Nachhaltigkeit als frommer Wunsch mit Vorbehalt

PDF der Druckfassung aus Sezession 56 / Oktober 2013

von Thomas Hoof

Es ist ein überaus merkwürdiger Sachverhalt, daß eine Gesellschaft, deren materielles Funktionsprinzip...

tat­säch­lich nur auf dem Ver­zehr von Bestän­den beruht, unab­läs­sig ihren Wil­len zur »Nach­hal­tig­keit« beteu­ert und damit ver­bal einem Prin­zip hul­digt, das Nut­zungs­ent­nah­men strikt auf das beschränkt, was pro anno nachwächst.

Daß die­se Gelöb­nis­se frank und frei und ohne Stot­tern abge­legt wer­den, zeigt den Man­gel an his­to­ri­schem Sinn und Klar­blick. Bei­des fehlt sowohl den zahl­rei­chen Inha­bern eines guten Wil­lens als auch den weni­gen eines öko­no­mi­schen Lehr­stuhls – letz­te­ren jeden­falls dann, wenn sie der markt­be­herr­schen­den neo­klas­si­schen Schu­le ihres Faches anhan­gen. Dann näm­lich ist ihr Blick in bei­de Rich­tun­gen des Zeit­pfeils getrübt – nach hin­ten und nach vorne.

Das resul­tiert aus einem spe­zi­el­len Ver­häng­nis: Gera­de als es dort mäch­tig zu bro­deln und zu kochen begann (um den Wech­sel zum 20. Jahr­hun­dert), mach­ten die Öko­no­men den Gegen­stands­be­reich ihrer Dis­zi­plin zu einem Schau­platz »ewi­ger Geset­ze«, und zwar sol­cher, die man wie die der klas­si­schen Mecha­nik in Dif­fe­ren­ti­al­glei­chun­gen aus­drü­cken kann.

Dort streb­ten die wirt­schaft­li­chen Kräf­te rech­ne­risch ganz von selbst zu jener zeit­lo­sen Har­mo­nie, in der seit Kep­ler schon die Him­mels­kör­per tan­zen. Es war eine öko­no­mi­sche Abkehr von einer wech­sel­haf­ten Wirk­lich­keit, die weit­rei­chen­de Fol­gen auch für das All­tags­be­wußt­sein hatte:

Die Neo­klas­sik hat nie erklä­ren kön­nen, wie es zu der »Indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on« des 19. Jahr­hun­derts kom­men konn­te. Als exo­ge­ne Ursa­che dien­te ihr der soge­nann­te »Tech­ni­sche Fort­schritt«, den der Him­mel plötz­lich aus Wol­ken­brü­chen hat­te her­ab­reg­nen lassen.

Obwohl metho­disch also völ­lig phy­si­ka­li­siert, hat­te die öko­no­mi­sche Ortho­do­xie nie einen Sinn, geschwei­ge denn einen Blick für den bio­phy­si­schen Kern der Wirt­schaft: Die Pro­duk­ti­ons­mäch­tig­keit des mobi­li­sier­ten Pro­duk­ti­ons­fak­tors »Fos­sil­ener­gie« rech­net sie mit fünf bis sechs Pro­zent, weil sie die Grenz­pro­duk­ti­vi­tät eines Fak­tors allein an sei­nem Preis abliest.

Inso­fern kommt sie zu dem Schluß, daß ein völ­li­ger Aus­fall sämt­li­cher fos­sil­en­er­ge­ti­scher Inputs (welt­weit 1,4 Mrd. Mann­leis­tungs­jah­re je Tag) allen­falls eine kon­junk­tu­rel­le Del­le von etwa fünf bis sechs Pro­zent ver­ur­sa­chen könn­te. Tat­säch­lich stün­de die Welt­wirt­schaft in die­sem Fall auf einen Schlag still. »Wenn wir ihn’ das Licht aus­dre­hen, kann kein Bür­ger nichts mehr sehen«, dich­te­te Erich Müh­sam 1907. Die ortho­do­xen Pro­fes­so­ren sind aber schon frü­her erblindet.

Die Neo­klas­sik unter­liegt einem »Sub­sti­tu­ier­bar­keits­wahn«: Noch 1978 – sechs Jah­re nach dem ers­ten Bericht des Club of Rome – rie­fen die ame­ri­ka­ni­schen Öko­no­men H. E. Goel­ler und A. Wein­berg ein »Zeit­al­ter der Sub­sti­tu­ier­bar­keit« aus (The Age of Sub­sti­tu­ta­bi­li­ty, 1978), und Robert Solow erhielt 1987 den Nobel­preis für eine Wachs­tums­theo­rie, die unter ande­rem kon­sta­tiert, daß die Erschöp­fung von Roh­stof­fen ledig­lich ein Ereig­nis, aber kei­ne Kata­stro­phe sei.

