um in der Diktion der Zeit zu bleiben, „alternativlos“. Welche Folgen das bisher schleichend verlaufene Gesellschaftsexperiment haben wird, nun beschleunigt durch Hunderttausende von kulturfremden, vorwiegend islamischen „Asylshoppern“, ist nicht absehbar. Wir befinden uns in einem beispiellosen gesellschaftlichen Selbstversuch mit offenem Ausgang.
Sicher scheint nur eines: Das Gesicht (Mittel-)Europas wird sich nachhaltig verändern, und zwar in eine Richtung, die die Verfechter der multikulturellen Ideologie und ihre Hilfstruppen seit Jahrzehnten zu befördern suchen. Nun bekommen sie mit der Massenzuwanderung eine Brechstange in die Hand, mit der sich dieser Prozeß noch einmal deutlich beschleunigen dürfte. Da ist es allemal Zeit, sich mit neuen Lichterketten zu feiern.
Wie konnte, diese Frage stellt sich dieser Tage, eine derartige Ideologie, die letztlich in der Zerstörung des „Eigenen“ mündet, eine derartige Wirkmächtigkeit entfalten, daß Widerstand nur mehr marginal geleistet wird? Ein Grund liegt m. E. in dem Umstand, daß die Kritik an dieser Ideologie im deutschsprachigen Raum seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten daran leidet, daß der komplexe ideengeschichtliche Hintergrund der multikulturellen Ideologie eher sporadisch, um nicht zu sagen oberflächlich, behandelt wird.
Auch die rechts-konservative Kritik tut manchmal so, als erschöpfe sich diese Ideologie in einer Art regenbogenfarbenen Ringelpiez mit Anfassen realitätsblinder „Gutmenschen“, die im Grunde nicht wissen, was sie tun. Das aber ist eine eklatante Verkennung der Entschlossenheit jener Kulturrevolutionäre, die, im Zeichen von vermeintlicher „Humanität“ und „Toleranz“, seit langem eine radikale und vor allem unwiderrufliche Veränderung des Gesichts Europas im Auge haben.
Die Anfänge dieses Kulturkampfes liegen in den 1960er Jahren. Die entscheidenden Weichenstellungen fanden – allerdings in einem subtilen Wechselspiel mit intellektuellen Moden in Westeuropa, auf die wir in einem weiteren Blog noch zu sprechen kommen werden – im „melting pot“ USA statt. Ideengeschichtlich kam hierbei, und das ist auf dem ersten Blick einigermaßen überraschend, unter anderem den literaturwissenschaftlichen Fakultäten der USA eine katalysatorische Bedeutung zu.
Bis in die 1960er Jahre hinein ging es hier nämlich eher unpolitisch zu; die Auslegung literarischer Texte orientierte sich an der Methode des New Criticism, die vor allem textimmanent ausgerichtet war. Soziale, ökonomische oder politische Rahmenbedingungen wurden eher nicht in den Blick genommen.
Ende der 1960er Jahre setzte indes ein bedeutsamer Umbruch ein, kamen doch viele linke Aktivisten zu dem Ergebnis, daß eine Veränderung der amerikanischen Gesellschaft am besten mit kulturrevolutionären Mitteln zu erreichen sei. Ein Instrument, das ihnen geeignet erschien, war die Literaturwissenschaft, und zwar unter anderem deshalb, weil sie sie als „Bollwerk der amerikanischen Hochkultur“ betrachteten , wie der Politikwissenschaftler Mathias Hildebrandt in seiner umfangreichen Arbeit über „Multikulturalismus und Political Correctness in den USA“ (2005) anmerkt. Dieses „Bollwerk“ galt ihnen als Ausdruck der „repressiven“ Kultur der White Anglo-Saxon Protestants (WASP); ihr Ziel war die Umwertung ihrer Werte. Die kulturrevolutionäre Umwertung dieser Wissenschaft durch die radikale politische Linke in den USA, die sich aus den Aktivisten der „Neuen Sozialen Bewegungen“ speiste,
bedeutete aus deren Sicht „einen ersten Schritt in einer kulturrevolutionären Bekämpfung“ von Imperialismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie usw. Ein Professor für English and American Studies beschrieb den Geist jener Jahre (der auch heute noch nur zu vertraut klingt) wie folgt:
Wir arbeiten in Friedensorganisationen, Frauengruppen, Netzwerken, die Zentralamerika unterstützen, Mietervereinen, Gruppen, die für die Rechte von Homosexuellen kämpfen, fortschrittlichen Vereinigungen, Gruppen, die sich für Autonomie der Palästinenser einsetzen …
(Übersetzung M. W.)
