Wie Frauen in der Sprache (wieder) unsichtbar werden

53pdf der Druckfassung aus Sezession 53 / April 2013

von Werner Sohn

Die feministische Kritik und die aus ihr erwachsenen Anstrengungen, durch Verwaltungsvorschriften und privatsprachliche Konstrukte einen Umbau der Sprache zu erzwingen, beruhen sprachphilosophisch gesehen weitgehend darauf, Genus und Sexus nicht trennen zu wollen.

Ange­sichts des gewal­ti­gen Bedarfs an gram­ma­ti­scher Geschlechts­zu­wei­sung, die uns die anschei­nend gren­zen­los expan­die­ren­de Ding- und Geis­tes­welt auch als Deutsch­sprach­ler abver­langt, spielt der Sexus nur eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. Nie­mand wür­de beim Geschlechts­ar­ti­kel eines Vogels auf ein natür­li­ches Geschlecht schlie­ßen; nie­mand wür­de das gene­ri­sche Femi­ni­num der Plu­ral­bil­dung als matri­ar­cha­les Relikt denun­zie­ren, und kei­ner scheint anzu­neh­men, die Beu­gungs­ka­te­go­rien Wes­fall (Geni­tiv) und Wem­fall (Dativ) benach­tei­lig­ten Frau­en durch Rück­griff auf die »männ­li­che« Form. Oder doch? Man kann nicht wis­sen, was der Sprach­fe­mi­nis­mus im geschütz­ten aka­de­mi­schen Milieu (und der Ent­fal­tung und Ver­tie­fung des eige­nen Denk­pa­ra­dig­mas ver­pflich­tet) noch ersin­nen mag. Auch ihm selbst mag das Ende sei­nes Weges im dun­keln lie­gen. Wir wer­den Bei­spie­le hier­zu anführen.

 

1.

Die Paar­for­men

Das stra­te­gi­sche Ziel, das zum Stein des eman­zi­pa­to­ri­schen Ansto­ßes erklär­te gene­ri­sche Mas­ku­li­num aus dem Sprach­ge­brauch zu ent­fer­nen, scheint am ehes­ten durch Paar­for­men erreich­bar. Sie ste­hen fast allen Spre­chern zur Ver­fü­gung, las­sen sich mecha­nisch ein­üben und durch Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten im Behör­den­deutsch erzwin­gen. Bei der Gestal­tung von For­mu­la­ren und Ver­fü­gun­gen oder etwa der Über­prü­fung von For­schungs­pro­jekt­an­trä­gen und aka­de­mi­schen Qua­li­fi­zie­rungs­ar­bei­ten kön­nen dabei auch sol­che Per­so­nen Kon­troll­funk­tio­nen aus­üben, die ansons­ten nichts von der Sache selbst ver­ste­hen. Poli­ti­ker und öffent­lich Spre­chen­de ver­mö­gen ohne wei­te­res, die strik­te Paar­form­bil­dung in ihre Rhe­to­rik­schu­lung ein­zu­be­zie­hen. Auch bei län­ge­ren Auf­zäh­lun­gen sind Ermü­dungs­er­schei­nun­gen des ein­ge­wöhn­ten Hörers nicht zu erwar­ten. Klei­ne­re Lap­sus (wie »Mit­glie­de­rin­nen«) wer­den mit demons­tra­ti­vem Humor genom­men. Man gibt sich locker. Auch gen­der­be­ton­te Sprach­wäch­ter pfle­gen gelas­sen ein­zu­räu­men, die neben­ste­hen­de For­mu­lie­rung nicht eben gut les­bar fin­den zu wollen.

Gute Les­bar­keit gilt frei­lich als Sekun­där­tu­gend eines Tex­tes. Es geht um Höhe­res: die Sicht­bar­keit von Frau­en. Vie­le Gen­der­sprach­ler/-innen und Freund(inn)e(n) von Klam­me­run­gen haben aller­dings nicht begrif­fen, daß damit kei­ne belie­bi­gen Aus­ge­stal­tun­gen gemeint sind. Ver­kür­zun­gen auf Kos­ten des Femi­ni­nums, das auf eine Endung redu­ziert wird, aber auch das in Paren­the­se gesetz­te Suf­fix kon­ter­ka­rie­ren die ursprüng­li­che Inten­ti­on. Frau­en wer­den damit zwar aus­drück­lich ange­spro­chen, jedoch als min­der wich­tig markiert.