Und wenn die sola­ren Auto­ri­tä­ten dem­nächst über die Erde (mei­net­we­gen als einen »Schur­ken­pla­ne­ten«) ein Lich­tem­bar­go ver­häng­ten, so wäre das nach der neo­klas­si­schen Öko­no­mie eine nur kur­ze Irri­ta­ti­on der Welt­wirt­schaft, die aber durch Markt­an­pas­sun­gen und Sub­sti­tu­ti­ons­ef­fek­te als­bald über­wun­den wäre.

Eine solch sou­ve­rä­ne Miß­ach­tung der Wirk­lich­keit gelingt nur, wenn man sich aus kopf­ge­bo­re­nen Wol­ken­ku­ckucks­hei­men eine gan­ze Geset­zes­ta­fel her­un­ter­de­du­ziert hat und die Wirk­lich­keit nach deren Vor­schrif­ten inter­pre­tiert. Genau davor hat­ten die bei­den »His­to­ri­schen Schu­len« der deut­schen Volks­wirt­schafts­leh­re immer gewarnt. Sie bestan­den dar­auf, daß wirt­schaft­li­che Pro­zes­se aus ihrem zeit­li­chen und räum­li­chen Kon­text zu betrach­ten und auch nur so zu ver­ste­hen seien.

Mit sei­nem gro­ßen Pro­jekt zur Auf­klä­rung des »Euro­päi­schen Son­der­wegs« hat Rolf Peter Sie­fer­le im letz­ten Jahr­zehnt an die­se kon­tex­tua­le Metho­dik ange­knüpft. Die Ergeb­nis­se lie­gen in einer elf­bän­di­gen Schrif­ten­rei­he der Breu­nin­ger-Stif­tung und einer Rei­he von Mono­gra­phien vor.

Sie­fer­le unter­sucht dar­in den Wech­sel vom agra­ri­schen Solar­ener­gie­sys­tem zu einem fos­sil­en­er­ge­ti­schen mit den für Gegen­warts­ana­ly­sen ent­wi­ckel­ten umwelt­öko­no­mi­schen Metho­den der Ener­gie- und Mate­ri­al­fluß­rech­nun­gen. Er bie­tet dabei vie­le neue, empi­risch tief geschürf­te Daten zum »sozia­len Meta­bo­lis­mus« auf, also zum gesell­schaft­li­chen Stoff­wech­sel am Bei­spiel Öster­reichs und Eng­lands vor und in der Trans­for­ma­ti­ons­pha­se des solar­en­er­ge­ti­schen zum fos­sil­en­er­ge­ti­schen Regime.

Rekon­stru­iert wird die solar­en­er­ge­ti­sche Epo­che als eine stän­di­ge geschick­te Hand­ha­bung quan­ti­ta­tiv gege­be­ner und als Ein­kom­mens­grö­ße ein­deu­tig begrenz­ter Ener­gie- und Mate­ri­al­flüs­se. Solar­ener­gie wur­de mit­tel­bar genutzt über ein agri­kul­tu­rel­les Arran­ge­ment der pho­to­syn­the­ti­schen Leis­tun­gen der Bio­mas­se, über die solar bewirk­te Wet­ter­me­cha­nik mit ihren Win­den, Nie­der­schlä­gen, Wel­len und Strö­mun­gen, in die sich intel­li­gen­te Arte­fak­te (Mühlen‑, Segel- und För­der­tech­ni­ken) sowie lis­ti­ge Nut­zun­gen der Schwer­kraft in ein­fa­chen Maschi­nen (Schie­fe Ebe­ne, Fla­schen­zü­ge, Well­rad, Keil und Kur­bel) einklinkten.

Der Ern­te­fak­tor muß­te stets gleich oder grö­ßer zehn sein, weil der pri­mä­re Nah­rungs­en­er­gie­be­darf eines Men­schen sei­ne phy­si­sche Leis­tungs­fä­hig­keit um den Fak­tor zehn über­steigt. Es gab stets Inno­va­tio­nen, deren Wachs­tums­wir­kun­gen aber über kurz oder lang stets in nega­ti­ven Rück­kopp­lun­gen aus­ge­bremst wurden.

