Beide haben mehrere gewichtige Bücher zu Wagner vorgelegt, die längst als Referenzwerke gelten, und überdies geben sie das interdisziplinäre Wagnerspektrum heraus, dessen jüngste Ausgabe »jüdischen Wagnerianern« gewidmet ist (Bd. 17, Würzburg: Königshausen & Neumann 5/2013. 328 S., 18 €). Es ist daher kaum verwunderlich, daß ihre neuesten, zum Wagnerjahr erschienenen Bücher keine ganz neuen Perspektiven mehr eröffnen, sondern eher gelassene Resümees ihrer jahrzehntelangen Forschungsarbeiten bieten. Gerade damit aber empfehlen sie sich als – vorzüglich sich ergänzende – Einführungen in Wagners Werk und Wirken.
Während Borchmeyer das künstlerische Schaffen ins Zentrum seiner kulturhistorisch versierten Biographie Richard Wagner. Werk – Leben – Zeit (Stuttgart: Reclam 2013. 404 S., 22.95 €) stellt, konzentriert sich Bermbach in seiner ideologiehistorischen Rekonstruktion des vielgestaltigen Mythos Wagner (Berlin: Rowohlt 2013. 336 S., 19.95 €) auf dessen einschlägige Wirkungsgeschichte. Mit Seitenblick auf die zeitgenössische Sekundärliteratur kommt freilich auch Borchmeyer nicht um die Feststellung herum, daß Wagner bis heute »ein Ärgernis« geblieben ist: »An ihm arbeitet sich das schlechte Gewissen der unheilvollen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ab, auf ihn projiziert sich die Scham über jene Geschichte als deren Menetekel, ihren bedrohlichen Vorboten und finsteren Schatten.«
In Anbetracht solcher Befangenheiten, die vielfach zu reduktionistischen Kurzschlüssen vom Leben aufs Werk verleitet haben, weist Borchmeyers Biographie umso entschiedener den grassierenden Biographismus zurück und unternimmt es stattdessen, Wagners Lebensstationen und ‑peripetien von der Ideenwelt seiner Kunstmythen her zu deuten. So wird den Bühnenwerken ihre ästhetische Autonomie und utopische Potenz zurückerstattet, ohne daß darüber Wagner als Mensch in seinem Allzumenschlichen ausgeblendet würde. Seinem notorischen Antijudaismus etwa gibt Borchmeyer die dialektische Deutung, Wagner habe die für ihn selbst bedrohlichen Elemente seiner künstlerischen Modernität auf das Judentum projiziert, um einer auf den Nihilismus zusteuernden Moderne durch ein ästhetisch geläutertes und kulturmessianisch umgedeutetes Christentum überzeugender Einhalt gebieten zu können.
Umsichtig zeigt sich auch Udo Bermbach, der schon deshalb auf keine aggressive Entzauberung des Wagner-Mythos abhebt, weil er von dessen nach Kriegsende bereits vollzogener Entmythologisierung als einer historisch irreversiblen Tatsache ausgeht. Zwar zeichnet Bermbach noch einmal die »reaktionäre« Ideologisierung Wagners vom Zweiten bis zum Dritten Reich nach, doch setzt er den »revolutionären« Idealismus Wagners nicht mehr so enthusiastisch dagegen ab wie in früheren Arbeiten. Nunmehr nimmt Bermbach auch die von Wagner selber schon betriebene Selbstmythologisierung in den Blick, welche den chaotischen Barrikadenkämpfer zu einem charismatischen Heilsbringer werden ließ, der schließlich in Bayreuth eine »Ersatzmonarchie« errichten wollte.
Indessen weiß Bermbach die symbolträchtigen und mythentauglichen Ereignisse und Episoden von Wagners Leben so geschickt aufzurufen und anzuordnen, daß er insgeheim seinerseits am Nornen-Seil dieses Lebensschicksals weiterzuweben scheint – gerade so, als wollte er seiner eigenen Auf- und Abgeklärtheit erzählerisch entgegenwirken. Kaum zufällig läßt Bermbach sein Buch mit Wagners Tod in Venedig beginnen, der schon Gabriele D’Annunzio dazu verführte, die hochherrschaftliche Überführung des Leichnams nach Bayreuth romanhaft aufzubereiten. Am Ende scheint der Mythos Wagner, der neben Symbolen nationaler Erneuerung und ästhetischer Erlösung immer auch Allegorien kulturellen Verfalls bereitgehalten hat, seinen eigenen Untergang überlebt zu haben.
Zu den wenigen Autoren, die daran erinnern, daß auch Wagners Gegenspieler Guiseppe Verdi in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiert, gehört der preußische Historiker Eberhard Straub. Seine Doppelbiographie Wagner und Verdi. Zwei Europäer im 19. Jahrhundert (Stuttgart: Klett-Cotta 2013. 352 S., 24.95 €) feiert denn auch zwei europäische Patrioten, die erst die Nachwelt zu glühenden Nationalisten erklärt und als Nationalkomponisten eingemeindet habe. Einleitend erinnert Straub an den musisch gebildeten und für ein demokratisches Europa der Völker kämpfenden Risorgimento-Revolutionär Giuseppe Mazzini, in dessen Filosophia della musica sich bereits die Idee eines »Gesamtkunstwerks« vorgedacht findet, wie Wagner und Verdi sie auf ihre jeweils einzigartige Weise verwirklichen sollten.
