Autorenportrait Jean Raspail

54pdf der Druckfassung aus Sezession 54 / Juni 2013

von Joachim Volkmann

Jean Raspail ist französischer Schriftsteller, Romancier, Abenteurer, Katholik, Monarchist, Visionär – und vieles andere mehr.

In Deutsch­land ist er jedoch vor allen Din­gen eines: näm­lich nahe­zu unbe­kannt, und das völ­lig zu Unrecht. In Frank­reich erzie­len sei­ne Bücher Mil­lio­nen­auf­la­gen, sei­ne Stel­lung­nah­men zur Poli­tik der Fünf­ten Repu­blik und zur fran­zö­si­schen Iden­ti­tät sind vom Estab­lish­ment gefürch­tet. In Deutsch­land hin­ge­gen kennt ihn bis­her nur ein klei­ner Kreis. Vier sei­ner Bücher sind inzwi­schen ins Deut­sche über­setzt wor­den, als bis­her letz­tes folgt der Roman Die sie­ben Rei­ter (1993, dt. 2013 bei Antai­os) den Über­set­zun­gen von Sie waren die ers­ten (1986, dt. 1988), Das Heer­la­ger der Hei­li­gen (1973, dt. zuletzt 1985) und Sire (1993, dt. 2005).

Gebo­ren wur­de Jean Ras­pail im Jah­re 1925 in der lieb­li­chen Tou­rai­ne, im Gar­ten Frank­reichs. Im Lau­fe der Jahr­zehn­te ent­stan­den über 30 Wer­ke, vom Rei­se­be­richt über eth­no­lo­gi­sche Beschrei­bun­gen kleins­ter Völ­ker­schaf­ten bis hin zum »his­to­ri­schen«, eher: dys­to­pi­schen Roman. Vie­le die­ser Wer­ke wur­den mit höchs­ten Prei­sen gekrönt, man­che ver­filmt. Hier kann nur eine Aus­wahl vor­ge­stellt werden.

In den fünf­zi­ger Jah­ren beginnt für Ras­pail eine Zeit aben­teu­er­li­cher Rei­sen und von ihm gelei­te­ter Expe­di­tio­nen. Er hat unter ande­rem den ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent von Feu­er­land bis Alas­ka mit dem Auto bereist und beschrie­ben, er ist von Qué­bec bis New Orleans mit dem Kanu gefah­ren, und an Pata­go­ni­en, dem süd­li­chen Drit­tel Süd­ame­ri­kas, hat er sein Herz ver­lo­ren. Ein Resul­tat die­ser engen Bezie­hung zu Pata­go­ni­en ist das Buch Adiós, Tier­ra del Fue­go, ein Buch, in dem er unter ande­rem das Schick­sal der dor­ti­gen India­ner beschreibt: Im Ver­lauf der Nord-Süd-Wan­de­rung stran­de­ten die schwä­che­ren, weni­ger ent­wi­ckel­ten Ala­kaluf ganz im Süden, auch in Feu­er­land. Sie ertei­len uns (durch Ras­pail) eine klei­ne Lektion.

Die Ala­kaluf über­leb­ten in Feu­er­land Zehn­tau­sen­de von Jah­ren, weil sie auf pri­mi­ti­ve, aber äußerst effek­ti­ve Wei­se an die unwirt­li­che Umge­bung ange­paßt waren. Sie tru­gen kaum Klei­dung, rie­ben sich zur Wärme­isolierung mit Fisch­fett ein und ernähr­ten sich von dem, was das Meer her­gab: Fisch und Muscheln; an guten Tagen gab es See­hund, an sehr guten stran­de­te ein Wal. Und dann kamen die Eng­län­der, und mit ihnen kam die Zivi­li­sa­ti­on. Die von den Eng­län­dern ein­ge­führ­ten Klei­der sogen sich voll Regen, der Wind kühl­te die feuch­ten Klei­der aus. Die Tra­gö­die aber kam, als die erkäl­te­ten Ala­kaluf von den Eng­län­dern unwis­sent­lich mit Decken ver­sorgt wur­den, die mit Krank­hei­ten infi­ziert waren, gegen wel­che die Ein­ge­bo­re­nen kei­ner­lei Abwehr hat­ten: Das war ihr Ende.

