Paradigmenwechsel

von Caroline Sommerfeld

Der Begriff "Paradigmenwechsel" (i. Orig. Paradigm shift) wurde zuerst von Thomas Kuhn 1962 als wissenschaftstheoretisches Instrument benutzt,...

den Wech­sel natur­wis­sen­schaft­li­cher Welt­bil­der (z.B. die koper­ni­ka­ni­sche Wen­de oder die Rela­ti­vi­täts­theo­rie) zu erfassen.

Immer wie­der wur­de der Begriff in sei­ner Rezep­ti­on dar­auf zurecht­ge­stutzt, bloß für im enge­ren Sin­ne natur­wis­sen­schaft­li­che Revo­lu­tio­nen gül­tig zu sein, immer wie­der aber auch auf sozia­le Para­dig­men­wech­sel (und gele­gent­lich vor­her­ge­sag­te eso­te­ri­sche Zei­ten­wen­den) bezogen.

Poli­ti­sche Revo­lu­tio­nen wer­den durch ein wach­sen­des, doch oft auf einen Teil der poli­ti­schen Gemein­schaft beschränk­tes Gefühl ein­ge­lei­tet, daß die exis­tie­ren­den Insti­tu­tio­nen auf­ge­hört haben, den Pro­ble­men, die eine teil­wei­se von ihnen selbst geschaf­fe­ne Umwelt stellt, gerecht zu wer­den. Aus­ein­an­der­set­zun­gen im Rah­men poli­ti­scher Revo­lu­tio­nen spren­gen den Rah­men der vor­her als legi­tim ange­se­hen Insti­tu­tio­nen, fin­den nicht in ihnen statt; es ver­sagt die eigent­li­che poli­ti­sche Auseinandersetzung.

(Tho­mas S. Kuhn: Die Struk­tur wis­sen­schaft­li­cher Revo­lu­tio­nen, Frank­furt a.M. 1967, S. 104f.)

Anzei­chen eines sol­chen Wech­sels im kol­lek­ti­ven Welt­bild sind für Kuhn “Anoma­lien” in der Nor­mal­wis­sen­schaft (Ordi­na­ry sci­ence), “Phä­no­me­ne, auf wel­che das Para­dig­ma den For­scher nicht vor­be­rei­tet hat­te”. Hin­rei­chend vie­le oder gra­vie­ren­de Anoma­lien füh­ren zu einer “Kri­se”, in einer “vor­pa­ra­dig­ma­ti­schen Zeit” kommt es mit­un­ter zu einer Wuche­rung von Theo­rie­an­sät­zen, um das neue Phä­no­men irgend­wie zu fas­sen zu bekommen.

Auf das Sys­tem der Mas­sen­me­di­en oder das poli­ti­sche Sys­tem über­tra­gen sind die­se Anoma­lien Fäl­le, in denen die Beschrei­bungs­spra­che fehl­tritt. Fehl­trit­te merkt man dar­an, daß der bis­he­ri­ge Code weg­rutscht, die Sen­der (Poli­ti­ker, Jour­na­lis­ten, Autoren) etwas äußern, von dem sich die Emp­fän­ger nicht gemeint füh­len, über­gan­gen füh­len, ja auch hin­ter­gan­gen und “ver­arscht” füh­len. So gesche­hen bei den ers­ten Bericht­erstat­tun­gen über PEGIDA 2015, dann beim Flücht­lings­an­sturm im ver­gan­ge­nen Som­mer, dann durch das gro­ße “Wir schaf­fen das!”, an des­sen Pra­xis die Emp­fän­ger ver­zwei­fel­ten, dann durch Wahl­pro­gno­sen und Für-dumm-Ver­kau­fen der Wäh­ler, schließ­lich durch die eli­tä­ren Reak­tio­nen auf den (im alten Para­dig­ma erho­be­nen) Lügen­vor­wurf gegen­über der Pres­se und der Fern­seh­sen­der – die “sozi­al Abge­häng­ten”, die “Glo­ba­li­sie­rungs­ver­lie­rer”, die von “irra­tio­na­len Ängs­ten” Geplag­ten, der “Bas­ket of deplo­rables”, die “wei­ßen, arbeits­lo­sen, unge­bil­de­ten Ras­sis­ten”. Emble­ma­tisch dafür ist Joa­chim Gaucks Aus­sa­ge, das Pro­blem sei­en nicht die Eli­ten, son­dern die Bevölkerung.

Ein neu­es Para­dig­ma formt sich aus dem alten, schnell wird jedoch klar, daß das neue Para­dig­ma und das alte nicht mehr paß­ge­nau sind – sie sei­en “inkom­men­su­ra­bel”, for­mu­lier­te Kuhn (und spä­ter auch Lyo­tard, des­sen Wider­streit als dar­an ange­lehnt gele­sen wer­den kann). Neue Para­dig­men böten näm­lich neue Fra­ge­stel­lun­gen, neue Pro­ble­me und neue Begiff­lich­kei­ten. Die Anhän­ger eines neu­en Para­dig­mas leb­te, so Tho­mas Kuhn, in einer “ande­ren Welt”.

Das kommt uns in die­ser Zeit sehr, sehr bekannt vor. Ver­gan­ge­ne Para­dig­men­wech­sel in den ver­schie­de­nen Sozi­al­sys­te­men las­sen erken­nen, daß sie nicht im Min­des­ten ohne Pole­mik, Haß, Dif­fa­mie­run­gen und Wider­rufs­be­leh­run­gen von­stat­ten gegan­gen sind, vom Leben Gali­leis bis Dar­wins Evo­lu­tio­nis­mus zum Wech­sel hin zum heu­te all­ge­gen­wär­ti­gen lin­ken Welt­bild, das sich nach dem 2. Welt­krieg durchsetzte.

Im alten Para­dig­ma wird behaup­tet, das emer­gie­ren­de neue sei eine gefähr­li­che Lüge. Das struk­tu­rell Pro­ble­ma­tischs­te ist die Behar­rungs­ten­denz des alten Para­dig­mas, inso­fern es “Wahr­heit” bei sich selbst ver­or­tet und auch die Infra­ge­stel­lung der gan­zen Dif­fe­renz Wahrheit/Lüge unter “Lüge” verbucht.

Das neue Para­dig­ma geht völ­lig natür­lich eben­falls von einem intak­ten Wahr­heits­be­griff aus. Die­ser ist nun nicht ein­fach die Umkeh­rung, also so, daß alles im alten Para­dig­ma “Lüge” Genann­te nun “Wahr­heit” wäre – wir sind ja nicht in Peter Bich­sels Kin­der­ge­schich­te “Ein Tisch ist ein Tisch”. Im neu­en Para­dig­ma kann man das alte beim Lügen beob­ach­ten, zum Bei­spiel indem das neue Beob­ach­tungs­sche­ma des “Gro­ßen Aus­tauschs” als inexis­tent, weg­re­la­ti­vier­bar oder sogar begrü­ßens­wert erscheint.

Die Lügen über die Absich­ten der poli­ti­schen Rech­ten fül­len Bän­de aller Groß­ver­la­ge und Maga­zi­ne, vom “Haß” über die “Anti-Euro­pä­er” bis zum dro­hen­den “Ende der Welt” unter dem “Faschis­ten” Trump und einem “auto­ri­tä­ren Regime nach tür­ki­schem Vor­bild” unter Hofer ist jeden Tag eini­ges Inter­es­san­tes dabei. Es bedarf mühe­vol­ler Klein­ar­beit, jede die­ser Lügen (und ihre Able­ger, die logi­schen Abkür­zun­gen, Insi­nua­tio­nen, Unter­stel­lun­gen und unbot­mä­ßi­gen Ver­glei­che) ein­zeln her­aus­zu­prä­pa­rie­ren. Das übri­gens ist nur aus der Beob­ach­ter­po­si­ti­on des neu­en Para­dig­mas mög­lich, im alten wäre es kogni­tiv mög­lich, aber ohne Sinn.

Es geht mir also mit einer Erklä­rung der Lage als Para­dig­men­re­vo­lu­ti­on nicht dar­um, das Ende der Wahr­heit aus­zu­ru­fen, im Gegen­teil. Wahr­heits­ge­wiß­heit kommt einem Zweif­ler am alten Sys­tem aller­dings ziem­lich schnell abhan­den, wenn stän­dig die Rede davon ist, ver­nünf­ti­ge Argu­men­te wür­den jetzt durch Gefüh­le ersetzt, durch irra­tio­na­le Ängs­te und psy­cho­lo­gisch ver­ständ­li­che oder patho­lo­gi­sche Befind­lich­kei­ten, oder, an die Stel­le der vor­mals siche­ren Wahr­heit trä­ten “Twit­ter, Face­book und Blogs”.

Ein altes Welt­bild läßt sei­nen Abgang erken­nen, indem es aggres­siv Pro­jek­ti­on betreibt: Das Ein­ge­ständ­nis der Unfä­hig­keit, die Welt zu erklä­ren, wird dem neu­en Welt­bild unter­stellt, in der Form, “kei­ne Erklä­run­gen”, “nur Behaup­tun­gen”, “Gefüh­le” zu produzieren.

Niklas Luh­mann hat den Struk­tur­wan­del der sozia­len Sys­te­me in sei­ner drei­bän­di­gen Gesell­schafts­struk­tur und Seman­tik (1980–1993) beschrie­ben, unter­schied­lichs­te Berei­che, von Lie­be bis Arbeit, Moral, Iden­ti­tät oder Staat – über­all sind in der Moder­ne kon­zep­tu­el­le Revo­lu­tio­nen pas­siert. Im Vor­wort zum drit­ten Band macht er ein paar auf­schluß­rei­che Bemer­kun­gen dar­über, daß es für die Zeit­ge­nos­sen unmög­lich sei, einen Struk­tur­wan­del zu erkennen,

und erst nach­dem er voll­zo­gen und prak­tisch irrever­si­bel gewor­den ist, über­nimmt die Seman­tik die Auf­ga­be, das nun sicht­bar Gewor­de­ne zu beschreiben.

Luh­manns kul­tur­his­to­ri­scher Begriff der “Seman­tik” heißt: Beob­ach­tung von Bedeu­tungs­wan­deln zen­tra­ler Begrif­fe einer Kul­tur (in vie­lem Rein­hart Kosellecks Begriffs­ge­schich­ten oder Blu­men­bergs Meta­phoro­lo­gie ähn­lich). Luh­mann benutzt “Seman­tik” dop­pelt, als Hand­lung (Code­ver­wen­dung) und als Beob­ach­tung (Unter­schei­dung eines bestimm­ten Codes von sei­ner Umwelt, hier sieht man die blin­den Fle­cke der jeweils his­to­ri­schen Codes).

Wir kön­nen noch nicht behaup­ten, jetzt einen voll­zo­ge­nen Para­dig­men­wech­sel ex post beob­ach­ten zu dür­fen. Wir ste­cken mit­ten­drin, ent­spre­chend befan­gen ist unser Blick. Doch die Struk­tu­ren wie­der­ho­len sich, nicht nur Kuhn, auch Luh­mann bie­ten da Denk­mus­ter an, in denen wir auch als Zeit­ge­nos­sen schon mal einen Blick wagen könn­ten, auch wenn die Eule der Miner­va ihren his­to­ri­sie­ren­den Flug erst bei Nacht beginnt. Wir haben es mit einem man­nig­fal­ti­gen Bedeu­tungs­wan­del zu tun, in dem das neue Para­dig­ma sich freistrampelt.

1. Teils leis­tet die Seman­tik sich pro­be­wei­se Inno­va­tio­nen, die noch nicht in das Mus­ter struk­tur­stüt­zen­der Funk­tio­nen ein­ge­baut sind und daher jeder­zeit wie­der auf­ge­ge­ben wer­den können.

2. Teils kon­ti­ni­uert sie längst obso­le­te Ideen, Begrif­fe, Wor­te, und ver­schlei­ert damit die Radi­ka­li­tät des Strukturwandels.

3. Teils wech­selt sie in Unter­schei­dun­gen die Gegen­be­grif­fe aus, und hält den Term, auf den es ihr ankommt, konstant.

4. Teils fusio­niert sie eine Mehr­heit von Unter­schei­dun­gen nur zu einer.

ad 1: TRUMP. BECAUSE: FUCK YOU! THAT’S WHY! Code­wech­sel lau­fen mit­un­ter durch Unter­lau­fen des alten Codes, durch Unter­bie­tung einer Unter­schei­dung. Sie sind dadurch nicht unter­kom­plex oder dum­me Ver­ar­sche, im Gegen­teil. Trumps poli­ti­sche Ver­hal­tens­leh­re „NEVER APOLOGIZE. AGREE AND AMPLIFY. REFRAME.“ ist ein struk­tu­rell noch loses Flui­dum der Machtkommunikation.

Poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on war bis­her von haber­mas­schem Ernst grun­diert, Recht­fer­ti­gungs­for­de­run­gen waren ende­misch, Distan­zie­rungs­for­de­run­gen und Rück­tritts­for­de­run­gen hiel­ten den Code „gut/böse“ immer halb im poli­ti­schen Code „Macht/Ohnmacht“ drin, man konn­te nicht mit ihm und nicht ohne ihn. Zuspit­zen, Pola­ri­sie­ren und Ver­stär­ken gal­ten als dem demo­kra­ti­schen Kon­sens nicht zuträg­lich – jetzt wird pro­be­wei­se mal pola­ri­siert was das Zeug hält. Es kann sein, daß man zurück­fah­ren muß, aber dann ist wenigs­tens aus­ge­spro­chen, was unter­halb der „glä­ser­nen Decke“ rumor­te. Dem sub­jek­ti­ven Ref­raming gehört die poli­ti­sche Zukunft.

ad 2: „Demo­kra­tie“ wird besetzt gehal­ten im alten Para­dig­ma, dem­zu­fol­ge die „Fein­de der Demo­kra­tie“ auf sei­ten rech­ter Par­tei­en und Medi­en zu fin­den sind und „Popu­lis­mus“ nicht etwa der Sinn, son­dern das Gegen­teil von Demo­kra­tie sein soll. „Euro­pa“ wird ver­tei­digt gegen die „Anti-Euro­pä­er“ (unter denen der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Claus Leg­ge­wie so dis­pa­ra­te Typen wie Brei­vik, Dugin und mili­tan­te Isla­mis­ten ver­steht, und die rech­te Publi­zis­tik gleich mal mit ein­packt), „west­li­che Wer­te“ wer­den mit lin­ker Ideo­lo­gie, glo­ba­lis­ti­scher Öko­no­mie und Gen­der Main­strea­ming identifiziert.

Dabei pas­siert die­sen Begrif­fen unter der Hand schon etwas: Das Volk wählt sich ganz demo­kra­tisch die Sta­ke hol­der der alten Seman­tik ab, euro­päi­sche Kul­tur wird gegen die EU gesetzt, und die Dis­kus­si­on um „Wer­te“ ent­stammt genau der Islamisierungs‑, Leit­kul­tur- und päd­ago­gi­schen Dis­zi­plin­de­bat­te, die jetzt aus der alten Seman­tik her­aus als „rechts­po­pu­lis­tisch“ ver­ur­teilt wird. Natür­lich wer­den bei einem seman­ti­schen Umbruch nicht lau­ter neue Wör­ter kre­iert, son­dern genau die alten, hoch auf­ge­la­de­nen, umfunktioniert.

ad 3: Das pas­siert mit „Volk“ bzw. Peo­p­le gera­de. Die alte Distink­ti­on war „Volk/Bevölkerung“ oder „Volk/Regierung“. Im ers­te­ren Fal­le wird die Hälf­te „Bevöl­ke­rung“ als irrele­vant gestri­chen, denn daß Län­dern bevöl­kert sind, ist eh klar, und daß sie nicht belie­big bevöl­kert sein soll­ten, wird nor­ma­tiv durch eine neue Unter­schei­dung ein­ge­führt: „Volk/andere Völ­ker“ (im seman­ti­schen Kata­stro­phen­fal­le auch „Volk/Invasoren“).

