Allerdings wird man zugeben müssen, daß Wieser an einigen Stellen zu frappierenden – auch wegen ihrer Einfachheit frappierenden – Erkenntnissen durchgestoßen ist: Keine »äußere Macht« kommt ohne »innere Macht« aus, letztere ist die eigentliche »Schlüsselmacht« und unterscheidet sich von ersterer in der Wirkung nur durch die gebrauchten Mittel, nicht etwa im Hinblick auf Effizienz; weiter ist der sekundäre Charakter der »äußeren Macht« daran zu erkennen, daß sie, falls durch große Zahl bedingt, niemals direkt ausgeübt werden kann, wirkliche Macht hat immer nur eine kleine Zahl. Welche Sozialform der Vergangenheit man auch betrachtet, sie wurde von erstaunlich wenig Menschen beherrscht. Das gilt sogar für Imperien wie das römische oder britische, in denen eine verschwindende Minorität einer gigantischen Majorität ihren Willen aufzwang.
Macht an sich ist böse – Dieser Satz Jacob Burckhardts (1818–1897) aus den Weltgeschichtlichen Betrachtungen (ähnlich schon in der Griechischen Kulturgeschichte) wird ebenso oft wie gedankenlos zitiert. Regelmäßig findet man den Hinweis, die Aussage müsse aus der resignativen Skepsis eines Altliberalen nicht nur angesichts der Zeitläufe, sondern auch angesichts des Triumphzugs der Sozialdarwinisten verstanden werden. Allerdings wäre dem entgegenzuhalten, daß sich vergleichbare Aussagen auch und gerade im christlichen Kontext finden, daß die biblische Auffassung sogar von der Vorformung des Bösen in der Natur spricht und mit der noachitischen Ordnung von der Notwendigkeit, dem »Bösen mit Bösem zu wehren«, das heißt, durch Machtgebrauch dem Machtmißbrauch entgegenzutreten – eine Konzeption, die sich ganz ähnlich bei dem Agnostiker Burckhardt findet, wenn der von der »weltgeschichtlichen Ökonomie« spricht: »Jede gelungene Gewalttat war böse und ein Unglück und allermindestens ein gefährliches Beispiel. Wenn sie aber Macht begründete, so kam in der Folge die Menschheit heran mit ihrem unermüdlichen Streben, bloße Macht in Ordnung und Gesetzlichkeit umzuwandeln.«
Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut – Dieser Satz gehört in den Fundus einer christlich grundierten Skepsis gegenüber dem Menschen und geht – insofern nicht verwunderlich – auf Lord Acton (1834–1902), einen der bedeutendsten Köpfe des liberalen Katholizismus im 19. Jahrhundert, zurück. Ohne Zweifel wollte Acton durch die Verwendung des Begriffs »Korruption« ausdrücklich Bezug nehmen auf die Sündhaftigkeit des Menschen (corruptio: lateinisch für »Sünde«), das heißt seine Verfassung, die ihn grundsätzlich verführbar macht. Je größer die Versuchung, um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß ihr nachgegeben wird. Angesichts der Tatsache, daß schon die Ursünde – der »Sündenfall« – auf die Verführung mit Hilfe von Machtversprechen (göttliche Macht, Macht über Leben und Tod, Wahrheit und Unwahrheit, Gut und Böse) zurückgeht, muß gefolgert werden, daß der Gebrauch von Macht per se problematisch ist, daß aber nichts so problematisch ist wie das Angebot von oder die Verfügung über unbegrenzte Macht. Menschliche Macht bedarf insofern immer der Kontrolle. Die politische Geschichte Europas ist eine ununterbrochene Folge von Ansätzen, einen Ausgleich zwischen der Organisation des Staats als Machteinheit und der notwendigen Kontrolle des Machtgebrauchs zu schaffen.
Macht und Herrschaft – In dem mit »Macht und Herrschaft« überschriebenen Abschnitt von Max Webers (1864–1920) Hauptwerk, Wirtschaft und Gesellschaft, heißt es: »§16. Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eignen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.« Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf die Bedeutung des »Willens«, insofern, als ohne ein wollendes Subjekt die Ausübung von Macht nicht vorstellbar ist; das gilt sogar dann, wenn ausgedrückt werden soll, daß etwas Unpersönliches – das Schicksal, die Umstände etc. – Macht »haben«. Allerdings verwarf Weber den Begriff Macht als soziologischen Zentralbegriff, da er »amorph« sei, sich auf »alle denkbaren Qualitäten« (Schönheit, Jugend, Alter, Körperkraft, Ausstrahlung Intelligenz, Verschlagenheit, Skrupellosigkeit, moralische Überlegenheit etc.) und »alle denkbaren Konstellationen« (der eine gegen den anderen, alle gegen alle, der eine gegen die vielen, Normalfall, Ernstfall etc.) beziehen könne. Statt dessen stellte er den Terminus »Herrschaft« in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Unter Herrschaft verstand Weber »die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden«.