Und das ist schon typisch für Ras­pail: die Unver­meid­lich­keit des Unter­gangs die­ses der Natur so völ­lig ange­paß­ten Vol­kes durch die Zivi­li­sa­ti­on, die auf die­se Kul­tur ein­stürmt – eine Unver­meid­lich­keit, die völ­lig unver­schul­det: also ganz tra­gisch ist. Ras­pail sei der Vor­kämp­fer der ver­lo­re­nen Sachen, hat jemand geschrie­ben. Das beginnt in Pata­go­ni­en, und es wird zum zen­tra­len The­ma in Ras­pails Leben. Das The­ma »Pata­go­ni­en« ist damit noch lan­ge nicht erle­digt. Eines der wich­tigs­ten Bücher Ras­pails, das noch einer Über­set­zung ins Deut­sche harrt, ist Moi, Antoine de Tounens, Roi de Pata­go­nie, nach einer wah­ren Geschich­te aus der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts. In der Fami­lie eines Bau­ern­jun­gen aus dem Péri­g­ord erzählt man sich, man sei von hohem Adel, aller­dings ver­armt und des­halb des Titels ver­lus­tig. Der Jun­ge wird Rechts­an­walt, erstrei­tet vor Gericht in Paris einen Fürs­ten­ti­tel, läßt Visi­ten­kar­ten mit Fürs­ten­kro­nen dru­cken und wird natür­lich nicht ernst genom­men. Nun ist Pata­go­ni­en zu jener Zeit noch nicht zwi­schen Argen­ti­ni­en und Chi­le auf­ge­teilt; so hat Antoine de Tounens die Idee, dort ein König­reich zu gründen.

Da der dama­li­ge fran­zö­si­sche Kai­ser, Napo­le­on III. ihn und sei­ne Plä­ne mit Nicht­be­ach­tung straft, ver­kauft er sei­ne Kanz­lei, beleiht die Län­de­rei­en sei­ner Fami­lie. Er wird nach Strich und Faden betro­gen: Auf der Rei­se nach Süd­ame­ri­ka schmilzt sein Staats­schatz schnell dahin, sein Sie­gel, sei­ne blau-weiß-grü­ne Fah­ne und sei­ne (vom fran­zö­si­schen Kai­ser­reich abge­schrie­be­ne) Ver­fas­sung inter­es­sie­ren nie­man­den. Da bringt er in Pata­go­ni­en und dem angren­zen­den Arau­ka­ni­en einen ört­li­chen, stark alko­ho­li­sier­ten India­ner­stamm dazu, »Evi­va el Rey!« zu rufen (da ist er dann tat­säch­lich König) und unter sei­ner Füh­rung eine Schlacht gegen die Chi­le­nen zu schla­gen (da hat er dann tat­säch­lich regiert). Weil er die­se Schlacht auch noch gewinnt, erklä­ren Argen­ti­ni­er und Chi­le­nen ihn in ansons­ten unge­wöhn­li­cher Ein­tracht für ver­rückt, und sei­ne arme Fami­lie muß auch noch sei­nen Frei­kauf und Rück­trans­port nach Frank­reich finanzieren.

In Paris ist er der König der Schi­cke­ria. Alle künst­le­ri­schen und gesell­schaft­li­chen Grö­ßen sei­ner Zeit (wir sind, wie gesagt, in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts) wer­den von ihm, auch gegen Bezah­lung, zu Her­zö­gen, Groß­fürs­ten und so wei­ter ernannt. Vier­mal noch fährt er in sein König­reich, vier­mal wird er wie­der nach Frank­reich geschickt. Rüh­rend und zugleich Schlüs­sel­sze­ne ist jene Pas­sa­ge, in der Antoine in Paris in einem Zir­kus »Men­schen­fres­ser aus Pata­go­ni­en« ent­deckt, die dort zur Erhei­te­rung des Publi­kums rohes Fleisch essen und auch ansons­ten Fremd­ar­ti­ges tun. Der König erkennt sei­ne Unter­ta­nen, macht einen mäch­ti­gen Auf­stand, tobt und kämpft – und kann die­se armen Geschöp­fe doch nicht befreien.

