Kindern. Die Fahrt hat sich gelohnt, wer kann, sollte sich den Film anschauen. Man muß ein bißchen Vorwissen mitbringen über die rechtlose Zeit nach dem Krieg, über die geographische Lage des russisch besetzten Teils Ostpreußens und den litauischen Partisanenkampf. Die Vorführung begann um viertel vor sieben. Da hatte der Deutschlandfunk die ersten Hochrechnungen schon gebracht: Die AfD lag bei 10 Prozent. Mit etwas weniger ging sie aus dem Rennen, wie wir jetzt wissen.
Es ist ein seltsam Ding mit dieser Partei. Als sie sich aus einer CDU-stämmigen Wahlalternative heraus entfaltete, im März letzten Jahres, war mir klar, daß diese neue Partei für uns zweierlei bedeuten könnte: Resonanzraum und Kantenschere. Heute, anderthalb Jahre später, kann man sagen: Beides hat sich erfüllt.
Zweifelsohne hat die AfD den Resonanzraum für konservative Projekte erweitert – die Junge Freiheit und Karlheinz Weißmann setzen aktiv auf diese Karte, wir nehmen mit, was sich ergibt. Und natürlich hat diese junge, neue Partei für ihren raschen Aufwuchs folgende Richtlinie durchgesetzt: Entweder man unterwirft sich einer von Lucke zwar nicht explizit formulierten, durch Personalentscheidungen jedoch unmißverständlich eingeforderten Parteidiziplin – oder man gerät unter die Kantenschere, ist außen vor, und das bedeutet: nicht mit dabei auf dem Weg in Richtung Mitte, Establishment und Normalität.
Eine junge, beargwöhnte Partei kann wohl gar nicht anders, als sich ihrer Querköpfe und Exoten zu entledigen. Interessant daran ist jedoch, daß die AfD aus der Mitte kommt, in einer weit ausholenden Bewegung das Unmuts- und Protestpotential von rechts eingesammelt hat und in eine staatstragende Beteiligung überführt. Von den mehr oder minder Konservativen selbst wird diese Mäßigung mit den Argumenent einer “realpolitischer Flexibilität” und “strategischer Klugheit” akzeptiert und mitvollzogen. Endlich dabeisein dürfen!
So weit, so belanglos: Das Gründungschaos und die Geburtswehen einer Partei sind nichts, was mich beschäftigt. Spürbar wird die Justierung aber dort, wo sie direkt auf das rechtsintellektuelle Milieu einzuwirken beginnt. Ich meine damit: dort, wo sich beispielsweise die Ausrichtung der Jungen Freiheit direkt auf die Strategie der AfD zu und gegen die Querköpfe und Exoten des eigenen Milieus wendet.
Die Junge Freiheit hat die publizistische Förderung und Flankierung des Projekts AfD zu so etwas wie einer Leitlinie der eigenen Blattentwicklung gemacht. Wer den einzigen verbliebenen Mitbegründer der JF, Dieter Stein, etwas genauer kennt und sich an seine Grundsatzbeiträge und Äußerungen der vergangenen zwei Jahrzehnten erinnert, kann sich über diesen für eine Zeitung etwas außergewöhnlichen Kurs nicht wirklich wundern. Stein ist im Kern ein ernsthafter Liberalkonservativer, der immer ein bißchen ratlos vor den zugleich ironischen, lässigen und unversöhnlichen Anknüpfungsstrategien der Neuen Rechten stand. Er hat seine Position früh in einer grundlegenden Arbeit über das “Phantom Neue Rechte” ausgeführt und hartnäckig verteidigt, obwohl ihm das Institut für Staatspolitik (damals noch unter maßgeblicher Beteiligung Karlheinz Weißmanns) in einer parallel erscheinenden Studie fehlende Durchdringungstiefe der Materie vorgeführt hat.
