fällt auf: Die Linke hat es stets verstanden, ihren Protest gegen etwas und ihren Kampf für etwas mit positiven Visionen zu verbinden, während die Aktion auf der Rechten stets Re-Aktion blieb auf die von der Linken postulierten oder auch erreichten Veränderungen.
Diese Re-Aktion kommt oft finster, pessimistisch, negativ, verdrießlich, schroff und selbst dort, wo sie Morgenluft wittert und sich optimistisch gestimmt gibt, ressentimentgeladen und aggressiv daher. Sie hat zwar meist auch allen Grund dazu, doch bleibt das Fehlen eines Gegenentwurfes festzustellen – man bleibt so stets dem Negierten und Abgelehnten verhaftet, ohne ein wirksames Kontrastmittel zu haben. Man beruft sich zwar auf die alten Werte wie Familie, Heimat, Natur, Volk, kulturelles und historisches Erbe usw., doch bleibt das alles merkwürdig abstrakt, ja geradezu blutarm. Man hält Täfelchen mit Begriffen hoch, doch bleiben es Begriffe, zu denen man das eine oder selbst assoziieren mag. Es fehlen die kraftvollen und mitreißenden Bilder und Vor-Bilder (!), die den anderen ohne Umweg über begriffliches Zergliedern und Analysieren sagen: „Ja, so will auch ich leben! Hier erkenne ich mich, mein Sehnen und Verlangen!“ Es fehlt – nennen wir es ruhig mal so – der Funke des Eros, der überspringt, begeistern und entflammen kann: „Ja, ich will mit Haut und Haaren, mit jeder Faser meines Daseins ein Teil dieser Bewegung sein!“ Wenn ehemals linke oder liberale Menschen sich heute rechten Positionen vorsichtig annähern, spielen teils Verlustängste, teils von Grund auf rationale Erwägungen eine Rolle. Doch der Funkenschlag bleibt aus, denn es geschieht ohne Begeisterung. Wie auch? Es werden keine starken Bilder angeboten, die als Quelle des Lebens dienen könnten.
Auch die Linke war in ihren Anfängen Negation. Sie entstand als Protest gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen, gegen den Ausschluss der großen Zahl vom Profit an den von der großen Zahl erschaffenen Gütern. Hinzu kamen allgemein-menschliche Aspekte. Es war leicht, dem niederdrückenden, sehr konkreten Erleben von Armut, Angst und Unterdrückung einen positiven Entwurf von einem anderen, besseren Leben in Freiheit und Wohlstand entgegenzusetzen. Jeder Mensch begriff sofort, was gemeint war. Das löste sehr konkrete Träume aus, die sich rasant verbreiteten und zu Massenträumen wurden. Es entstanden quasi morphogenetische Felder. Genau hierin lag und liegt die Kraft zur Veränderung.
Der Wandervogel etwa und andere Lebensreformbewegungen, die unter die Vorläufer der konservativen Revolution gerechnet werden, lebten vom unmittelbar einsichtigen positiven Gegenentwurf zu einem naturfernen Leben in den großen Städten, zu einer immer hässlicher werdenden Umwelt, zu einer Transformation natürlicher, gewachsener Gemeinschaft in die anonyme Massengesellschaft, zu einer Knechtung des Seelenlebens durch die vereinheitlichenden Anforderungen der technischen Zivilisation, zu einer Pervertierung von Geschlecht und Liebe in käufliche Erotik und billigen Sex. Raus aus alledem, hieß die Devise. Raus aus alledem und zurück in die Natur! Das war ein kraftgeladenes und sehr konkretes Bild. Den Träumen folgte die Aktion. Doch das liegt lange zurück.
Schauen wir uns ein wenig in der Gegenwart um – und lassen wir dabei die Frage beiseite, ob sich das, was sich heute als links versteht, wirklich links oder nicht vielmehr nur Erfüllungsgehilfe des sich globalisierenden Kapitals ist.
Was sieht man? Man sieht zur Linken die Vision einer Welt, in der die Menschen gleich welcher Herkunft und welchen Glaubens verständnisvoll, respektvoll und friedlich miteinander umgehen, in der es einen gerechten sozialen Ausgleich gibt, in der die Energiefrage ein für allemal umweltschonend und nachhaltig gelöst ist und in der es weder Siechtum, Hunger noch Elend gibt. Daß ein solches harmonisches Miteinander im Zeichen von Love & Peace & Tolerance allem widerspricht, was man über den Menschen weiß und die Wirklichkeit wohl doch eine ganz andere ist, tut nichts zur Sache. Entscheidend ist das schöne, das stimmungsvolle Bild, das tiefe Sehnsüchte nach dem Heilen weckt – ja, Sehnsüchte, denn auch der Linke weiß, daß die Welt anders aussieht, er will sie aber verändern. Und was sieht man zur Rechten?