Die „Regie­rung“ als Ergeb­nis demo­kra­ti­scher Wil­lens­bil­dung in Form von gewähl­ten „Volks­ver­tre­tern“ wird abge­straft und kri­tisch durch den neu­en Code „Volk/Elite“ bzw. „Volk/Establishment“ ersetzt. Denn daß die Eli­ten dem Volk gegen­über­ste­hen und den Kon­takt ver­lo­ren haben, sieht inzwi­schen sogar Sig­mar Gabri­el im Welt­un­ter­gangs-SPIE­GEL ein.

ad 4: Die Dif­fe­ren­zen “Fakten/Behauptungen”, “Realität/Internet”, “Wirklichkeit/‘Filterblase’ oder ‘Echo­kam­mer’ ” fusio­nie­ren zu einer gro­ßen mora­li­schen letz­ten Ver­tei­di­gung der Wahrheit.
Die schnell her­vor­ge­zau­ber­te Idee der “post­fak­ti­schen Gesell­schaft” – ich erwähn­te sie bereits bis zu einem gewis­sen Über­druß – hilft nicht, den über­grif­fi­gen Wahr­heits­an­spruch abzu­lö­sen. Denn das “Post­fak­ti­sche” ist natür­lich kri­tisch gemeint in dem Sin­ne, daß da poli­ti­sche Gestal­ten daher­kä­men und ein­fach scham­los lögen und Tat­sa­chen ver­dreh­ten und Sprü­che bräch­ten und es ihnen kei­nes­wegs scha­de­te, obwohl sie das “Fak­ti­sche” sträf­lich igno­rier­ten, zum Scha­den von Frei­heit, Demo­kra­tie und Qua­li­täts­jour­na­lis­mus oder nicht­po­pu­lis­ti­scher Poli­tik. “Fak­ten­checks” wer­den para­do­xer­wei­se zu Dif­fa­mie­rungs­me­ta­phern. Daher rührt der etwas selt­sam anmu­ten­de jour­na­lis­ti­sche Trotz, unbe­dingt in der Fil­ter­bla­se ver­har­ren zu wol­len, um in Ruhe wei­ter­dif­fa­mie­ren zu können.

Eine neue Seman­tik oder ein neu­es Para­dig­ma wird nicht nur in den Leit­be­grif­fen vom alten her nicht mehr ver­stan­den, “don’t cri­ti­ci­ze what you don’t under­stand, ‘cau­se the times, they are a‑changin’ ”, son­dern auch sprach­prag­ma­tisch. Der lin­ke Gesin­nungs­main­stream geht davon aus, daß Spra­che im poli­ti­schen Feld über den “Dia­log” zur Erzeu­gung von Kon­sens die­ne, auf geteil­ter Ver­nünf­tig­keits­ba­sis statt­fin­de und Aus­sa­gen jeder­zeit recht­fer­tig­bar und ver­all­ge­mei­ner­bar sein müß­ten sowie den Sta­tus von Tat­sa­chen­be­haup­tung hätten.

Die­se Sicht geht auf Haber­mas zurück, die Theo­rie des kom­mu­ni­ka­ti­ven Han­delns hat auch außer­aka­de­misch durch­ge­fet­tet, sodaß die gesam­te Öffent­lich­keit auf die­ser Grund­la­ge Äuße­run­gen als “ras­sis­ti­sche”, “sexis­ti­sche”, “gewalt­ver­herr­li­chen­de” oder “homo­pho­be” Mei­nun­gen kate­go­ri­siert. Für die USA dürf­te hier weni­ger Haber­mas als die emi­grier­te Frank­fur­ter Schu­le Refe­renz­punk­te für die Cri­ti­cal stu­dies lie­fern. Die Kam­pa­gne gegen meh­re­re Alt­Right-Twit­ter­kon­ten sind nur der letz­te Aus­druck die­ser Sprach­auf­fas­sung: Indem man Twit­ter­pos­tings als ver­all­ge­mei­ne­rungs­fä­hi­ge Sach­aus­sa­gen etwa über Frau­en, Schwu­le oder Schwar­ze auf­faßt, will man die Leu­te zu Recht­fer­ti­gung ihres Hateful con­duct (dt. etwa “haßer­füll­ten Ver­hal­tens”), zu öffent­li­cher Ent­schul­di­gung oder vor Gericht zwin­gen, oder man zen­siert sie gleich komplett.

Sprach­prag­ma­tisch gese­hen kann Spra­che aber viel, viel mehr, als nur Sach­aus­sa­gen aus­zu­drü­cken. Es wäre wirk­lich höchst autis­tisch, ver­stün­de man Trumps “Grab ‘em by the pus­sy” als ratio­na­le Hand­lungs­ma­xi­me für die männ­li­che Bevöl­ke­rung zum Über­griff oder Unter­griff gegen Frau­en. So etwas aber geschieht, wenn man es als “sexis­ti­sche Paro­le” ver­steht. Inter­net-Memes sind in den sel­tens­ten Fäl­len auf eine “Mei­nung” zu redu­zie­ren. “Haß­pos­tings” sind im alten Para­dig­ma unpack­bar, sprach­li­che Ver­ro­hung pur, weil sie im Code wahr/unwahr gele­sen wer­den (als Aus­sa­gen über die sozia­le Welt, z.B. die geschlecht­li­che Beschaf­fen­heit von Mus­li­men) statt als Metaphern.

Bei einem seman­ti­schen Umbruch haben es neue Meta­phern beson­ders schwer, wer­den sie doch als alte Buch­stäb­lich­kei­ten ver­stan­den und inkri­mi­niert. Twit­tern ist prag­ma­ti­sches Meta­phern­streu­en, Slo­ter­di­jk stell­te 2013 in sei­nen klei­nen Refle­xio­nen eines nicht mehr Unpo­li­ti­schen fest, daß Mas­sen­me­di­en “zei­chen­ba­sier­te Epi­de­mien erzeu­gen” statt zu “infor­mie­ren”. Es ver­sagt die eigent­li­che poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung, doch Wahr­heit bricht sich ander­wei­tig ihre Bahn: viel ästhe­ti­scher, iro­ni­scher, gemein­schafts­stif­ten­der, grob­schläch­ti­ger, männ­li­cher und auch oft sub­ti­ler, als es das frü­he­re Para­dig­ma hergab.

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Kommentare (53)

Dieter Rose

21. November 2016 18:52

das ist natürlich ganz toll:

behaupten etwas sei inexistent,
aber trotzdem begrüßenswert.

die halten uns für doof.

Winston Smith 78699

21. November 2016 19:09

Schönen Dank, dass Sie sich auch in die Richtung einer Kritik der Sprachpragmatik begeben werden, obwohl sie diese hier zunächst erstmal legitim anwenden. Ich vermute da noch viel, viel mehr zu holen, schaffe das aber alleine nicht, sondern bräuchte Dialog - so eine Zentralgestalt hinsichtlich der Wirksamkeit ist für mich dazu der subtil allesbeherrschende Robert Brandom. Das wird wohl eine interessante Kommentarspalte, und neben @ Pirmin Meier und @ Der Gutmensch freue ich mich da aber besonders auf @ Gustav Grambauer.

Erlauben Sie mir bitte noch eine Frage: Bekräftigen Sie nicht praktisch den Nihilismus (oder Relativismus / Perspektivismus / Pluralismus etc.) der Postmoderne, wenn Sie zur Beschreibung des Schlachtfelds mit dem Paradigmenwechsel just eines ihrer zentralen Denkmodelle verwenden?

Dies Frage gehört wohl zur Pflichtfolklore, bitte nehmen sie sie sportlich. Ansonsten ist der Artikel das, was ich mir vor einem knappen Jahr wünschte, als ich hier unter anderem nach mehr Systemtheorie verlangte. Da fällt mir noch eine Frage ein, wenn Sie gestatten: inwiefern meinen Sie, dass man diese neue, kommende Semantik absichtlich mitgestalten kann, sie machen, anstatt sie werden zu lassen?

Irrlicht

21. November 2016 19:52

Die Luhmannsche Verwendung des Terms "Semantik" unterscheidet sich deutlich von derjenigen in der analytischen Philosophie (seit Frege oder Carnap). Eine Semantik oder semantische Theorie ist als Teil der Sprachphilosophie eine grundlegende Theorie über die Bedeutung sprachlicher Zeichen, über die Frage, wie sich Zeichen auf die (nicht-sprachliche) Welt beziehen, etc. Universalpragmatik/Sprechakttheorie, Sprachspielkonzept oder eine wahrheitskonditionale Semantik, auf die sie sich in einem Ihrer Kommentare bezogen, sind sprachphilosophische Ansätze im Sinne einer grundlegenden Bedeutungstheorie (das stimmt für die Universalpragmatik und Sprechakttheorie nicht ganz, aber das möchte ich hier nicht ausführen), nicht im Sinne der "Beobachtung des Bedeutungswandels zentraler Begriffe". Hier liegt einfach eine Begriffsverwechselung vor.

Zum Begriff des Paradigmas: Dieser facettenreiche Begriff ist selbst bei Kuhn stark unterdefiniert, erst recht, wenn er außerhalb seines ursprünglichen (wissenschaftshistorischen) Kontexts verwendet wird. Selbst im wissenschaftstheoretischen Kontext kann er samt Inkommensurabilitätsthese eigentlich erst dann sinnvoll erörtert werden, wenn er, wie z. B. bei Wolfgang Stegmüller, innerhalb des strukturalistischen Theorienkonzepts rekonstruiert und präzisiert wird.

Summa summarum: Inhaltlich stimme ich dem Artikel durchaus zu, das zum Teil aus der theoretischen Philosophie stammende Vokabular ist für diesen Zweck aber eher ungeeignet.

Cairdis

21. November 2016 20:40

Ein schöner Aufsatz, weil er von der Natur des Menschen erzählt und damit zugleich aktuell und zeitlos ist.
Bekanntlich kommt das Wort Demokratie aus dem Griechischen und leitet sich von demos - Staatsvolk und kratos - Herrschaft ab. Die Wähler sollen also der Souverän sein, der Populus, lateinisch für das Volk, die Leute. Wahlen sind den Mächtigen schon recht, allerdings nur wenn sie so ausgehen, wie es ihnen gefällt. Sonst werden Wahlergebnisse im besten Fall als populistisch bezeichnet. Ein Urteil, dessen Sinnhaftigkeit nicht weit von Aussagen wie nasser Regen entfernt ist. Denn der Vorwurf des Populismus ist im gegenwärtigen Gebrauch nichts weiter als eine Herabwürdigung des Begriffs Demokratie. Überhaupt enthält diese Regierungsform das Wort Volk, ist also nach deren Lesart als belastet abzulehnen. Auf eine solche Logik der Argumentation wird man sich einstellen müssen; es ist immer wieder erstaunlich, wozu ihnen jene zwölf Jahre alles gut sind. Dabei läßt sich der Zirkelschluß des Wahnsinns erkennen, wie sie von selbst erschaffenen Gespenstern und Untoten verfolgt werden. Die „Eliten“ würden dann lieber eine Herrschaftsform sehen, die dem Wohlfahrtsausschuß der Jakobiner ähnelt, etwa ein regierendes „Komitee zur Wahrung der Errungenschaften“. Womit dann in Wirklichkeit die politische Korrektheit gemeint ist, und das seiner Verdrängung preisgegebene Volk wieder der geringe Pöbel sein kann, die auf narzißtische Weise verachteten deplorables. Dafür werden sie ja die ganze Welt gewinnen. Man unterschätze ihre Ansprüche und Erwartungen nicht, sie sind beinahe wörtlich der Überzeugung, die Welt würde ihnen sogar geschenkt.
Um den Blickwinkel zu ändern, das ganze Geschrei und Gejammer um den Populismus läßt auf noch etwas anderes schließen: in dunklen Stunden scheint es selbst den Beschränktesten unter ihnen zu dämmern, daß sie selber nicht mehr sonderlich populär sind. Und das trotz aller Trommelei durch die Medien.

Der_Jürgen

21. November 2016 20:48

Wie schon die vorhergehenden Beiträge von Caroline Sommerfeld ist auch dieser eine Fundgrube von Ideen, die dazu noch wunderbar formuliert sind; herzlichen Dank.

Ich habe mir die Mühe genommen, die Links anzuklicken, und es nicht bereut, weil ich dabei auf diesen doch recht bemerkenswerten Artikel von Elisabeth Raeth in der ZEIT stiess:

https://www.zeit.de/2016/33/demokratie-klassenduenkel-rassismus-populismus

Obgleich sich die Autorin inflationär des offiziellen Newspeak bedient, ist der Text lesenswert, weil darin ein für Linke und Liberale ganz ungewöhnlich grosses Mass an Selbstkritik zum Ausdruck kommt. Man verspürt die Verzweiflung, die sich dieser offenbar nicht dummen Frau bemächtigt hat, buchstäblich hautnah. Sie spürt, dass ihre Welt zusammenbricht und dass sie und ihre Gesinnungsfreunde längst keine zündenden Ideen mehr haben. Sie spürt vermutlich, natürlich ohne dies zugeben zu können, dass das linksliberale Establishment nur noch eine Ideologie des Todes verteidigt - des Todes der eigenen Nation, des eigenen Volkes, der eigenen Kultur. Sie geizt nicht mit herber Kritik an der Arroganz der Schicht, der sie selber angehört, deutet aber mit keinem Wort an, wie diese es denn besser machen könnte.

Bemerkenswert u. a. folgender Satz aus dem Text der Raeth:

"Der französische Soziologe Eribo sagt, dass die ehemalige Arbeiterklasse immer auch homophob und rassistisch war, aber heute wähle sie vor allem deshalb den FN, weil die sozialistische Regierung nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle."

Jawohl, so ist es. Der frühere, verstorbene KP-Chef Georges Marchais warnte immer wieder vor der Überfremdung und sagte: "La classe ouvriere n'aime pas les pedes." (Die Arbeiterklasse liebt die Schwulen nicht.)

Da wünscht man sich als Rechter, diesem Linken die Hand reichen zu können...

Vielleicht kommt, wie Ernst Jünger in "Eumeswil" schrieb, bald "ein grosser Mittag, der alles versöhnt". "Die Rechte der Tradition, die Linke der Arbeit", formuliert es Alain Soral. Sein Wort in Gottes Ohr!

Karl Brenner

21. November 2016 21:12

Schön beschrieben ist dieser Vorgang (abstrakt in Form einer "Heaviside Transiente"[1}) in dem wunderbaren Interview von Herrn Vogt mit Peter Feist.

Peter Feist: Die Götterdämmerung der westlichen Ideologien und die Wiederkehr des Nationalen

https://www.youtube.com/watch?v=1uRz-g7Gt20&list=PL58KXFT74kza8X3NNDkHRdOz2AHwnb5mt&index=3

Letztendlich ist es nicht unbestimmt, wo wir landen werden. Das Ziel ist unvermeidlich.

Es ist vielmehr eine Frage der Zeit, wie lange es dauern wird, bis die Bürger der Nationalstaaten wieder in einer angemessenen und selbstbestimmten Freiheit leben können. Und eine Frage der Menge an menschlichen Leides welches geopfert wird.