2.

Die gram­ma­ti­sche Kongruenz

Eine wei­te­re Mög­lich­keit, das gene­ri­sche Mas­ku­li­num zurück­zu­drän­gen und die Exis­tenz des Weib­li­chen im Bewußt­sein der Sprach­ge­mein­schaft zu ver­an­kern, bie­tet ein Phä­no­men, das die Duden-Gram­ma­tik unter Kon­gru­enz ein­ord­net. Sie erlaubt es – man­che mei­nen gar: sie gebie­tet es –, »Straf­rich­te­rin­nen als Hoff­nungs­trä­ge­rin­nen« zu bezeich­nen (so der Titel eines Buches von Regi­ne Drew­ni­ak aus dem Jahr 2003 in Frage­form). Daß Hoff­nungs­trä­ger soviel oder sowe­nig Männ­lich­keit an sich haben wie Hosen­trä­ger oder Flug­zeug­trä­ger spielt hier­bei offen­bar kei­ne Rol­le. Für den Gen­der­sprach­ler ist jedoch Vor­sicht gebo­ten. Wenn Frau­en »Hoff­nungs­trä­ge­rin­nen« sein müs­sen, ist die Fra­ge sinn­los, ob Frau­en die bes­se­ren Rich­ter sei­en (»Sind Frau­en die bes­se­ren Rich­ter?« – Titel eines Auf­sat­zes von Regi­ne Drew­ni­ak aus dem Jahr 1991). Sie kön­nen kei­ne Rich­ter sein, und als Rich­te­rin­nen sind sie einst­wei­len kon­kur­renz­los besser.

Eine strikt genus­be­zo­ge­ne Nut­zung der gram­ma­ti­schen Kon­gru­enz erlaubt die Ver­viel­fäl­ti­gung von Ablei­tungs­vor­gän­gen, durch die das weib­li­che Geschlecht in der Spra­che sicht­bar gemacht wer­den kann – selbst wenn ein Per­so­nen­be­zug gar nicht gege­ben ist. So bemerkt schon der Duden seit den 1950er Jah­ren, daß die Auto­in­dus­trie nicht nur der bes­te Abneh­mer, son­dern auch die bes­te Abneh­me­rin von Kunst­stof­fen sei. Die­se Per­spek­ti­ve fas­zi­niert gen­der­be­wuß­te Sprach­ge­stal­ter zuneh­mend. Immer häu­fi­ger fin­det man »Spon­so­rin­nen«, »Ver­an­stal­te­rin­nen«, »Auf­trag­ge­be­rin­nen«, »Her­aus­ge­be­rin­nen« u.a., hin­ter denen kei­ne Frau­en, son­dern Fir­men, Arbeits­ge­mein­schaf­ten, Dienst­stel­len und ande­re Ein­rich­tun­gen ste­hen. Der Per­so­nen­be­zug der Suf­fi­xe ‑in und ‑innen wird damit auf­ge­löst. Je mehr Kon­gru­enz die­ser Art betrie­ben wird, um so mehr ver­schwin­den Frau­en hin­ter Behör­den und Kör­per­schaf­ten. Strikt ver­folgt, kann das Mäd­chen dann auch nur der Freund eines Jun­gen oder Mäd­chens sein und kei­nes­wegs eine Schü­le­rin. Sofern kei­ne Angli­sie­rung die wider­sin­ni­ge Kon­gru­enz ver­ne­beln hilft (»girls day«, aber den­noch: das Girl), ver­mei­den vie­le die­sen Begriff, der ten­den­zi­ell als Her­ab­set­zung emp­fun­den wer­den soll. Das geschieht auch im Kom­po­si­tum »Kopf­tuch­mäd­chen«. Nach Auf­fas­sung eines Kri­mi­no­lo­gen, der dem Gebrauch sol­cher Aus­drü­cke mit dem Straf­recht begeg­nen möch­te, han­delt es sich dabei um »jun­ge Damen, wel­che ihren Kopf öffent­lich bede­cken.« Wer die Pra­xis nicht kennt, mag durch die Deut­sche Islam­kon­fe­renz Auf­klä­rung erhal­ten, daß auch ech­te Mäd­chen ein Kopf­tuch tra­gen dürfen.