Ein Aus­bau der See­fahrt etwa durch Über­nut­zung des ein­zig ver­füg­ba­ren Ener­gie­spei­chers Wald schlug in der nächs­ten Gene­ra­ti­on zurück. Wachs­tum gab es – David Lan­des berech­net eine jähr­li­che Rate im Pro­mil­le­be­reich, wobei die vie­len, meist kli­ma­tisch beding­ten Schrump­fungs­pha­sen dar­in schon ver­rech­net sind.

Bis ins 18. Jahr­hun­dert hat­te sich also ein in allen kul­tu­rel­len Groß­räu­men (Euro­pa, Indi­en, Chi­na) sehr ähn­li­ches agra­ri­sches Sys­tem eta­bliert, das aber zu die­sem Zeit­punkt immer­hin schon ein Sur­plus von etwa 30 bis 40 Pro­zent erwirt­schaf­te­te; ein Mehr­pro­dukt, das nicht nur dem viel­ge­ta­del­ten Saus und Braus der Fürs­ten anheim­fiel, son­dern reinves­tiert wur­de in all das, was auch heu­te noch den wesent­li­chen Teil unse­rer ästhe­ti­schen und sym­bo­li­schen Bestän­de aus­macht: die Städ­te, die Dome, Schlös­ser, Park­an­la­gen, in Lite­ra­tur, Musik und Phi­lo­so­phie und schließ­lich in jene viel­glied­ri­ge, boden­frucht­ba­re Kul­tur­land­schaft, die heu­te wegen schein­ba­rer Ent­behr­lich­keit in immer stär­ke­rem Maße der musea­len Für­sor­ge der Natur­schüt­zer über­ant­wor­tet wird.

Der Aus­bruch aus die­ser begrenz­ten Welt einer orga­ni­schen Öko­no­mie, die sich mit einer erstaun­li­chen meta­bo­li­schen Zähig­keit über 10 000 Jah­re erhal­ten und ent­wi­ckelt hat­te, geschah dann mit ver­blüf­fen­der Plötz­lich­keit durch einen sehr klei­nen geo­gra­phi­schen (Euro­pa) und zeit­li­chen (18. / 19. Jahr­hun­dert) Spalt auf einem Ent­wick­lungs­pfad, der ener­ge­ti­sche Expan­si­on zum ers­ten Mal nicht nega­tiv sank­tio­nier­te, son­dern in eine Kas­ka­de ver­stär­ken­der posi­ti­ver Rück­kopp­lun­gen führte.

Zur Illus­tra­ti­on: Die Dampf­pum­pen des frü­hen 18. Jahr­hun­derts hat­ten auf­grund ihres gerin­gen Wir­kungs­gra­des einen sehr gro­ßen Brenn­stoff­be­darf. Ihre Kon­struk­teu­re ziel­ten des­halb gleich auf den Stein­koh­le­berg­bau als einen Anwen­dungs­ort, der nicht nur ihre Ent­wäs­se­rungs­leis­tun­gen gut gebrau­chen, son­dern auch den Brenn­stoff für ihren Betrieb bereit­stel­len konn­te. Die Pum­pen von Tho­mas New­co­men brei­te­ten sich im spä­ten 18. Jahr­hun­dert schnell in allen Berg­bau­re­gio­nen Euro­pas aus und sorg­ten, indem sie grö­ße­re Teu­fen ermög­lich­ten, für die Aus­wei­tung der Steinkohleförderung.

Die nun im grö­ße­ren Maß­stab ver­füg­ba­re Koh­le inter­ve­nier­te ihrer­seits mit einem Dop­pel­nut­zen als Trenn­mit­tel und als Brenn­stoff in die Eisen­ver­hüt­tung, was die Vor­aus­set­zung für den ful­mi­nan­ten Anbruch der zwei­te Eisen­zeit war, die mit erwei­ter­ten metall­ur­gi­schen Mög­lich­kei­ten die Kon­struk­ti­on der gro­ßen, mit gespann­tem Dampf arbei­ten­den Wär­me­kraft­ma­schi­nen erlaub­te, die dann auf Räder gestellt als Loko­mo­ti­ven die aus der Erde gebro­che­ne Ener­gie in die Flä­che ver­tei­len konnten.

Kei­nes der ein­ge­setz­ten tech­ni­schen Prin­zi­pi­en war wirk­lich neu, aber »von dem Rücken der Koh­le« gelang in einer dich­ten Fol­ge von ein­an­der ver­stär­ken­den Pro­zeß­schrit­ten ganz plötz­lich der Absprung aus den sola­ren Gren­zen und der Über­gang von einer orga­ni­schen zu einer mine­ra­li­schen Öko­no­mie, die damit aber erst­mals unter einen begrenz­ten zeit­li­chen Hori­zont geriet.