Diese Radicals bedienten sich nicht bei den diskreditierten, marxistisch inspirierten Theorien, sondern vor allem bei den „postmodernen“ Theorien, auf die ich in einem der nächsten Beiträge noch genauer eingehen werde. Ihre Hoffnungen setzten sie, so Hildebrandt, auf den sich gerade entfaltenden Multikulturalismus.
Originell in ihrem Denken waren die Radicals freilich keineswegs, handelte es sich doch, wie Hildebrandt klarmacht, „um Sozialisten, Neomarxisten, Feministen und Postmodernisten“, die bald als „unkündbare Radikale“ (meint: Dozenten) an den Universitäten zu Agitatoren des Multikulturalismus wurden. Mit ihnen kamen Begriffe wie Politics of Difference, Identity Politics, Speech Codes (aktuelles Beispiel: das Gender-Deutsch), Cultural Sensitivity oder Political Correctness auf, die, in welchem begrifflichen Mantel auch immer, bis heute Konjunktur haben und als dernier cri aufgeklärten Gutmenschentums gelten.
Hauptkampfplatz der Radicals war die Sprache; folgerichtig rückte unter anderem der Begriff „politically correct“ ins Zentrum des Kulturkampfes. Mathias Hildebrandt macht in seiner Arbeit darauf aufmerksam, daß der Begriff „politically correct“ bis in die Anfangsjahre der Geschichte der USA zurückverfolgt werden kann. Richtig in Mode kam er allerdings erst in der Mitte der 1960er Jahre in den Kreisen der Black Power Movements und der Neuen Linken. Schon bald setzte eine Diskussion über die Ursprünge dieses Begriffes ein. Hier einige Thesen, die verdeutlichen, in welchem Umfeld dieser Begriff zu verorten wäre:
Die Literaturwissenschaftlerin Ruth Perry vertritt die Auffassung, daß die Wiederbelebung des Begriffs „politically correct“ durch die Übersetzung der Schriften von Chinas „großem Steuermann“ Mao Tse-Tung ausgelöst wurde. Mao benutzte nämlich häufig das Wort „korrekt“, so wenn er von „korrekten“ und „fehlerhaften Gedanken“ sprach.
Müßig zu sagen, daß die Position Maos das „korrekte Denken“ widerspiegelte. „Politisch unkorrekt“ bedeutete nach Perry in den späten 1960er Jahren, sich wie „Onkel Tom“ zu verhalten, also „nichtrevolutionär“, oder wie ein „schmuddeliger Hippie“.
Der Publizist Paul Berman konstatiert, der Begriff „politically correct“ sei innerhalb der leninistischen Linken en vogue gewesen: „,Politisch korrekt‘ war ursprünglich eine billigende Redewendung innerhalb der leninistischen Linken, der standfest die Parteilinie vertrat.“
Der Soziologe Todd Gitlin hingegen verortet den Begriff in seinem 1995 erschienenen Buch „The twilight of common dreams“im Stalinismus der 1930er Jahre:
Den Begriff gibt es etwa seit den 1930er Jahren. „Korrekt“ war ein stalinistisches Relikt. In einem Milieu, in dem bestimmte Texte (die „Wissenschaft“ des Marxismus-Leninismus), eine bestimmte Nation (die Sowjetunion) und ein bestimmter Mann (Stalin) oder … Männer (Lenin und Trotzki) über allem standen und den Code der Geschichte geknackt zu haben, oder im Besitz des Wissens zu sein schienen, wie sich die Welt fortentwickelt, war „korrekt“ ein Zertifikat … Es vermittelte historische Gewißheit mit arithmetischer Präzision. Der Begriff ging von der Annahme aus, daß es um ein vollständig stimmiges, rationales Gedankensystem ging. Korrekt zu sein bedeutete, mit dem Ansehen dieses Systems ausgestattet zu sein und des Sieges sicher zu sein. Auf der Gegenseite bedeutete der Stempel, nicht korrekt zu sein, der äußerten Dunkelheit anheimzufallen.
(Übersetzung M. W.)