Vom rein for­ma­lis­ti­schen, geist­lo­sen Gebrauch der Endun­gen ‑in /-innen nach femi­ni­nem Genus ist der inhalts­be­zo­ge­ne, geist­rei­che, meta­pho­ri­sche zu unter­schei­den. Sol­ches wuß­ten die Alten noch. So schrieb etwa der jun­ge Hegel (frei­lich von sei­nen Mit­stu­den­ten bereits »der Alte« genannt), die Reli­gi­on dür­fe dem Vol­ke nicht als »beschwer­li­che Hof­meis­te­rin« erschei­nen. Freu­de, Fröh­lich­keit und Anmut gal­ten sei­nem grie­chi­schen Geni­us jedoch als »Die­ner«. Und mit vol­lem Recht, näm­lich dem des Poe­ten, meint Ril­ke, die geheim­nis­vol­le Sap­pho habe »den fir­nen Lieb­lin­gin­nen ihr Braut­lied« gesun­gen – ein poe­ti­sches Recht, das wir im Inter­es­se unse­rer Frau­en und Mäd­chen der Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le und ihren immer zahl­rei­cher wer­den­den Hilfs- und Bezugs­ein­rich­tun­gen nicht ein­räu­men wollen.

 

3.

Das Binnen‑I

Wäh­rend fort­schritt­li­che Ger­ma­nis­ten in alt­deut­schen Tex­ten auch Bele­ge dafür gefun­den haben wol­len, daß Groß­buch­sta­ben in Wör­tern durch­aus im Gebrauch gewe­sen sein müs­sen, ver­stößt das Binnen‑I gegen die seit Duden & Co. gel­ten­den Wort­bil­dungs­re­geln. Die­se Inno­va­ti­on hat daher vor allem links­par­tei­lich füh­len­de Geis­ter, auf die das Umstürz­le­ri­sche stets einen gewis­sen Reiz aus­übt, ange­zo­gen. Auch sprach­lich (noch) nach­läs­si­ge Sym­pa­thi­san­ten kön­nen durch eini­ge ein­ge­streu­te Binnen‑I ihre Soli­da­ri­tät bekun­den, denn die­se Inno­va­ti­on hat neben dem Bekennt­nis zum Regel­bruch einen wei­te­ren emble­ma­ti­schen Cha­rak­ter: den Pro­test gegen die Unter­drü­ckung der Frau durch den Mann. Man­che befürch­ten jedoch, daß das Binnen‑I auch einen phal­li­schen Ein­druck erwe­cken könnte.

Die bür­ger­li­che Kri­tik, man kön­ne das Binnen‑I nicht spre­chen, wird von den Befür­wor­tern zu Recht zurück­ge­wie­sen. Mit etwas gutem Wil­len und ent­spre­chen­der Übung läßt es sich – etwa durch einen Glot­tis­schlag (auch »Knack­laut« oder »fes­ter Stimm­ein­satz« genannt) – hör­bar machen. Mit dem Glot­tis­schlag ver­bun­de­ne mimisch-ges­ti­sche Reak­tio­nen, wie wir sie schon beob­ach­ten konn­ten und die sich mög­li­cher­wei­se als abwer­tend emp­fin­den las­sen, sind aller­dings zu ver­mei­den. Für Antidiskriminie­rungsexperten schwer wiegt jedoch der Ein­wand, daß dem »anders Sehen­den« – etwa in der Braille­schrift – das Binnen‑I nicht kor­rekt ver­mit­telt wer­den kann, ohne Miß­ver­ständ­nis­se zu erzeugen.

4.

