manchmal eine Vergegenwärtigung der geistigen Schätze, die man uns hinterlassen hat, und die die deutschsprachige Kultur von anderen Ländern, die sich auch als abendländisch-christlich verstehen, unterscheidet. Bekanntlich sieht man ja oft, wenn man mitten drin steht, den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Ausländische Beobachter finden hier oft klarere Worte als man selbst, zum Beispiel die Vertreter der „Perennial Philosophy“ der britischen Temenos Academy unter der Schirmherrschaft von Prince Charles:
Es ist kaum bekannt, dass sich die Sichtweise des deutschen Denkens auf die uns umgebende Welt, und vor allem auf das Verhältnis des Menschen zur Welt, deutlich von den Hauptströmungen unserer (der englischsprachigen, Anm. d. Übers.) Denktradition unterscheidet. Zum Teil vom alchemistischen Denken des Mittelalters und der Renaissance geprägt, das in den deutschsprachigen Ländern die reichsten Blüten trieb, entwickelten diese Völker ein Weltverständnis – und vor allem ein Verhältnis zur Welt – das dem Denken, das man in Indien und anderen Teilen Asiens antrifft, häufig näher ist als dem Empirismus der britischen Tradition oder dem Rationalismus der Franzosen. (Stephen Cross, Jack Herbert: Inward Lies the Way. German Thought and the Nature of Mind, London: Temenos Academy 2008)
Ein wichtiger Repräsentant der hier beschworenen genuin deutschen bzw. deutschsprachigen Geistestradition ist ganz sicher der Görlitzer Mystiker Jakob Böhme, der trotz seines niedrigen Bildungsstands – von Beruf Schuhmachermeister – als erster deutscher Philosoph, als „philosophus teutonicus“, in die Geschichte einging. Sein Werk wird jetzt in einem Film der Künstlergruppe „Organisation zur Umwandlung des Kinos“ gewürdigt.
Es handelt sich hier weder um einen herkömmlichen Dokumentarfilm noch um einen rätselhaften Künstlerfilm, sondern um ein minimalistisches, beinah zeitloses filmisches Gedicht, in dem das mit Naturszenen unterlegte Wort Böhmes lebendig wird und trotz altertümlicher Grammatik mit einer ursprünglich anmutenden Kraft zu uns spricht.
Im Wasser lebt der Fisch, die Pflanze in der Erden,
Der Vogel in der Luft, die Sonn’ im Firmament.
Der Salamander muss im Feu’r erhalten werden:
Und Gottes Herz ist Jakob Böhmes Element.
(Angelus Silesius)
Welches Feingefühl und welche Musikalität erforderlich sind, den Originaltext eines Mystikers aus dem 17. Jahrhundert eindringlich aber völlig unprätentiös vorzutragen und den richtigen Ton zu treffen, kann der Laie nur erahnen. Die Stimmigkeit des Films legt nahe, dass hier jede Filmsekunde in Bild und Ton mit einem Perfektionismus durchkomponiert wurde, die nur einer an den Tag legt, dem sein Gegenstand heilig ist, und der Bleibendes schaffen will. Eine Hommage im besten Sinne also. Jedem, der auch nur einen Funken Mystik in sich trägt und sich für die Grundlagen der deutschen Geistesgeschichte interessiert, sei dieser Film ans Herz gelegt (nächste Termine siehe unten).
Der Görlitzer Mystiker und Visionär Jacob Böhme ist die unbekannteste, geheimnisvollste und zugleich einflussreichste Gestalt der deutschen Geistesgeschichte. Sein mehrtausendseitiges philosophisches Werk, ohne das die deutsche idealistische Philosophie undenkbar wären, ist die Ausformulierung eines radikalen Christentums und der Entwurf einer reichen, bis heute in ihrer Tiefe nicht ausgeloteten Kosmologie, Anthropologie und Naturphilosophie. (Organisation zur Umwandlung des Kinos)
Nicht nur der Film an sich überzeugt, sondern auch das Anliegen der Künstler, die bei meinem Besuch der letzten Vorstellung in Berlin im November anwesend waren. Der großen Unbekanntheit des Böhmeschen Werks in seinem eigenen Land müsse man Abhilfe schaffen, meinte Ronald Steckel, der sich schon seit über zehn Jahren mit Böhme und anderen Mystikern befasst. Wir Deutschen seien von unseren geistigen Wurzeln gänzlich abgeschnitten – was doch sehr schade sei, schließlich hätten doch so viele wunderbare Menschen gerade hier, in Deutschland, gelebt und unermessliche geistige Reichtümer hinterlassen. Dass wir diesen besonderen Persönlichkeiten unsere Aufmerksamkeit schenken und ihre Bemühungen, Wertvolles und Bleibendes zu schaffen, anerkennen, sei, wenn ich Steckel richtig verstanden habe, das Mindeste, das wir jetzt tun können. Und gerade über das gesprochene Wort – mehr noch als über das Bild oder die Musik – sei es möglich, die Verbindung zur Tradition wieder aufzunehmen.