[1] Laplace Transformation der Einheitssprungfunktion (Heaviside Funktion) vom großartigen Josef Raddy(!)

https://www.youtube.com/watch?v=RAv6c4OYnh0

Winston Smith 78699

22. November 2016 12:01

@ Karl Brenner

Bitte erklären Sie das genauer, sonst bleibt es zu kryptisch. Inwiefern hat Ihr elektrotechnisches "System" Gemeinsamkeiten mit dem Luhmannschen? Inwiefern ist Resonanz im Spiel? Macht hier die Natur - kann man das "Natur" nennen? - wirklich einen Sprung, oder befinden wir uns vielmehr im Chaos eines sehr steilen Anstiegs? Was sieht man durch die Laplacetransformation besser, was kann man mit ihr im Komplexen anders erklären als evtl. chaotisch oder indeterminiert? Leser @ Kaliyuga könnte dazu was sagen, welcher Heisenberg zwar wichtig findet, aber das Wort "zufällig" in Gänsefüßchen setzt (Bohmianer?).

@ Irrlicht

Für fachfremde Leser bleibt am Ende Ihres strengen Kommentars trotz schließlich des Einlenkens hängen, dass da irgendwas in Sommerfelds Artikel tiefliegend nicht stimmt könnte, aber das wollten Sie ja nicht. Wie Sie an Brenners Kommentar sehen, müssen wir uns beim unverzichtbaren Reden in Metaphern etwas Gelassenheit gönnen, sonst bleibt das stecken und man kommt nicht auf Ideen. Sommerfeld kommt aus einer anderen Ecke, erschrecken Sie doch das Zugpferd nicht mit dem Spezialkram, der für Kant- und Moralforscher aussieht wie Folterinstrumente.

Dietrich Stahl

22. November 2016 12:02

Liebe Frau Sommerfeld, das ist ein spannendes Thema, das Sie da angesprochen haben. Und eines, das mich seit ungefähr einem viertel Jahrhundert beschäftigt – und beobachten lässt.
Ihr Beitrag bestätigt mir wieder einmal, dass SiN – das einzige Forum an dem ich mich beteilige; und das erste – exquisite Qualität hat.
Auch die bisher sechs Kommentare waren eine Fundgrube für mich.

Vor etwas mehr als 25 Jahren wurde für mich sichtbar, dass sich ein Paradigmenwechsel ankündigte.

Ein Vorteil des Älterwerdens ist, dass man, wie der Star Treck Androide es ausdrücken würde, viel Input bekommen hat, viele Daten gesammelt.
Die 1970iger Jahre, ich war damals in der DDR eingesperrt [nicht wortwörtlich], bezeichnete ich später als „die bleierne Zeit“. In den 80igern begannen Windböen, die stickige Luft zu vertreiben.
1989 – Jetzt wehte der Wind der Veränderung.
Er wurde zum Sturm. Die Mauer fiel. Der Ostblock zerbrach.
1990 schließlich die Wiedervereinigung.
Politisch brachte der Wind vielen Nationen die Freiheit.
Doch nicht nur politisch tat sich Großes.

Das Bewusstsein änderte sich. Worte und Konzepte, die in den 70igern vielfach noch Fremdworte waren, sind heute Allgemeingut. Karma und Reinkarnation seien genannt.

Zu Beginn der 90iger dachte ich, wie viele andere, das Goldene Zeitalter stehe unmittelbar vor der Tür. Eine enthusiastische Zeit.
Doch nach zwei, drei Jahren flaute der Wind ab. Er begann sich sogar zu drehen. Es wurde wieder stickiger.

Heute haben wir eine zu 1989 spiegelbildliche Situation. Aber um Potenzen verstärkt.

Wir haben es mit einem mannigfaltigen Bedeutungswandel zu tun, in dem das neue Paradigma sich freistrampelt.

Erinnert es nicht an eine Geburt? Sehr schmerzhaft. Aber vielleicht braucht es den Schmerz, um zu erwachen. Wie @ Cairdis schreibt:

Um den Blickwinkel zu ändern, … in dunklen Stunden scheint es selbst den Beschränktesten unter ihnen zu dämmern,

Wie heißt es vielfach [auch ein Beleg des erweiterten Bewusstseins]:
Wir lernen am meisten, wenn die Zeiten hart sind, oder aus unseren Fehlern, Krankheit als Chance …

Wir können noch nicht behaupten, jetzt einen vollzogenen Paradigmenwechsel ex post beobachten zu dürfen. Wir stecken mittendrin,

Das ist ein geschichtlich einmaliges Geschenk an die Menschheit; und an jeden Einzelnen, der in dieser Zeit hier runterkommen durfte. Ich nehme an, es gab da einiges Gedränge in der Schlange.
Bisher ist es nur eine große Chance. Sie zu nutzen liegt an uns.
Dazu müssen wir unter anderem aus 1989 lernen. Der Gegner hat es nämlich schon getan. Er lässt sich nicht mehr von ein paar Montagsdemos aus dem gestohlenen Palast jagen.
Und wir dürfen die, die sich auf Ab- oder Umwegen verloren haben, nicht be- oder gar verurteilen. Es ist wichtig ihnen innerlich Raum zu geben zur Veränderung.

In das Video, das @ Karl Brenner empfiehlt, habe ich gerade kurz reingeschaut. Über Georges Marchais schreibt @ Jürgen:

Da wünscht man sich als Rechter, diesem Linken die Hand reichen zu können…
Vielleicht kommt, wie Ernst Jünger in „Eumeswil“ schrieb, bald „ein grosser Mittag, der alles versöhnt“. „Die Rechte der Tradition, die Linke der Arbeit“, formuliert es Alain Soral. Sein Wort in Gottes Ohr.

Das hätte er auch über Peter Feist schreiben können. Doch mit Peter Feist, dem Neffen von Margot Honnecker, gibt es ja schon Schulterschluss.

Der Adler braucht beide Flügel zum Fliegen: Rechts und Links, Mann und Frau, Ost und West …

der Gehenkte

22. November 2016 12:31

Sommerfeld-Artikel sind keine Lagerfeuer, um die man sich scharrt und an denen man sich wärmt, es sind Fackeln, die Licht ins Dunkel bringen. Nicht Selbstbestätigung und Wohlfühlatmosphäre atmet aus ihnen, sondern die Lust am Verstehen: man lernt effektiv etwas, ganz abstrakt, man versteht plötzlich, sieht Zusammenhänge – das ist Aufklärung im besten Sinne und Verwirklichung des Eigenanspruchs der SiN: Metapolitik.

Es ist mithin ein Alleinstellungsmerkmal auf dieser Seite, soweit ich sehe.

Warum gelingt ihr das? Weil sie den ganzen Luhmann gefressen hat, weil sie auf Kant'scher Grundlage die Philosophie des 20. Jahrhunderts in all ihren abstrusen Ausfächerungen bis zur Postmoderne beherrscht. Wir werden hier bereichert mit natürlichen Verbündeten wie Koselleck, Blumenberg und Marquard aber auch mit (oberflächlich gesehen) „Gegnern“ wie Habermas, Foucault, Lyotard, Baudrillard, Kuhn usw.

Wenn die „Neue Rechte“ - man traut sich den Begriff nach den jüngsten Verwirrungen fast nicht mehr – sich dieses Arsenal nicht positiv erschließt, wenn sie weiter im eigenen Saft der Selbstvergewisserung schmort, wird sie the battle of the minds verlieren, allein schon, weil sie für den „Paradigmenwechsel“ kein Vokabular finden kann, das anschlußfähig an die liberalen, linken, anarchistischen … Ränder ist. Wenn wir für uns in Anspruch nehmen, die Klügeren zu sein, dann müssen wir auch in der Lage sein, die Sprachen der anderen zu lernen und nicht darauf zu warten, daß es umgekehrt geschieht oder gar diktatorisch unsere Sprache aufzwingen.

Das auch auf Antwort auf @Winston Smith und @Irrlicht.

„Bekräftigen Sie nicht praktisch den Nihilismus (oder Relativismus / Perspektivismus / Pluralismus etc.) der Postmoderne, wenn Sie zur Beschreibung des Schlachtfelds mit dem Paradigmenwechsel just eines ihrer zentralen Denkmodelle verwenden?“

Natürlich tut sie das. Geht auch gar nicht anders, weil – streng gesehen – der Kuhnsche Paradigmenbegriff keine Tatsachenbeschreibung sein kann, sondern nur ein Werkzeug im Sinne Foucaults:

„Alle meine Bücher sind, wenn Sie so wollen, kleine Werkzeugkisten. Wenn die Leute sie aufmachen wollen und diesen oder jenen Satz, diese oder jene Idee oder Analyse als Schraubenzieher verwenden, um die Machtsysteme kurzzuschließen, zu demontieren oder zu sprengen, einschließlich vielleicht derjenigen Machtsysteme, aus denen diese meine Bücher hervorgegangen sind - nun gut, umso besser"

Wäre es Paradigmenwechsel im Sinne Kuhns, dann könnte man darüber nur in der Retrospektive reden, wenn er also bereits vollzogen worden wäre. Denn seine neuen Paradigmen sind das vollkommen Undenkbare innerhalb der alten. Insofern ist der Begriff für Konservative per se vermint, eine contradictio in adiecto, denn konservativ sein heißt ja wohl, gerade nicht das radikal Neue anzustreben.

Als Arbeitsbegriff, als Fackel kann er dennoch dienen.

Einar von Vielen

22. November 2016 13:57

Wunderbar beschrieben, wobei mich reine Deskription am Ende immer oft ratloser als vorher zurücklässt. Hier stellen sich mir zum Beispiel noch zwei ganz praktische Fragen: So wie es sich ließt, passiert das alles irgendwie und der Mensch scheint als reines Objekt, dem der Paradigmenwechsel widerfährt. Was aber verursacht den Paradigmenwechsel? Sind es am Ende ganz profane Angst-Gier-Macht-Zusammenhänge, in denen Semantiken lediglich zeremonielle Symbolik zukommt, und die Verschiebung von Gesagtem und Bedeutetem eher die Entsprechung einer Machtverhandlung ist? Auf Fauxelle kommentierte ich von dem Affenhügel, auf dem die Plätze neu verhandelt werden. Sollte dies so sein, wäre dieser sozialkybernetische Befund wie die Feststellung, dass es vor der Tür lärmt, dort also etwas im Gange ist. Quasi zunächst nur sehr schön gesagt.

Und zweitens: Auch wenn wir auf den Flug der Eule noch warten müssen - sehen wir eventuell nur das, was wir gerne sehen möchten? Ist ggf. der Paradigmenwechsel ein ganz anderer, nämlich in dem Sinne, dass wir nicht am Anfang, sondern am Ende eines solchen stehen, sozusagen seiner abschließenden Austreibung der Reste konservativen Denkens Zeuge werden, womit natürlich unser grummelnder Protest verbunden ist, da wir jetzt hinter dem Sofa, wo wir uns lange mit unserer Schokolade versteckt hatten, hervorgezerrt werden? Im Zuge dieser Schlußsteinsetzung könnte Trump ein für uns Deutsche irrelevantes weil sich hinter den Fenstern des Hauses gegenüber abspielendes Familiendrama sein, während in unserer WG bereits der Neue mit dem Messer alles im Griff hat? Auch die Wohnungen unter und neben uns, aus denen die Messermänner ggf. noch einmal hinausgeworfen werden können (was nicht sicher ist), werden eher für noch stärkeren Zuzug in unsere offenen vier Wände sorgen. Ich halte es durchaus für wahrscheinlich, dass sich dann noch ganz andere Szenen bei uns abspielen, mit unbestimmtem Ausgang. Aber als Paradigmenwechsel würde ich das dann alles nicht vorrangig beschreiben, dafür ist das alles zu konkret und untheoretisch.

Womit sich eine dritte, hier natürlich immer wieder gestellte Frage aufdrängt: Was als nächstes tun? Womit ich nicht gesagt haben möchte, dass der Artikel nicht inspirierend gewesen sei, danke dafür.

Gustav Grambauer

22. November 2016 14:42

"Politische Kommunikation war bisher von habermasschem Ernst grundiert, Rechtfertigungsforderungen waren endemisch, Distanzierungsforderungen und Rücktrittsforderungen hielten den Code „gut/böse“ immer halb im politischen Code „Macht/Ohnmacht“ drin, man konnte nicht mit ihm und nicht ohne ihn. Zuspitzen, Polarisieren und Verstärken galten als dem demokratischen Konsens nicht zuträglich – jetzt wird probeweise mal polarisiert was das Zeug hält."

Es wurde auch bisher in jeden noch so harmlosen, hilflosen, fragwürdigen Versuch einer Lageanalyse sofort mit Hypermoral reingegrätscht. Wowereit tritt hier, NLP-Lehrbuch-mäßig, wie der Feuerwehrmann auf, der zur zielgerichteten Verhinderung der "Lage" über den Brand erstmal auf der Basis seines Anspruchsdenkens darüber philisteriert, was an dem Feuer nicht seinen Vorstellungen entspricht (durchgängig, lupenrein ab 1: 08 : 22 bzw. 1 : 09 : 27):

https://www.youtube.com/watch?v=tdtzPousGBI

Wozu hat Maaz eigentlich in Psychologie promoviert und jahrzehntelange Berufserfahrung angesammelt, wenn er nicht mal die billigsten Rhetorik-Manipulations-Tricks durchschaut?! (Die Antwort: weil auch er nicht aus dem Bann des "Wir"-Mustopfs herauskommt, in dem kein Interesse an einer kaltblütigen Bestandsaufnahme besteht; ich habe irgendwann aufgehört das inflationäre beschwörerische "wir" zu zählen).

Das ganze Netz orakeliert ja gerade über Mutti. Die einen sehen sie als starrsinnig und schreiben ihr schon den Spruch "Wer zu spät kommt ..." ins Stammbuch. Maaz sagt ihr wegen der Rigidität, die er bei ihr zu sehen glaubt, sogar schon "den psychischen oder psychosomatischen Zusammenbruch" voraus. Mumpitz. Die hat sich bereits, im Gegenteil: amorph und viskos wie sie ist, mal wieder schneller gedreht als der Wind am Alex `89, bitte "cdu australische lösung" googeln. Die ersten etwas helleren Köpfe spekulieren schon, wieviele Stimmen die gewendet-gewendet-gewendete CDU von der AfD wieder zurückholen wird. Der alte Wimmer sagt, die BRD wäre jetzt das weltweite Zentrum des Anti-Trump-Widerstands, na, der soll mal schön weiterträumen. Ich vermute hingegen, Obama hat im Adlon nur deshalb so viele Stunden mit ihr zusammengehockt, weil er sie mit Engelszungen wieder zur Open-Society-Fahne zurücküberreden wollte - in dem Wissen, daß auf der CDU-Zentrale schon längst wieder die Fahne der hegelianischen Antithese weht.

Tut mir leid, ich sehe nirgendwo, wirklich nirgendwo, einen Paradigmenwechsel sondern nur eine Disney-Show im Freiluft-FEMA-Camp mit schlechten, unglaubwürdigen Darstellern und billigen Requisiten, eine unvorstellbare Dimension an Kretinismus und Opportunismus, im Hintergrund eine nicht mal besonders pfiffige Strategie und immer noch viel zu wenige, die sich ein Denken außerhalb der vorgegebenen Schablonen überhaupt vorstellen wollen.

So wie die beiden kleinen Punkte im Yin-Yang-Symbol hatte die bisherige hegelianische ("Willkommens"-)These immer ein Element der Antithese in sich, so bspw. im Paktieren Merkels mit dem so gar nicht kunterbunten Erdogan oder darin, daß Steinmeier so gar nicht recht willkommenskulturell den Kurnaz in Guantanamo schmoren ließ. Man könnte es etwas böser ausdrücken und von einem Grundzug der Heuchelei durch das hegelianische Spiel hindurch sprechen. Zumindest das BRD-System ist nicht Fisch und nicht Fleisch.