Die Fin-de-siè­cle-Schi­cke­ria ver­liert das Inter­es­se an ihm. Der König stirbt ein­sam und ver­ges­sen, bis zuletzt trotz allem auf sei­ne könig­li­che Wür­de pochend, im Alter von 56 Jah­ren an Krebs. Er wird in einem Armen­grab bei­gesetzt, sein Leib ist unauf­find­bar, sein klei­nes Grab­mo­nu­ment, spä­ter errich­tet, ist leer. – Und so wird Pata­go­ni­en zu einem Traum. Zu einem Traum, dem man sich ganz behut­sam nähern muß, denn, so Ras­pail, wenn man das nicht tue, löse er sich auf. Das nun ist pata­go­nisch, das ist Ras­pail. Denn: aus dem Grab des Königs her­aus, schreibt Ras­pail, habe er, der Auor selbst, die Ernen­nung zum Gene­ral­kon­sul des König­reichs Pata­go­ni­en erhal­ten. Und so kann man sich um Ein­bür­ge­rung bewer­ben, Ras­pail ernennt Vize­kon­suln, Kon­suln, es gibt auch eine pata­go­ni­sche Mari­ne, die sich in regel­mä­ßi­gen Abstän­den auf den Min­quiers, einer win­zi­gen, zur Eng­land gehö­ren­den Insel­grup­pe im Ärmel­ka­nal trifft. Dann wird zum Geden­ken an den Falk­land­krieg die bri­ti­sche Fah­ne ehren­voll ein­ge­holt und die pata­go­ni­sche gehißt, Kavi­ar geges­sen, Cham­pa­gner getrun­ken. Die bri­ti­sche Fah­ne wird mit allen Ehren am nächs­ten Tag in der bri­ti­schen Bot­schaft in Paris abgegeben.

Nichts liegt fer­ner als der Gedan­ke, all das sei unernst. Hal­ten wir die bis­he­ri­gen Bot­schaf­ten fest: Die Ala­kaluf ster­ben aus, weil ihnen Frem­des über­ge­stülpt wer­den soll. Man will ihnen bes­se­re Lebens­wei­sen auf­drän­gen, und genau mit die­ser eigent­lich guten Inten­ti­on sorgt man für ihr Aus­ster­ben. Der Ver­lust der Iden­ti­tät führt zum Tod. Der König von Pata­go­ni­en schei­tert, natür­lich. Aber sei­ne Idee, sei­nen india­ni­schen Unter­ta­nen die Frei­heit ihrer Eigen­art zu bewah­ren, sie zu för­dern – ist die­se Idee denn falsch?

Die Über­zeu­gung, daß eine rich­ti­ge Sache getan wer­den müs­se, auch wenn kei­ne Aus­sicht auf Erfolg bestehe, durch­zieht Ras­pails Werk. So wie der König von Pata­go­ni­en sei­nen völ­lig aus­sichts­lo­sen Kampf kämpft, so aus­sichts­los kämpft eine zusam­men­ge­wür­fel­te Grup­pe in Das Heer­la­ger der Hei­li­gen für den Erhalt ihrer euro­päi­schen Kul­tur ange­sichts der Mas­sen­ein­wan­de­rung einer Mil­li­on armer Inder. In Deutsch­land ist der visio­nä­re, dich­te, vol­ler Sym­bo­lik ste­cken­de Roman von 1973 das bis­her bekann­tes­te Werk Ras­pails. Er habe es wie in einem Schaf­fens­rausch nie­der­ge­schrie­ben, berich­te­te Ras­pail ein­mal: Das Buch habe sich qua­si selbst verfaßt.