Stein blieb davon unbeeindruckt, er hat die Modernisierung seiner Überzeugungen konsequent betrieben und seine Redaktion entlang dieser Ausrichtung erzogen – mit Erfolg: Der Hohenzollerndamm ist mittlerweile weit weg von jeder Unversöhnlichkeit mit dieser Gesellschaft. Die Richtlinie der Zeitung und die der AfD ist die Stabilisierung.
Was soll stabilisiert werden? Wovon geht man aus? Das ist die entscheidende Fragestellung vor aller Politik: Wovon geht man aus?
Ich für meinen Teil gehe davon aus, daß wir in einem kranken Staatsgebilde und Volkskörper leben: amerikanisiert, also umerzogen bis zur Selbstverleugnung; an den Westen verloren entgegen vitaler Interessen, die wir als die Nation der Mitte Europas auch in Richtung Osten zu vertreten haben; am Rande einer demographischen Katastrophe; in manchen Regionen und Städten überfremdet bis zur Unkenntlichkeit; in steilem Sinkflug begriffen von einem Niveau der Bildung herab, das einst seinesgleichen auf der Welt suchte; seelisch verkrüppelt durch eine auf Schuld, Schande und verbrecherisches Erbe fixierte Geschichtserzählung und ‑politik. Undsoweiter.
Trotzdem kann man einen Verlag betreiben und sein Leben führen, natürlich. Der Umbau der Gesellschaft und die Ausdünnung des Deutschen läßt denen, die nicht mitgehen wollen, einen gewissen Spielraum, auch wenn er – das läßt sich unschwer belegen – enger geworden ist in den vergangenen Jahren.
Aber was heißt das schon: ein bißchen rechts sein zu dürfen? Die oben aufgezählten Substanzverluste und Kernprobleme sind das unverzichtbare Koordinatensystem einer rechtsintellektuellen Lagebestimmung, und wenn man das auch nicht ständig plakatiert oder in einem Bauchladen vor sich herträgt, ist dennoch klar, daß man seinen Frieden mit den Verhältnissen nicht recht wird machen können. Denn: Was könnte da stabilisiert werden, wenn das Ganze nicht das Richtige ist?
AfD? Soll sein, und es ist fast müßig zu betonen, daß ich keine politische Alternative zu formulieren oder gar auf die Beine zu stellen in der Lage bin. Und vielleicht gibt es in den Reihen dieser Partei ein paar Leute, die tiefer leiden als das politische Berlin. Mehr Hoffnung kann man ja nicht setzen in eine Partei, die aus der Mitte kommt und in die Mitte zielt, und die als Partei selbstredend davon ausgehen muß, daß auf dem Parteiweg etwas zu reißen sei, und zwar etwas, das über die Versorgung der eigenen Funktionäre mit gut bis sehr gut dotierten Posten hinausreicht.
Es ist nicht ohne Bedeutung, daß sich die AfD als Partei des gesunden Menschenverstands präsentierte, denn das heißt: Sie ist von vornherein theorieschwach, nicht-ideell, sondern sieht sich als Anreicherungsbecken für den arbeitenden, staatstragenden, pragmatischen Bürger, der keine Visionen hat, sondern ein Bedürfnis nach einem ordentlichen, soliden Leben, und zwar noch im morschesten Haus. Dagegen ist nichts zu sagen, wie auch? Vielleicht ist es sogar das maximale, was man von einem bürgerlichen Ansatz erwarten darf.
Seltsam wird es nur, wenn maßgebliche Publizisten aufhören, grundsätzliche Fragen zu stellen. Stein hat damit aufgehört. Er hat seine Zeitung einer geistigen Parteidisziplin unterworfen, bis hin zur Maßregelung jener parteiinternen und blattnahen Kritiker, die sich doch etwas mehr von einer echten Alternative versprochen hatten oder wenigstens vor der Gefahr liberalkonservativer Zufriedenheit warnten (wie beispielsweise Karlheinz Weißmann noch vor wenigen Jahren, aber das hat sich geändert). Stein hat sich der Querköpfe und Exoten entledigt, und dies ist nun – anders als bei einer Partei – eine echte Sünde wider den Geist. Vor allem aber ist es ein Zeichen nach außen, ein auf die eigene Mäßigung hinweisendes Opfer.