Das Par­ti­zip Präsens

Das (sub­stan­ti­vier­te) Par­ti­zip Prä­sens erscheint für man­che, vom gespro­che­nen Wort her Den­ken­de als das Mit­tel der Wahl, um dem anöden­den Wie­der­ho­lungs­zwang der Paar­for­men zu ent­ge­hen. Auch das revo­luz­zer­haf­te Binnen‑I kann als (links-)radikale Kin­der­krank­heit ver­mie­den wer­den. Man fin­det die­se Form des Gen­der­deut­schen daher immer häu­fi­ger in sehr gebil­de­ten Schich­ten des Vol­kes. Ein gewis­ser Dün­kel ist dabei im Spiel, wenn etwa die Leh­ren­den ihre Stu­den­ten als Stu­die­ren­de anspre­chen und die­sen es dann über­las­sen, ihres­glei­chen mit dem unäs­the­ti­schen Wort »Kom­mi­li­to­nIn­nen« anzu­ru­fen. Die Anspra­che an die »lie­ben Mit­stu­die­ren­den« bie­tet für man­che einen Aus­weg. Aller­dings: Frau­en wer­den im Plu­ral des Par­ti­zips (wie­der) unsichtbar.

Auch die­se Lösung ver­langt einen ener­gi­schen Ein­griff in die Spra­che, da die tra­dier­ten Bedeu­tungs­un­ter­schie­de – etwa zwi­schen Ler­nen­den und Schü­lern, Sin­gen­den und Sän­gern, Trin­ken­den und Trin­kern, Stu­die­ren­den und Stu­den­ten – bedacht wer­den soll­ten. Wie das rasche Ver­schwin­den der Stu­den­ten zeigt, bil­det eine tra­dier­te seman­ti­sche Dif­fe­ren­zie­rung durch­aus kein Hin­der­nis für einen von selbst­be­wuß­ten Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­ten gestütz­ten admi­nis­tra­ti­ven Wil­len. Sogar vor einer Umfor­mu­lie­rung ver­gan­ge­ner Ereig­nis­se schre­cken dabei Geschichts­wis­sen­schaft Trei­ben­de nicht zurück (vgl. etwa »Stu­die­ren­den­be­we­gung« für die Ereig­nis­se um ’68). Geschich­te ist im wesent­li­chen sowie­so nur das, was fort­schritt­lich Den­ken­de als his­to­ri­sches Wis­sen anerkennen.

Etli­che Urhe­ber von Hin­wei­sen zur Abfas­sung wis­sen­schaft­li­cher Haus­ar­bei­ten an deut­schen Uni­ver­si­tä­ten bemü­hen sich dar­um, die Ver­fas­ser in spe als Ver­fas­sen­de (eigent­lich doch: ver­faßt Haben­de) geschlecht­lich zu neu­tra­li­sie­ren. Den Ver­ant­wort­li­chen soll­te eigent­lich schon beim Gang in die Bäcke­rei ihr Kon­zept als ergän­zungs­be­dürf­tig erschei­nen. Der dort beob­ach­te­te Aus­hang »Bäcker/-in gesucht« wird sich kaum durch »Backen­de gesucht« erset­zen las­sen. Immer öfter wird, ver­mut­lich zur Ver­mei­dung des Binnen‑I, an den Uni­ver­si­tä­ten von den Her­aus­ge­ben­den geschrieben.

 

5.

Das Gen­der-Gap

Aus Sicht unse­rer Sprach­wal­ter, die von der zwei­ten femi­nis­ti­schen Wel­le geschult wur­den und mit der Durch­füh­rung von Gen­der-Main­strea­ming sich beauf­tragt füh­len dür­fen, ist das Par­ti­zip Prä­sens nur dann ein akzep­ta­bles Hilfs­mit­tel, wenn damit nicht das soge­nann­te Gen­der-Gap aus dem Blick gerät. Die­sen Pseu­do-Angli­zis­mus und das damit Gemein­te haben Sprach­fe­mi­nis­ten und die Heer­schar ihrer Mit­läu­fer lan­ge Zeit über­se­hen, obwohl doch man­che Vor­kämp­fer beken­nen­de und zuneh­mend Rech­te ein­for­dern­de Homo­se­xu­el­le sind. Ob die­se viel­leicht, wie man­che Human­wis­sen­schaft­ler ver­mu­te­ten, ein eige­nes Geschlecht kon­sti­tu­ie­ren, konn­te man aus sprach­li­cher Sicht auf sich beru­hen las­sen, solan­ge sich Homo­se­xu­el­le dem Begriffs­paar weib­lich-männ­lich klag­los füg­ten. Mit der Ver­all­ge­mei­ne­rung der Erkennt­nis von »doing gen­der« als tief in die Bio­lo­gie hin­ein­wir­ken­de sozia­le Kon­struk­ti­ons­pro­zes­se befin­det sich jedoch die tra­dier­te »Hete­ro­nor­ma­ti­vi­tät« in Auf­lö­sung. Quer durch die Wis­sen­schaf­ten wird die Not­wen­dig­keit erkannt, »que­er« zu den­ken. Exem­pla­risch for­mu­liert die Kri­mi­no­lo­gin Mar­ti­na Alt­hoff, »daß das sta­ti­sche Modell der zwei Geschlech­ter auf­ge­ge­ben wer­den muß und nicht an dem Dua­lis­mus bzw. der Dif­fe­renz der Geschlech­ter fest­ge­hal­ten wer­den kann, wenn das Kon­zept doing-gen­der sei­ne Erklä­rungs­kraft nicht ver­lie­ren will.«

