Macht und Menschenrechte – »Humanitäre Intervention«

PDF der Druckausgabe aus Sezession 57 / Dezember 2013

von Thomas Bargatzky

»Der Schutz der Menschenrechte ist die einzige zündende politische Idee unserer Zeit, und die unablässige Berufung des Westens auf die Menschrechte hat die kommunistischen Regierungen bereits in die Defensive gedrängt … Die postkommunistischen autoritären Regime sind wahrscheinlich in diesem Punkt besonders verletzlich, weil ihnen eine verständliche, glaubwürdige und unwiderstehliche Ideologie fehlt«, schrieb die graue Eminenz unter den US-amerikanischen Globalstrategen, Zbigniew Brzezinski, im Jahre 1989. Die Menschenrechtskarte sticht bis heute: »Chinabesuch: Merkel sprach Wen auf Menschenrechte an« (Spiegel Online, 22.5.2006). »Am zweiten Tag ihrer Fernost-Reise hat Bundeskanzlerin Merkel Religions- und Meinungsfreiheit in China angemahnt« (ZDF, »Mittagsmagazin«, 27.8.2007). »Merkel mahnt Menschenrechte in China an« (Die Welt, 27.5.2013).

Peter Scholl-Latour pran­gert die »selek­ti­ve Heu­che­lei« in punk­to Men­schen­rech­te an, die schon seit lan­gem den Umgang des Wes­tens mit Chi­na bestimmt. War­um wird bei­spiels­wei­se von den Men­schen­rechts­apos­teln die »Gro­ße Kul­tur­re­vo­lu­ti­on« Maos, bei der fünf Mil­lio­nen Men­schen umka­men, nur am Ran­de erwähnt, woge­gen der bedau­erns­wer­ten Opfer des Stu­den­ten­auf­stan­des am Platz des Himm­li­schen Frie­dens, deren Zahl auf unge­fähr 900 geschätzt wird, all­jähr­lich mit Betrof­fen­heits­kund­ge­bun­gen gedacht wird?

Über die Hin­rich­tung von Dro­gen­dea­lern in Chi­na empört sich der Wes­ten, aber das schänd­lichs­te Kapi­tel des euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus im 19. Jahr­hun­dert wird ver­drängt, der Opi­um-Krieg, mit dem die bri­ti­sche Regie­rung aus kri­mi­nel­ler Pro­fit­sucht das Man­dschu-Reich zwang, sich für den ver­hee­ren­den Rausch­gift­han­del zu öff­nen. Und noch ein Bei­spiel: Etwa 30000 Tsche­tsche­nen wur­den von den Trup­pen Boris Jel­zins zu dem Zweck umge­bracht, die Unab­hän­gig­keits­be­we­gung zu ersti­cken – aber Ruß­land wur­de in den Euro­pa­rat aufgenommen.

Indi­en wird bestän­dig als »größ­te Demo­kra­tie der Welt« gefei­ert, obwohl die Regie­run­gen in Neu-Delhi seit Jahr­zehn­ten Indi­ens Streit­kräf­te in einem blu­ti­gen Unter­wer­fungs­krieg gegen die zu neun­zig Pro­zent mos­le­mi­sche Bevöl­ke­rungs­mehr­heit in Kasch­mir ein­setzt, die die Unab­hän­gig­keit von Indi­en wünscht.

Samu­el Hun­ting­ton bezeich­net die west­li­chen Ver­su­che, den Rest der Welt auf einen gemein­sa­men Grund­kon­sens in bezug auf die Aner­ken­nung uni­ver­sel­ler Men­schen­rech­te zu ver­pflich­ten, als Men­schen­rechts­im­pe­ria­lis­mus (»human rights impe­ria­lism«), der zuneh­mend auf den Wider­stand nicht­west­li­cher Län­der stößt. Der Wider­stand gegen die west­li­chen Anma­ßun­gen hat gute Grün­de, da die moder­ne, neu­zeit­li­che Idee der Men­schen- und Bür­ger­rech­te im Zusam­men­hang mit der Her­aus­bil­dung der neu­zeit­li­chen Natio­nal­staa­ten in Ame­ri­ka und Euro­pa ent­stan­den ist, also spe­zi­fi­sche his­to­ri­sche Rand­be­din­gun­gen vor­aus­setzt, die nicht über­all vor­han­den sind.

Die Men­schen- und Bür­ger­rech­te soll­ten die sou­ve­rä­nen Bür­ger vor obrig­keits­staat­li­chen Repres­sio­nen bei ihrer poli­ti­schen Gestal­tung des Gemein­we­sens schüt­zen. Die Sou­ve­rä­ni­tät des eige­nen Staa­tes soll­te gestärkt wer­den; an die Schwä­chung der Sou­ve­rä­ni­tät ande­rer Staa­ten mit völ­lig ande­ren poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Grund­la­gen war dabei ursprüng­lich über­haupt nicht gedacht.