Wo sind jene Federn, deren Texte man nach dem ersten Satz erkennt, ohne indes genau zu wissen, ob es diesmal in einem Wutausbruch, einer sarkastischen Volte, einem Fundstück oder einer geistigen Unerbittlichkeit endet? Wer in Berlin hat denn Mohler, Jünger, Schmitt, Kaltenbrunner, Benoist, Arndt, Nolte, Sander, Maschke wirklich gelesen? Wer ist dort noch Kulturpessimist aus vollstem Herzen, zynisch obendrein, pflegt antibürgerliche Affekte und hält dennoch die Bildung, die Höflichkeit, den Respekt, die Selbständigkeit und die Kompromislosigkeit in Fragen des Stils und des Umgangs für unverzichtbar und unhintergehbar?
Mit all dem – das wissen wir doch nicht erst seit anderthalb Jahren – ist keine Politik zu machen. Aber es ist damit ein Standpunkt zu gewinnen: der notwendige Abstand zu jener realpolitischen Flexibilität, die einem immer dann für etwas Lebenskluges verkauft wird, wenn sie nichts anderes ist als der Abschied von Überzeugungen.
Anders ausgedrückt: War dieser schwere Gang seit 1986 notwendig, um in einer geistigen Koalition mit Olaf Henkel zu enden? Damals wurde die JF gegründet, und sie hat gegen ungeheure Widerstände durchgehalten. Nun ist man auf dem Weg, den verendeten Rheinischen Merkur nicht nur nach Auflagenzahlen, sondern auch in Sachen Esprit zu beerben. Politisch mag das klug sein, vielleicht gar ein Glanzstück realpolitischer Flexibilität (Weißmann dixit). Geistig und publizistisch ist es viel zu wenig und vor allem ziemlich langweilig.
Auch in dieser Hinsicht operiert der unter Pseudonym in meinem Verlag erschienene Roman Hirnhunde nah an der Wirklichkeit. Die Hauptfigur Marcel Martin, Chefreporter der Wochenzeitung “Freigeist”, ist in keinem Moment beflügelt oder geistig schneidig, sondern ein ziemlicher Langweiler, der am liebsten von einem aufgeräumten Schreibtisch aus an seinen Texten bastelt. Man fragt sich, warum er und seine Redaktion dafür je Prügel bezogen.
Diese Prügel beziehen andere, beispielsweise die Organisatoren des 3. zwischentags, der morgen stattfinden wird und zu dem man sich heute bis 14 Uhr noch online, danach dann telefonisch anmelden kann (und sollte!). Der Jungen Freiheit war diese konservative, freie Buchmesse in diesem Jahr noch keine Silbe wert.
Unke
Das ist ja alles ganz nett -etwas intellektuellisierendes Parlieren über ideologische Verortungen jenseits der Altparteien-, bestätigt aber nur das allzu Offensichtliche.
Die AfD ist hat an ihrer Spitze die gleichen Klassensprechertypen (Lucke; Henkel) wie die Altparteien auch*, ein kräftige Dosis Nigel Farage oder -huch!- Joschka Fischer würde ihr guttun.
Das bedeutet und im Übrigen bzw. es bleibt dabei: Änderung wird nicht (allein) durch eine neue Partei bewirkt. Man muss eine Gegenmacht aufbauen, und zwar in Form einer Graswurzelbewegung.
* zudem werden gewählte Mandatsträger schneller korrumpiert werden als wir "Schweinetrog!" rufen können - vgl. Luckes Abstimmverhalten in Sachen Putin.