologischen abgeschoben zu werden.
Abschließend stellt sich die Frage, von deren Beantwortung viel für die Motivation des personalen Geistes abhängt, in den Kampf einzutreten. Sie lautet: Wann hat eine Person oder eine Institution sich objektiviert, wann wird aus Erlebnis Gebilde, wann aus Seele Werk (Hans Freyer)? Eine Antwort ist oftmals nur aus der Rückschau möglich.
Wer sich die Macht des Geistes vergegenwärtigen will, erinnere sich einfach an einige Momente der deutschen Geschichte. Immer wenn Deutschland am Boden lag und von militärischer Macht entblößt war, kam eine Wiedergeburt über den Geist in Gang. Das war nach dem Dreißigjährigen Krieg nicht anders als nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt im Jahre 1806. Immer ging es zunächst darum, physische Verluste durch geistige Leistungen auszugleichen. Daß sich daraus wieder greifbare Macht entwickelte, liegt im Wesen der Macht des Geistes begründet. Clausewitz faßte das in die bekannte Formel: »Es gibt keine Hilfe außer uns selbst, es gibt keine Rettung außer der, welche in unserer Kraft, in unserem Verstand, in unserem Herzen ist.« Neben den Willen, sich wieder herauszuarbeiten, tritt also die Bereitschaft zum Wagnis, gegen jede Wahrscheinlichkeit und berechenbare Möglichkeit eben genau diesen Weg zu wählen.
Bereits an diesem Beispiel wird deutlich, daß es sich bei der Macht des Geistes um das Zentrum der Macht überhaupt handelt, von der alle anderen Macht-Formen, ob militärische oder politische, abgeleitet sind. Ohne den Geist würde es sie nicht geben. Und dennoch ist die Rede von der Macht des Geistes problematisch, da zwischen Macht und Geist oftmals ein Widerspruch gesehen wird. Auf der einen Seite steht die Macht, die wahlweise böse ist (Jacob Burckhardt) oder mit nackter Gewalt assoziiert wird. Auf der anderen Seite steht der Geist, dem gern etwas Normatives unterstellt wird und der nicht selten das gute Prinzip gegen die Macht symbolisieren soll. Wie tief diese Entgegensetzung verankert ist, wird am Erstaunen darüber deutlich, daß sich Gebildete durchaus auch in den Dienst einer »bösen Macht« stellen (etwa »Das dritte Reich und seine Denker«).
Es geht um die Frage, welche Macht Ideen entfalten können und welche Voraussetzungen dafür gegeben sein müssen. Immer steht eine konkrete Idee, ein konkreter Geist im Mittelpunkt, der sich zur Macht aufschwingt. Das eingangs genannte Beispiel der Ereignisse in den Jahren nach 1806 belegt die Macht des Geistes sehr deutlich. Denn das, was sich dort geistig ereignete, hatte nicht nur zur Folge, daß Preußen Deutschlands Einheit vorantrieb und damit Großmacht werden konnte, sondern auch, daß diese geistige Grundlage über hundert Jahre Bestand hatte und den Deutschen ihren objektiven Geist gab, der in einigen Institutionen bis heute nachwirkt.
Von dort zeugt sich eine Tradition fort, die schon vor der Niederlage von 1918 in diesem Sinne die geistigen Kräfte, die sich abzunutzen drohten, zu erneuern und das schlapp oder hohl gewordene Gemeinwesen mit neuem Geist zu füllen gedachte. Es muß ja, so der Gedanke, nicht immer zur Katastrophe kommen, bevor die Selbstreinigungskräfte einsetzen. Nach 1918 sah man daher nur das offizielle Deutschland besiegt, das eigentliche, das geistige, bestand weiter und sollte jetzt, wie 1806, zum Tragen kommen. Man wähnte sich sogar durch die Niederlage dem Sieger überlegen, gerade weil klar war, daß die alten Mächte gewonnen hatten und der Sieger die Gelegenheit versäumte, sich selbst in Frage zu stellen. In der Niederlage dagegen lag die Möglichkeit, die ungelösten Probleme des Massenzeitalters neu anzugehen. Anders als 1806 waren diese Bemühungen, vor allem die von der sogenannten Konservativen Revolution ausgehenden, nicht von Erfolg gekrönt. Dennoch demonstriert die Zwischenkriegsepoche die Macht des Geistes. Vor allem der Aufstieg Hitlers, zu dem sich Geld und Gewalt erst im Laufe der Jahre gesellten, gab der Epoche sein Gesicht.
Die Macht des Geistes ist, je nach Definition, überall und nirgends. Wenn man Geist nur Philosophen oder anderen Arbeitern des Geistes zugesteht (und den anderen den Verstand beläßt), wird er nur selten zur Macht vorstoßen, denn der Durchlaß dorthin ist eng, und Mark Aurel oder Friedrich der Große sind Ausnahmegestalten. Wenn der Geist aber den Menschen konstituiert, wird er überall, auch in allen Machtfragen, zu finden sein.