Vor diesen konzeptionellen Gemeinsamkeiten verliert für Straub nicht nur die klischeehafte Gegenüberstellung von ernster deutscher Musikdramatik und heiterer italienische Opernkunst an Bedeutung, sondern auch jenes menschlich Trennende, daß die beiden Titanen, die ihren Ruhm wechselseitig kritisch beäugten, sich doch trotz mehrfacher Gelegenheiten nie Aug in Aug begegnen wollten. Immerhin lernte Verdi Mazzini noch persönlich kennen, und Wagner bewunderte den italienischen Freiheitskämpfer zumindest aus der Ferne. In der Art, wie Straub die persönlichen Lebensschicksale seiner Protagonisten in die politischen Schicksale Deutschlands und Italiens einbettet, bewährt sich seine Profession: hier schiebt kein Biograph historische Kulissen, sondern ein kundiger Historiker weist in gediegener Sprache Wagner und Verdi als künstlerische Exponenten der wegweisenden Kräfte ihres Zeitalters aus, nicht ohne so zugleich die deutsch-italienische Wahlverwandtschaft in Erinnerung zu bringen.
Eher für Fortgeschrittene bestimmt ist dagegen Rüdiger Jacobs’ Studie Richard Wagner. Konservativer Revolutionär und Anarch (Graz: Ares 2013. 332 S., 29.90 €), die eine strenge Interpretation von Wagners theoretischen Schriften leistet, denen der Autor sogar philosophische Dignität zuerkennt. Dabei weiß Jacobs seine schon im Titel formulierte These ebenso einfach wie einleuchtend zu begründen: das »Konservative« in Wagners Denken liege in der Sehnsucht nach dem »Immergültigen«, einem herrschaftsfreien »Reinmenschlichen« beschlossen, welches der historische Staat und die bürgerliche Gesellschaft unter sich begraben hätten; und entsprechend ziele Wagners mitnichten linke »Re-volution« buchstäblich auf eine »Rück-wendung« von einer fortschrittlich zerfallenden Moderne zu einem zeitlos wahren und schönen Menschheitszustand. Von dieser anarcho-ästhetizistischen Metapolitik Wagners bahnt sich Jacobs, abenteuerlich beherzt, schließlich einen Weg zu Ernst Jüngers Typus des »Anarchen«.
Demgegenüber bewegt sich Gottfried Wagner auf dem ausgetretenen Trampelpfad, der von Wagner zu Hitler führt. Sein neues Buch Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard Wagner – ein Minenfeld (Berlin: Propyläen 2013. 304 S., 19.99 €) nimmt sich wie eine politische Rationalisierung jener biographisch erklärlichen Schuldkomplexe aus, die der Autor bereits vor Jahren bekenntnishaft ausgebreitet hat. Aber gerade im Jubiläumsjahr wähnte sich Wagners Urenkel berufen, als prophetischer Mahner unter die allzu sorglos Feiernden zu treten und ihnen die Festtagssuppe gehörig zu versalzen: das Wagnersche Erbe sei eine »tickende Bombe« – nicht nur »antisemitisch« und »rassistisch«, sondern obendrein noch »autoritär«, »antidemokratisch« und »frauenverachtend«. Als »mit den Grundsätzen menschlicher Ethik unvereinbar« verfemt er insbesondere Wagners umfangreiches Schrifttum, diesen »strahlenden Giftschrank aus einer Vergangenheit, die es verantwortungsvoll zu entsorgen gilt.«
Und um die Musikdramen gleich mit zu entsorgen, entblödet sich der Autor nicht, den Dichter-Komponisten für die im Ring vorfallenden Gewalt- und Sexualverbrechen allen Ernstes als »Täter« anzuklagen und seine Klangwelten zu einer auf den »Orgasmus des Publikums« berechneten »Drogenmusik« zu entwerten. Indem er die Freude an Wagners Musik, die er selbst eingestandenermaßen nicht empfinden kann, nothaft auch deren Liebhabern vergällen muß, läßt Gottfried Wagner einem neiderfüllten Sadismus freien Lauf, der seinem inquisitorischen Hypermoralismus insgesamt seine destruktive Energie verleiht. Ersichtlich hat dem promovierten Musikwissenschaftler ein familienneurotisches Ressentiment nicht nur den Verstand, sondern auch Gefühl und Gehör ruiniert. In seinem um wissenschaftliche Seriosität unbekümmerten Entlarvungsfuror stellt dieses Buch fraglos einen Tiefpunkt in der traditionsreichen Geschichte wagnerfeindlicher Publizistik dar. Die Anhänger Wagners dürften sich darüber amüsieren, die Gebildeten unter seinen Verächtern aber werden sich dafür schämen – und, weil früher alles, auch der Antiwagnerismus, besser war, vielleicht einmal wieder in Nietzsches Fall Wagner oder Adornos Versuch über Wagner schmökern.