Trumps "Grab ‚em by the pussy" war mir nicht einen Moment des Nachdenkens wert - angesichts einer Clinton oder Merkel, die etwas in der Art niemals selbst sagen würden, dafür aber Millionen von Zivilokkupanten heranchartern, allein deren nicht wenige zwölfjährige Kinder an unseren Schulen mit noch ganz anderen Sprüchen - und Taten - den Ton angeben.

Trump wird den BRD-Kaspern eine Spezialbehandlung im Stile eines mittelalterlichen Baders zuteil werden lassen. Ich vermute, er hat einige Überraschungen für die parat, mit denen sie im Gesicht abwechselnd in allen Farben anschwellen und noch ganz anders Amok laufen werden als Hillary in der Wahlnacht. Leute, stellt Euch schon mal auf den Spaßfaktor für uns ein!!! Dann werden in Berlin nicht wenige Köpfe rollen, vielleicht auch der von Merkel. Aber dann werden sich die Beziehungen, wie man es in Diplomatensprache ausdrücken wird, wieder normalisieren. Und die ganze Zeit über wird an den Sylter Villen der Dünenwind sanft mit den Grashalmen gespielt haben und irgendein Bonze wird in einem Kampener Schuppen mit einem Fetzen Hummer am Mundwinkel und einem Moët-Glas in der Hand "die Hunde bellen und die Karawane ..." glucksen, während alle herzhaft lachen.

Mit Luhmannesken oder Habermasiaden kann und mag ich nicht dienen, schon weil auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört.

- G. G.

Irrlicht

22. November 2016 15:19

@der Gehenkte
Die freischwebenden Assoziationen, die sie zum Kuhnschen Begriff des Paradigmas äußern (z. B.: "denn seine neuen Paradigmen sind das vollkommen Undenkbare innerhalb der alten"), sind exakt der Grund, warum ich gegen die Verwendung des Begriffs außerhalb des wissenschaftstheoretischen Kontexts bin. Lesen Sie den Abschnitt "Wissenschaftliche Revolutionen (Theorienverdrängungen) und Inkommensurabilität. Das Inkommensurabilitätsproblem" in Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band I, Erklärung-Begründung-Kausalität, 1983, S. 1062 ff.

Dietrich Stahl

22. November 2016 15:48

@ der Gehenkte

Wir werden hier bereichert mit natürlichen Verbündeten wie Koselleck, Blumenberg und Marquard aber auch mit (oberflächlich gesehen) „Gegnern“ wie Habermas, Foucault, Lyotard, Baudrillard, Kuhn usw.

Wenn wir für uns in Anspruch nehmen, die Klügeren zu sein, dann müssen wir auch in der Lage sein, die Sprachen der anderen zu lernen und nicht darauf zu warten, daß es umgekehrt geschieht oder gar diktatorisch unsere Sprache aufzwingen.

Mmh, Amboss oder Hammer, Sklave oder Meister sein. Das kommt mir dazu in den Sinn.
Wer nur nach anderen schielt, bleibt Sklave.

Identität! Das Eigene. Fichtes „Ich bin“.

Heidegger hat es mit seinem Werk und seinem Leben aufgezeigt und vorgelebt.
Die deutsche Sprache war jenseits von Zufälligkeit sein Zeug. Der Bau der Hütte sein Werk.

Der deutsche Idealismus, das ist unser unvollendetes Erbe.
Heidegger hat einen Weg gewiesen: Hölderlin.

Die Neue Rechte muss ihre eigenen Worte prägen. Dazu kann sie aus der wirkmächtigsten lebendigen Sprache schöpfen, der deutschen.
Habermas als Verbündeter, das ist einfach nur absurd. Das hat Sloterdijk, im September 1999 in seinem offenen Brief an Habermas geklärt.

Foucault, Lyotard, Baudrillard – in 100 Jahren, wie wird man sie werten?
Bei Kant, Schelling, Fichte, Hegel – und Heidegger bin ich mir recht sicher. Bei den oben genannten … ?

@ Einar von Vielen

Was aber verursacht den Paradigmenwechsel?

sehen wir eventuell nur das, was wir gerne sehen möchten?

Was als nächstes tun?

Die Antwort auf die letzte Frage ist die gleiche wie oben.

Aufhören, auf andere zu schielen. Das Eigene erkunden und entfalten.

Sven Jacobsen

22. November 2016 16:12

Der Artikel ist eine anregende Lektüre. In dem Zusammenhang passt es zu erwähnen, dass man es zunehmend in Diskussionen mit Leuten zu tun bekommt, die z.B. den Kritikern der Kanzlerin ein "antipatriotisches" Verhalten vorwerfen, ganz so, als ob sie selbst den Inbegriff des Patriotismus verkörperten. Auch die Kanzlerin begründet ihre neue Kandidatur ja mit dem Dienst, den sie für Deutschland tun müsse. So kommen alle ins Grübeln, die Caroline Sommerfelds Artikel gelesen haben und bisher geglaubt hatten, Begriffe hätten präzise Bedeutungen.

Eveline

22. November 2016 18:22

Emblematisch dafür ist Joachim Gaucks Aussage, das Problem seien nicht die Eliten, sondern die Bevölkerung......

Ich stelle mir ein Vogelhäuschen vor und weit rauslehnend aus dem Vogelflugloch zwitschert der BP seine Durchgabe.

Und dann weiß ja auch jeder, das Familie Deutsch gerne tief und weit denkt und fühlt.

Der BP ist gerade sehr oberflächig unterwegs gewesen, denn wenn er tief im Vogelhäuschen oder im deutschen Sein gewesen wäre, hätte er sich nicht von der Bevölkerung geistig trennen können.

Er hat so von seinem deutschen Sein einen kleinen Teil abgespalten und die Bevölkerung damit etikettiert und hockt damit nun auf seinem Vogelhausdach.

Denn wir sind.

thotho

22. November 2016 22:03

Spannender Artikel, Frau Sommerfeld!

Ich kenne Kuhn auch nur aus der wissenschaftstheoretischen/wisshistorischen Auseinandersetzung. Irgendwie bin ich immer kurz gefesselt, wenn man das plötzlich auf aktuelle gesellschaftliche oder politische Phänomene angewendet sieht. Das soll aber nicht heißen, dass ich es für falsch halte. Ich fand den Versuch interessant und gar nicht mal so abwegig.
Ich möchte jetzt aber bei Kuhn auf keine Details eingehen, das erscheint mir etwas lahm.

Das Habermas'sche Denken mit seinem Konsens-Geschwätz konnte ich nie akzeptieren; es ist doch nichts als Heuchelei, so zu tun, als sei man wahrlich an ernsten Diskussionen mit Rechten/Oppositionellen interessiert, ist einfach verlogen.
Man sehe sich nur die polit-medialen Diskussionen über den Internet-Diskurs an (FB, Twitter etc.), das ist doch geradezu ein Verrat am Habermas'schen Ideal! Das klingt dann wirklich mehr nach der altbekannten "repressiven Toleranz".

Stil-Blüte

22. November 2016 22:37

Ich stelle mir gerade vor, wo Ihr Beitrag, verehrte Caroline Sommerfeld, etwas besser platziert gewesen wäre: Garantiert in einer akademischen Fachzeitschrift für Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Wissenschaftsgeschichte, Spieltheorie, Kybernetik, Semiotik oder Systemtheorie. Ja. In einem Kaplakenbändchen. Ja. In der nächsten Sezession. Ja doch. Und hier? Verzeihen Sie, ich tue mich schwer damit.

Der Grad Ihrer Spezialisierung ist ungewöhnlich hoch und, auch wenn Sie gegensteuern, verehrte Caroline Sommerfeld, kommt sie ursprünglich von links. Hebt das, was ich als Anschauung verstehe und wohin die Metaphysik strebt, auf.

Inkommensurabel! Das heißt doch nicht: Es ist so schwer verständlich, daß nur einige wenige Experten mithalten können. Inkommensurabel ist das Unfaßbare als eine fröhliche Erkenntnis (s. Goethes 'Faust').

Eine verwissenschaftliche Sprache habe ich in jungen Studienjahren redlich eingesogen. Der hohe Abstraktionsgrad bringt ja nicht automatisch eine höhere Erkenntnis mit sich, höchstens die intellektuelle Genugtuung: Ich kann folgen. Aber ganz pragmatisch gefragt, können dererlei wissenschaftliche Analysen weitergegeben werden? Bleibt es nicht vielmehr einem kleinen Kreis von sich-selbst-bestätigenden und -reflektierenden, akademisch hochgebildeten Spezialisten vorbehalten, sie zu verwalten? (Vergessen wir nicht, die Zeiten der weitverzweigten protestantischen Pfarrhäuser, die Musik, Poesie, Theologie, Philosophie, Häuslichkeit als das Eigene pflegten und weiterreichten, sind in einem ihrer letzten Exemplare, Angela Merkel, vor die Hunde der Politik gegangen.)

Gefreut habe ich mich für Sie, wie viele Kommentatoren Ihren Beitrag uneingeschränkt verstanden und gelobt und ein so großes spezialisiertes Hintergrundwissen in Soziologie u. a. Geisteswissenschaften bezeugt haben. Ich habe aber doch aufgeatmet, als sich @ Gustav Grambauer und @ Dietrich Stahl zu Wort meldeten und

'Lagerfeuer'? Natürlich nicht. 'Fackel'? Auch nicht. Bei 'Fackel' denke ich an Körner, an Heine, meinetwegen auch an Biermann, die lodernde Fackel weiterreichen. Wie wär's mit LED?

S. Fischer

22. November 2016 23:11

Ein hervorragender Beitrag dem ich nur noch eine Kleinigkeit anmerken mag.

<blockquote cite="Der linke Gesinnungsmainstream geht davon aus, daß Sprache im politischen Feld über den „Dialog“ zur Erzeugung von Konsens diene, auf geteilter Vernünftigkeitsbasis stattfinde und Aussagen jederzeit rechtfertigbar und verallgemeinerbar sein müßten sowie den Status von Tatsachenbehauptung hätten."

Wir sollten uns nicht darin befleissigen sie vom Gegenteil zu überzeugen. Es mag sein, dass die Öffentlichkeit (im Sinne der veröffentlichten Meinung) gemäß diesem Grundsatz richtet, jedoch richtet die schweigende Mehrheit anders. Darüber hinaus ist der "linke Dialog" ohnehin zu einem Monolog verkommen der nur noch in der Blase stattfindet. Wenn dieser Monolog in der Blase Konsens erzeugt, dann kann uns das nur freuen.

Habermas muß hier weder widerlegt noch bestätigt werden, folgt man ihm kommt man zum "Blasenkonsens", folgt man ihm nicht ists auch einerlei. Lasst sie weiterhin "kommunikativ handeln", wir könnten ihnen ihr Grab nicht besser schaufeln.

Unsere Aufgabe sollte es vielmehr sein den vielen schwankenden Geistern den Weg aus der Blase zu weisen. Ach ja, und ab und zu nicht zu verallgemeinernde Handlungsbeschreibungen zu twittern, die linke Empörungsmaschine braucht Futter.

Dietrich Stahl

23. November 2016 00:06

Die Wichtigkeit des Themas, das in diesem Diskussionsstrang diskutiert wird, kann nicht überschätzt werden.

Wenn die Perspektive gewechselt wird, werden oftmals Dinge sichtbar, die es zuvor nicht waren. Zufälle sind vielleicht keine Zufälle mehr. Eine neue Ebene des Verstehens kann erreicht werden.

Die Ameise, die gerade ein Blatt zum Ameisenhaufen transportiert, kann nicht sehen oder verstehen, an was sie beteiligt ist. Der Mensch, der die Ameisen bei ihrem Treiben beobachtet sehr wohl.
Im Star Treck Universum gibt es eine Figur mit Namen Q. Aus deren Perspektive ist das menschliche Treiben ähnlich gut deutbar.
Auch der einzelne Mensch hat Fähigkeiten, die ihm Großes ermöglichen.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass Kuhns revolutionäre Theorie gerade in den 1960igern entstand.
Dieses Jahrzehnt brachte vielfältige Umbrüche. Es war der Beginn eines gesellschaftlich-kulturellen Wechsels der Paradigmen, wie es ihn bisher in der Geschichte nicht gegeben hat. Dieser Wechsel betrifft Paradigmen, die sich über Jahrhunderte, seit der Aufklärung, gebildet haben. Aber auch solche, die erst im letzten Jahrhundert entstanden.
Und er betrifft alle nur denkbaren Gebiete. Wissenschaft, Politik, Medien, Kunst, Medizin, Wirtschaft, Philosophie, gesellschaftliches Zusammenleben, das Verhältnis zur Natur …

Ein Beispiel:
Die Relativitätstheorie, die Anfang des letzten Jahrhunderts einen Paradigmenwechsel [nicht nur] in der Physik bewirkte, ist inzwischen selbst Gegenstand eines neuen Wechsels der Paradigmen geworden.

Der Paradigmenwechsel ist immer noch im Gang, und ja, wir stecken mittendrin.
Das macht es so schwierig zu sehen, was da Wunderbares, Schreckliches oder Erschreckendes [wieder abhängig vom Standpunkt] passiert.
Dazu kommt, dass der Wechsel nicht kontinuierlich abläuft. Es gibt Phasen der Stagnation, oder sogar des Rückschritts.

Alles nicht so einfach.

Eines ist sicher: Sollten sich ein paar von den Foristen irgendwann in der „Bar am Rande des Universums“ treffen und zurückschauen, werden sie lachen, sich auf die Schultern klopfen; und ganz besondere Geschichten austauschen.

Rabenfeder

23. November 2016 05:28

@ Gustav Grambauer

Sie schreiben:
„Tut mir leid, ich sehe nirgendwo, wirklich nirgendwo, einen Paradigmenwechsel sondern nur eine Disney-Show im Freiluft-FEMA-Camp mit schlechten, unglaubwürdigen Darstellern und billigen Requisiten, eine unvorstellbare Dimension an Kretinismus und Opportunismus, im Hintergrund eine nicht mal besonders pfiffige Strategie und immer noch viel zu wenige, die sich ein Denken außerhalb der vorgegebenen Schablonen überhaupt vorstellen wollen.“

Ich teile ihre Skepsis; der aktuelle Trump-Auftritt zum Beispiel scheint nur die nächste Szene im dialektischen Theater zu sein.

Erinnern wir uns an George W. Bush, der als weißer Sheriff über die Neocon-Aggression und die Aushebelung der Bürgerrechte im Patriot Act im Zuge der inszenierten Terroranschläge vom 11. September 2001 präsidierte, wie er nach dem Verrat des Vasallen in Gestalt von Russen-Gerd, der als Symbol: Wir folgen nicht! erhebliche Auswirkungen hatte und gerade auch dem inneramerikanischen Widerstand eine Stimme verlieh, zum bösen weißen Sheriff von Nottingham wurde und geradezu als Hassfratze die Runde durch die Medien machte.
Der Hegemon schwor sich den untreuen Vasall und auch den Dritten im Bunde
https://en.people.cn/200507/04/images/0703_C96.jpg
zu strafen (Man achte einmal auf die antifranzösische und wenig subtile Hetze in amerikanischen Serien (Sitcoms etc.) nach 2003) und durch drastische Methoden wieder in die Unterwerfung zu zwingen.
Man sorgte für Merkel und Sarkozy und erwog drastische Maßnahmen.
Die Seemacht, bereits an vielen Fronten gebunden, sah sich gezwungen noch weitere Fronten schneller zu eröffnen, als ursprünglich geplant.