Der aber schien äonen­weit ent­fernt zu sein.

Ein Über­blick über die zwölf­tau­send­jäh­ri­ge Zivi­li­sa­ti­ons­ge­schich­te ergibt sich das Bild einer har­ten Kon­fron­ta­ti­on einer sta­tio­nä­ren, sta­bi­len agra­ri­schen For­ma­ti­on (auf einer zeit­li­chen Stre­cke von 11 800 Jah­ren) und eines seit 200 Jah­ren anhal­ten­den, dyna­misch stei­gen­den, atem­be­rau­ben­den Höhenflugs.

Wenn man von der »Evi­denz der Dau­er« absieht, muß man ent­we­der fra­gen, wel­che Fes­seln die Mensch­heit in der gan­zen Welt fast 12 000 Jah­re lang öko­no­misch am Boden hiel­ten oder aber umge­kehrt, wel­che Kräf­te sie in den letz­ten 200 Jah­ren in Euro­pa nach oben kata­pul­tier­ten – und dar­aus abge­lei­tet: Was ist unter die­sen bei­den For­men des sozia­len Meta­bo­lis­mus der Nor­mal- und was der erklä­rungs­be­dürf­ti­ge Sonderfall?

Die »Moder­ne« hat gan­ze Biblio­the­ken mit meist lie­be­vol­len Selbst­be­trach­tun­gen gefüllt, dabei aber wenig Inter­es­se an den mate­ri­el­len Vor­aus­set­zun­gen ihrer selbst an den Tag gelegt. Wo sie auf die genann­te Fra­ge ant­wor­ten müß­te, täte sie es in etwa so: Im 18. Jahr­hun­dert tru­gen die Her­ren Vol­taire, Dide­rot et al. die Leuch­te der Auf­klä­rung in alle Hüt­ten, Werk­stät­ten und Stäl­le und weck­ten, wen sie dort antra­fen, aus sei­nem Jahr­tau­sen­de wäh­ren­den Halbschlummer.

Die­se ist die bei Intel­lek­tu­el­len belieb­te Vari­an­te, weil sie ihrer Pro­fes­si­on auch die Urhe­ber­schaft am tech­ni­schen Fort­schritt sichert – unge­ach­tet des geschicht­li­chen Fak­tums, daß es sich bei den tat­säch­li­chen Akteu­ren der »indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on« eben nicht um Mit­glie­der der Aca­dé­mie fran­çai­se han­del­te, son­dern immer um geni­al tüf­teln­de Schmie­de, Hüt­ten­leu­te und Mark­schei­der, die es zu Recht bös’ auf­ge­nom­men hät­ten, wenn jemand aus den auf­klä­ren­den Gewer­ben sie des Unver­mö­gens bezich­tigt hät­te, »sich ihres Ver­stan­des ohne Lei­tung eines ande­ren zu bedienen«.

Ich per­sön­lich bevor­zu­ge bei der Klä­rung die­ser Fra­ge »Nor­mal- oder Son­der­fall« des­halb eine meta­pho­ri­sche Nut­zung der Phy­sik der Monsterwelle:

Eine Mons­ter­wel­le ent­steht plötz­lich und unvor­her­seh­bar, wenn gleich meh­re­re, ver­schie­de­ne, aber schnel­ler lau­fen­de Wel­len auf sta­bil und lang­sa­mer rol­len­de auf­sat­teln. Das ver­grö­ßer­te Gebil­de saugt zusätz­li­che Ener­gie aus der Wel­len­um­ge­bung an, und der berit­te­ne Rie­se steigt plötz­lich steil auf ein Viel­fa­ches sei­ner Ursprungs­grö­ße hoch, bis der Kamm abbricht und das mäch­ti­ge, aber insta­bi­le und kurz­le­bi­ge Gebil­de in sich zusammenstürzt.

Das Bild erlaubt es übri­gens, auch die geis­ti­ge Vor­ge­schich­te der gro­ßen Trans­for­ma­ti­on als sehr lang­sa­me Wel­len ein­zu­be­zie­hen, die, wie etwa Eric Voe­gel­ins »Gnos­ti­scher Wahn«, von weit her (hier: aus dem 12. Jahr­hun­dert) kamen und den Wel­len­berg nur unter­füt­ter­ten. Damit wäre aber klar: Wir leben, wie Sie­fer­le sagt, in einer his­to­ri­schen Sin­gu­la­ri­tät. Deren Ende aber ist mitt­ler­wei­le im Zeit­ho­ri­zont der heu­te Leben­den erschienen.

