Wir schreiben das Jahr 1936, wir befinden uns in einem – keineswegs tragischen – Roman. Rachel Johnson, erfahrene Autorin und Schwester des Londoner Bürgermeisters, hat ihn geschrieben. Er ist Anfang des Jahres erschienen, bei Penguin Books, dem weltgrößten Verlag. Das nationalsozialistische Deutschland ausgerechnet als Frauenmagnet? Sowohl Rachel Johnsons Winter Games als auch eine deutsche Neuerscheinung, Jessica Mitfords Hunnen und Rebellen (eine späte Übersetzung, 53 Jahre nach der englischen Originalausgabe!), rücken die legendäre Familie Mitford erneut ins Blickfeld. Die Geschichte der Mitford-Schwestern: Ein Wunder, daß sie noch nicht Hollywood erreicht hat. Soviel an gossip und Boulevard, an Gefühl und Verführung, an sense und sensibility, fast mehr, als ein abendfüllender Film fassen könnte. Zugleich sind die Mitfords ein leibhaftiges Paradigma, ein Code für die Extreme des 20. Jahrhunderts: eine Ansammlung ungleicher Schwestern, die als Trabanten Geschichte schrieben; It-Girls avant la lettre.
Daß ausgerechnet Karlheinz Schädlich, jener IM Schäfer, der seinen eigenen Bruder der Stasi ans Messer lieferte (1992 publik geworden) und der sich 2007 das Leben nahm, die deutsche Biographie der Mitfords schrieb (Erstausgabe 1990, antiquarisch erhältlich), gibt der Sache eine weiteren, höchst passenden Beigeschmack. Charlotte Mosley, die Schwiegertochter des britischen Faschistenführers Oswald Mosley, und somit gleichsam eine angeheiratete Mitford, hatte 2007 den bizarren Briefwechsel (eine Auswahl unter 12000 Briefen!) der Mitford-Schwestern herausgegeben; ein Schatzkästlein für den, der sich auf die halb bittere, halb amüsante Suche begeben mag nach den leidenschaftlichen Launen der britischen upper class des vergangenen Jahrhunderts.
Heute lebt von den einst sieben Geschwistern nur noch Deborah, Herzogin von Devonshire, das artige und schmiegsame Nesthäkchen von Lady und Lord Redesdale. Bereits die Eltern, ein »bemerkenswert schönes Paar« (Schädlich), waren noch eine Spur skurriler, als es gemäß dem stereotypischen Bild britischem Provinzadel ohnehin nachgesagt wird. Ein Schulbesuch der Mädchen wurde strikt abgelehnt (bei der schwererziehbaren Unity wagte man es, sie flog von allen Internaten), man verweigerte sämtliche Impfungen und mißtraute grundsätzlich ärztlichem Rat. Medikamente wurden mit Abscheu entsorgt, direkt nach einer Blinddarmentfernung wurde mütterlicherseits Bewegung statt Bettruhe verordnet, desgleichen nach Knochenbrüchen. Bewegung, Bewegung, nur so könne »der gute Körper« triumphieren! Notwendige Operationen hatten unter elterlichen Aufsicht im häuslichen Krankenzimmer stattzufinden. Lady Redesdales Bruder hatte eine eigenwillige Theorie zum Verlauf der englischen Geschichte publiziert. Demnach sei der Volkscharakter »in starkem Maße ein Produkt des Erdbodens.« Durch den Einsatz von chemischem Dünger sei »Englands Mannheit allzu zahm« geworden; nur ein durch Schimmelpilze, Bakterien und Regenwürmer vitales Erdreich könne englischen Körper und Geist kräftigen. Auch dem Gesetz, das die Pasteurisierung von Milch vorschrieb, galt der Kampf des Onkels.
Lady Redesdale, Herrin einer Hühnerfarm im doppelten Sinne, unterstützte diese Ideen und fügte weitere Regeln hinzu: Es gab nur hausgebackenes Brot, keine Konserven und im übrigen kein Schweinefleisch, da, so die Lady, die Juden immerhin von Krebs verschont blieben. Von der »albernen Bazillentheorie« hielten die Eltern nichts. Die Kinder wurden auch dann zu Festen und Empfängen mitgenommen, wenn sie vor Keuchhusten würgten oder mit Windpocken übersät waren. Mag dieser exzentrische Nonkonformismus eine verschrobene Tugend oder Zwang gewesen sein – er ist einer der Wegweiser für die Lebensläufe der Töchter.
