»Sollst gleich und ohne Murren / erfüllen mein Gebot; / denn wäre nicht der Bauer, / so hättest du kein Brot; / es sprießt der Stamm der Riesen / aus Bauernmark hervor, / der Bauer ist kein Spielzeug, / da sei uns Gott davor.«
Auf reizvolle Weise ergänzen sich in diesen Versen Vorstellungen von Schönheit und Nutzen des Bauernstandes. Der schaffende und bewahrende Landmann ergibt selbst einen schönen Anblick. Wie ein Kleinod wird der Mensch von der durch ihn gestalteten Landschaft eingefaßt. Inniger kann ein Boden nicht Heimat sein, als wenn ihm mit der Hände Arbeit die Nahrung für den Leib entnommen wird.
Vielerorts sind wir von dieser ansehnlichen und überschaubaren Tätigkeit inzwischen weit entfernt. Der Hüter der Fluren hat sich vom Acker gemacht. Bereits 1949, mehr als hundert Jahre, nachdem Chamisso seine Verse verfaßt hatte, gab Martin Heidegger in seinem Bremer Vortrag einen »Einblick in Das Was Ist« und vermittelte eine ganz andere Erfahrung: »Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.«
Mit dieser Zuspitzung zielt der Philosoph Heidegger auf die grundsätzliche Änderung des Blickwinkels auf Mensch und Land. So, wie sich der massenhafte Mord durch die Zersetzung des Bildes vom Menschen ankündigt, hebt die Verwüstung des Landes an mit dem Wahrnehmungsverlust des universellen Zusammenhalts. Wo und wann wurde dieser Weg eingeschlagen, der dazu führte, daß die Bearbeitung des Heimatbodens, der einst bei fürsorglicher Pflege Jahr für Jahr in schwankendem Rahmen eine zuverlässige Menge an Nahrung bot, inzwischen mehr Energie bindet als spendet?
In seinem in vieler Hinsicht einleuchtenden Buch Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa führt Hansjörg Küster im Kapitel »Ökologische Krisen, Wandel des Bauerntums« aus, daß die Aufgabe von Siedlungsräumen und die Zusammenlegung von Feldfluren sich schon im 14. Jahrhundert häufig ereignete.
Als Ursache dafür werden in der Regel Kriegszüge und Pestepidemien angenommen, doch Küster meint: »Dieser Schluß ist nicht immer richtig. Man muß sich darüber im Klaren sein, daß nicht nur die Gründung, sondern auch die Aufgabe ländlicher Siedlungen und ihrer Fluren bis zum frühen Mittelalter ein normaler Vorgang im Siedlungsgeschehen war.«
Wesentlich anders ist in neuerer Zeit der Wirkungsgrad der Mittel, die schwerkraftmäßig durch alle Einsichten hindurch ihre Bahn brechen. Trojanische Traktoren und Zyklopenhände haben den kleinteiligen Lebensraum entgrenzt und vergröbert.
1948 kehrte ein geschwächter Mann aus der russischen Kriegsgefangenschaft heim. Hermann Priebe wurde 1907 in Berlin geboren. Nach dem Gymnasium absolvierte er eine landwirtschaftliche Lehre, studierte dann dieses Fach in Königsberg, Greifswald und Berlin und habilitierte sich nach Diplom und Promotion 1942 in Gießen.
Er war Referent im Reichskuratorium für Technik in der Landwirtschaft und zuletzt bis Kriegsende Direktor der Versuchs- und Forschungsanstalt Potsdam-Bornim. Nach dem Krieg lehrte er bis 1958 wieder in Gießen.
Als Heinrich Lübke, der bereits 1926 Geschäftsführer der »Deutschen Bauernschaft« war, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft übernahm, stärkte er die bäuerliche Eigeninitiative gegenüber den behördlichen Lenkungsabsichten. In diesem Geist übertrug er Priebe 1957 die Gründung und Leitung der Forschungsstelle für bäuerliche Familienwirtschaft an der Frankfurter Universität.
In seiner Eigenschaft als Professor für Agrarwesen (seit 1959) und Leiter des Instituts für ländliche Strukturforschung, wie die Forschungsstelle später benannt wurde, hatte Priebe Gelegenheit, seine Erfahrungen, die er vor dem Krieg bei der Beratung bäuerlicher Familienbetriebe in der Rhön gesammelt hatte, wirksam werden zu lassen.
Die Forschungsstelle hatte und hat den Anspruch, die gesellschaftlich-wirtschaftliche Einheit des Bauerntums als einer für Mensch und Land notwendigen Lebensform im Blick zu behalten und zu bewahren. Sie grenzte sich dadurch entschieden ab von der zeitgleich entstehenden reinen Agrarökonomie, die sich zunehmend von allen herkömmlichen Bezügen löste.