»Peak oil war ges­tern« ist eine in letz­ter Zeit viel­ge­le­se­ne Paro­le, die mit ganz ent­ge­gen­ge­setz­ten Inhal­ten ver­brei­tet wird. Zum einen sagt sie aus, daß das welt­wei­te Ölför­der­ma­xi­mum vor ein paar Jah­ren erreicht wor­den sei. Hin­ter­sinn: Von nun an geht’s bergab.

Das ist bei den kon­ven­tio­nel­len Vor­rä­ten unbe­strit­ten der Fall. Im ent­ge­gen­ge­setz­ten Sinn sagt sie, daß die The­se vom Ölför­der­ma­xi­mum von ges­tern sei, weil neu erschlos­se­ne und mit neu­en Tech­ni­ken zu för­dern­de Vor­rä­te (Tief­see­öl, Polar­öl, Erd­gas und Erd­öl aus Ölschie­fer oder Teer­san­den) die Tür zu wei­te­rem Ener­gie­über­fluß auf­ge­sto­ßen hät­ten. Hin­ter­sinn: Die Par­ty geht weiter.

Größ­ter Trei­ber der wie­der­erwa­chen­den Eupho­rie ist der natu­ral gas und shale oil rush in den USA. Die in Mon­ta­na, Arkan­sas, North Dako­ta und Texas erschlos­se­nen oder ver­mu­te­ten Vor­rä­te unter­schei­den sich von kon­ven­tio­nel­len Vor­kom­men dadurch, daß sie infol­ge feh­len­der Zeit (eini­ge hun­dert­tau­send oder auch Mil­lio­nen Jah­re) oder wegen unge­eig­ne­ter geo­lo­gi­scher Umstän­de dar­an gehin­dert waren, sich för­de­rungs­freund­lich in einer Ölb­la­se zu versammeln.

Sie sind sozu­sa­gen »unreif« und müs­sen aus den Gestei­nen mit Unmen­gen von Was­ser und her­bei­ge­schaff­tem Sand her­aus­ge­sprengt, ‑gewa­schen oder (mit vor Ort errich­te­ten Koh­le­kraft­wer­ken) ‑gekocht wer­den. Bekannt ist der stei­le Abfall der För­der­kur­ve mit Raten von 60 – 80 Pro­zent nach dem ers­ten Jahr. Die Ern­te­fak­to­ren las­sen sich nicht ermit­teln, bei Shale Gas herrscht Schwei­gen, aber für das Hay­nes­will Shale in Arkan­sas wur­de bekannt, daß der Betrei­ber Che­as­apea­ke nur in 15 Mona­ten von zehn Jah­ren die För­der­kos­ten durch die Erlö­se decken konnte.

Das besagt nichts ande­res, als daß dort (eben­so wie beim Tief­see­öl) ver­gleichs­wei­se preis­wert gewon­ne­ne kon­ven­tio­nel­le Fos­sil­ener­gie gegen teu­er zu gewin­nen­de unkon­ven­tio­nel­le etwa 1:1 getauscht wird.

Die Rech­nung mag mit Blick auf steil stei­gen­de Ener­gie­prei­se für die Akteu­re sogar noch auf­ge­hen, aber die­ses Kal­kül lie­ße sich leich­ter rea­li­sie­ren, wenn die Betrei­ber die ein­ge­setz­te Ener­gie gleich bun­kern und so wenigs­tens dar­auf ver­zich­ten wür­den, in die­sem Null­sum­men­spiel die ame­ri­ka­ni­schen Mit­tel­ge­bir­ge dem Erd­bo­den gleichzumachen.

Das Sys­tem kämpft also an allen Fron­ten in einer ver­zwei­fel­ten Flucht nach vor­ne und stei­gert dabei in dra­ma­ti­scher Wei­se sei­ne Kom­ple­xi­tät und sei­ne Insta­bi­li­tät. Nas­sem Nicho­las Taleb, der Autor des Schwar­zen Schwans, denkt in sei­nem neu­en Buch Anti­fra­gi­li­tät dar­über nach, wie Struk­tu­ren, Insti­tu­tio­nen und Pro­zes­se beschaf­fen sein müs­sen, die in Streß, Schocks und Kata­stro­phen nicht nur nicht unter­ge­hen, son­dern gestärkt wer­den. Erkennt­nis: sie müs­sen nicht etwa nur robust oder resi­li­ent sein, son­dern »anti­fra­gil«.