Der Lord, habituell Knut Hamsun ähnelnd (wenngleich mit einem jähzornigen Zug), beaufsichtigte sämtliche Geburten seiner Kinder. Sein strenges Auge wachte auch später über deren Umgang: Keine »Hunnen«, keine Franzosen, keine Amerikaner und keine Schwarzen durften als Gäste ins Haus gebracht werden. Nebenbei war man eng verwandt sowohl mit Winston Churchill als auch mit Bertrand Russell. Lord Redesdales Vater war mit der Familie Richard Wagners eng befreundet, die Reise zu den Bayreuther Festspielen war obligatorisch. Jener ältere Redesdale hatte auch das Vorwort zu Houston Stewart Chamberlains berüchtigtem Werk Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts verfaßt. Ab 1926 residierten die Redesdales in Swinbrook, einem rund dreißig Kilometer von Oxford entfernten Nest. »Es hatte das utilitaristische Aussehen einer Institution und könnte eine kleine Kaserne sein, ein Mädcheninternat oder eine private Irrenanstalt«, so beschreibt Jessica Mitford das festungsgleiche Anwesen. Von dort aus traten die Geschwister ihre teils exzentrischen, teils heillosen, jedenfalls außergewöhnlichen Lebenswege an.
Lady Redesdale gebar ihrem Gatten einen Sohn und sechs Töchter. Tom, Drittgeborener, hatte sich im Zweiten Weltkrieg als durch-und-durch Germanophiler und Hitlerverehrer das Privileg erbeten, nicht gegen deutsche Truppen kämpfen zu müssen. Er starb sechsunddreißigjährig als erstes der Geschwister 1945 in Burma an einem Bauchschuß, den ihm ein japanischer Scharfschütze verpaßte. Blieben die Töchter: Nancy (1904–1973), Pamela (1907–1994), Diana (1910–2003), Unity Valkyrie (1914–1948), Jessica (1917–1996) und Deborah, geboren 1920.
Nancy, die Älteste, war wohl die Klügste, sicher aber die Scharfzüngigste der Schwestern. Sie zeichnete sich durch einen harten Blick auf die Schwächen anderer aus. »Wißt ihr eigentlich, wie grauenhaft eure Namen in der Mitte klingen«, ärgerte sie ihre jüngsten Geschwister Unity, Jessica und Deborah, »Nit, sic und bor-?« Übersetzt: Nisse, zum Kotzen, Langweiler. Nancy liebäugelte eine kurze Zeit mit der British Union of Fascists (B.U.F.), kaufte mit ihrem Mann blackshirts (das schwarze Hemd der Bewegung) und veröffentlichte eine wahre Eloge auf »unseren Führer Sir Oswald Mosley«: »Bald werden die Straßen unter dem Tritt der schwarzen Bataillone hallen, bald werden wir der Welt zeigen, daß der Geist unserer Vorfahren noch in uns lebendig ist, bald werden wir, durch einen heiligen Glauben vereint, für die Größe Britanniens kämpfen.« Angewidert vom proletarischen Straßenkampfgebaren der Blackshirts, stieg Nancy aber rasch aus der Bewegung aus, später war sie flammende Gaullistin. Sie blieb kinderlos und wurde – nach einem Suizidversuch – eine berühmte Schriftstellerin. In ihrem Roman Wigs on the green (1935) verarbeitete sie satirisch ihren Flirt mit der faschistischen Bewegung. Da das Buch ganz offenkundig autobiographisch geprägt war und von mokanten familiären Anspielungen strotzte, kam es zum Bruch mit Diana.