Könnte man je vergessen, welcher Schatz von natürlicher Geistes- und Herzenstiefe in der teutschen Nation liegt, so dürfte man sich nur an ihn (Böhme) erinnern. (F.W.J. Schelling)
Allerdings sei dies auch gar nicht so leicht zu bewältigen: es habe wohl noch nie eine Zeit gegeben, in der der geistig Suchende mit seinen drängendsten Fragen so alleine war und von der Gesellschaft so alleine gelassen wurde. Und man möchte hinzufügen: in der die höchsten Dinge derartig mit Füßen getreten wurden. Obwohl sie sich als Künstler auf ihrem Gebiet auch international einen Namen gemacht haben und diverse Preise für andere Arbeiten erhielten, gab es für diesen Film keine öffentlichen Fördergelder.
Es wird wieder eine Zeit kommen, in der man ihn – Jakob Böhme – nicht nur verstehen wird , sondern in der man von ihm wird lernen wollen. Es wird eine Zeit kommen, wo man solche tiefe Geistestaten wie die Schriften Jakob Böhmes … wieder verstehen wird. (Rudolf Steiner)
Das Motto der „Organisation zur Umwandlung des Kinos“: „Wir müssen uns vom Gift der Gegenwart reinigen“. Damit knüpft man an eine Idee des Künstlers Joseph-Anton Schneiderfranken an, auch bekannt unter dem Namen Bô Yin Râ, an, der schon in den 20er Jahren die schädlichen Auswirkungen des Kinos anprangerte. Er war der Meinung, man müsse dem „Kinoproblem” mit einer Bewegung aus einer „achtunggebietenden Anzahl von Männern und Frauen“ entgegenwirken, „die wenigstens unsern deutschen Filmgesellschaften einmal mit aller Deutlichkeit sagen, wie das deutsche Volk die an sich so wunderbare Erfindung des beweglichen Lichtbildes verwertet wissen will…“ („‚Kino‘, Kultur und Kunst“, um 1920). In diesen dunklen Zeiten tut es gut zu wissen, dass sich in den Künsten wieder avantgardistische Positionen bemerkbar machen, die nicht nur um sich selbst kreisen sondern sich zu vormodernen Ursprüngen bekennen und allen Ernstes das Anliegen verfolgen, der Allgemeinheit geistige Heilmittel gegen die Neurosen der Gegenwart zur Verfügung zu stellen.
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MORGENRÖTE IM AUFGANG – hommage à JACOB BÖHME ist ein Film von Max Hopp, Jan Korthäuer, Ronald Steckel und Klaus Weingarten. Eine Koproduktion des Berliner nootheaters mit der Organisation zur Umwandlung des Kinos, in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Jacob Böhme Institut und der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften, Görlitz. Der Film wurde durch Mittel der Fondazione Bô Yin Râ gefördert. Alle Texte, die im Film gesprochen werden, gehen zurück auf den Wortlaut der 1730 in Amsterdam veröffentlichten Gesamtausgabe der Schriften Jacob Böhmes. HD 16 : 9 / S/W & FARBE / 81 MIN
Die nächsten Termine:
BERLIN – 30. Dezember 2015 und 1. Januar 2016, jeweils 15:30 Uhr, Bundesplatz-Kino
MÜNCHEN – 3. Januar und 6. Januar 2016, jeweils 11:00 Uhr, Werkstattkino
HANNOVER – 17. Januar 2016, 15:00 Uhr, Kino im Sprengel, Hannover
Hintergründe und Aktualisierungen zum Film gibt es hier zu sehen. Und dann noch der Trailer:
Falkenauge
Ein sehr schöner, wichtiger Artikel und Hinweis!
Jacob Böhme hatte großen Einfluss auf die Denker des deutschen Idealismus, insbesondere auch auf Hegel. Daran anzuknüpfen halte ich für ebenso wichtig und von dringender Aktualität.
Siehe den Beitrag auf:
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2015/10/21/deutscher-geist-und-deutsche-seele-verkannt-verdraengt-verleumdet/