Erinnern wir uns an Barak Obama, der als schwarzer (naja, eher ein half-in half) Heilsbringer und Welt-Pharao
https://bilddunggalerie.files.wordpress.com/2016/02/echnaton-obama-klon.gif
nach dem bösen W. die Menschen wieder zum Guten motivieren sollte: Yes, we can!

Die Ukraine wurde fester in den Blick genommen, auf das man wieder trennte, was womöglich zueinander strebte und die weapons of mass migration kamen zur Anwendung und vielfache (wirtschaftliche) Attacken wurden geführt (VW, deutsche Bank), um die Vasallen daran zu erinnern, wer der Herr im Hause ist und vielleicht die deutsch-europäische Braut für den eurasischen Bräutigam aus dem Osten nicht ganz so attraktiv sein zu lassen.
Es versteht sich, dass auch noch andere Agenden eine Rolle spielten, aber ignorieren wir die mal in diesem Zusammenhang.
Aber zu viele Fronten sind auch für einen Hegemon zu viele Fronten und ein strategischer Rückzug ist angeraten. Unliebsame Entscheidungen und weitgehende Frontverkürzungen werden notwendig und auch andere Vereinfachungen sind dringend erforderlich. Auch die zunehmende Opposition und der Unmut der weißen Mittelschicht muss irgendwie aufgefangen werden.

Auftritt Donald Trump: Für die kommenden groben Ding-Klötze empfiehlt sich ein grober Keil.
Man nehme einen deutschstämmigen weißen Maulheld, der bis über beide Ohren bei den einschlägigen Banken verschuldet ist und lasse ihn, den neuen bösen Mann, all die unangenehmen Dinge tun, für die später er und mit ihm die weiße gelenkte Opposition verantwortlich gemacht werden kann. Wunderbar!

Ich wette übrigens darauf, dass der kommende Präsident weiblichen Geschlechts sein wird. Wettet jemand dagegen?

Mir graut allerdings auch vor der Synthese hinter allen Thesen und Antithesen, hinter der ganzen Hegelei, einem Weltgeist oder einer Weltweisheit, die dann jenen idealistischen Tiefsinnigen lieb sein wird, die das grobschlächtige Bauerntheater für das tumbe Volk durchschaut haben.
Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden...

Der_Jürgen

23. November 2016 09:16

Eine Diskussion auf hohem Niveau, wie mir scheint. Ich will gleich gestehen, dass ich Kuhn und Luhmann nur dem Namen nach kenne und im Moment keine Zeit habe, ihre Werke zu studieren. Das ist mein Problem; Caroline Sommerfeld trägt dafür keine Verantwortung. Nun einige Kommentare zu den Bemerkungen dreier Mitforisten:

@Karl Brenner
"Es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange es dauern wird, bis die Bürger der Nationalstaaten wieder in einer angemessenen Freiheit leben können."

Dies ist in der Tat das Ziel, über das wir uns wohl alle einig sind, aber woher nehmen Sie den Optimismus? Entscheidend ist die Frage, ob das menschliche Schicksal, und damit auch das der Völker, vorbestimmt oder ob die Geschichte ein offenes Buch ist. Ich selber neigte sehr lange der ersten Version zu, tendiere aber heute - ohne Gewissheit zu haben - zur zweiten.

Trifft erste Version zu, können wir nur wie staunende Kinder im Theater miterleben, wie die für uns bestimmte Zukunft aussieht. Auch wenn wir dann in der einen oder anderen Richtung aktiv werden, spielen wir lediglich unsere vorbestimmte Rolle; wir glauben zu schieben werden aber geschoben.

Ist die zweite Version richtig, so ist die Rettung ebenso möglich wie der Untergang, wobei letzterer die Form einer harten islamischen Despotie oder die eines totalitären Weltstaates annehmen kann, in dem jede freiheitliche Regung gnadenlos unterdrückt, der Bürger permanent überwacht und die Volkszerstörung durch schrankenlose Einwanderung beschleunigt wird. Wenn die europäische Bevölkerungsgruppe zur kleinen Minderheit geworden sein wird, steht ihr dann ein langsamer, qualvoller Tod bevor.

Um dies zu verhindern, sind wir alle gefordert. Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es.

@Gustav Grambauer

Sie gefallen mir mit Ihrem brutalen Realismus. Bedenken Sie bitte, dass der Mensch nicht gänzlich lenkbar ist und dass die Geschichte Überraschungen liebt. Bedenken Sie ferner, wie verwundbar der Gegner ist. Er hat das Geld (Papier und virtuelle Summen in Computern); er kontrolliert (dank dem Internet längst nicht mehr völlig) die Medien (leere Worte); er verfügt über die Justiz, aber es würde im Grunde reichen, in den USA einige tausend führende Vertreter des volks- und seelenlosen Globalismus in einer Nacht der langen Messer abzuservieren und alle Fernsehsender zu besetzen. Dazu braucht es nur die Kontrolle über die Spitzen von Polizei und Armee. Ist Trump zuzutrauen dass er so handelt, spätestens wenn er nichts mehr zu verlieren hat? Wir werden sehen. Unmöglich ist es nicht.

@Rabenfeder

Sehr zutreffend, was Sie schreiben. Wenn das Haus des Sheriffs lichterloh brennt, wird er allerdings keine Möglichkeit oder keine Lust mehr haben, die Bürger seines Städtchens zu piesacken. Bricht in den USA ein Bürgerkrieg aus, ergeben sich dadurch schönste Möglichkeiten für diie Befreiung Europas. Und wenn ein neuer Sheriff das Ruder ergreift, können die Karten neu gemischt werden.

Dietrich Stahl

23. November 2016 09:29

Liebe Frau Sommerfeld, Ihr Thema lässt meine Kreativität Purzelbäume schlagen [Purzelbaum, was für ein schönes Wort].
Bei Fußballfans sieht man ab und zu verbleichte T-shirts mit dem Aufdruck „Aufstieg 20xx – Ich war dabei“.
Vorschlag an die Schnellrodaer Marketing Abteilung, falls es so was geben sollte:

Vertreiben Sie doch T-shirts mit dem Aufdruck „Paradigmenwechsel – Ich bin dabei“!
Das wäre eine kleine, unkomplizierte, den Bewusstseinswandel fördernde Aktion.

Zum Bewusstseinswandel, dem Bruder des Paradigmenwechsels.
Einige Begriffe und Konzepte [gerade so, wie sie mir in den Sinn kommen], die seit den 1960iger Jahren aufgetaucht sind, teilweise wieder abgetaucht sind, oder sich im Allgemeinbewusstsein verankert haben:

Aktions-Kunst – Der Flügelschlag des Schmetterlings – Five degrees of separation – Karma- Reinkarnation – Komplexität – Emergenz – Schwarmenergie – Management by Love (kein Witz, das gab es wirklich bei einem in den 90igern angesagten Management Trainer, heute gibt es eher Machiavelli für Dummies) – Die Kraft der Imagination – Kreativität – Scheitern als Chance – Geschichten erzählen

Ich hör hier mal auf. Man könnte jeden, aber auch jeden, Bereich menschlichen Ausdrucks betrachten, und würde Begriffe, Ideen, Konzepte finden, die sich in die obige Aufzählung einfügen würden.

„Geschichte erzählen“ gefällt mir fast am besten.

djadmoros

23. November 2016 09:55

@Caroline Sommerfeld:

Ich werde den Verdacht nicht los, dass die »Linke« auf der »Rechten« notorisch falsch differenziert wird:

»Der linke Gesinnungsmainstream geht davon aus, daß Sprache im politischen Feld über den „Dialog“ zur Erzeugung von Konsens diene, auf geteilter Vernünftigkeitsbasis stattfinde und Aussagen jederzeit rechtfertigbar und verallgemeinerbar sein müßten«

Sicher, das ist Habermas, aber Habermas ist nicht der »linke Gesinnungsmainstream«. Sondern dieser Mainstream ist ein postmoderner Mainstream, der den Gedanken einer »geteilten Vernünftigkeitsbasis« schon lange zugunsten einer linken Version des Identitätsdenkens verabschiedet hat, demzufolge »Vernunft« ein »weißes, männliches, heterosexuelles« Konstrukt zur Unterdrückung aller anderen Identitäten ist. Von einem Habermas will dieser Mainstream doch gar nichts mehr wissen! Deswegen ist auch die folgende Formulierung:

»... sodaß die gesamte Öffentlichkeit auf dieser Grundlage Äußerungen als „rassistische“, „sexistische“, „gewaltverherrlichende“ oder „homophobe“ Meinungen kategorisiert.«

nicht zutreffend. Das ist nicht Habermas, sondern eine aus den USA re-importierte Fehlinterpretation des französischen Poststrukturalismus (siehe Mathias Hildebrandt, Multikulturalismus und Political Correctness in den USA). Ich glaube, Sie unterschätzen, wieviele Linke von dieser postmodernen Wende eines linken Establishments hochgradig angepisst sind.

Ansonsten kann ich Ihrer sprachpragmatischen Kritik des PC-Verständnisses von Sprachgebrauch aber beipflichten.

Besetzter

23. November 2016 10:37

@Rabenfeder
Bei Ausfall des gewählten Präsidenten rückt doch der Vize auf und nicht der Gegenkandidat
Ich wette also dagegen

Gustav Grambauer

23. November 2016 10:51

Rabenfeder

Hatte meinen Blick auf Trump oben nicht sauber genug herausgearbeitet, so daß Mißverständnisse entstehen könnten:

Auch wenn er grandios erfolgreich wird bleibt immer noch die Frage, warum der Karren jemals in den Sumpf kam, aus dem er ihn jetzt herausziehen soll. Solange diese Frage nicht hinreichend beantwortet ist, wird Trump auch bei Erfolg nicht als nachhaltige Lösung sondern nur als Flickschuster (aber immerhin, besser als löchrige Schuhe ...) anzusehen sein.

Allein weil der Kot aus der Küche entfernt ist, steht auch noch lange kein Essen auf dem Tisch (und damit meine ich nicht seine keynesianischen Programme, ich rede von Bewußtseinsdynamik). Ich würde es auf die Formel bringen: wir haben noch keinen Paradigmenwechsel, aber Trump könnte einen solchen vorbereiten oder sogar zünden, vor allem insofern er maßgeblich dazu beiträgt, den Völkern der nördlichen Hemisphäre wieder ein Rückgrat einzuziehen. Dazu kann die Rückholung von Industriearbeitsplätzen nur ein allererster Schritt sein, und auch eher nur ein psychologischer, um überhaupt damit anzufangen, - echtes, wohlverstandenes - Selbstbewußtsein aufzubauen.

Da dieses Selbstbewußtsein darauf wartet, aufgebaut zu werden und da sowieso ein großes Aufwachen im Gange ist, bin ich gar kein so großer Schwarzseher. Siehe die Worte von David Icke zu Trump:

https://www.umkreis-institut.de/umkreis-online/david-icke-zur-wahl-von-donald-trump-377/

- G. G.

Winston Smith 78699

23. November 2016 11:26

Ach, aber es ist doch alles eitel. Wozu darüber nachdenken, wenn man doch nur Zaungast des Paradigmenwechsels sein kann, so gut man ihn verstanden haben mag? Gestern im Fernsehen spricht ein junger Türke lange, noch länger. Was legitimiert ihn? Dass es einen anderen Türken gibt, einen großen, der Angst und Schrecken und Tod verbreitet. Auch er hier bei uns, der distanzierte Analytiker oder gar der Kritiker des despotischen Sultans, profitiert aber noch von dessen Übeltaten - mag er auch auf anderer Ebene unter ihm leiden. Wir kennen dies ja von unserer deutschen und eine weltweiten Nazideutschland-Exploitation-Industrie.

Nicht nur die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen, sondern die Sprache auch und mit ihr die Wahrheit. Ist dies einfach ein Gesetz der schreihälsigen Medienwelt?

Was bei wikipedia unter "Terrorismus" aber nicht steht: eine terroristische Gruppe ist nichts ohne ihren politischen Arm. Dieser ist letztlich - gespeist wohl aus einer psychologischen Verfaßtheit des Menschen, die seit ultrabösen Buben wie Julius Evola niemand mehr anspricht - wiederum legitimiert durch den Flügel der eingelösten Gewalt. Man unterschreibt mit Blut - woher wohl kommt so ein Symbol? Unsereins will die Ideologie des neuen Menschen mitsamt ihrer gefälschten Erzählung der Menschheitsgeschichte als verlogenes Machwerk brandmarken und dagegen auch die archaischen Anteile in uns in ihr Recht setzen, auf dass wir nicht noch kränker werden an dem bis zur Gehirnwäsche verordneten großen Schwindel - aber die Bedeutung des Blutopfers weisen wir dann doch lieber von uns.

Denn Gewalt können und dürfen wir nicht und sehen denen zu, die es tun. Der Sprecher der fernen Gewalt symbolisiert sichtbar - wie der Adelige das Göttliche - die materialisierte, aber unsichtbare Macht der Faust. Menschen reagieren auf so etwas, auch wenn sie es nicht zugeben. Der den Handelnden der Gewalt auch nur um viele Ecken kennt, ist erhöht. Streitet dies meinetwegen politisch korrekt ab und quasselt was von Argumenten und Überzeugungskraft den - aber diesen beiden wird dann ja doch zugehört: dem Täter und seinem Sprecher - den braven Kindern jedoch nicht. Viele kennen das Manifest des Norwegers und das des Unabombers, von gewissen Büchern von Massenmördern ganz zu schweigen - es sind mehr, als hier auf SiN lesen. Sind jene Verbrecher etwa nicht nur böse, sondern auch dumm - aber warum geht deren Rechnung dann auf? Immer wenn ich das anspreche, werde ich zurecht geschimpft , denn Gewalt ist eben tabu und muß es bleiben. Nicht nur können und dürfen wir diesen Weg unter Besatzung und im Überwachungsstaat nicht gehen, wir wollen es nicht. Dann lieber am Zaun stehen. Das sage ich gegen falsche Hoffnungen, mit geistiger Durchdringung des semantischen Paradigmenwechsels irgendwas ausrichten zu wollen. Es brodelt im Volk. Keine Gewalt.

Einar von Vielen

23. November 2016 12:13

@ Stil-Blüte

Ich möchte hier ungefragt ein kleines Länzlein für Frau Sommerfeld und Wissenschaftlichkeit per se brechen, auch wenn ich Ihren Punkt der übergeordneten Bedeutung Metaphysik und Anschauung vollständig teile, ihn sogar in Richtung 'Tat' verlängere. Vielleicht liegt ja hierin gerade die Chance auf den oben irgendwo angesprochenen 'Mittag', der die Kräfte wieder vereinen hilft. Denn das von den Linken gekaperte Feld der Vernunft darf, da sie es nicht fruchtbar bestellen können, nicht ihnen überlassen werden. Daher ist es nicht trotz, sondern gerade der Anschauung wegen dringend empfohlen, die dort verstreuten und verklebten Werkzeuge aufzunehmen, funktionierend zu machen und so ihre vorherigen Missdeutung offenzulegen. Denn auf Vernunft wird auch der Metaphysiker nicht verzichten wollen, darum liegt im Verbinden von beiden Gehirnhälften wohl die trefflichste Vorgehensweise. Und warum sollte die Vernunft, ja nicht sogar eine nischenhafte Spezialdisziplin 'sinnvoll' genutzt werden können, um ihre eigene Begrenztheit aufzuzeigen, die wiederum durch Anschauung überwunden werden kann.