Macht und Konsens ist ein Zentralmotiv in Carl Schmitts (1888–1985) Essay Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber (1954). Entsprechende Überlegungen finden sich schon bei dem von Schmitt hochgeschätzten französischen Staatsrechtler Maurice Hauriou (1856–1929), erhalten hier aber eine besondere Wendung. In dem von Schmitt entworfenen, fiktiven Gespräch heißt es, jeder legitimen Ordnung gehe es darum, »Machthaber und Machtunterworfene zu einer politischen Einheit« zusammenzufassen. Das sei nicht durch bloße Androhung oder Anwendung von Gewalt zu erreichen, sondern nur, wenn es gelinge – durch den Schutz des Mächtigen für den Machtlosen etwa, die gemeinsame Wahrnehmung gemeinsamer Interessen, wechselseitige Treue – einen Konsens zu erzeugen, der dann Macht »bewirkt«. Andererseits »bewirkt« aber auch das Vorhandensein der Macht Konsens und stabilisiert ihn. Diese Wechselwirkung hervorzurufen, war in der Vergangenheit ungleich schwerer war als unter modernen Bedingungen, die zahllose technische Mittel zur Verfügung stellen, die helfen, den Konsens zu produzieren und zu bewahren; Noam Chomsky (geb. 1928) spricht von der Wirkung der »Konsensmaschine«, ist allerdings ungleich skeptischer als Schmitt, der noch ganz von der Erfahrung des dauernd gefährdeten Konsens geprägt war.
Macht geht vor Recht ist eine Otto von Bismarck (1815–1898) zugeschriebene Wendung, die der allerdings so nie gebraucht hat. Nach Georg Büchmann: Geflügelte Worte ist das durch eine parlamentarische Kontroverse zu erklären, bei der Bismarck seine Position im preußischen Verfassungskonflikt – die sogenannte »Lückentheorie« – damit erläuterte, daß bei wechselseitiger Blockade von Legislative und Krone letzterer eine Prärogative zufalle: »Konflikte werden, da das Staatsleben nicht stillzustehen vermag, zu Machtfragen; wer die Macht in Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor.« Daraufhin erwiderte der liberale Abgeordnete Maximilian Graf von Schwerin-Putzar (1804–1872): »Ich erkläre, daß ich den Satz, in dem die Rede des Herrn Minister-Präsidenten kulminierte: ›Macht geht vor Recht‹ … nicht für einen Satz halte, der die Dynastie in Preußen auf die Dauer stützen kann … daß dieser vielmehr umgekehrt lautet: Recht geht vor Macht«. Bismarck hat sich gegen die Deutung seiner Aussage immer wieder zur Wehr gesetzt. Die Vergeblichkeit seines Bemühens hat wohl zu tun mit einer Art Grundzynismus bei der Betrachtung des Zusammenhangs von Macht und Recht auf Seiten der Mächtigen wie der Machtlosen, so daß sich in der Literatur seit je zahllose entsprechende Aussagen finden, vom alttestamentlichen Propheten Habakuk (»Es geht Gewalt über Recht«) bis zum neuzeitlichen Philosophen Baruch de Spinoza (»… weil jeder so viel Recht hat, als er Macht hat«).
Macht ist Recht – Might is Right or Survival oft the Fittest ist der Titel einer zuerst 1890 in den USA erschienenen Schrift, deren Verfasser das Pseudonym Ragnar Redbeard benutzte und jede Ethik zugunsten einer sozialdarwinistischen Auffassung radikal bestritt. Da der Autor die bestehende bürgerliche Ordnung angriff und ihr Naturwidrigkeit vorwarf, hat man vermutet, daß sich hinter dem nordischen Tarnnamen ein anarchistischer Schriftsteller verborgen halten könnte; ansonsten gilt auch Jack London als möglicher Anwärter. Während Might is Right bei Erscheinen – angesichts des Zeitklimas wenig verwunderlich – erhebliche Aufmerksamkeit erfuhr, fiel es später dem Vergessen anheim und wird heute praktisch nur in satanistischen oder ähnlich obskuren Bewegungen rezipiert.