Nach Einführung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1958 wurde Priebe dort zum Berater für Landwirtschaft. Der Pfarrersohn teilte dabei in jeder Hinsicht die Haltung des Riesenvaters aus Chamissos Ballade. Es gab für ihn keine Ablösung des Nützlichen vom Schönen. Dabei wies er die Veränderungen und Erleichterungen durch technische Hilfsmittel nicht pauschal zurück.
Doch waren es die Bedingungen der Arbeit per Hand und mit Zugtieren, wodurch sich über lange Zeit der Lebensraum auf dem Land sinnvoll ordnete. Die Maße der Felder, die Fruchtfolge, die Verbindung zwischen Futteranbau und Viehzucht, das Wegenetz, die Gehölzstreifen, Bäche, Teiche und Weiher waren bestimmt durch die Bewältigungsspanne, die der menschliche Leib, die Arbeitsstärke des Viehs und die Geographie des Ortes verhängten.
Für Großbritannien hat W. G. Hoskins 1955 in dem aufsehenerregenden Buch The Making of the English Landscape die Entstehungsgeschichte einer Landschaft nachgezeichnet. Was der sentimentale Ausflügler aus der Stadt als Natur feiert, ist nichts anderes als die Signatur jahrhundertelanger Bearbeitung.
Diese Prägung ist nicht nur ein traditioneller Wert. Sie hat sich auch in vielen Krisen bewährt. Diese Erfahrung ließ Priebe immer wieder zum Verfechter von – bei flüchtigem Blick – wirtschaftlich marginal erscheinenden Positionen werden.
Die Erfahrung eines halben Jahrhunderts »motorisierte Ernährungsindustrie« (Heidegger) hat inzwischen erwiesen, daß die kleinen Familienbetriebe, von der landpflegerischen Nebenwirkung einmal ganz abgesehen, tatsächlich ein deutlich besseres Verhältnis von Aufwand und Ertrag aufweisen als die großen Agrarbetriebe. Das hängt damit zusammen, daß der rationelle Einsatz der schweren Technik an Kulturen gebunden ist, die im Verhältnis zur Nutzfläche eine geringe Ausbeute bescheren.
Die Hungerwinter nach Kriegsende und die zu versorgenden Flüchtlingsströme aus dem Osten Deutschlands ließen gezielte Anreize für eine lineare Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion erforderlich werden.
Bald schon zeichnete sich ab, daß diese Förderung tendenziell zu dauerhaften Defekten in der Ordnung der Landwirtschaft führen würde. Doch der einmal formulierte propagandistische Vorteil wurde im §1 des »Deutschen Landwirtschaftsgesetzes« von 1955 festgeschrieben. Die Rede ist von angeblichen »naturbedingten und wirtschaftlichen Nachteile[n] der Landwirtschaft gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen«.
Das sogenannte »Professorengutachten« von 1962, an dem Priebe wesentlich beteiligt ist, empfiehlt hingegen maßvollere Ausgleichsregelungen als bisher, um einen Parallelmarkt zu verhindern.
In der Folge der Auseinandersetzung entziehen Bauernverband und Raiffeisenverband der Forschungsstelle ihre Unterstützung, die über ein Drittel des Etats ausmachte. Der Spiegel untertitelt ein Bildnis Priebes in einem Bericht über die Auseinandersetzung vom 14. Februar 1962: »Agrarprofessor Priebe – nicht ostelbisch genug«. Denn Priebe betonte immer wieder, daß die Agrarprotektion mit den Stein- und Hardenbergschen Reformen begonnen habe.
In der Tat war auf Druck einiger einflußreicher ostelbischen Großgrundbesitzer der Ausführungserlaß vom Mai 1816 dahingehend geändert worden, daß Landübertragungen nur an spannfähige Bauern erfolgen durften. Für die bisher schon landlosen Kleinstbauern erlosch dadurch jedes Recht am Boden, weil auch die hergebrachten Gemeindeflächen, auf denen die Dorfärmsten bislang ihr Vieh weideten, nun den größeren, eben spannfähigen Bauern zufielen.
Priebe wertete nicht differenziert genug: Die Gemeindeflächen fielen eben nicht den früheren Lehnsherren zu, sondern den nunmehr freien Bauern, denen auf diese Weise ein Ausgleich für die Entschädigungsabgaben an die ehemaligen Gutsherren gewährt wurde.
Die preußischen Reformen zogen dem Land also eine lebens- und wirtschaftsfähige Schicht unabhängiger Bauern ein und zwangen den Adel zu solidem Wirtschaften. Daß er dies oftmals nicht vermochte, beweist der Besitzerwechsel: Bis 1880 gerieten fast zwei Drittel der ehemals privilegierten, adligen Güter in bürgerliche Hand, während im selben Zeitraum dreiviertel aller neuen selbständigen Bauernhöfe in der Familie verblieben.
Daß die nun nicht mehr privilegierten Großgutsbetriebe insgesamt in Schwierigkeiten gerieten, beschrieb Priebe indes zutreffend: Die beginnende Konkurrenz aus Übersee führte 1878 zur Agrarprotektion, die seither wie eine ansteckende Seuche die Landwirtschaft überzieht.