Diese, eine ausgewiesene Schönheit, hatte ihren Ehemann, den dichtenden Brauerei-Erben Bryan Guinness, mitsamt den gemeinsamen Söhnen zugunsten des charismatischen B.U.F.-Gründers Oswald Mosley verlassen. Zuvor aber hatte ein Dreigestirn aus Diana, Bryan Guinness und dem gemeinsamen Freund Evelyn Waugh einen Mittelpunkt der jungen Londoner Partyszene gebildet. Man lud zu aberwitzigen Motto-Festen ein und mischte die Kunstszene auf. Jessica Mitford berichtet von einem witzigen Coup: Bryan und Diana finanzierten die Ausstellung eines avantgardistischen Künstlers namens Bruno Hat. »Hat, ein Pole, saß im Rollstuhl in einer Ecke, das Gesicht von einem Schal halb verhüllt und murmelte unverständliche Laute, wenn man ihn etwas fragte.« Seine Werke, sichtlich anspruchsvoll und bedeutungsschwanger, bestanden aus Korken, Wollestücken und Glassplittern. »Am nächsten Tag brachten die Zeitungen ausführliche und ernsthafte Kritiken der Ausstellung. Aber schließlich sickerte das Geheimnis durch. Bruno Hat war ein britischer Freund von Bryan und Diana, in perfekter Verkleidung.«
1932 wurde Diana die Geliebte Oswald Mosleys. Da hatte der erstklassige Degenfechter und vermögende Hedonist bereits einen Teil seiner politischen Karriere hinter sich. Er, der sich als Sozialist empfand, hatte für Labour als Minister im Unterhaus gesessen und nach dem Bruch mit der Arbeiterpartei die New Party gegründet, ein Mißerfolg. Oktober 1932 rief er die B.U.F. ins Leben und etablierte »Hail Mosley« als Gruß. Der Frauenheld war verheiratetet und beabsichtigte nicht, sich wegen Diana von seiner Gattin zu trennen. Erst nach amourösen Umwegen – Mosley vergnügte sich nach dem frühen Tod seiner Ehefrau zunächst mit deren Schwester und hielt sich Diana als Zweitgespielin – kam es 1936 zur Hochzeit zwischen Diana Mitford und Mosley. Wegen des »Geredes« – die Mitfordschwestern fanden sich da bereits regelmäßig in den Schlagzeilen – wurde heimlich geheiratet, in Hitlers Arbeitszimmer, Goebbels war Trauzeuge. Magda Goebbels und Diana verband eine enge Freundschaft.
Zu diesem Zeitpunkt war Unity bereits eine überzeugte Nationalsozialistin. Die fünfte in der Geburtenfolge galt als das schwierigste Kind. Gezeugt sei sie, so berichten es die Biographen, in einer kanadischen Goldgräbersiedlung namens Swastika geworden, die ihr Vater in einem – erfolglosen – Anfall von Goldrausch erworben hatte. Das permanent schlechtgelaunte Kind verschliß Gouvernanten en masse, hielt sich Schlangen und ließ während einer Festgesellschaft weiße Mäuse auf die Gäste los.
Unity, die mit ihren blauen Augen, dem flachsfarbenen Haar und ihrer Hünenhaftigkeit aussah »wie eine zottelige Wikingerin« (Nancy Mitford), hatte 1933 Oswald Mosley kennengelernt. Sie wurde sogleich Mitglied der B.U.F., wobei ihr das blackshirt nicht genügte: Unity ließ sich einen Kampfanzug nähen. Ebenfalls in diese Zeit fällt ihr erster, von den Eltern sehnlichst erbetener Aufenthalt in Deutschland (Vorwand: die Sprache lernen, gerade dieses lernfaule Kind!) sowie eine überlieferte, schrille Schallplattenaufnahme mit Unitys Stimme: »The Yids, the Yids, we gotta get rid of the Yids«, wir müssen die Juden loswerden. Während die nächstjüngere und bis dahin engstverbundene Schwester Jessica zu Hause Leninbüsten aufstellte und als »Ballsaalkommunistin« (J.M. über J.M.) anarchistischen Utopien nachhing, verfolgte Unity einen strikten Plan: Adolf Hitler persönlich kennenzulernen. Sie verfolgte jeden seiner Schritte, jede Äußerung aus seinem Mund. Aufgeregt schrieb sie am 1. Juli 1934 an Diana über die »terrific Röhm affaire«: »I am so terribly sorry for the Führer – you know, Röhm was his oldest comrade & friend, the only one that called him ›du‹ in public.« Diana müsse sich dringend mal ihre Postkartensammlung ansehen: 304 Hitlerphotos! »Poor sweet Führer, he is having such a dreadful time.« Unity schrieb auch, daß sie ihren Blasenmuskel trainiere – für den Fall, daß sie in einer akut revolutionären Situation bestehen müßte, ohne die Möglichkeit auszutreten.
