Zum einen als von Not und Mangel gekennzeichnete, aber mit weltrevolutionärem Anspruch ideologisch durchtrainierte Variante der leninistisch-stalinistischen Brachialdiktatur mit asiatisch-grausamen (China, Nordkorea, Kambodscha) sowie osteuropäisch-gemäßigten Derivaten;zum anderen hedonistisch und zunehmend adipös als “demokratischen Kapitalismus” mit sozialer Marktwirtschaft in den westlichen Transfergesellschaften der Nachkriegszeit. Das eine gilt als Tragik, das andere als Erfolgsgeschichte. Vielleicht brachte gerade Skandinavien, insbesondere Schweden, in den Sechzigern und Siebzigern gar einen tatsächlichen Wohlfahrtssozialismus hervor, so wie sich der nur in starken Volkswirtschaften bei relativ geringer Einwohnerzahl denken läßt – gewissermaßen einen Olof-Palme- oder ABBA-Sozialismus.
Die deutsche Sozialdemokratie hatte sich nach marxistisch-klassenkämpferischem Auftakt und Sozialistengesetz durch die Bismarcksche Sozialgesetzgebung und den wirtschaftlichen Erfolg des Kaiserreiches ab 1890 revisionistisch läutern lassen und galt den Kommunisten fortan als Versammlung uncharismatischer Opportunisten – laut Tucholsky Radieschen, außen rot, innen weiß. Dies um so mehr, da die SPD im Zuge der Burgfriedenspolitik 1914 die Kriegskredite im Reichstag mitbewilligte, und erst recht, als sie nach dem verloren gegebenen Krieg und den Wirren der Novemberrevolution zugunsten von Frieden und nationaler Konsolidierung mit den alten Eliten gegen “Spartacus” gemeinsame Sache machte.
Sebastian Haffners böser Satz, die führenden Sozialdemokraten – Ebert, Scheidemann und vor allem Noske – wären damals nicht nur Verräter gewesen, sondern hätten auch noch so ausgesehen, würde der radikalen Linken, die von einem Sowjetdeutschland träumte, ebenso gefallen haben wie der radikalen Rechten, die mit der ungeliebten Republik und dem mit ihr “novemberverbrecherisch” beinahe identifizierten Versailler Vertrag nicht nur das Kaiserreich, sondern Deutschland als Weltmacht fallen und gedemütigt sah.
Nicht mal Ebert selbst hatte diese Republik haben wollen, die jeder Geschichtslehrer heute nur von ihrem Ende her betrachtet, der man jedoch zugestehen muß, daß sie konsequent demokratisch verfaßt und politisch – im auffallenden Gegensatz zur Berliner Republik – höchst lebendig war. Zudem sollten Frauenwahlrecht, Bildungsgerechtigkeit und Sozialprogramme als Errungenschaften gelten dürfen, denen die Nation eine Menge verdankt. Sie wurden unter Initiative der Sozialdemokraten im Einvernehmen bzw. im Kompromiß mit dem alten Zentrum und den Liberalen erreicht.
Bis Godesberg 1959 blieb die Sozialdemokratie durchaus sozialistisch, ja rhetorisch marxistisch. Danach stand sie, bestimmt durch die Gewerkschaften und modernisiert von 68er Bürgersöhnchen, für einen Sozialstaat, der sich dank wirtschaftlicher Prosperität eine Menge leistete, indem er vorübergehend umverteilte und bildungspolitisch jeden zu seinem Recht kommen ließ, selbst die eher Talentfreien und Antriebsschwachen. Die alten Klassenkonflikte konnten mit Gesetzen demokratisch eingefriedet werden, solange Wirtschaftsgewinne einen Wohlstand erlaubten, der dem das neunzehnte Jahrhundert in dieser Breite unvorstellbar war.
Als Wohlstand und Wohlfahrt wegen zurückgehender Wachstumsraten unvernünftig wurde, sorgten wiederum Sozialdemokraten dafür, mittels Inflations- und Verschuldungspolitik Zeit zu borgen, um den allzu schnell für allzu selbstverständlich gehaltenen Lebenskomfort weiterhin bezahlen zu können. – Das Leben auf Pump im Staatlichen wie Privaten wurde in Deutschland bis in die Ära Kohl hinein und über den Zugewinn der DDR hinaus durchgehalten und – in einem politischen Kraftakt – kurioserweise durch den New-Labour- und Agenda-Sozialdemokraten Schröder korrigiert, der dafür von den eigenen Leuten abgestraft, von seinen Gegnern aber klammheimlich bewundert wurde.
Endgültig erledigt wird der sozialdemokratisch gefärbte “demokratische Kapitalismus” (Wolfgang Streeck) jedoch gegenwärtig durch eine EU- und Europolitik, die das Wirtschaftliche von der Demokratie, ja überhaupt vom Souverän, den Völkern und Wählern, abzuschirmen und – wieder mit Wolfgang Streeck – das Staatsvolk durch ein Marktvolk zu ersetzen sucht.
Der Euro führt politisch gerade dazu, daß Länder und Völker ihre Souveränität, diese hohe Errungenschaften der bürgerlichen Emanzipationsbewegung, verlieren und in EU- bzw. EZB-IWF-Troikahoheit fremdbestimmt zur Räson gebracht werden. Mit den eigenen Steuerungsregularien und Befugnissen über den eigenen Etat ist es vorbei. Ein fataler Verlauf im Rückbau von Nationalstaaten, der durchaus revolutionäre Situationen heraufbeschwören könnte und nationale Erhebungen gegen Brüssel ahnen läßt.
Wenn Sozialdemokraten heute gemäß Habermas’ Litanei meinen, mit der Stärkung des ominösen Straßburger Parlaments wäre die Sache wieder zu berichtigen, sitzen sie vielleicht ihrer historisch letzten Illusion auf. Diese personifiziert sich insbesondere im sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten Martin Schulz, jenem Buchhändler aus Würselen, der nach gescheitertem Abitur eine eindrucksvolle Karriere begann, deren Erfolg es ihm erlaubt, eine Barroso-Politik zu unterstützen, die nicht nur zu Lasten Deutschlands und zum Vorteil Frankreis ausgehen soll, sondern in einem neuen technokratischen Obrigkeitsstaat das erledigt, was Sozialdemokraten einst unter Demokratie verstanden.
Inselbauer
Ich habe vor Jahren einmal etwas für das Büro von Martin Schulz gemacht. Die Eindrücke, die ich damals gewonnen habe, verleiten mich dazu, Ihre Ausführungen insofern zu ergänzen, als die deutschen Sozialdemokraten in ihrer Führungsschicht ungebildet, buchstäblich dumm (man könnte Steinmeier ausnehmen), überheblich, versessen auf Eigenheime und in Teilen bis zur körperlichen Tätlichkeit hin intolerant sind. Ein Freund hat mir kürzlich berichtet, er habe im Vorfeld einer Ankunft des "Dicken" (Gabriel) allen Ernstes das Türöffnen bei einem gepanzerten Fahrzeug "üben" müssen. Gut, der Mann hat Familie und ist ein Sozi, aber leid getan hat er mir trotzdem ein wenig.
Die Familie meiner Mutter ist seit 120 Jahren bei denen aktiv. Ich weine der SPD keine Träne nach.