Natür­li­che Geschlech­ter gibt es dem­nach nicht; sie sind (sozi­al und sprach­lich) her­ge­stellt. Was kon­stru­iert wur­de, kann (und soll) ver­än­dert wer­den. Die ver­stei­ner­ten Geschlechts­ver­hält­nis­se müs­sen nur zum Tan­zen gebracht wer­den. Allein Viel­falt und Dif­fe­renz­an­er­ken­nung garan­tie­ren letzt­lich unse­re demo­kra­ti­sche und mensch­li­che Gleich­heit. Auf die­ser Grund­la­ge for­dern Que­ers, Trans- und Inter­se­xu­el­le sowie ande­re Gen­der­grup­pen nicht nur recht­li­che, son­dern auch sprach­li­che Gleich­be­rech­ti­gung. Letz­te­re wird nach Ansicht der Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le des Bun­des durch den aus der Com­pu­ter- und Inter­net­welt gut bekann­ten und mit einem Pseu­do-Angli­zis­mus (Gen­der-Gap) benann­ten Unter­strich erreicht. Typo­gra­phisch gese­hen ist der Unter­strich kei­ne Lücke (Spa­ti­um), son­dern eine Ver­bin­dung zwi­schen zwei Zei­chen­ket­ten. Daß sich »Trans*Personen« oder »weder*noch*«, die selbst­be­wußt durch Aste­ris­ke sprach­lich aner­kannt wer­den wol­len, mit einem flach­ge­leg­ten Binnen‑I abspei­sen las­sen, erscheint einst­wei­len zwei­fel­haft. War der Sin­gu­lar im hete­ro­nor­ma­ti­ven Gen­der­deut­schen nur umständ­lich (der Kun­de oder die Kun­din), so ist er im mul­ti­se­xu­el­len Sprach­ge­brauch ausgeschlossen.

6.

Sein und Schein

Wie schon bei den Bin­nen-I-Prot­ago­nis­ten, so macht sich auch bei den Unter­strich-Akti­vis­ten der Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le des Bun­des eine Hem­mung bemerk­bar, kon­se­quent in die Struk­tur von zusam­men­ge­setz­ten Wör­tern ein­zu­grei­fen. Arbeitnehmer_innenvertreter_innen fin­den sich in ihren Bro­schü­ren nicht und selbst der Stadt Frank­furt am Main läßt man die Vor­rei­ter­rol­le bei »der Ent­wick­lung einer ziel­grup­pen­über­grei­fen­den Diver­si­täts­po­li­tik«. Mit­hin behält das gene­ri­sche Mas­ku­li­num eine unter­schwel­li­ge Gül­tig­keit. Wie Brühl­mei­er gezeigt hat, wird jedoch das, was er »Andro­gy­num« nennt, vom gen­der­so­zia­li­sier­ten Spre­cher nur noch als mar­kant männ­lich wahr­ge­nom­men. Dies geschieht um so mehr, als (bei­spiels­wei­se) die Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le die auf­ge­lös­ten Kom­po­si­ta (Vertreter_innen der Arbeitnehmer_innen) wie­der mit dem Gen­der-Gap ver­se­hen müß­te. Frau­en kön­nen nicht mehr ver­mu­tet wer­den, wo sie frü­her – gemein­sam mit Män­nern und ande­ren Geschlech­tern – selbst­ver­ständ­lich mit­ge­meint sein durf­ten. Konn­te das Binnen‑I noch als (unge­schick­te oder auch revo­luz­zer­haf­te) Ver­kür­zung der Paar­form ver­stan­den wer­den, so mar­kiert der Unter­strich einen eige­nen Signi­fi­kan­ten mit offe­nem, viel­ge­stal­ti­gem Signifikat.