Von ihrem deutschen Friseur erfuhr sie schließlich, wo ihr Idol zu speisen pflegte. Unity saß so lange Tag für Tag in der Münchener Osteria Bavaria, bis Hitler Anfang 1935 darum bat, diesem »Urbild einer Germanin« vorgestellt zu werden. Hitler fühlte sich geschmeichelt, daß eine Angehörige der britischen Oberschicht seinetwegen nach Deutschland gereist war. In zeitgenössischer Terminologie würde man sagen: Unity Mitford war eine Stalkerin, mindestens ein Groupie, ein Hitler-Groupie. Über vier Jahre folgte sie ihrem Angebeteten auf Schritt und Tritt, reiste ihm gar auf Auslandsaufenthalten hinterher. Der Pressechef der NSDAP, Ernst »Putzi« Hanfstaengel, fungierte als Türöffner. Eva Braun beklagte sich in ihrem Tagebuch (Mai 1935) bitter, daß »er« anscheinend »Ersatz für mich« habe. »Er heißt Walküre und sieht so aus, die Beine mit eingeschlossen. Aber diese Dimensionen hat er ja gerne …«
Zwischen Februar 1935 und September 1939 sind rund 150 Treffen zwischen Unity Mitford und Hitler zu verzeichnen. Eine vor ein paar Jahren im britischen Channel 4 ausgestrahlte Sendung (leicht auf Youtube aufzufinden) nährte abermals das Gerücht einer folgenreichen Liasion zwischen den beiden. Den deutschen Illustrierten war die Mitford jedenfalls bekannter als Eva Braun. Verbrieft ist, daß die lernresistente Unity bald vortrefflich Deutsch sprach, daß sie, regelmäßige Bayreuth-Besucherin, Gesangsunterricht nahm, um eines Tages die Elsa in Wagners Lohengrin zu geben und daß sie von Hitler selbst zu Gesprächen in engsten Kreisen zugelassen war. Schädlich zitiert Albert Speer: »Er schätzte ihre Offenheit und sagte, das sei die britische Art. (…) Wenn einer in der Runde etwas sagte und Hitler darauf ablehnend reagierte, wagte keiner außer ihr zu widersprechen. Sie tat es. (…) Wenn Miß Mitford seine Aufmerksamkeit auf irgendeine beiläufige Sache lenkte, regte er sich auf, und es kostete einen gewaltigen Aufwand, die Sache wieder in Ordnung zu bringen.« Speer bezweifelte allerdings, daß »mehr stattfand als Händchenhalten.«
Bereits während der Bayreuther Götterdämmerung im August hatte Unity Diana zu verstehen gegeben, sie wolle die »heraufziehende Tragödie« nicht erleben. Am 3. September 1939 – alle anderen deutschlandbegeisterten Engländerinnen wie »Daphne« und »Betsy« waren längst in ihre Heimat ausgeflogen worden – ließ Unity ein Päckchen an Hitler abgeben, ein signiertes Hitlerportät, ihr Parteiabzeichen sowie einen Abschiedbrief enthaltend: Sie könne einen Krieg zwischen England und Deutschland nicht ertragen. Am gleichen Tag schoß sie sich im Englischen Garten mit einer Pistole in den Kopf. Der Suizidversuch mißlang, die Kugel blieb inoperabel im Hinterkopf stecken. Unity war teilweise gelähmt und verlor die Sprache. Die fand sie wieder, als Hitler sie im November endlich besuchte. Es heißt, daß Hitler ihr das Parteiabzeichen zurückgab. Sie soll es vor seinen Augen verschluckt haben und den Wunsch geäußert haben, sie wolle zurück nach England. Hitler übernahm die Klinikkosten. Unity überlebte, gewissermaßen als Schwerbehinderte (und als Scheidungskind; Anlaß des Zerwürfnisses soll Lady Redesdales wachsende Hitler-Euphorie gewesen sein, während der Lord Hitler zunehmend ablehnte) weitere achteinhalb Jahre.