In einem Internetforum, sei es noch so anschaulich und tatendurstig in seinem Wesen, kann ohnehin nur textlich, also symbolisch theoretisiert werden. Selbst pure Metaphsik und Glaubenslehre muss sich in diesem Medium theoretischer Vermittlung bedienen. Warum nicht genau hier den Raum zurückerobern, auf den sich der Gegner ausgebreitet hat ohne ihn beherrschen zu können?

der Gehenkte

23. November 2016 12:23

@ Caroline Sommerfeld

Mit ad 1 tue ich mich noch schwer, dabei ist an der Prämisse nichts auszusetzen:

Teils leistet die Semantik sich probeweise Innovationen, die noch nicht in das Muster strukturstützender Funktionen eingebaut sind und daher jederzeit wieder aufgegeben werden können.

Das daraus aber folgen soll:

TRUMP. BECAUSE: FUCK YOU! THAT’S WHY!

ist mir nicht einsichtig. Darin kann ich keinen Codewechsel sehen, denn erstens ist der Straßencode nie absent gewesen und zweitens verlasse ich hiermit den Raum des Lernens und Verstehens (ich hätte „Diskurs“ oder „Dialog“ sagen können, will aber den Stählernen und Nichtlesenden keine weiteren Reflexvokabeln liefern).

Wir hatten das ja schon mal: Die Selbstsetzung aus einem Gefühl, aus dem Bauch heraus in allen Ehren – wer sie kann: mein Respekt -, aber ganz ohne rationale Legitimierung wird es nicht gehen, wenn wir nicht alle anschlußlose Monaden werden wollen. Warum das keine „Unterbietung“, warum das „ein strukturell noch loses Fluidum der Machtkommunikation“ sein soll, erschließt sich mir nicht recht. Es ist für mich ein Unterschied, ob das in der Kneipe gesagt wird – dort muß man drauf hören, um festzustellen, „was unterhalb der „gläsernen Decke“ rumort – oder ob Lichtmesz das in seinem Twitter zum Header macht.

@Dietrich Stahl

Foucault, Lyotard, Baudrillard – in 100 Jahren, wie wird man sie werten?
Bei Kant, Schelling, Fichte, Hegel – und Heidegger bin ich mir recht sicher. Bei den oben genannten … ?

Da Sie sich so gut auskennen, helfen Sie mir doch bitte auf die Sprünge. Was hatte Kant gleich zum Internet und die „sozialen Medien“ geschrieben? Wo finde ich Schellings Gedanken zur Bevölkerungsexplosion und Globalisierung und leider vermisse ich gerade auch den Band, in dem Hegel über den modernen Demokratieverfall oder die Dividualität des modernen Menschen schreibt und Fichte über die Ökoapokalypse (die viel mehr ist, als das bißchen Erderwärmung) oder die Massenmigration. Ach ja, Heidegger über das Simulacrum oder die Pille, gab`s doch auch noch irgendwo ...

Irrlicht

23. November 2016 13:59

@Winston Smith 78699
In Bezug auf Kant unterschätzen Sie die Hingabe, mit der ein Kantianer eifersüchtig das transzendentale Vokabular hütet. Nicht überraschend, schließlich ist für Kant die Zergliederung der Begriffe eine zentrale Aufgabe der Philosophie. Mir entschlüpfte in einer Diskussion ob des obstinaten Bestehens auf seiner Termninologie die Bemerkung des "Kant-Papageis", die mir die damit bedachte Person einige Zeit übel nahm.

Und noch einmal zum Begriff des Paradigmenwechsels: Der von Ihnen und einigen anderen im Kommentarstrang hergestellte Bezug zur Postmoderne besteht durchaus, weniger bei Kuhn selbst, dem kaum programmatische Aussagen zu entlocken sind, eher bei Paul Feyerabend, der die Wissenschafsgeschichte aufgrund der semantischen Verschiebung grundlegender Begriffe als Abfolge unverbundener und unvergleichbarer Theorien versteht. Trotz der Bedeutungsverschiebung grundlegender Begriffe z.B. von der klassischen Mechanik zur Relativitätstheorie, lassen sich beide Theorien aufeinander beziehen und unter einen Begriff der Theorienreduktion fassen. Die Beschreibung dieser Beziehung geschieht nicht auf der Ebene der Begriffe der Theorien, die in der Tat "inkommensurabel" sind, sondern auf der Ebene des Vergleichs ganzer Theorien und erfordert einen aufwendigeren mathematischen Begriffsapparat (das dürften Ihre "Folterinstrumente" sein), etwa in Form des strukturalistischen Theorienkonzepts.

Wenn der Begriff des Paradigmenwechsels außerhalb dieses Kontexts verwendet wird, wird die Diskussion häufig verkürzt zu "So wie es radikale Bedeutungsverschiebungen der grundlegenden Begriffe in naturwissenschaftlichen Theorien gab, gibt es sie in X." wobei X bis zu den von Caroline Sommerfeld erwähnten esoterischen Zeitenwenden reicht. Radikale semantische Verschiebungen z.B. im Bereich der polit. Kommunikation und Theorie, mögen gerechtfertigt, möglich und erwünscht sein, mit der Verwendung des schillernden Begriffs des Paradigmenwechsels wird unter Verkürzung der wissenschaftstheoretischen Diskussion aber so gut wie immer eine postmoderne Agenda propagiert.

Hartwig aus LG8

23. November 2016 14:30

Vielleicht eine "überraschende" Entscheidung zu viel? Zuerst der Brexit, dann Trump. Und jetzt, weniger spektakulär, aber immerhin mit Spekulationspotential, ganz "überraschend" Fillon als möglicher Präsidentschaftskandidat in Frankreich.
Wie ein Organist zieht da jemand ein Register nach dem anderen.
Und ob Merkel noch gewollt sein wird, dass wird man wohl daran erkennen, ob sich im Sommer nächsten Jahres irgendeine Krise zuspitzen wird. Eurokrise, Flüchtlingskrise oder eine althergebrachte Wirtschaftskrise. Je nach dem, oder eben auch nicht.

Wie wäre es, wenn die sich abzeichnenden Aufbrüche weniger mit philosophischer oder religiöser Verquastheit, sondern mit einer Art Arbeiterklassen-Renaissance einher ginge? Das wäre rechts. Das wäre national. Ohne ein Extrem zu bedienen. Nebenher wäre dann der ganze PC-Schwachsinn und die herbeigeschriebene Herrschaft des globalen Weltstädters zumindest großteils obsolet. Keine Merkel-Raute mehr, keine Stinkefinger mehr, keine gefingerten Peace-Zeichen, sondern die Hand zur Faust und empor gestreckt, Thälmann-mäßig.

Meier Pirmin

23. November 2016 14:53

Einer der nach wie vor folgenreichsten Paradigmenwechsel der letzten Jahrzehnte ist der Bedeutungsverlust der Naturwissenschaften für Weltbilddebatten, angefangen von der Physik, in zweiter Linie, etwas schwächer, gilt es sogar für die Biologie, obwohl diese Wissenschaft noch am ehesten unter den Naturwissenschaft Einfluss behält. Als ich 1973 auf einer rechtsoppositonellen Liste in den Aargauer Verfassungsrat gewählt wurde, galt noch als Mainstream: Wir leben im Atomzeitalter und können deswegen nicht mehr mit einer Verfassung aus dem Postkutschenzeitalter leben. Das war natürlich schon damals verlogen und falsch, aber doch geprägt vom naturwissenschaftlichen Denken. Im Gegensatz zu allgemeinen Annahmen steht bei der Klimadebatte ebenfalls nicht ein naturwissenschaftliches Denken im Vordergrund, vielmehr eine eschatologische Denke, welche dem Weltuntergang entgegenstrebt und als Postulat nicht konkrete Problemlösung, sondern eine universale Weltrettung erstrebt, womit zugleich ein religiöses Bedürfnis gedeckt wird. Das ist, im Sinne von Eric Voegelin, wenn schon ein gnostisches, jedenfalls nicht naturwissenschaftliches Denken, zumal ja der Mensch dank Technik in sehr kalten und sehr heissen Gegenden überleben kann und anpassungsfähiger ist als fast jede biologische Art. (Dass jetzt Trump in Sachen Klima dem Mainstream entgegenkommen muss, ist klar, es handelt sich hier auch um eine von Machiavelli lehrbuchmässig geforderte zivilreligiöse Form der Anpassung. "Der Herrscher muss so sagen und so tun, als glaube er, was geglaubt wird." Es ist schon viel wert, dass T. wenigstens kein Gläubiger ist, was ihm pragmatisches Handeln ermöglichen sollte, wobei weniger CO-2-Ausstoss immer gut ist und unbedingt vernünftig wäre, auch ohne dass man deswegen die Welt zu retten glauben müsste.) - Es bleibt indes dabei, dass für weltanschauliche Fragen die Naturwissenschaften gegenwärtig so unbedeutend sind wie seit vielen Generationen nicht mehr.

@Winston Smith. Sie riefen mich zu einer Stellungnahme auf, weswegen ich mich hier noch einmal äussere:

Zu meinen eigenen Paradigmen zur Einschätzung des Weltzustandes gehörte von Jugend die Vogelwelt. Zivilisatorische Veränderungen, denen Vogelarten zum Opfer fallen, schienen mir ein fragwürdiger, nicht naturnaher Fortschritt zu sein. Auch deswegen postulierte ich als erster den Begriff "Würde der Kreatur" für das Schweizer Verfassungsrecht, auf bewusst konservativer Basis mit Berufung auf Goethe und Kritik an Descartes. Meinen entsprechenden Antrag vom 19. Mai 1976 kann man auf www.textatelier.com unter meinen Heimblogs einsehen. Der Begriff "Würde der Kreatur" stammt jedoch vom protestantischen Theologen Karl Barth und geht insofern nicht von einem naturwissenschaftlichen, sondern von einem theologischen Paradigma aus, der Schöpfungstheologie entnommen. Gegenüber all diesen Paradigmen bleibt indes eine gewisse Vorsicht geboten. Ob naturwissenschaftlich oder theologisch: Paradigmen können Aufklärung erleichtern oder diese auch verstellen, ist doch das Denken in Beispielen nach Auffassung meines verstorbenen Logiklehrers Pater Raphael Fäh OSB die Mutter aller logischen Irrtümer, womit die Paradigmentheorie ihrerseits etwas relativiert wird. Der genannte Lehrer aus dem Orden der Benediktiner gab mir vor bald 50 Jahren für Abitur die Aufgabe, Tierschutz und Vogelschutz auf der Grundlage einer proportionierten Schöpfungsontologie zu begründen. Den Namen Thomas S. Kuhn kannte ich damals noch nicht. Hingegen entsprach damals der fünfte sogenannte Gottesbeweis des Heiligen Thomas von Aquin, derjenige von der Zweckmässigkeit in der Natur, meiner damaligen Paradigmenkonstruktion.

@Dietrich Stahl. Die "Bar am Rande des Universums" ist ein guter Vorschlag für den Ort, wo gerade noch philosophiert werden könnte. Sie gestehen damit die Position des Aussenseiters ein und erinnern an den nötigen stets neu zu errichtenden Abstand.

Hartwig aus LG8

23. November 2016 15:00

@ Liebe Moderation, jetzt stehe ich mit "Thälmann-mäßig" ganz schön in der Kommunistenecke. Vielleicht wäre es möglich, wenn Sie bei Kürzungen der Kommentare ein Zeichen, z.B. [...] setzen könnten, so dass man erkennt, dass da noch etwas kam. Im konkreten Fall habe ich für den Eingriff ein gewisses Verständnis.
Gruss Hartwig

kommentar kubitschek:
nein. bei pseudonymkommentaren streichen wir rücksichtslos, wenn es sich um blödes zeug handelt oder einer an der lunte zündelt.

Caroline Sommerfeld

23. November 2016 16:03

Zwischensumme:
- Habermas oder Postmoderne:
@djadmoros: Sie haben recht, da muß ich differenzieren. Und doch auch wieder nicht recht. Es ist dieselbe Linke (die nicht homogen ist, wie sollte sie auch!), die einmal auf Vernünftigkeitsunterstellung beharrt und damit gegen rechte Irrationalität, "bloße Gefühle", Populismus etc. kämpft, und ein andermal genau diesen "Logozentrismus" (Derrida) der modernen Vernunft als männliche Herrschaftslogik bekämpft. Im deutschen Feuilleton ist das Restl Kritische Theorie, das sich in der Vernunfttradition sieht, stärker, im amerikanischen Universitätsbetrieb die vernunftkritische Linke, vulgo: Postmoderne.
Und natürlich: ich komme aus der Postmoderne-Ecke, aus der ökologischen Linken, auch von Kant her, und genau darum verhalte ich mich ja mitunter wie F.W. Bernsteins Elche.

- Trump. Because fuck you. That's why.
@ Gehenkter: Goldwaage für Trump-Sager steckenlassen, dann wird es vielleicht verständlicher. Just das nämlich wollte ich sagen: daß tiefe und vertrauensbildende und vernünftige Begründungen für politische Statements unwichtig geworden sind. Und auch, daß genau die Prolo-Geste des "Fuck you" gegen das Establishment raus mußte, jetzt geht's einem schon besser, aber doch nicht tragfähig ist, nicht weiterführend, nicht konstruktiv - also wird sie wieder aufgegeben, damit kann man ja keine Politik machen. Vielleicht geht ja auch die ganze Chose, Trump abzufeiern als Retter, gegen den Baum. Semantisch bleibt aber festzuhalten: da war mal was. Oder mit Bernsteins Kollegen Robert Gernhardt: "Denk dir ein Stachelschwein, denk's wieder weg, was je ein Mensch gedacht, bleibt doch ein Fleck ...".

- Paradigmenbegriff: Oh ja, ich mach erst wieder mit, wenn es ein Phalanx-Leiberl gibt mit "Paradigmenwechsel"!

- Theorie: Ich bin's bissl leid, mich für Theorie/Philosophie/Begriffe rechtfertigen zu müssen. Letztes Mal ist mir Ellen Kositza ehrenrettend beigesprungen. Aktionismus ist nicht meine Sache, ich kann einfach was anderes besser. Wenn es übel verklausuliert und begriffsklingelnd wird, bitte ich um Einbremsen, denn das will ich ja selber nicht.

Dietrich Stahl

23. November 2016 16:22

@ der Gehenkte

Ein Lernender bin ich, der sich nicht gut auskennt.
Intuition und gesunder Menschenverstand müssen [vorerst] hier mein Kompass sein.
Sie – die beiden gerade erwähnten uralten Freunde des Wahrheitssuchers – erlauben mir, Fragen zu stellen.

Was hatte Kant gleich zum Internet und die „sozialen Medien“ geschrieben? Wo finde ich Schellings Gedanken zur Bevölkerungsexplosion und Globalisierung und leider vermisse ich gerade auch den Band, in dem Hegel über den modernen Demokratieverfall oder die Dividualität des modernen Menschen schreibt und Fichte über die Ökoapokalypse (die viel mehr ist, als das bißchen Erderwärmung) oder die Massenmigration.

Was macht Philosophie wirkmächtig über den Tag hinaus?

Der Gutmensch

23. November 2016 17:13

Emblematisch dafür ist Joachim Gaucks Aussage, das Problem seien nicht die Eliten, sondern die Bevölkerung.