 

7.

Aus­blick

Die mit gro­ßem Auf­wand in öffent­li­che und offi­ziö­se Tex­te gehäm­mer­te Bina­ri­tät muß und wird fal­len. Pro­duk­te wie die Richt­li­ni­en für einen soge­nann­ten nicht­se­xis­ti­schen Sprach­ge­brauch der deut­schen UNESCO-Kom­mis­si­on wer­den sel­ber als sexis­tisch ver­stan­den und (pein­lich berührt, aber stie­kum) zurück­ge­zo­gen. Das Gen­der­deut­sche ver­flacht, unab­sicht­lich sym­bo­li­siert durch den ega­li­sie­ren­den Unter­strich, des­sen epi­de­mi­sche Aus­brei­tung zunächst zu erwar­ten ist. Um die inkri­mi­nier­te Zwei­ge­schlecht­lich­keit bei den bestimm­ten Arti­keln zu umge­hen (vor der_»die Leser_in« oder »Lesen­de« soll­ten selbst staat­li­che Gen­der­ex­per­ten zurück­schre­cken), wird die Spra­che einer wei­te­ren Ent­per­sön­li­chung unter­zo­gen. Als echt femi­nin (Suf­fix ‑innen) gel­ten nur noch die, die gar kei­ne Per­so­nen (Frau­en) sind, weil die sprach­fe­mi­nis­tisch miß­brauch­te Kon­gru­enz auch die con­s­truc­tio ad sen­sum ver­tilgt. Je inten­si­ver die geschlecht­li­che Struk­tu­rie­rung der Spra­che betrie­ben wird, um so weni­ger wird das bio­lo­gi­sche Geschlecht sichtbar.

Das soll so sein. Eigent­lich gehört eine ent­spre­chen­de Anga­be nicht in den Per­so­nal­aus­weis. Die Zuwei­sung von geschlechts­be­zo­ge­nen Vor­na­men ist unde­mo­kra­tisch. Über die (wah­re) sexu­el­le Iden­ti­tät, soll­te es die über­haupt geben, sagen Name und äuße­res Erschei­nungs­bild nichts aus. So kon­sta­tiert Judith But­ler, füh­ren­de femi­nis­ti­sche Phi­lo­so­phin (oder doch: »Philosoph_in«?), sie wis­se eigent­lich nicht so recht, was eine Frau sei. But­ler und ande­re emp­feh­len den Akti­vis­ten eine Dop­pel­stra­te­gie: einer­seits Ansprü­che zu ver­tre­ten auf Lebens­be­din­gun­gen, »die so beschaf­fen sind, daß sie die maß­geb­li­che Rol­le von Sexua­li­tät und Gen­der im poli­ti­schen Leben beja­hen«, ande­rer­seits aber die eige­nen Kate­go­rien stets in Fra­ge zu stel­len, um her­aus­zu­fin­den, »in wel­cher Wei­se sie erwei­tert, zer­stört oder umge­stal­tet wer­den müs­sen.« Nur pro­vi­so­ri­sche Iden­ti­tä­ten sind gute Iden­ti­tä­ten. Mit die­ser »Auf­lö­sung der Din­ge« gerät die Berech­ti­gung in Miß­kre­dit, jeman­den als »Frau« oder »Herr« anzu­re­den, sofern die­se einer sol­chen »Ver­or­tung« nicht aus­drück­lich zuge­stimmt haben. Kon­se­quent ver­zich­tet die Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stel­le der Bun­des­re­gie­rung auf geschlechts­be­zo­ge­ne Anre­de­for­men. Frau­en, die sich (noch) als sol­che ver­ste­hen und kraft femi­nis­ti­scher Ein­grif­fe in die gewach­se­ne Spra­che »sicht­bar« wer­den woll­ten, wer­den also wie­der unsicht­bar. Immer­hin: das haben (und hat­ten) sie mit den Män­nern, die sich noch als sol­che ver­ste­hen, gemeinsam.

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