Machtstaat ist der Staat, der in erster Linie als Machtorganisation, also nicht als Kulturstaat oder Rechtsstaat, verstanden wird. In diesem Sinn hat Hegel (1770–1831) das Wesen des Staates neu bestimmt: gegen naturrechtliche Vorstellungen einerseits, gegen universalistische Vorstellungen andererseits. Das erklärt auch sein Wohlwollen für die Monarchie im allgemeinen und deren preußische Ausprägung im besonderen. Aus der Analyse des geschichtlichen Verlaufs, vor allem der Erfahrung des revolutionären Zeitalters und der Folgen deutscher Machtlosigkeit und Zersplitterung, zog Hegel den Schluß, daß zur entscheidenden Voraussetzung für die Existenz eines Staates dessen äußere Unabhängigkeit gehöre, daß diese nur gewahrt werden könne, wenn man über entsprechende Machtmittel verfüge und sich das Volk mit dem Staat und dessen Verteidigung identifiziere. Eine besondere Tendenz erhielt Hegels Argumentation noch durch seine geschichtsphilosophische These, daß das Vorhandene nicht nur wirklich, sondern auch notwendig sei. Das verlieh seiner Staatslehre einen ausgesprochen agonalen Zug, denn über jeden geschlagenen Staat war automatisch das Urteil gesprochen, jeder Staat, der sich halten konnte, war als solcher sittlich gerechtfertigt. Dieser Gedankengang hatte – vor allem wegen des Einflusses der »Rechtshegelianer« – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts außerordentliche Bedeutung gewonnen, und letztlich übte Hegel eine Wirkung »auf das politische Denken des deutschen Volkes wie kein einziger anderer Denker« aus (Hermann Heller). Feststellbar blieb das bis in die Zeit des Kaiserreichs (Treitschke: »… daß das Wesen des Staates zum ersten Macht, zum zweiten Macht und zum dritten nochmals Macht ist«) und der Zwischenkriegsjahre (Spengler: Staat als »Machteinheit«). Erst nach 1945 hat man unter dem Einfluß der reeducation, aber auch einer Selbstkritik infolge des Mißbrauchs bestimmter Aspekte des Machtstaatsgedankens, dessen vollkommen zutreffende Einsichten im Hinblick auf den »Primat der Außenpolitik« oder das Wesen der »Realpolitik« systematisch zurückzudrängen gesucht.
Machtvergessenheit ist ein Begriff, den – wohl in Anlehnung an Heideggers »Seinsvergessenheit« – der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz (geb. 1934) geprägt hat, der 1985 ein Buch mit dem Titel Die gezähmten Deutschen. Von der Machtbesessenheit zur Machtvergessenheit veröffentlichte. Der Band erregte einiges Aufsehen, da hier zum erstenmal seit den sechziger Jahren ein etablierter Autor die neudeutsche Neigung geißelte, politische Realitäten und mithin die zentrale Bedeutung des Faktors »Macht« zu vergessen. Schwarz, Inhaber eines Lehrstuhls an der Universität Bonn, gehörte damals zum Umfeld von Kanzler Kohl, wahrte aber in vielem seine politische Unabhängigkeit. Das galt auch in bezug auf das erwähnte Buch, in dem man zwar wenig wirklich Neues fand (die Analyse ähnelt oft sehr stark Armin Mohlers Was die Deutschen fürchten. Angst vor der Politik – Angst vor der Geschichte – Angst vor der Macht von 1965!), aber doch eine Positionsbestimmung zu sehen hatte, die angesichts des Utopismus der Friedensbewegung einerseits, der allgemeinen Verzwergungsbereitschaft der Deutschen andererseits bemerkenswerte Akzente setzte.