Auch Sire beschreibt etwas, das gesche­hen muß. Die nachts und ganz im stil­len erfol­gen­de Krö­nung des Königs, von deren Fol­gen der Roman nichts erzählt, ist eine Not­wen­dig­keit ange­sichts des abso­lut deso­la­ten Zustan­des von Staat und Gesell­schaft, ange­sichts von all­ge­mei­nem Nie­der­gang, von Deka­denz und Kor­rup­ti­on – der König ist der Garant der Fort­dau­er, des Lebens der Nati­on. Die Mon­ar­chie, laut Ras­pail die ein­zi­ge Regie­rungs­form, die auf Lie­be gegrün­det sei, ist das Gegen­bild zu einer als kor­rupt emp­fun­de­nen Regie­rungs­form: Innen­mi­nis­ter Roth, inner­lich längst zur glei­chen Erkennt­nis durch­ge­drun­gen und des­halb kurz vor dem Rück­tritt, lacht laut ange­sichts des Prä­si­den­ten und sei­ner Hun­de im Ély­sée-Palast. Gefragt, war­um er denn lache, ant­wor­tet er: »Weil du hier sitzt!« Nun kann man ange­sichts der aktu­el­len Ereig­nis­se um den Prä­si­den­ten Hol­lan­de kaum den Gedan­ken ver­mei­den, hier hand­le es sich um eine wei­te­re der Ras­pail­schen Visio­nen. Sire steckt vol­ler offe­ner und ver­steck­ter Anspie­lun­gen die­ser Art, und es ist ein intel­lek­tu­el­les Ver­gnü­gen, hin­ter einer »ein­fa­chen« Geschich­te eine Fül­le von Hin­wei­sen zu entdecken.

An einer Stel­le schreibt Ras­pail, der Erz­bi­schof und das Aller­hei­ligs­te ver­lie­ßen »Hand in Hand« den Bischofs­pa­last. Das ergibt erst dann einen Sinn, wenn man weiß, daß jener nament­lich genann­te Erz­bi­schof spä­ter aktiv den Kom­mu­nis­mus in Frank­reich unter­stütz­te, und wenn man weiß, daß »Hand in Hand« aus dem Refrain eines sozia­lis­ti­schen Lie­des stammt. So muß die deut­sche Über­set­zung dann »Seit’ an Seit’« hei­ßen und offen­bart ihr klei­nes Geheim­nis dem, der in der Geschich­te nach­forscht. Der Kar­di­nal, der den König in Reims krönt, trägt den Namen eines Gegen­paps­tes, und er stammt aus dem Geschlecht derer von Savoy­en, die nicht nur das ita­lie­ni­sche Königs­haus stell­ten, son­dern auch meh­re­re Seli­ge und Hei­li­ge her­vor­brach­ten. Noch in die­sem Jahr 2013 soll Marie-Chris­ti­ne, Köni­gin bei­der Sizi­li­en, selig­ge­spro­chen wer­den. Ein wei­te­res, schö­nes Bild: Der frisch­ge­salb­te König und sei­ne Schwes­ter sind ein­ei­ige Zwil­lin­ge (was eigent­lich ja unmög­lich ist). Sie, die Schwes­ter, stärkt den Bru­der in Momen­ten der Schwä­che durch ihr Gebet, durch ihre weib­li­che Stärke.

Und die Zukunft der Mon­ar­chie? Unse­re Fürs­ten sei­en nicht auf der Höhe der Sache, schreibt Ras­pail, des­il­lu­sio­niert, in einem Brief an den Autor die­ser Zeilen.