Während Pamela wie Deborah Mitford unpolitisch blieb – obgleich ihr Mann begeisterter Mosley-Anhänger war – und ein kinderloses Leben als Hundeliebhaberin führte, wandte sich Jessica Mitford, bis zum frühen Erwachsenenalter Unitys engste Vertraute, beizeiten kommunistischen Ideen zu. In ihrem jugendlichen Fanatismus kämpften die beiden Rücken an Rücken und malten sich aus, »wie es wohl wäre, wenn eines Tages die eine das Kommando bei der Hinrichtung der anderen zu geben hätte« (Jessica Mitford). Jessica war elektrisiert von den subversiven Machenschaften ihrer beiden – ihr persönlich unbekannten – adeligen Vettern Romilly, die an deren militärisch ausgerichteter Schule eine pazifistisch-anarchistische Zeitschrift herausgaben, was für Schlagzeilen in den seriösen Medien sorgte. Der 15jährige glühende Antifaschist Esmond Romilly wurde zum Idol für die zwei Jahre ältere Jessica; sie verfolgte über Jahre die Aktivitäten des Churchill-Neffen, der im Herbst 1936 für die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte.
Bei einem Heimaturlaub Esmonds lernten sich die beiden kennen und lieben, Jessica setzte sich heimlich ab, sie folgte ihrem Angebeteten in den Krieg, wenn auch in zivilen Diensten. Das chaotische Pärchen, notorisch großtuerisch, ungeschickt und verspielt im Umgang mit Geld, fand sich bald wieder in England. Philip Toynbee, kommunistischer Sohn Arnold Toynbees, zählte zu ihren engsten Freunden. Esmond, strikter Kommunist nach wie vor, probte das Glücksspiel, verkaufte Strümpfe, gründete eine Werbeagentur und widmete sich der kommerziellen Marktforschung, die damals aufkam. 1939 emigrierten sie in die USA, Jessica verdingte sich als Barfrau und Boutiqueverkäuferin und trat der American Communist Party bei. Esmond fiel 1942. Zu diesem Zeitpunkt war Unity ein Pflegefall, Diana war seit zwei Jahren in Haft wie Mosley. Sie ahnte nicht, daß ihre Schwester Nancy, die ihr bereits wieder herzliche Briefe schrieb, sie angeschwärzt hatte und auch nicht, daß Jessica 1943 eine Beschwerde an Onkel Churchill geschrieben hatte, nachdem bekannt worden war, daß die Mosleys begnadigt werden sollten: »Eine Freilassung wäre ein absoluter Verrat, an all jenen, die für die antifaschistische Sache gestorben sind.«
Für Jessica und Diana war das Elternhaus schon ab Mitte der dreißiger Jahre verschlossen geblieben. Keine der notorischen Schwestern hatte im Anschluß an die bewegten Jahre das eigene Tun je widerrufen, bereut oder in abmildernder Absicht zurückgenommen. Sie schrieben sich alle weiterhin, nach wie vor unter Verwendung niedlichster Kosenamen. Zu einem endgültigen Bruch kam es zwischen Diana und Jessica, nachdem der britische Publizist David Pryce-Jones 1976 eine Biographie über Unity veröffentlicht hatte. Jessica, mittlerweile eine prominente US-Autorin, hatte ihm zugearbeitet. Die anderen Geschwister hielten das Buch für ein »nasty« Machwerk. Diana veröffentlichte 1977 ihre Memoiren, worin Hitler freundlich gewürdigt wurde – ein Skandal!
Skandale über Skandale, sie durchziehen das Leben der leidenschaftlichen Schwestern. Keine der Mitfords, weder die linke noch die rechten, hat politische Programme oder auch nur den Ansatz einer Theorie verfaßt. Sie gehören zu den »It-Girls« ihrer Zeit, zu den jungen Frauen mit dem »gewissen Etwas«: Sie fungierten als Gespielinnen, als Schmuck von Männern, die je wenigstens ein Rädchen oder sogar ein Rad der Weltgeschichte bewegten. Die Mitfords inspirierten, beflügelten, waren Mithörerinnen, wirkten als Beschleunigerinnen oder Bremserinnen. So ist es mit den It-Girls übrigens bis heute: Man sonnt sich im Strahl des größeren Sterns. Oder: Einer denkt, eine lenkt.