Als nächstes wurden ausländische Wanderarbeiter zugelassen. Diesen entscheidenden Schritt zur Verelendung der heimischen Landbevölkerung hat Friedrich Aereboe als »eines der folgenschwersten Verbrechen an der deutschen Volkswirtschaft« bezeichnet. Zur manipulativen Senkung der Kosten von unsinnigem Transporten wurden Staffelpreise bei der Reichsbahn erzwungen. Nach dem Weltkrieg gab es dann die Osthilfe.
Auf dieser schiefen Bahn geht es bis heute weiter. In den Anfangsjahren der EWG führten die länderübergreifenden Abnahmepreise zu einer unsinnigen Mobilisierung von Produktionsreserven beispielsweise in Frankreich. Das Beharren auf vergleichsweise hohen Getreidepreisen verhinderte fast die Einführung der Wirtschaftsgemeinschaft.
Jeder Versuch, die unsinnigen Erwerbs-Privilegien wieder zu beschneiden, stößt bis heute auf erbitterten Widerstand bei den Funktionären der Bauernverbände. Auch das war früher schon so: Im nationalsozialistischen »Reichsnährstand« übernahmen die Großbauern die Führung und nutzten die Gunst der Stunde, um die Konzentration weiterzutreiben. 1942 kamen die Bestrebungen eines gelenkten Strukturwandels für die großen Erbhöfe und zuungunsten der selbständigen Landbevölkerung kriegsbedingt zum Erliegen.
Für die Nachkriegszeit konstatiert Priebe, daß eine voreilige Motorisierung unnötig Arbeitsplätze zerstörte. Was zuvor die »Erbhöfe« waren, entdeckte man nach 1945 in den »entwicklungsfähigen Betrieben«. Aus der »Erbhofgrenze« ist die »Förderschwelle« geworden. Priebe sprach von »gespenstischer Perfektionierung«, »strukturpolitischen Widersinn« und bezeichnete die Phrase von der »grundlegenden Neuordnung der Agrarstruktur« als einen »Umweltzerstörungsplan«.
Sein 1985 im Siedler Verlag erschienenes Buch Die subventionierte Unvernunft – Landwirtschaft und Naturhaushalt zieht das ernüchternde Fazit eines Lebenswerks.
1980 hat sich mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) eine Opposition der kleinen und mittleren Landwirte gebildet gegen die Agrar-Industrie und ihre Verbands-Apparatschiks im EU-Rückenwind.
Die Kollektivierungen der mitteldeutschen Landwirtschaft in der DDR hat sich unterdessen als Zwischenstufe für die Bildung neuer Riesenbetriebe entpuppt, die nur dem Namen nach »Argargenossenschaften« heißen. Im Namen des ökologischen Umweltschutzes wird die Zerstörung des Lebensraums vorangetrieben.
Ein drastisches Beispiel dafür sind die »unbedenklichen« Herbizide. Ob Kleingarten, Weinberg oder Rapsfeld: Monsantos »Roundup« ist omnipräsent wie die braune Limonade in der roten Büchse und die Imbißbude mit dem gelben Buchstaben. Und der Hersteller liefert gleich das genetisch veränderte, passende Saatgut. Die Zulassung läuft in der Europäischen Union 2015 wieder turnusmäßig aus. Aber nichts ist wahrscheinlicher als die Neubewilligung.
Der Landwirt und Publizist Michael Beleites hat als Umweltschützer in den achtziger Jahren seine Erfahrungen mit der SED-Diktatur gemacht. Den Vernichtungskampf der Kommunisten gegen den freien Bauernstand erlebt er noch heute als ein Tabuthema, weil dessen Vollstreckung ihren Höhepunkt erst nach der Wiedervereinigung erreichte und unvermindert anhält.
In seiner Untersuchung zur Entwicklung der ländlichen Räume in Sachsen mit dem Titel »Leitbild Schweiz oder Kasachstan?« betont Beleites die Notwendigkeit von Nutzung statt Pflege und weist auf das Verhängnis der Trennung der Hofstätten von den zugehörigen Flächen, welche befristet an die von den Subventionen bevorzugten Großbetriebe verpachtet sind. Hier steht die Weiche für die Zukunft.
Mit dem langen Hebel der Agrar-Subventionen geht die Reise für unsere fruchtbaren Gefildelandschaft eines Tages unumkehrbar nach Kasachstan. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben läßt sich schon heute erfahren. Michael Beleites bedient sich dafür eines Vergleichs, in dem Heideggers bedrohliche Analogie nachklingt: »Eine ausgeräumte Ackerlandschaft, in der man nirgendwo mehr seinen Kindern einen Hasen, ein Rebhuhn oder eine Blumenwiese mit Schmetterlingen zeigen kann, ist in kultureller Hinsicht mit einer zerbombten Stadt vergleichbar.«