Das Robus­te ist kaum zu beein­dru­cken, aber auch nicht reak­ti­ons­fä­hig. Das Fra­gi­le nimmt Scha­den, Total­scha­den nicht aus­ge­schlos­sen, das Anti­fra­gi­le aber pro­fi­tiert rela­tiv mehr von Erschüt­te­run­gen, als es dar­un­ter lei­det. Es ist offen­sicht­lich, daß die Anti­fra­gi­li­tät vor allem eine Eigen­schaft orga­ni­scher Sys­te­me ist, mor­pho­lo­gi­scher Ganz­hei­ten, die die Fähig­keit zur Selbst­hei­lung, zur Reak­ti­on, zur Reor­ga­ni­sa­ti­on und zur Wah­rung ihrer Außen­gren­zen haben.

Es gilt als eine »typisch deut­sche« Denk­form (»… im Kamp­fe mit der eng­lisch-mecha­nis­ti­schen Welt-Ver­töl­pe­lung« – Nietz­sche), die Sys­tem­ei­gen­schaf­ten des Orga­ni­schen immer wie­der ins Zen­trum natur- und sozi­al­phi­los­phi­scher Über­le­gun­gen zu stel­len – von Adam Mül­ler über Edgar Juli­us Jung bis zu Arthur Koestler.

Koest­ler woll­te mit sei­ner Holon-Theo­rie ato­mis­ti­sche und holis­ti­sche Blo­cka­den über­win­den, indem er zeigt, daß die Wirk­lich­keit sich aus hier­ar­chisch ver­bun­de­nen Ein­hei­ten (= Holons) auf­baut, die nicht nur Teil, son­dern selbst gleich­zei­tig »Ganz­heit« und »Sub­ganz­heit« sind und des­halb janus­köp­fig die gegen­sätz­li­chen Ten­den­zen zur Selbst­be­haup­tung und Selbst­tran­szen­denz, zur Auto­no­mie und zur Inte­gra­ti­on zeigen.

Man merkt es jeder Insti­tu­ti­on, jedem Sozi­al­ver­band an, ob die­se gegen­sin­ni­gen Ten­den­zen jeder Ein­heit in der Balan­ce und hege­lia­nisch »auf­ge­ho­ben« sind. Wenn ja, funk­tio­niert die Ein­heit, wenn nein, zahlt sie den Preis des Abbaus. Die letz­ten sozia­len Groß­ver­bän­de, die in die­sem Sinn »funk­tio­niert« haben, waren wahr­schein­lich der preu­ßi­sche Staat und das Kaiserreich.

Zum stärks­ten »Zug der Zeit« gehört genau die­se Ent­mäch­ti­gung und funk­tio­nal-pro­duk­ti­ve Aus­ker­nung der unte­ren Ebe­nen. Man könn­te von einer all­ge­mei­nen Ten­denz zur »Dis­mem­bra­ti­on« spre­chen, die eben nicht nur Staa­ten trifft, die in Nord­afri­ka und im Nahen Osten als Hemm­nis geo­po­li­ti­schen Gene­ral­plä­nen im Wege ste­hen und des­halb schlecht­hin auf­ge­löst wer­den sol­len, son­dern auch als inner­ge­sell­schaft­li­cher Pro­zeß der Auf­lö­sung aller inter­me­diä­ren, »orga­ni­schen« Sozi­al­ver­bün­de wirk­sam wird.

Auf der mate­ri­el­len Ebe­ne wer­den alle pro­duk­ti­ven, raum­be­zo­ge­nen Poten­tia­le weg­ge­saugt und auf höhe­rer glo­ba­ler Ebe­ne neu ange­ord­net. Die Land­wirt­schaft, der Urpro­du­zent, war bis in die 60er Jah­re des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts ein solar­en­er­ge­ti­sches Relikt in der fos­sil­en­er­ge­ti­schen Epo­che. Dann wur­de auch sie nach der Logik des neu­en Ener­gie­re­gimes for­miert mit dem Ergeb­nis, daß selbst in der Urpro­duk­ti­on der Ern­te­fak­tor nega­tiv wurde.

Die land­wirt­schaft­li­chen Betrie­be sind heu­te ein rei­ner Kreu­zungs­punkt glo­ba­ler Lie­fer­ket­ten, auf denen Hybrid­saat­gut, Hybrid­tie­re, Dün­ger, Agrar­che­mie und Fut­ter­mit­tel her­an­rau­schen. Die züch­te­ri­sche Hybri­di­sie­rung nimmt ihnen zur Zeit die letz­ten pro­duk­ti­ven Urpotentiale.

Mehr als 50 Pro­zent der Flä­chen in Deutsch­land die­nen noch der Land­wirt­schaft (etwa 18 Mio. ha, davon zwölf Mio. Acker­flä­che und sechs Mio. Grün­land). Auf knapp einem Fünf­tel der Acker­flä­che ste­hen Fut­ter- und Energiemais.