In diesen Zitaten finden sich viele Ingredienzien dessen, was heute „politische Korrektheit“ bedeutet. Auch die heutigen Exponenten von Multikulturalismus und Zuwanderung – die kaum wissen dürften, auf welchem ideengeschichtlichen Boden ihr „korrektes Denken“ steht – und deren bürgerliche Adepten bis hinein in die christlichen Kirchen, die sich den speech codes der Multikulturalisten nur zu willig unterwerfen, reklamieren für sich, ein „stimmiges rationales Gedankensystem“ zu vertreten, während sie ihren (rechts-konservativen) Konterrevolutionären „Irrationalität“ unterstellen, die sich „dumpf“ wahlweise als „Rassismus“, „Rechtspopulismus“, „Nationalismus“ usw. artikuliert.
Nichts anderes meint bei Lichte betrachtet, um ein aktuelles Beispiel zu bringen, die manichäische Unterscheidung des Bundespräsidenten Gauck vom „hellen“ und „dunklen Deutschland“: Wer nicht „korrekt“ (= „rational“ im Sinne der politisch Korrekten) denkt – und spricht! –, ist, siehe oben, Teil der „äußersten Dunkelheit“. Nur am Rande sei hier vermerkt, daß die Bezeichnung „Manichäer“ in der Spätantike von Christen oft als Synonym für „Häretiker“ benutzt wurde, was dem einstigen evg.-luth. Pastor Gauck eigentlich geläufig sein müßte …
En passant: Hier liegt m. E. ein entscheidender Grund für die Beobachtung von Jean Raspail, daß „die Mehrheit“ die „Liebe für ihr Vaterland vollständig verloren“ habe. Der entscheidende Satz Raspails lautet: „Man gibt den Menschen keine Möglichkeit, ihr Land zu lieben, man lehrt sie ihre Geschichte nicht mehr.“ Wenn sie aber ihr Land nicht mehr liebten, „werden sie es auch nicht verteidigen“ (JF-Interview, Ausgabe 53/15).
Ich möchte diese Beobachtung zuspitzen: „Die Menschen“ haben deshalb kaum mehr eine Möglichkeit, „ihr Land zu lieben“, weil die Speech codes der „political correctness“ derartige Bekundungen weitgehend inkriminiert haben und mehr und mehr zur Entfremdung von dem „Eigenen“ führen. (Geduldet werden patriotische Bekundungen bestenfalls noch bei Sportveranstaltungen. Aber auch hier bestimmen zunehmend „multikulturelle“ Mannschaften oder Einzelspieler das Bild.) Raspail mutmaßt als Grund den „Willen der Menschen zur Selbstzerstörung“ oder „Selbsthaß“. Das ist m. E. nicht der Grund, sondern die Folge des oben erwähnten Phänomens. Erst wird die Sprache gekapert, dann folgt das Denken; ein Zusammenhang, den bereits Herder erkannt hat.
Der Eindruck täuscht nicht: Der entscheidende Hebel des laufenden Kulturkampfes – der in Deutschland und auch in Österreich aufgrund der „jüngeren Vergangenheit“ in seiner radikalsten Variante ausgefochten wird – ist die Sprache. Ich werde in meinen nächsten Blog-Beiträgen deshalb vor allem der Frage nachgehen, aufgrund welcher ideengeschichtlichen Entwicklungen die Sprache zum Haupthebel der multikulturellen Kulturrevolutionäre werden konnte. Dabei werden auch deutschsprachige Philosophen wie Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger oder Ludwig Wittgenstein eine Rolle spielen.
ingres
Meine erste Frage wäre wer sind eigentlich die Kulturrevolutionäre? Gehört Merkel (bewußt) dazu? Wer ist das sonst an prominenter Stelle. Ist irgendjemand Prominentes bewußt dabei? Oder hat sich das nicht vielmehr von einer Ideologie einiger Intellektueller zu einem verpflichtenden Dogma verbreitet, dass freilich dann auch wieder vermeintlich bewußt gelebt werden kann. Nur iwenn letzteres der Fall ist, kann man nicht mehr davon sprechen, dass die Ideologie im ursprünglichen Sinn ihrer Erfinder gelebt wird. Es ist dann einfach nur noch zwanghaftes aber kein überlegtes Handeln im Sinne der Ziele die die Ideologie ursprünglich hatte. Dann könnte man sie aber nicht mehr angreifen indem man ihren ideengeschichtliche Hintergrund angreift, denn davon hätte sie sich ja krankhaft abgekoppelt.