Dort kommt nun – metaphorisch gesprochen – der Stinkstiefel daher und latscht mit klobigem, kotbesudeltem Schuhwerk in dieses heiter gestimmte Idyll, nichts als Schmutz, üblen Gestank und Verwüstung hinterlassend. Wie sollte man ihm da nicht böse sein? Der Rechte wird zum Spielverderber, weil er dem Idyll die Realität entgegenhält und stur und humorlos darauf pocht, daß, wer am Leben bleiben will, die konkrete Realität und nicht die pastorale Vision einer künftigen Realität zu beachten habe. Soll, wer Visionen hat, also doch zum Arzt gehen, wie Helmut Schmidt empfahl?
So einfach ist das nicht, denn wer keine Visionen hat und immer nur auf die harte, grausame anthropologische Realität verweist, die eben kein friedliches Miteinander zulässt, hat ebenfalls ein Problem. Man hört ihm nämlich nicht gern zu. Er ist derjenige, der für schlechte Stimmung sorgt, weil er eine ehrliche Lagebeurteilung jederzeit dem visionären Wahn vorzieht. Doch ist Ehrlichkeit ein Wert an sich? Müsste man nicht den schönen Schein jederzeit der Wahrheit vorziehen, eben weil der schöne Schein so angenehm träumen lässt und aus konkreten Träumen konkretes Handeln entstehen kann? Auch das ist anthropologische Realität.
Wenn die Rechte Erfolg haben und den künftigen Staat und die künftige Gesellschaft gestalten und prägen will, wird auch sie visionäre Züge entwickeln müssen – wohlgemerkt positive visionäre Züge, Utopie statt Dystopie. Das widerspräche ihrem Wesen? Eine rechte Utopie wäre ein hölzernes Eisen? Das wäre schade, denn es ist nicht damit getan, zu sagen, daß man wieder Grenzen errichten wolle, daß man land- und kulturfremde Elemente nicht dulden wolle, daß man den eigenen Kulturraum verteidigen wolle. Es reicht auch nicht, darauf zu verweisen, daß es die eigenen Wurzeln im innigen Zugewandtsein zu pflegen gelte (was immerhin schon mal ein bejahender, kein bloß negierender Ansatz wäre), solange das nicht mit entsprechend kraftvollen Bildern unterstützt wird.
Kraftvolle Bilder – damit meine ich nicht die Bilder kampfbereiter, Fahnen schwenkender Patrioten oder gar den hollywoodgenerierten Heroenkitsch à la „300“, sondern Bilder, aus denen die Seele Kraft schöpfen kann, die gleichsam ein Ziel erkennen lassen, das zu erreichen jede Anstrengung lohnt.
Daß es auf der Rechten kein Idyll geben kann, stimmt so nicht. Das rechte Arkadien gibt es und es sieht mit Sicherheit etwas anders aus als das linke, doch wie genau? Was ist da anders? Wie genau sieht das Leben im rechten Arkadien aus, wie die Träume? Wie sieht der rechte Mythos vom Goldenen Zeitalter aus, um dessen Wiedererlangung es in jeder politischen Vision wenn auch unausgesprochen letztendlich geht? Worüber lacht man im rechten Arkadien von ganzem Herzen, was stimmt traurig? Was gilt als Krankheit, was als Gesundheit, worin liegt das Heil und wie geht das Heilen? Was ist edel, was schäbig? Wie wird gestraft? Wie bestimmt sich das Verhältnis von Mann und Weib, was bedeutet Frieden, was Krieg, welches Verhältnis hat man zu Tier, Pflanze, Gewässern und Erdreich und zu den Lüften, wie definiert man Eigentum und Wohlstand, welche Vorkehrungen gegen ökonomische Notlagen gibt es, kennt man den Unterschied zwischen Wert und Preis, welche Opfer ist man zu bringen bereit, wie erzieht man Kinder und nicht zuletzt: Wo wohnen die Götter?
Solange hier keine starken, wirkungsmächtigen Bilder (Visonen) entworfen werden, die konkrete Träume auslösen, werden „die Massen“ nicht für einen Umschwung erreicht werden. Die Aufgabe: Entwickelt solche Bilder!
Realist
Der Autor erkennt den fundamentalen Webfehler linker Weltanschauung, benennt ihn präzise - und tappt am Ende doch wieder in die Falle. Zu süß ist der Köder der Utopie. Phänomenal! Die hier skizzierten Bilder sind alles - ausser realistisch. Also nicht rechts.