Dort, wo auf dem Grün­land noch Rin­der gra­sen und auf den Äckern Brot­ge­trei­de wächst, pre­digt der büro­kra­ti­sche Men­tor Flä­chen­stil­le­gung und Ver­trags­na­tur­schutz und nötigt den Land­wirt, sei­ne ansons­ten unge­nutz­ten Wei­den mit ein paar exten­siv gehal­te­nen, unge­mol­ke­nen Mut­ter­kü­hen zu deko­rie­ren und ansons­ten »Land­schafts­pfle­ge« zu betrei­ben, indem er die Bil­dung von Bra­chen, Vernäs­sungs­flä­chen und Moo­ren nach Kräf­ten fördert.

Der Bau­er schleicht damit als melan­cho­li­scher Muse­ums­wär­ter durch eine Land­schaft, die sei­ne Vor­fah­ren, hart arbei­tend, melio­ri­sie­rend und Wer­te schaf­fend als »Kul­tur­land­schaft« erst geformt haben.

Der Natur­schutz, soviel wir ihm hin­sicht­lich des Arten­schut­zes zu ver­dan­ken haben, wirkt in der Land­wirt­schaft als Werk­zeug zur Besei­ti­gung der Land­wirt­schaft. Fast 7,3 Mil­lio­nen ha, also 40 Pro­zent die­ser Flä­chen, ste­hen mitt­ler­wei­le als Natu­ra-2000-Gebie­te unter Nut­zungs­ein­schrän­kun­gen, und es gibt immer noch die büro­kra­ti­sche (aber auf immer här­te­ren Wider­stand sto­ßen­de) Ten­denz, gro­ße Wald­flä­chen als Natio­nal­parks völ­lig aus der Nut­zung zu nehmen.

Die Höfe als Ener­gie­parks, die vom Mais ver­schon­te Feld­flur als unfrucht­ba­rer Land­schafts­park mit Feld­ge­höl­zen, die Wäl­der als ein­schlags­freie Urwäl­der, das ist der Ziel­punkt der der­zei­ti­gen Ten­den­zen. Lebens­mit­tel? Die gibt es beim Dis­coun­ter. Nicht das »Mora­li­sche«, wie bei Fried­rich Theo­dor Vischers A. E., son­dern »Das Nöti­ge ver­steht sich von selbst.«

Die­se Non­cha­lance gegen­über dem Not­wen­digs­ten hat ihren Grund in der lan­gen, fast unver­meid­li­chen Illu­si­on eines auf ewig gesi­cher­ten Über­flus­ses, von der auf die­sen Sei­ten die Rede ist. Als Poli­tik ist sie aber fast nur erklär­lich, wenn man sie mit den Tag­träu­men der inter­na­tio­na­li­sier­ten Tech­no­kra­ten-Eli­ten kon­fron­tiert. Sie wer­den von dem poli­tik­be­ra­ten­den Hans Joa­chim Schellnhu­ber, Lei­ter des in Kli­ma­ka­ta­stro­phen­din­gen all­ge­gen­wär­ti­gen Pots­dam-Insti­tuts für Kli­ma­fol­gen­for­schung im »klei­nen Kreis« der wis­sen­schaft­li­chen Öffent­lich­keit mit erstaun­li­chem Mut zur Indis­kre­ti­on offenbart:

Ihm schwe­ben ein »Rede­sign der Erde mit­tels Geo­en­gi­nee­ring«, eine geziel­te »Umge­stal­tung der Öko­sphä­re« und eine »pro­ak­ti­ve Kon­trol­le der pla­ne­ta­ren Varia­bi­li­tät« vor. Arbeit, Ener­gie und Stoff­strö­me will er geo­gra­phisch neu ver­tei­len: Nah­rungs­mit­tel­an­bau in die medi­ter­ra­nen Zonen, erneu­er­ba­re Ener­gie­ge­win­nung in die Sub­tro­pen, Erho­lungs­tou­ris­mus in die Tro­pen. Und das Kli­ma will er nicht nur schüt­zen, son­dern durch »wohl­über­leg­te Injek­ti­on von Desi­gner-Treib­haus­ga­sen« in die Atmo­sphä­re ver­bes­sern. (H. J. Schellnhu­ber: »Earth Sys­tem Ana­ly­sis and the Second Coper­ni­can Revo­lu­ti­on«. In: Natu­re. Mill­en­ni­um Sup­ple­ment to Vol. 402, No. 6761, C19–C23 (1999).

