Typen am Grunde der Moldau

50pdf der Druckfassung aus Sezession 50 / Oktober 2012

von Manfred Kleine-Hartlage

Daß linke Intellektuelle zur Rechten konvertieren, war in der Vergangenheit ein zwar geläufiges, aber kein alltägliches Phänomen und eher die herausragende Ausnahme – man denke an Günter Maschke, Hans-Dietrich Sander oder auch Horst Mahler und Bernd Rabehl.

Man erkennt die Kon­ver­ti­ten mehr am geis­ti­gen als am phy­si­schen Habi­tus, an der Häu­fung von Wor­ten wie »Kri­tik«, »Dia­lek­tik«, »Wider­stand«, an der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der sie – oft zustim­mend – Marx und Lenin zitie­ren, und dar­an, daß sie über­haupt nicht staats­tra­gend sind – womit nicht nur die Extre­mis­ten unter ihnen bei in der Wol­le gefärb­ten Kon­ser­va­ti­ven nicht sel­ten ein irri­tier­tes Stirn­run­zeln ernten.

Die Distanz irgend­ei­nes Lin­ken zu den Herr­schen­den könn­te nicht grö­ßer sein – und ist doch oft­mals gerin­ger als die der rech­ten Ex-Lin­ken. Der Ver­fas­ser, der sich selbst die­sem Typus zurech­net, hat über­haupt erst als Rech­ter zu jener Fun­da­men­tal­kri­tik gefun­den, die das west­li­che Herr­schafts­sys­tem ver­dient, die einem Lin­ken aber schon des­halb ver­wehrt ist, weil die­ses Sys­tem sich auf die­sel­ben uto­pi­schen Idea­le beruft wie er selbst. Lin­ke Kri­tik sieht im Gedan­ken der Eman­zi­pa­ti­on – was auch immer jeweils kon­kret damit gemeint sein mag – eine gute Idee, deren Ver­wirk­li­chung vom bestehen­den Sys­tem aber behin­dert wer­de; rech­te Kri­tik sieht in ihm eine schlech­te Idee. Der Lin­ke ist sys­tem­kri­tisch, weil die gege­be­ne Herr­schaft der Ver­wirk­li­chung der Uto­pie im Weg ste­he, der rech­te Ex-Lin­ke aus dem ent­ge­gen­ge­setz­ten Grund. Es ist nur fol­ge­rich­tig, daß die Lin­ke um so regie­rungs­from­mer wird, je deut­li­cher die Herr­schaft selbst uto­pi­schen Wahn­ideen hin­ter­her­läuft; Oppo­si­ti­on, die mehr ist als nur regres­si­ves Schein­re­bel­len­tum nach Art der Pira­ten­par­tei, kann heu­te nur von rechts kommen.

Neben die­sem ex-lin­ken Rechts­in­tel­lek­tu­el­len macht sich zuneh­mend noch ein ande­rer Typus des Kon­ver­ti­ten bemerk­bar, der des des­il­lu­sio­nier­ten Gut­men­schen. Er arbei­tet häu­fig in typisch lin­ken Berei­chen, als Sozi­al­päd­ago­ge, wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter an sozi­al- oder kul­tur­wis­sen­schaft­li­chen Fach­be­rei­chen, in Schu­len, Kir­chen und Gewerk­schaf­ten, kurz: in der Sozial‑, Inte­gra­ti­ons- und Ideologie­industrie. Er wird dort zwangs­läu­fig mit Rea­li­tä­ten kon­fron­tiert, die in kras­sem Gegen­satz zu allem ste­hen, was er für wahr gehal­ten hat und bei Stra­fe des beruf­li­chen Ruins auch wei­ter­hin öffent­lich ver­tre­ten muß – was der Grund dafür ist, daß die­ser Typus in der Öffent­lich­keit wenig von sich reden macht, und daß sei­ne Exis­tenz Ein­ge­weih­ten bekannt ist, nicht aber der Antifa.

Beson­ders häu­fig sind Exem­pla­re die­ser Gat­tung in der islam­kri­ti­schen Sze­ne anzu­tref­fen, und zwar in allen Pha­sen der Kon­ver­si­on: als Rechts­li­be­ra­le, die dem Islam bloß des­sen offen­kun­di­ge poli­ti­sche Unkor­rekt­heit ankrei­den; als Anhän­ger eines kon­ser­va­ti­ven Chris­ten­tums; als Ver­tei­di­ger des Abend­lan­des; auch har­te Natio­na­lis­ten fin­den sich unter ihnen, wenn auch nur vereinzelt.

Sol­che Men­schen haben sich meist die ange­neh­men per­sön­li­chen Umgangs­for­men ihres links­li­be­ra­len Her­kunfts­mi­lieus bewahrt, des­sen ideo­lo­gi­sche Bor­niert­heit aber abge­streift, und zeich­nen sich durch eine erfri­schen­de Offen­heit aus: Sie haben gelernt, Denk­scha­blo­nen zu mißtrauen.

Man erkennt sol­che Rech­ten gewis­ser­ma­ßen dar­an, daß man sie nicht erken­nen kann. Ihr Habi­tus hat sich im Ver­gleich zu frü­he­ren Lebens­pha­sen kaum geän­dert, und jemand, der aus­sieht wie ein grün­wäh­len­der GEW-Leh­rer, kann in Wahr­heit durch­aus ein Rech­ter sein. Belus­ti­gend, die irri­tier­ten Bli­cke zu sehen, wenn ein sol­cher Mensch im Kreuz­ber­ger Café statt der erwar­te­ten taz die Jun­ge Frei­heit auf­schlägt, oder wenn gar eine Pro­tes­tan­tin, die jedem Kir­chen­tag zur Zier­de gerei­chen wür­de, zustim­mend Carl Schmitt zitiert.

Ja, es ist nur eine Min­der­heit. Aber der Rea­li­täts­druck, der sie dazu gebracht hat, wirkt auch auf alle ande­ren, die in die­sem Milieu tätig sind, und rüt­telt an ihren Über­zeu­gun­gen. An der Ober­flä­che sind sol­che Ver­än­de­run­gen nicht sicht­bar, aber am Grun­de der Mol­dau wan­dern die Steine.

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