Eine recht gna­den­lo­se Ana­ly­se des (geis­ti­gen) Zustan­des der Gesell­schaft ist Sept Cava­liers. Sie­ben Rei­ter bre­chen aus einer Stadt in einem erträum­ten Euro­pa des 19. Jahr­hun­derts auf, aus wel­cher das Leben sich zurück­ge­zo­gen hat. Sie suchen außer­halb der Stadt nach Grün­den für das Ster­ben der Kul­tur, erkun­den das ver­rot­te­te und ver­kom­me­ne Umland. Wie immer bei Ras­pail sind die Zustands­be­schrei­bun­gen so depri­mie­rend, wie die Gegen­wart sich manch­mal dar­stellt. Hoff­nung und Licht spen­den indeß die Cha­rak­te­re, auch wenn der Roman nicht eben »gut« endet.

Zu einem sym­pa­thi­schen Gegen­bild einer als kul­tur- und iden­ti­täts­los emp­fun­de­nen Gegen­wart wird auch Hur­rah Zara. Hier zeich­net Ras­pail meis­ter­lich die Zustän­de in Euro­pa vor dem Ers­ten Welt­krieg nach. Die Adels­fa­mi­lie von Pik­ken­dorff ist in ganz Euro­pa ver­brei­tet. Jeder Zweig der Fami­lie hat die typi­schen Eigen­ar­ten sei­nes Lan­des, den Cha­rak­ter sei­nes Vol­kes, sei­ne Iden­ti­tät. Und so wird jener Ers­te Welt­krieg zur Urka­ta­stro­phe jenes »alten« Euro­pa. Sie reißt die euro­päi­sche Fami­lie aus­ein­an­der und führt, wenn man es bis zuletzt wei­ter­denkt, zu einer gesichts­lo­sen, geschichts­lo­sen, iden­ti­täts­lo­sen EU. Ras­pail wird so zum ent­schlos­se­nen Ver­tei­di­ger einer Sache, die viel­leicht noch nicht ver­lo­ren, aber sicher­lich höchst gefähr­det ist. Zum Ver­tei­di­ger wird er, indem er uns erst ein­mal klar­macht, was wir ver­lie­ren, wenn wir unse­re eth­ni­sche Iden­ti­tät ver­lie­ren oder kampf­los auf­ge­ben. Er sei, sagt er in einem Fern­seh­in­ter­view aus dem Jah­re 2011, seit acht­zehn Jahr­hun­der­ten Fran­zo­se, und er wol­le die­se euro­päi­sche, fran­zö­si­sche Iden­ti­tät behal­ten, bewah­ren. Mög­li­cher­wei­se kön­ne eine Misch­ge­sell­schaft exis­tie­ren, viel­leicht kön­ne sie sogar gut funk­tio­nie­ren, er wol­le sie aber für sich nicht.

Zur fran­zö­si­schen Iden­ti­tät gehört eben doch auch die Reli­gi­on. Wenn auch die Kir­che in Frank­reich ihre eige­ne, gal­li­ka­ni­sche Aus­prä­gung und Beson­der­heit hat­te und hat, so steht sie doch frag­los für die Prä­gung Frank­reichs, so wie das Chris­ten­tum ja über­haupt unser Euro­pa mehr geprägt hat und nach wie vor prägt, als es, von innen gese­hen, wohl den Anschein hat. Charles Maur­ras hat das erkannt und muß­te durch ein tra­gi­sches Leben zei­gen, daß es so etwas wie einen athe­is­ti­schen Katho­li­zis­mus, der einen mon­ar­chi­schen Staat tra­gen soll, nicht geben kann.