Rolf Peter Sie­fer­le emp­fand es als »merk­wür­di­ges Para­dox, wenn gera­de die­je­ni­ge Gesell­schaft, wel­che die Men­schen in zuvor unvor­stell­ba­rer Wei­se an funk­tio­na­le und ideo­lo­gi­sche Ket­ten legt, sich selbst in Begrif­fen der Auto­no­mie, der Selbst­be­stim­mung und Frei­heit« defi­niert (Rück­blick auf die Natur, S. 201).

Der ideo­lo­gi­sche Nie­der­schlag der oben benann­ten Ten­den­zen zum »glo­ba­len, pro­duk­tiv ent­kern­ten Dorf« mit dün­ner feu­da­ler Ober­schicht fin­det sich – vor allem bei den nur noch wie­der­käu­en­den jour­na­lis­ti­schen Gewer­ben – in Gestalt einer Sehn­sucht nach jener Schafs­idyl­le, die Oswald Speng­ler 1931 (in Der Mensch und die Tech­nik) mal­te:

Kein Krieg mehr, kein Unter­schied mehr von Ras­sen, Völ­kern, Staa­ten, Reli­gio­nen, kei­ne Ver­bre­cher und Aben­teu­rer, kei­ne Kon­flik­te infol­ge von Über­le­gen­heit und Anders­sein, kein Haß, kei­ne Rache mehr, nur unend­li­ches Beha­gen durch alle Jahrtausende.

Jede men­ta­le Stö­rung die­ses Her­den­idylls setzt ein gereiz­tes Blö­ken posi­tiv oder nega­tiv besetz­ter Inter­jek­tio­nen in Gang: »Frei­heit, Selbst­be­stim­mung, Viel­falt, Welt­of­fen­heit, Tole­ranz, Gleich­heit, Respekt, Teil­ha­be« oder – und dann im Alarm­ton –: »Ras­sis­mus, Frem­den- und Frau­en­feind­lich­keit, Homo­pho­bie, Gewalttätigkeit«.

Frank Böckel­mann hat die­ses Wort­ge­klin­gel jüngst als den drit­ten Jar­gon bezeich­net und sich (in einem in Kür­ze bei Manu­scrip­tum erschei­nen­den Buch) dar­über gewun­dert, daß Kon­ser­va­ti­ve die­se krü­me­li­gen Res­te einer Mei­nung, die selbst schon gar nicht mehr »gebil­det«, son­dern nur noch »gehabt« wur­de, mit Erbit­te­rung als die anhal­ten­de Dis­kurs­ho­heit der 68er mißverstehen.

Eigent­lich haben die Kon­ser­va­ti­ven im Ver­gleich zu den sie ehe­dem bedrän­gen­den Welt­an­schau­un­gen das bes­te Los gezo­gen, und bei der Nei­ge des Tages wer­den sie im Abend­son­nen­licht die Freu­de des Immer-recht-gehabt-Habens genie­ßen kön­nen. Libe­ra­lis­mus und Sozia­lis­mus hin­ge­gen gibt es nicht mehr, bei­de haben sich auf­ge­löst in der rei­nen Dis­tri­bu­tiv­lo­gik der »Immer schon gefüll­ten Schüs­sel«, aus der im petro­lisch-schla­raf­fi­schen Spät­ka­pi­ta­lis­mus jeder sei­nen Teil erhält.

John Rawls hat dazu einen moral­phi­lo­so­phi­schen Rah­men gestif­tet: Wo es Unter­schie­de in der Leis­tungs­fä­hig­keit und der Anstren­gungs­be­reit­schaft gibt, da lagen sie schon in der Wie­ge und begrün­den als Gaben der Natur kei­ner­lei wei­ter­ge­hen­de Ansprüche.

Der Mensch als Gefäß, das Anrecht auf Fül­lung hat: Auch die­ses Lebens­ge­fühl (dem die pas­sen­de Theo­rie ja erst nach­ge­scho­ben wur­de) wird ein Ende haben, wenn der über­mäch­ti­ge Pro­duk­ti­ons­bei­trag der geschöpf­ten Ener­gien nicht mehr zur Ver­fü­gung steht, um zwi­schen Kapi­tal und Arbeit / Nicht­ar­beit im ange­stamm­ten Ver­hält­nis von drei zu sie­ben pre­da­to­risch geteilt zu werden.

Man soll­te sich also nicht zer­grü­beln. Das, was kommt, ist so oder so eine Auf­ga­be, bei deren Bewäl­ti­gung – nach Wil­helm Röp­ke – Opti­mis­ten und Fata­lis­ten gleich unnütz nur im Wege stehen.

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