Der Wille zur Macht geht auf Friedrich Nietzsche zurück. Unter diesem Titel erschien 1901 eine Sammlung von Aphorismen aus dem Nachlaß des seit 1889 geistig umnachteten und 1900 verstorbenen Philosophen. Die Herausgeber bezogen sich dabei auf eine Buchkonzeption Nietzsches unter diesem Titel und ordneten die Texte entsprechend an. Insbesondere über Umfang und Auswahl der Aphorismen gab es Streit, man warf den Herausgebern, zu denen seit 1906 auch die Schwester gehörte, vor, Nietzsches Intentionen verfälscht zu haben. Das stimmt, abgesehen von einigen Verkürzungen und redaktionellen Eingriffen, nur dann, wenn man überhaupt daran zweifelt, daß Nietzsche ein solches Buch hätte publizieren wollen (was er jedoch ausdrücklich vorhatte). Insgesamt bringt die Kompilation kaum Gedanken, die sich nicht auch in seinen Spätschriften (Götzendämmerung, Der Antichrist und Ecce Homo) finden lassen. Bereits dort taucht das Schlagwort vom »Willen zur Macht« auf, das allerdings im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht rezipiert wurde. Das geschah erst mit der Entdeckung Nietzsches vor dem Ersten Weltkrieg, als sein Werk als ein prophetisches gelesen wurde, das die Dekadenz vorhergesagt hatte: »Das Leben selbst gilt mir als Instinkt für Wachstum, für Dauer, für Häufung von Kräften, für Macht: wo der Wille zur Macht fehlt, gibt es Niedergang.« Im »Willen zur Macht« steckt die Anerkenntnis der starken Persönlichkeit, die sich ihren Platz gegen alle Widerstände erobern muß. Gleichzeitig steckt in ihm das dynamische Moment des grenzenlosen Vorwärtsschreitens, das weit über die bloße Selbsterhaltung und damit auch über das tierische Leben hinausgeht. Daß damit kein Voluntarismus gemeint ist, macht Nietzsche deutlich, indem er dem »Willen zur Macht« die Lehre von der »ewigen Wiederkehr des Gleichen« zur Seite stellte und Kriterien für die Gültigkeit von Macht entwickelte. Nietzsches Formel hat eine sehr heterogene Rezeption erfahren, sie reicht von der psychologischen Interpretation als individuelles Machtstreben über die Erfüllung im Übermenschen im Sinne der Emanzipation (ob der Arbeiterklasse oder der Juden) bis hin zum faschistischen Italien, in dem vor allem Julius Evola dem Schlagwort eine transzendente Seite abgewinnen wollte.
Die Formel Wissen ist Macht findet sich erstmals beim englischen Philosophen Francis Bacon, der damit allerdings ganz konkret die Macht des Menschen über die Natur meinte, die nur durch Wissen über sie zu erlangen sei: »Wissen und Macht des Menschen fallen zusammen, weil Unkenntnis der Ursache [auch] über deren Wirkung täuscht«. Um das zu unterstreichen, wählte Bacon durchaus drastische Bilder, die seinen Zeitgenossen zeigen sollten, daß Macht nicht metaphorisch gemeint war. Bacon, der auch Staatsanwalt war, empfahl richterliche Unerbittlichkeit: Man müsse die Natur »auf die Folter spannen«, bis sie ihre Geheimnisse preisgebe, heißt es in seinem 1620 erschienenen Novum Organum. In diesem inquisitorischen Verfahren zeigt sich die Macht desjenigen, der auf diese Art vorzugehen weiß und aus der Natur eine »Sklavin« macht. Die Formel »Wissen ist Macht« stammt aus Bacons 1597 erschienenen Religiösen Meditationen. Der Hintergrund ist die alttestamentarisch garantierte Herrschaft des Menschen über die Schöpfung. Da sie durch den Sündenfall verlorenging, muß sie jetzt anders, nicht lediglich durch Benennen der Dinge, wiedererlangt werden. Da Bacon, anders als Alchimisten und Mystiker, nicht an eine absolute Wiedereinsetzung der menschlichen Macht im Sinne des Paradieses glaubte, sondern die Grenzen des Machtstrebens realistisch einschätzte, ging von ihm so etwas wie ein Paradigmenwechsel innerhalb des Mensch-Natur-Verhältnisses aus. Die Ökologiebewegung der 1980er Jahre hat nicht zuletzt in Bacon den Grund allen Übels, wie Naturausbeutung und Umweltverschmutzung, ausgemacht. Einen positiven Klang hatte das »Wissen ist Macht« bei aufstrebenden Klassen, die sich nicht nur über Leistung, sondern auch über Wissen, im Sinne von Bildung, Aufstieg und Wohlstand erhofften. Im Deutschen Reich gab es seit der Gründung 1871 innerhalb der Sozialdemokratie eine starke Tendenz in diese Richtung, die sich allerdings weniger um die Macht des einzelnen als die der Arbeiterklasse sorgte.