Ich kann dem BP in dem Punkt nur völlig zustimmen. Die „Eliten“ sind in einer Demokratie schon per Definition nicht auf einen bestimmten Standpunkt festgelegt; anders als in einer Autokratie (u. a. das belegt ja Trump). Die Bevölkerung lässt sich viel stärker auf solche Standpunkte ein, weil sie in stärkerem Maße auf Orientierung angewiesen ist - sprich: weil man für sein Geld und sein soziales Fortkommen arbeiten muss! Und jeder von uns kennt doch das Befremden, wenn vom Gegenüber papageienhaft politische Parolen nachgeplappert werden. Da spricht dann aber nicht die Elite, sondern gewöhnlich sieht man sich einer Schranze gegenüber; in zunehmendem Maße (das mag der BP gemeint haben) eben auch einer „Möchtegern-Schranze“, die auf dem schmierigen Parkett der freien Meinungsbildung ins Schleudern geraten ist und sich bei der Elite zu empfehlen gedenkt, indem sie einfach einem Andersdenkenden „mutig gegenübertritt“ - bzw. denjenigen denunziert.

Meier Pirmin

23. November 2016 17:24

@Caroline Sommerfeld. Dass die Linke der Gegenseite entweder mangelnde Rationalität vorwirft, welche dann aber gleichzeitig als männliche Herrschaftslogik diffamiert wird, sehen Sie richtig. Umgekehrt fehlt es "uns" aus linker Sicht an Gefühl und Empathie, was Sie, Frau Sommerfeld, postmodern nennen, aber nichts anderes ist als ein Ladenhüter aus Rousseaus frühen Diskursen, die im übrigen und bei genauer Lektüre nicht zur Aufklärung gehören, sondern zur Gegenaufklärung, was ich hier wertneutral gesagt haben möchte. Die Kritik an der Aufklärung ist ja selbst ein absolut notwendiger Bestandteil der Aufklärung. In der Aufklärung begann beispielsweise auch die von Kant und Schopenhauer ernst genommene Gespensterforschung. Vgl. die beim Schweizer Fernsehen srf noch über Google abrufbare Sendung "Von Geistern und verirrten Seelen" in der sog. Sternstunde Religion.

Meine obigen Ausführungen, den Paradigmenwechsel betreffend, sind geprägt von der Abschiedsvorlesung von Hermann Lübbe "Über den Bedeutungsverlust wissenschaftlicher Weltbilder". https://www.philosophy2.ru/iphras/library/deupaper/LUEBBE2.htm Was dort ausgeführt ist, hat wesentlich mit der säkularen Tendenz zum Paradigmenwechsel zu tun.

Die Beheimatung und Erdung in den Naturwissenschaften war noch für den klassisch-romantischen Geisteswissenschaftler Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling zentral, insofern er den Satz zum Programm erhob: "Kommet her zur Physik und erkennet das Ewige." Auch für seinen frühen Jenaer Schüler Ignaz Paul Vital Troxler (1780 - 1866) war die Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften im Hinblick auf die Orientierung grundsätzlich zu überwinden. Die Einheit von naturwissenschaftlicher Biologie und Lebensphilosophie sah Troxler in dem von ihm geprägten Begriff der "Biosophie", welcher dann auf Rudolf Steiner Einfluss ausübte. Steiner scheint mir ein paradigmengeschichtlich wichtiger Denker gewesen zu sein. Als ich vor 30 Jahren noch im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung schrieb, wurden Zitate von Steiner sowie Hinweise auf die Anthroposophie jeweils eliminiert, was mich zur Vermutung veranlasste, diese Richtung könnte weniger unbedeutend sein als vielfach angenommen.

Noch Korr. zu meiner ersten Wortmeldung: Die Biologie behält am ehesten u n t e r d e n N a t u r w is s e n s c h a f t e n Einfluss auf das Weltbild von heute. (...) Zu meinen eigenen Paradigmen gehörte von J u g e n d
a n die Vogelwelt. Dem kann ich noch hinzufügen: Für Ökodebatten von heute bringt die Analyse der Vogelwelt Mitteleuropas, deren umfassendster Darsteller der Ornithologe Urs Niklaus Glutz von Blotzheim ist, wohl einiges mehr als die sentimentale Geschichte von den Eisbären, welche angeblich aufgrund der Klimaerwärmung in der Arktis vom Aussterben bedroht seien.

Monika

23. November 2016 17:27

Auch eine Art Paradigmenwechsel,
eine neue Be-deutung:

Dr. Murkes gesammeltes Schweigen
Gott = jenes höhere Wesen, das wir verehren

Dr. Merkels gesammeltes Schweigen
Deutsche = diejenigen, die hier schon länger leben

Westpreuße

23. November 2016 19:55

Frau Sommerfeld,
zwei wirklich nur kleine Anmerkungen meinerseits, nicht mäkelnd gemeint:
Die von Ihnen erwähnte "Kindergeschichte" von Peter BICHSEL: "Ein Tisch ist ein Tisch" halte ich nicht für eine Kindergeschichte. Man mag sie Kindern vorlesen (oder lesen lassen) als ein humorvolles Sprachexperiment, aber Erwachsenen ist sie wohl doch eher eine Geschichte mit ausweg-losem Hintergrund; sie macht sprach-los:
Mir ist diese Geschichte vor Jahrzehnten während des Studiums begegnet; ich weiß den Anlaß nicht mehr. Ist jetzt aber durch Ihre Erwähnung wieder aufgetaucht...

Hier der vorgelesene Text:
https://www.youtube.com/watch?v=z7SWUGfRlC4
Peter Bichsel: Ein Tisch ist ein Tisch

Zu Niklas LUHMANN: Habe ihn vor langer, langer Zeit mal irgendwo im Bielefelder Raum, in der Gegend lebte er wohl, in einer Akademie gehört.
Ich fand keinen Draht zu seinen Gedanken; wird mit Sicherheit an mir gelegen haben...
Erinnere mich aber noch an ein Interview (?) mit ihm, in dem er sagte, daß
die Behandlung der Amerikaner auf den Rheinwiesen bei Ludwigshafen für ihn, kriegsgefangener Luftwaffenhelfer, ...gelinde gesagt..., an diese Wortwahl erinnere ich mich genau, nach seiner Empfindung nicht den Bestimmungen der Genfer Konvention entsprach...Er wurde dann auch, weil jugendlich, entlassen. Allerdings nach Südfrankreich, wo er Wiedergutmachungs-Arbeit leisten mußte...
: Grüße von der Weichsel

Meier Pirmin

23. November 2016 21:34

@Monika. In der Kürze liegt die Würze. Unglaublich, wie Sie es mit kritischem und vergleichendem Zitieren einmal mehr treffen.

Der Gutmensch

23. November 2016 21:47

Dr. Merkels gesammeltes Schweigen
Deutsche = diejenigen, die hier schon länger leben

Liebe Monika,

ich hatte neulich Kontakt mit "Zugezogenen", ganz nette Leute, gehobene Mittelklasse, sehr zuvorkommend, höflich, gebildet, gläubig. Die sind genau das, was Sie so "Deutsche" nennen. Und sind schon vor längerer Zeit in ein Gebiet gezogen, in dem sich folgendes zutrug: https://de.wikipedia.org/wiki/Köpenicker_Blutwoche

Beim Anblick des Briefkastens wurde mir spontan bewusst, dass diese Leute - so wie sämtliche Zugezogenen, die mir hier begegnet sind - die Alteingesessenen keinesfalls als diejenigen anerkennen, die "hier schon länger leben". Damit würden sie ihnen nämlich ein - kulturelles, historisches - Gedächtnis zuerkennen. Nein, sie sehen die dort lebenden Menschen offenbar als ihre pädagogischen Projekte an: "Rassismus nehme ich persönlich" stand auf dem Briefkasten. Bei Alteingesessenen habe ich sowas noch nie gesehen; selbst Leute, von denen jeder weiß, dass sie Parteimitglieder sind, sind mittlerweile zurückhaltender mit so etwas.

Aber auf welchen Kanzler wollen Sie sich denn nun mit Ihren Deutschen verständigen?

Heinrich Brück

23. November 2016 22:16

Rechts ist immer die Macht.
Eine Bevölkerung (mehrere Völker in einem Land) hat keine Macht. Und ob ein Volk Macht hat, hängt von seiner Führung ab.
Wenn im Land der Deutschen die NATO und die Zentralbank zuständig sind, wird der Bevölkerung ein Angebot gemacht. Wie die Türken (eine etwas größere Minderheit) darauf reagieren, und wie diejenigen, die schon länger hier leben ihre Interessenlage vertreten, kann im demographischen Spiegel gesehen werden; was daraus aber folgen mag, ist noch lange nicht geklärt.
Die ethnischen Interessen werden vertreten, ein Ziel wird angestrebt. Auf wessen Kosten?
In den deutschen Schulen wird den Kindern Wissen vermittelt, Diskriminierung findet nicht statt. Könnte man von politischer Identitätsbildung, auf eine bestimmte Bevölkerung zugeschnitten, sprechen? Woher dann das wachsende Kollektiv auf der zugewanderten Seite?
Die Frage der Zugehörigkeit wird links mit den Menschenrechten begründet, rechts mit der Nation. Und die Nation, die ihre ethnischen Interessen verteidigt, gewinnt!

Winston Smith 78699

23. November 2016 23:01

@ Irrlicht

Wenn Sie meinen, dass man kein populärwissenschaftliches oder noch unfeineres Geschlampe mit dem Wort anstellen soll, einverstanden. Denn sonst ist der Paradigm Shift genauso überall und nirgends wie das Relative, der Gödel, das Chaos und der Quantensprung - reservieren wir für die verlotterte Bande am besten gleich einen Tisch in dieser Bar am Ende von allem. Wenn Sie aber dem Begriff vom Paradigm Shift dessen eigenen Shift oder Drift, eine sukzessive Veränderung gegen notwendigen Widerstand (dazu und zu Tomasi di Lampedusa ein andermal) verwehren wollen, dann versuchen Sie gerade, die Welt anzuhalten mit einem Fehler, denn sie vielleicht irgendwo hierdrin (Sie kennen das ja) beschrieben finden: Sie halten etwas für gesetzesartig, was es nicht ist. Dabei kann man so ein Induktionsproblem auch als befreiend empfinden von der Last, alles vorhersagen können müssen zu meinen, oder die ewiggültig richtigen Begriffe zu haben. Wenn ich mich recht (und sehr weit zurück) entsinne kommt auch Hume in Inquiry dann wieder auf Gottes weise Einrichtung der Welt, und früher hielt ich das für einen peinlichen Kotau vor der frommen Obrigkeit oder so, aber vielleicht ist es auch ehrliche Entlastung nach oben. Für den Kampf muss man sich auch mal locker machen können und sich dehnen, und das macht Frau Sommerfeld. Entschuldigung, wenn das jetzt fachlich fehlerhaft ist, Sie kennen sich da besser aus, ich will nur eine Stimmung ausdrücken, weil Sie mir da ohne Not etwas verkrampft wirken.

Karl Brenner

24. November 2016 02:20

Hallo

@ Winston Smith
Alles was uns umgibt, was wir wahrnehmen, was wir denken, dass geschieht in Form von Sprüngen für welche es als Instrument der Beschreibung die Sprungfunktion gibt.

Z.B. Wenn Fr. Merkel die Entscheidung trifft, die Bundesrepublik nimmt alle Personen auf, welche an die Grenze kommen, dann ist der Augenblick, in dem sie diese Entscheidung trifft oder die Anweisung gibt, ein Sprung. In diesem Fall sogar ein sehr sehr großer Sprung.
Wenn dann das Verfassungsgericht diese Entscheidung (aus welchen Gründen auch immer) bestätigt, ist das wieder ein Sprung. All diese Sprünge hintereinander sehen aus wie ein kontinuierlicher Vorgang.

Aber es ist eine Treppe aus einzelnen verantwortbaren/verantwortungslosen Sprüngen/Entscheidungen von Menschen, welche untereinander in Beziehung stehen und dann handeln. Selbst bis in die kleinste Elemente der Quantenphysik ist alles (theoretisch) in Sprüngen aufteilbar. Wenn sich zum Beispiel eine Massen/Physik von a nach b bewegt wird. Zum Beispiel über eine Staatsgrenze hinweg, dann ist diese Translation in Einzelschritten sprunghaft.

Um den Verlauf (aufgeteilt in Sprüngen) besser verstehen zu können, kann man die Vorgänge in einen anderen (Bild-)bereich transformieren. Dort kann man sie mit seinen eigenen System aus Begriffen/Worten verstehen und bearbeiten. Wenn alles klappt und schlüssig ist, kann man das Ergebnis wieder in den Originalbereich rück-transformieren. Die anderen können es verstehen und sind womöglich zunächst überrascht. Mit einer Transformation /Transformation kann man schon kniffelige Probleme lösen.

Sprünge helfen auch dabei, die "Ewige Wiederkehr des Gleichen" (Adenauer, Kohl, Merkel) zu vermeiden oder zu veringern.
Wenn man die richtige Fouriertransformierte heraussucht, weiß man schon was in Deutschland als nächstes kommt.

Zu links/rechts/Peter Feist
Letztendlich wollen links, recht das gleiche.
Auf beiden Seiten gibt es Dogmen, welche bei genauerer Analyse einen "Wirklichkeitstest"(Peter Feist) nicht bestehen.

Es wurden schon immer künstliche, abstrakte Lager definiert, damit man die Leute der eigenen Gruppe mit genügen Propaganda und Abwertung der anderen formatieren und für sich gefügig machen kann.
Eines der Hauptinstrumente dafür sind die Medien. Deshalb bezahlt man Umerziehungssteuer (also GEZ). Deshalb sind sich die reichen Eigentümer der Zeitungen einig. Wenn man erst einmal die Bürger in Lager geteilt hat, kann man sie fanatisieren und dann kämpfen die gegeneinander. Damit sind sie beschäftigt. Teile und herrsche bleibt eines der wichtigsten Instrumente der "Leute unterhalb der Grasnarbe"
Beispiele: Trump-Hysterie, anti-AFD Polemik, etc, ect
Ob wahr oder falsch. Hier werden Menschen in verschiedene Gruppen formatiert. Für jeden Trump-Gegner gibt es auch ein Trump-Befürorter, etc... (eben Teile und Herrsche)
Denn während sich die Leute noch über die eine oder andere Gruppe aufregen, passieren ganz andere Geschichten, von denen nicht oder in vernebelter Form berichtet wird (Ukraine, Syrien..)

„Es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange es dauern wird, bis die Bürger der Nationalstaaten wieder in einer angemessenen Freiheit leben können.“

Dies ist in der Tat das Ziel, über das wir uns wohl alle einig sind, aber woher nehmen Sie den Optimismus?

Ich bin nicht Optimistisch oder Pessimistisch.
Denn das Leid kann schon sehr groß sein, wenn man sich in die Lage der Frau versetzt, welche gefesselt durch die Straßen gezogen wurde.
Oder derjenigen Frauen, welche im Köln in ihrer Würde lassen mußten, weil es Politiker und ihre medialen Helfer gibt, die dies für ihre Ziele in Kauf nehmen.

Oder man schaut sich die Französische Revolution an. Welch ein Leid der Menschen. Auch jetzt noch.

Oder den Kommunismus in Rußland. Die Lager und die Armut.

Oder den Nationalsozialismus in Deutschland, welcher nichts weiter war, als ein Versuch der "Leute unterhalb der Grasnarbe", Stalin und den Ost-Kommunismus aufzuhalten.