Da Geist nur dem Menschen zukommt, führt die Klärung der Geistfrage über jene nach dem Wesen des Menschen. Spätestens seit der Romantik und dem Deutschen Idealismus bildete sich der heute gebräuchliche Begriff des Geistes heraus, der bereits damals in Polarität zur Natur stand, dennoch auch (bei Hegel) die große Klammer war, die alles (die Weltgeschichte, die Philosophiegeschichte und die Philosophie selbst, aber auch den einzelnen, die Gesellschaft und den Staat) umfaßte und zusammenhielt. Die Macht des Geistes ist dabei vorausgesetzt. Daß der Mensch ein Tier sein könnte, das seinen Trieben hilflos ausgesetzt sei, kam damals nicht vor. Insofern stand das 20. Jahrhundert, nach Darwin, Nietzsche und Freud, neuen Fragen gegenüber, die auch den Geist betrafen.
Seither stellen alle Philosophen zunächst die Frage nach der Unterscheidung von Mensch und Tier, die vieles gemeinsam haben. Max Scheler sah beispielsweise bei beiden eine identische Stufenfolge: Gefühlsdrang, Instinkt, assoziatives Gedächtnis, organisch gebundene praktische Intelligenz. Wenn es all das sowohl beim Menschen als auch beim Tier gebe, müsse der Unterschied anderweitig gefunden werden, und dazu gehöre auch die Bestimmung, ob es ein gradueller oder ein absoluter und damit wesentlicher ist. Scheler sieht im Menschen ein neues Prinzip am Werk, das dem Leben entgegengesetzt und demnach keine Steigerung der genannten Stufen ist. Es handelt sich um das Prinzip des Geistes, das die Geschlossenheit der tierischen Umweltstruktur durchbricht. Der Mensch kann sich von der Umwelt distanzieren und sie zu seiner Welt machen. Aus dieser Grundstruktur entstehen alle Werke des Menschen. Er muß dazu, so Scheler, die starke Triebenergie sublimieren, weil der Geist – als höchste Stufe – keine eigene Energie hat. Der Kraftstrom müsse von unten nach oben gelenkt werden, so daß eine Spannung zwischen Leben und Geist entstünde.
Daß der Geist über keine eigene Energie verfüge, ist eine These, die Hegel niemals hätte gelten lassen. Und insbesondere für die Machtfrage ist es wichtig, ob es nicht doch eigene Machtquellen des Geistes gibt. Allerdings ist klar, was uns Scheler sagen will: Ohne Leben ist der Geist nichts, weil er nicht im luftleeren Raum, also trägerlos existiert.
Wir können uns, Sublimierung hin oder her, aber auch keine eigene Welt bauen, sondern wachsen immer schon in geistige Gebilde hinein. Der personale Geist, der einzelne Mensch, steht nie allein. Er steht in einem unauflöslichen Grundverhältnis zum objektiven Geist, der durch die dauerhaften Hervorbringungen des Geistes repräsentiert wird. Beide bedingen einander: Der personale Geist bildet sich am objektiven Geist und wächst in ihn hinein, um ihn schließlich mitzugestalten. Hier erscheint wiederum die Machtfrage, wenn wir davon ausgehen, daß zum objektiven Geist der Zeitgeist gehört, der sich in all den je aufscheinenden Facetten wiederfindet. Dieser objektive Geist, so hat es der heute vergessene Philosoph Nicolai Hartmann geschrieben, ist eine Macht im Leben des Individuums, die es leitet, führt, formt und seiner persönlichen Initiative das Schicksal bereitet.
Der einzelne kann, so Hartmann, nur wirken, wo er den objektiven Geist für sich hat, indem dieser seine Gedanken aufgreift und sich zu eigen macht. Das passiert nur, wenn die Suche bereits in diese Richtung geht. Der Widerstand gegen den Zeitgeist kommt nie von einzelnen, sondern muß sich, um als objektiver Geist eine entsprechende Macht entfalten zu können, auf eine Mehrheit stützen. Hartmann spricht von der »Gleichgeformtheit der Vielen«, die zur Isolierung des einzelnen und damit seiner Ohnmacht führe. Eine Revolution kann dieses Prinzip nur dann durchbrechen, wenn die Macht und der objektive Geist keine Einheit mehr bilden und das Revolutionäre den neuen Gemeingeist repräsentiert. Der Versuch, gegen den Zeitgeist zu opponieren, ist aber auch die einzige Chance, Macht überhaupt zu spüren. Denn solange man konform lebt, bleibt die Macht des Geistes ungreifbar, weil einen die »Geborgenheit des Durchschnittsmenschen« (Hartmann) umgibt.