Ras­pail ist tra­di­tio­nel­ler Katho­lik. In sei­nem Roman L’Anneau du Pêcheur (»Der Ring des Fischers«) spinnt er die Geschich­te des Pedro de Luna wei­ter, jenes Paps­tes Bene­dikt XIII., der sich zur Zeit des Gro­ßen Schis­mas und der Baby­lo­ni­schen Gefan­gen­schaft der Kir­che am Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahr­hun­derts (zu Recht? zu Unrecht? – die Kir­che zählt ihn zu den Gegen­päps­ten) hals­star­rig für den recht­mä­ßi­gen Papst hält und in Por­tu­gal wei­ter­hin Kar­di­nä­le kre­iert, die dann ihrer­seits nach sei­nem Tod seine(n) Nach­fol­ger wäh­len, bis ins 20. Jahr­hun­dert hin­ein. Es gelingt Ras­pail meis­ter­lich, die Bedeu­tung des Papst­tums ein­dring­lich zu ver­deut­li­chen, wenn er den letz­ten die­ser Nach­fol­ger (die sich alle nur »Bene­dikt« nen­nen), einen völ­lig armen, alten und schwa­chen Greis, sich auf den Weg nach Rom machen läßt. Wer die­sen Weg im Roman mit­geht, begreift unwei­ger­lich, wie sehr die katho­li­sche Tra­di­ti­on (im wei­tes­ten Sin­ne) Quel­le unse­rer Zivi­li­sa­ti­on ist und wel­che Rol­le das römi­sche Papst­tum dar­in spielt.

Und auch hier gilt, was für alle Roma­ne Ras­pails gilt, die wir nun vor­ge­stellt haben: Vor dem Hin­ter­grund wesent­li­cher und blei­ben­der Züge des Pon­ti­fi­kats Bene­dikts XVI., an wel­ches zur Zeit der Ent­ste­hung des Romans (1995) in kei­ner Wei­se zu den­ken war, gewinnt auch die­ser Roman fast visio­nä­re Züge.

Am 7. Juli 2013 wird Ras­pail 88 Jah­re alt, und er erlebt, daß sei­ne Anlie­gen im Bewußt­sein der Euro­pä­er immer mehr Fuß fas­sen. Um ihn selbst scheint es in letz­ter Zeit ruhi­ger gewor­den zu sein. Der Autor die­ser Zei­len, selbst Vize­kon­sul des König­reichs Pata­go­ni­en, hat ihn im tele­fo­ni­schen und brief­li­chen Umgang immer als sehr freund­lich, zuvor­kom­mend, ja groß­zü­gig erlebt – er soll aber auch recht rup­pig wer­den kön­nen, wenn ihm etwas gegen den Strich geht: Es kann sein, daß er dann, wie man hört, eine Gesell­schaft ein­fach und gruß­los ver­läßt. Das aktu­el­le Deutsch­land der Bun­des­kanz­le­rin ist ihm nicht sym­pa­thisch; eine gene­rell anti­deut­sche Hal­tung darf man dar­aus aber kei­nes­falls ablei­ten. Und dann ist da ja auch noch die in Frank­reich durch­aus übli­che Unter­schei­dung zwi­schen einem preu­ßi­schen Deutsch­land und jenen Rhein­län­dern, wel­che von »rech­ten« Fran­zo­sen für zwangs­ger­ma­ni­sier­te Roma­nen gehal­ten wer­den … aber das ist eine ande­re Geschichte.

Ist Jean Ras­pail ein Visio­när? Er selbst wür­de es abstrei­ten, und das tut er auch in dem oben ange­spro­che­nen Fern­seh­in­ter­view. Sei­ne Bücher sei­en Roma­ne mit Fra­ge­stel­lun­gen. Kei­ne Visio­nen, kei­ne Ana­ly­sen, kei­ne Rezep­te. Und doch: wenn zur Zeit der Abfas­sung die­ses Autoren­por­traits Fran­zo­sen seit Mona­ten gegen die sozia­lis­ti­schen Umbau­plä­ne des Prä­si­den­ten Hol­lan­de mas­siv auf den Stra­ßen demons­trie­ren, dann kann man sicher sein, daß sehr, sehr vie­le von ihnen Ras­pail gele­sen haben, jenen Ras­pail, der von sich sagt, er sei stolz, ein »fran­çais de sou­che« zu sein – ein Fran­zo­se jener Abstam­mung, die das Land und sei­ne Zivi­li­sa­ti­on auf­ge­baut hat.

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