Rabenfeder

24. November 2016 02:57

@ Besetzter

Jau, Sie Schelm, da muss ich wohl meine Wette noch etwas präzisieren:

Der nächste „gewählte“ Präsident der Vereinigten Staaten, der nicht Vizepräsident unter Trump ist
( es ist ja möglich, dass nach einer vorzeitigen Entfernung Trumps sein Vize mit einen „Nun erst recht!“-Bonus auch nach der erzwungenen Übernahme der Staatsgeschäfte noch einmal im Amt durch eine „Wahl“ bestätigt wird) wird weiblichen Geschlechts sein.
Vielleicht eine attraktive Latina? Eine Asiatin? Was Gemischtes? Oder doch -langweilig- eine weiße Powerfrau? Gar ein Merkel-Klon? Oder vielleicht doch dunkelhäutiger? Michelle Obama? Beyonce? Oprah Winfrey?
Vielleicht gar eine gefühlte „Frau“ und „woman of the year“?

https://huzlers.com/wp-content/uploads/2016/08/Caitlyn_Jenner_2_Photo_800-1024x535.jpg

Obwohl ich hörte, dass Caitlyn wieder darüber nachdenkt, Bruce zu sein. Der Zipfel ist ja noch nicht ab... ;)

@ Gustav Grambauer

Ich verstehe, glaube ich, was sie meinen und will hier gar nicht lange mäkeln und vor Mißtrauen und voll des Ekels gar defätistisch wirken.
Intuitiv traue ich dem sogenannten Paradigmenwechasel nicht. Jeder good cop-bad cop-Verhörspezialist kennt ja die Technik und jeder Folterknecht, der sein Handwerk versteht, auch:
Push und relief. Druck und Entspannung. Globalisierungsdruck und identitäre Entspannung. Und wieder aufs Neue...

Aber lassen wir das; finden wir unser Rückgrat, damit wäre viel gewonnen.

Einar von Vielen

24. November 2016 14:07

@ Karl Brenner
will hier nicht stören, nur weil ich Handlungslegastheniker bin eine hoffentlich verzeihliche Nachfrage zu

Wenn man die richtige Fouriertransformierte heraussucht, weiß man schon was in Deutschland als nächstes kommt.

Wie lautet die Fouriertranspirierte? Und wat kommt nu? Oder meinten Sie lediglich den Paradigmenwechsel?

Nüscht für ungut.

Der Gutmensch

24. November 2016 14:21

Lustig, in dem hier bereits verlinkten https://en.wikipedia.org/wiki/New_riddle_of_induction schließt sich der Kreis zur Kositza-Kolumne.

Man muss also wissen,

a) worüber man überhaupt eine Aussage treffen kann
und
b) diese Aussage dann auch (für sich) beibehalten, wenigstens gedanklich, koste es, was es wolle.

Sonst kann man paradoxer Weise gar nichts dazulernen. Das muss man den Kindern vermitteln!

Ob also der Händler eigennützig verlangt: "Kauf nicht bei Juden" oder ob er auffordert, nicht bei europäischen Nachbarn einzukaufen - es ist und bleibt ein Charakter-Nazi. Und das dazugehörige Paradigma (wenn auch mit anderem Vorzeichen) beschwört er eben wegen dieser seiner Eigenschaft.

Caroline Sommerfeld

24. November 2016 17:30

Steiner scheint mir ein paradigmengeschichtlich wichtiger Denker gewesen zu sein.

@Pirmin Meier: Gestern Abend ein für mein Thema indirekt nicht uninteressanter Vortrag an der Waldorfschule meiner Kinder zum Thema "Medien". Die Elternschaft erwartete sich Antworten zu Bildschirmzeit, Altersempfehlungen, Hirnforschung und "Medienkompetenz".
Was tat der Referent - selber seit 25 Jahren Informatiklehrer Waldorfoberstufe - jedoch? Er erzählte seelenruhig (!) von der Dreigliederung des Sozialen und des Menschen, zitierte Sloterdijk und Rilke ("Du mußt dein Leben ändern") und schaute halbironisch und von halb innen, halb außen, auf die Medienwelt.

Da dürfte Steiner als Leib- und Magen-Philosoph dieses Mannes eine ganze Haltung geprägt haben. Es kann doch sein, daß wir als Neue Rechte oder Alt Right genau deswegen so einen Paradigmenwechsel mittragen, weil wir an vergangenen solchen Wechseln in unserer Intuition geschult worden sind?

Der Gutmensch

25. November 2016 00:19

Winston, fragen Sie sich im Ernst gerade, wen es treffen soll: Die Unschuld oder die Formalverantwortliche? Ich bin dann mal weg ... und rate jedem, es mir nachzutun.

Andudu

25. November 2016 00:34

Hervorragender Artikel! Danke! Und ein Danke auch für die vielen interessanten Kommentare!

Ich sehe auch einen Pradigmenwechsel, auch wenn einige Forenten ihn für eine Illusion halten. Ich hatte auch einen Umbruch in der DDR vorhergesagt (damals noch als Jugendlicher) und habe Recht behalten. Man spürte es einfach, wenn man den Leuten zuhörte.

Es ist der Überdruß mit der bestehenden Ordnung, der jede Äußerung begleitet. Es ist nichtmal das rechts-links-Thema oder das global-lokal oder irgendein anderes. Es ist genauso wie der Artikel es beschreibt, die Begriffe ändern sich, die alten Begriffe treffen nicht mehr, weder positiv noch negativ, neue haben sich noch ebensowenig etabliert, wie die alte Ordnung gewichen ist und doch wünschen es sich immer mehr Leute.

Nur sind die meisten Leute, egal wie unzufrieden, nicht explizit politisch!

Sie ergreifen jeden Faden, der ihnen Abwechslung verspricht. Sie springen auf jeden Zug auf, der in eine andere Richtung zu fahren scheint. Bei den Piraten war es so, auch Pegida, AfD oder Trump sind überdeutliche Zeichen. In der Geschichte lief es vermutlich nie anders, mal ging es schief (Hitler) mal gut (Wende 89). Das Parteisystem ist halt alles, nur nicht treffgenau. Dort liegt die große Gefahr!

Ich hoffe sehr, dass die besonnenen Personen von sezession.de, auch politisch Fuß fassen und den Wandel mitprägen können und dabei besonnen bleiben. Vielleicht bekommt Deutschland auch noch zu meiner Lebenszeit sowas wie eine echte Demokratie, die künftige Paradigmenwechsel weniger schmerzhaft machen könnte. Noch habe ich nicht aufgegeben zu hoffen...

Monika

25. November 2016 06:39

Dieter Graumann: Ein frisches jüdisches Selbstbewusstsein!
23. Dezember 2010 – 16 Tevet 5771
Für die meisten Menschen ist ein Ereignis, das sich vor dreieinhalbtausend Jahren zugetragen hat, nicht unbedingt ein wichtiger Teil ihres Lebens. Für Dieter Graumann schon. Auf die Frage, was ihn zur Kandidatur für das Amt des Zentralratspräsidenten bewogen habe, antwortet er ohne Zögern: „Jeder Jude hat auch die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Kette der Generationen, die vor dreieinhalbtausend Jahren am Berg Sinai begonnen hat, niemals abreißt. Das ist die Herausforderung von Juden in jeder Generation, immer wieder aufs Neue“…

Ein frisches deutsches Selbstbewußtsein zeigt auch Björn Höcke:

"Thüringer, Deutsche, 3000 Jahre Europa, 1000 Jahre Deutschland, ich gebe Euch nicht her."

Tja,werter Pirmin Meier.
Diese seltsamen Vergleiche kann ich in anderen Foren nicht "anbringen".
Werden nie veröffentlicht...

Meier Pirmin

25. November 2016 14:22

@Sommerfeld. Es gibt nach wie vor gebildete und geformte Lehrer- und Lehrerinnen, die sich von den Schul- und Unterrichtsreformen der letzten Jahrzehnte weder verdummen noch verunsichern lassen, wobei jedoch der von Ihnen genannt Waldorflehrer nicht der mehr der Jüngste zu sein scheint und sich seine Souveränität über die Ausbildung hinaus wohl selber erarbeitet hat. Ein wohltuendes Beispiel.

Ich stimmte mit den Adepten Rudolf Steiners, die den Meister manchmal zu häufig zitieren, nie voll überein, sah jedoch seit spätestens 1968, dass sie das Erbe des deutschen Idealismus vergleichsweise noch am reinsten in die neue Zeit hinüberretten und dass ihr Wissen wie auch ihre Methoden im hohen Gerade kompensatorisch gegen das Verhängnis einwirkt. Auch sind die guten Leute unter den Anthroposophen in beeindruckender Weise lernfähig, was der von Ihnen genannte Informatiklehrer durch seine ganze Existenz bestätigt. Es wäre nämlich noch vor 25 Jahren möglich gewesen, gegenüber dieser Entwicklung zur Digitialisierung den Vogel Strauss zu spielen. Ich war selber nahe daran, schrieb noch meine gewichtigsten Bücher bis zur Biographie von Micheli du Crest, dem Genfer Frühdemokraten, bewusst auf Schreibmaschine, was stilistisch keineswegs ein Nachteil war. Noch ein Gelehrter wie Reich-Ranicki, den ich fürwahr nicht gerade mochte, kulturell aber ein hartgesottener Reaktionär, benutzte nie einen Computer und pflegte absolut keinen Kontakt via Internet.

@Alt Right? Dass Sie, Frau Sommerfeld, jetzt auch von Alt Right schreiben, macht mir trotzdem mit diesem Begriff liebe Mühe, arg verschmutzt durch amerikanische Idioten, welche Trump mit Hitlergruss "ehren" wollten und ihn zwangen, sich von ihnen drastisch zu distanzieren. Dabei bin ich selber amerikanisch, britisch, deutsch und schweizerisch je ein Altrechter, und zwar schon fast seit ich lesen und schreiben kann. Amerikanisch: Russel Kirk, Emerson, der amerikanische Transzendentalismus, Thoreau, wichtigster Vertreter des Steuerstreiks, den er für gleich wichtig einschätzte wie die Dienstverweigerung, das alles prägte mich, natürlich auch die National Review. Und noch den Antifeminismus habe ich bei Phyllis Shlafly gelernt, deren Ableben ich auf www.portal-der-erinnerung.de und in der Weltwoche gewürdigt habe. Shlafly hatte grosse Mühe, kurz vor ihrem Tod noch ein gutes Wort für Trump einzulegen, wofür man Verständnis haben muss. Dass Lafontaine und Wagenknecht ein gutes Haar sehen bei Trump, geht auf dessen Keynessches Denken zurück, das nun leider nicht in der Art der Konservativen "in the long run" angelegt ist. Trump ist kein Altrechter, weswegen ich bei Sezession im Vorfeld der Wahl zu den Trumpkritikern gehört habe, wiewohl ich ihn in den USA - wie die Angehörigen Shlaflys - am Ende nolens volens gewählt hätte. Trump war aber für einen denkenden Rechten nie rechts genug. Ich verstehe mich sodann britisch als "Alt Right", sofern Whigs, die gleichzeitig die französische Revolution kritisierten, diese repräsentieren, also die ganze Schule um Burke. Die deutschten Altrechten aus meiner Sicht gehen auf den Burke-Übersetzer Gentz zurück, ein Oeuvre, das für Novalis grundlegend wurde, über den ich in Freiberg 2010 gesprochen habe. Ein Novalis-Rechter versteht nun mal identitär ("Ich bin Du") etwas anders als die Eiferer von der identitären Bewegung. Da wäre ich wieder bei Grillparzer und bei meinem Verhältnis zu Habsburg, welches mir angesichts des 100. Todestages von Kaiser Franz Joseph dieser Tage wieder einiges zu denken gab.

Von den Schweizer Altrechten wiederum glaube ich mich durch Philipp Anton von Segesser mitgeprägt (1817 - 1888), der noch 1857, als ein Krieg zwischen Preussen und der Schweiz drohte wegen dem Fürstentum Neuenburg (das Rousseau als einziger Fleck auf Erden Exil bot), den Begriff der schweizerischen Nation als einziger Denker und einziger Politiker ablehnte. Für ihn war die Souveränität nicht bei der Nation zu Hause, sondern ganz unten bei der Gemeinde und allenfalls der Stadtrepublik, letzteres seit den Zeiten Machiavellis ein faszinierendes Freiheitsmodell. Dass Herfried Münkler über Machiavelli gearbeitet hat, machte ihn mir lange zu einem glaubwürdigen Gelehrten. Einigermassen unglaubwürdig wurde er erst, als er zu einem mehr oder weniger offiziellen Experten emporgeschubst wurde. Auf diese Weise gelangte er unter die Fuchtel der politischen Korrektheit.

@Karl Brenner. Ich verwahre mich gegen die Fehleinschätzung, bei Adenauer - Kohl - Merkel von der "Wiederkehr des Gleichen" zu schreiben. Wiewohl Adenauer nie deutschnational war, gehört er nichtsdestotrotz zur Alt Right, allerdings kleindeutscher Art, franzosenfreundlich (was immerhin auch auf Mohler zutraf) und nun mal sehr stark durch das Subsidiaritätsprinzip geprägt, ferner als Vertreter seiner Generation, durch den katholischen Antijudaismus, zu dem er sich, auf youtube abrufbar, bei der Begründung, warum nichtsdestotrotz Wiedergutmachung bezahlt werden müsse, als Bundeskanzler ein letztes Mal andeutungsweise bekannt hat. Er war eindeutig antisemitischer als Trump und insofern eher rechtsextem im heutigen Sinne. Adenauer hielt auch gar nichts von Kennedy, ist also beispielsweise mit Merkel und ihrer Berufung auf Obama und umgekehrt in keiner Weise vergleichbar. Von Kohl gilt sodann, dass er zumindest mal durch konservative Schulungen gegangen ist und sogar einige diesbezügliche Organe abonnniert hatte, wobei aber Merkels christliche Prägung nun mal von Haus aus eine linkschristlich-marxistische war. Dieser Genotyp wurde bei der Kanzlerin spätestens 2015 wieder Phänotyp. Es wäre jedoch übertrieben, Merkel einen marxistischen Solidaritätsbegiff zu unterstellen. Dagegen würden sich Lafontaine und Wagenknecht verwahren. Dabei bleibt es beschämend für die deutsche Demokratie, dass Wagenknecht derzeit die einzige Oppositionspolitikerin in Berlin ist, die diesen Namen verdient.

@Monika. Höcke sollte im Zusammenhang mit Deutschland den Begriff 1000 Jahre meiden. Es sind eh mehr. Selber studierte ich im Kloster St. Gallen mal das alte deutsche Eherecht um 800. Damals wurden Ehen noch von Vätern geschlossen, wohl nicht weit weg von Sharia-Brauchtum. Eine alemannische Braut, die nach einem Jahr nicht schwanger war, konnte ihrem Vater zurückgegeben werden.

Meier Pirmin

25. November 2016 14:33

PS. Korr. Die britischen Whigs, welche die französische Revolution kritisierten, verkörperten natürlich nicht das Gedankengut der französischen Revolution, sondern das freiheitlich konservative Gedankengut der Alt Rhigts, der Old Whigs, wie ich diesen Begriff verstehe. Ich besuche in London jeweils das Museum, einstiges Wohnhaus, von Samuel Johnson, in dem ich den alteuropäischen Geist von Alt Right wohl am reinsten verkörpert sehe. Ich gehe nicht davon aus, dass lärmende Vulgär-Altrights, die Trump gewählt haben, von dieser Prägung her zu verstehen sind.

Caroline Sommerfeld

25. November 2016 18:28

... daß er, wie alle Idioten, oft so zuversichtlich und entscheidend sprach, als wenn er unter allen Nachteulen seines Vaterlandes die einzige wäre, welche der Minerva auf ihrem Helm säße.

(Johann Georg Hamann, Sokratische Denkwürdigkeiten,1785, in: Hegel: Hamanns Schriften, neu herausgegeben Wien 2016)

Da bleib ich so gerne noch ein Weilchen hocken und spreche zuversichtlich und entscheidend.
Danke allen Kommentatoren und Ende dieses Nachtflugs.

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