Die Konzentration auf den Machtkampf zwischen personalem und objektivem Geist führt bei Hartmann dazu, daß die Frage, wie sich der personale Geist bildet, recht konventionell beantwortet wird: Der einzelne wächst in den Zeitgeist bzw. den objektiven Geist hinein. Damit wollten sich zu allen Zeiten einige Leute nicht abfinden und selbst dem Zeitgeist ihren Stempel aufdrücken. Inwieweit Scheitern und Gelingen von der einzelnen Persönlichkeit oder einer untergründig bereits vorhandenen Strömung des Zeitgeistes abhängen, ist schwer zu entscheiden.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die Macht des personalen Geistes und sein Bestreben, Anteil am objektiven Geist zu erlangen, ist der George-Kreis. Er lebte vom Sendungsbewußtsein des Meisters, dem es im Laufe seines Lebens gelang, einen Kreis von Jüngern um sich zu scharen, der auch nach seinem Tod Bestand hatte. Die Macht des Geistes ging in diesem Fall nicht so weit, daß das geistige Reich zum objektiven Geist geworden wäre. Doch immerhin wurden Beispiele gesetzt, an denen nicht mehr vorbeigedacht werden konnte. Wie ambivalent das Ganze ist, zeigt nicht zuletzt der Fall Stauffenberg, der ja von dem Geist Georges völlig durchdrungen war und diesen eher als objektiven denn als personalen Geist wahrgenommen hat. Die Folge ist, daß man sich auf diese Art dem objektiven Geist einer Zeit entziehen kann, weil man ein geistiges Gegenbild hat.
Wie stark der George-Kreis um die Frage nach der Macht des Geistes kreiste, zeigt nicht zuletzt seine Vorliebe für Platons Philosophie, worin der Kampf des personalen Geistes mit dem objektiven Geist die entscheidende Rolle spielt. Der Tod des Sokrates ist aus der Sicht Platons eine Folge eben dieses Kampfes. Eines der letzten Bücher, dem George vor seinem Tod das Imprimatur erteilte und das unter dem Signet der Swastika erschien, war 1933 die Platon-Monographie von Kurt Hildebrandt. Sie trägt nicht umsonst den Untertitel »Der Kampf des Geistes um die Macht«. Trotz dieses Anspruchs ist auch hier klar, daß Platon in seiner verblendeten Zeit scheitern mußte. Daher wandte er sich ab von der Politik, dem Bereich, der eigentlich sein »Geschäft« gewesen wäre, gründete seine Akademie und beschwor im Kreis seiner Jünger den Geist der Zukunft. Ebenso war George 1933 bewußt, daß seine Zeit und die Zeit seines geistigen Staates nicht mehr zu Lebzeiten kommen würden.
Hildebrandts Buch ist daher so etwas wie ein Abschluß (und wird von Ulrich Raulff in seiner Geschichte des Kreises auch so eingeordnet). Seine Platon-Deutung, die auf die Macht des Geistes und dessen staatliches Wollen abhebt, blieb innerhalb des Kreises nicht unwidersprochen. Weil Hildebrandt sich nach 1933 recht deutlich integrierte, war er entsprechenden Vorwürfen ausgesetzt. In einem Brief von 1949, in dem er sich dagegen zur Wehr setzte, heißt es: »Sie sagen ›Geist, der Macht sein will, ist Verderben.‹ Ich sage, Geist ist Macht.« Damit hat Hildebrandt etwas erfaßt, was den sprichwörtlichen platonischen Geistjüngern doch immer unangenehm war: Daß sich die Machtfrage eben auch im Bereich des Geistes stellt – nicht nur, wenn es um den Widerstand des personalen gegen den objektiven Geist geht, sondern auch innerhalb der jeweiligen Bereiche. Das wird gerne ausgeblendet – und zwar zugunsten der Eigenschaft des Geistes, der den Machttrieb überwinden soll.
Das Gegenteil ist der Fall: Gerade durch die Überwindung des Animalischen durch den Geist eröffnet sich das Feld für die »dynamische Erweiterung und Absicherung der Selbsterhaltung« (Kondylis). Im Bereich des Animalischen ist diese auf den Moment und die Gegenwart beschränkt. Der Geist öffnet die Schranken. Der Instinkt wird durch den Geist verlängert. Kultur, der objektive Geist, beruht auf einem paradoxen Verhältnis von Instinkt und Geist, die sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Damit hat er das Selbsterhaltungsstreben nur verbessert, nicht verändert. Der Geist behauptet das nur, um seine Chancen im Machtkampf zu steigern. Seine Objektivität ist Mittel im Kampf. Der Geist bleibt damit lebensnah, gerade weil er an den Kämpfen teilnimmt oder sie auslöst. Das gilt es zu beachten, insbesondere dann, wenn sich der Zeitgeist nur noch als objektiver Geist tarnt, weil er längst weiß, daß seine Zeit abgelaufen ist. Objektivität verspricht Geborgenheit und repräsentiert im Kampf die lichte Seite, weshalb diese Maskerade noch auf unabsehbare Zeit Gefolgschaft einfordern kann. Erst wenn der sprichwörtliche Kaiser nicht nur nackt ist, sondern auch als solcher angesehen wird, hat er den Kampf verloren.