Wegen des feh­len­den kul­tu­rel­len und reli­giö­sen Bezugs sah sich die »Uni­ver­sal Decla­ra­ti­on of Human Rights«, mit der die Gene­ral­ver­samm­lung der Ver­ein­ten Natio­nen am 10. Dezem­ber 1948 den Ver­such unter­nahm, eine für alle Mit­glied­staa­ten ver­bind­li­che Char­ta zu schaf­fen, bereits im Vor­feld ihrer Ent­ste­hung dem Ver­dacht aus­ge­setzt, in Wirk­lich­keit ein euro-ame­ri­ka­ni­sches Domi­nanz­pro­jekt zu sein, das spe­zi­fisch west­li­che Wer­te zu uni­ver­sel­len Wer­ten erklärte.

Die­se »All­ge­mei­ne Erklä­rung« stößt in der Tat dort an die Gren­zen ihrer Ver­mit­tel­bar­keit, wo sie Inhal­te und Wer­te ver­tritt, die den spe­zi­fisch west­li­chen Hin­ter­grund der Moder­ne reflek­tie­ren. Das dürf­te wohl auf das »Recht auf Erho­lung und Frei­zeit« zutref­fen, auf den »regel­mä­ßi­gen bezahl­ten Urlaub« (Arti­kel 24) und auf die freie Berufs­wahl (Arti­kel 23.1). Ungleich pro­ble­ma­ti­scher sind frei­lich die Arti­kel 18 und 21 der »All­ge­mei­nen Erklä­rung«. Laut Arti­kel 18 ist es ein Men­schen­recht, die Reli­gi­on zu wech­seln und Arti­kel 21.3 kann als Recht­fer­ti­gung für den mili­tä­ri­schen Inter­ven­tio­nis­mus miß­braucht wer­den: »Der Wil­le des Vol­kes bil­det die Grund­la­ge für die Auto­ri­tät der öffent­li­chen Gewalt; die­ser Wil­le muß durch regel­mä­ßi­ge, unver­fälsch­te, all­ge­mei­ne und glei­che Wah­len mit gehei­mer Stimm­ab­ga­be oder in einem gleich­wer­ti­gen frei­en Wahl­ver­fah­ren zum Aus­druck kommen«.

Was geschieht näm­lich, wenn die Wahl nicht west­li­chen Maß­stä­ben entspricht?

Die bedeu­tends­ten Gegen­ent­wür­fe zur »All­ge­mei­nen Erklä­rung« sind die afri­ka­ni­sche »Ban­jul-Char­ta der Men­schen­rech­te und der Rech­te der Völ­ker« vom 27. Juni 1981, die »Kai­ro­er Erklä­rung der Men­schen­rech­te im Islam« vom 5. August 1990 und die »Erklä­rung von Bang­kok« von 1993. Die Ban­jul-Erklä­rung ver­pflich­tet jeder­mann dazu, »posi­ti­ve afri­ka­ni­sche kul­tu­rel­le Wer­te im Geis­te der Tole­ranz … zu bewah­ren« (Arti­kel 29.7), die Kai­ro­er Erklä­rung unter­stellt alle in ihr auf­ge­führ­ten Rech­te und Frei­hei­ten der Scha­ria (Arti­kel 24 und 25).

Dabei gibt es durch­aus nicht nur Tren­nen­des, son­dern auch etli­che Gemein­sam­kei­ten zwi­schen den ein­zel­nen Char­tas. Auch die afri­ka­ni­sche »Ban­jul-Char­ta der Men­schen­rech­te und der Rech­te der Völ­ker« stellt fest, daß die Fami­lie »die natür­li­che Kern­zel­le der Gesell­schaft« sei (Arti­kel 18). Sie geht aber in ihren die Fami­lie betref­fen­den For­mu­lie­run­gen über die Erklä­rung von 1948 deut­lich hin­aus, denn sie erkennt die Fami­lie auch »als Bewah­rer der in der Gesell­schaft aner­kann­ten Sitt­lich­keit und tra­di­tio­nel­len Wer­te« an. Über­haupt gehö­re es »zu den Pflich­ten des Staa­tes, die Sitt­lich­keit und tra­di­tio­nel­len Wer­te einer Gemein­schaft zu för­dern und zu schüt­zen« (Arti­kel 17).

Auch, was die Pflich­ten des Ein­zel­nen angeht, ist die Ban­jul-Char­ta spe­zi­fi­scher als die »All­ge­mei­ne Erklä­rung«. Arti­kel 27 stellt fest: »Jeder­mann hat Pflich­ten gegen­über sei­ner Fami­lie und der Gesell­schaft, gegen­über dem Staat und ande­ren gesetz­lich aner­kann­ten Gemein­schaf­ten sowie gegen­über der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft«. Jeder­mann sei fer­ner dazu ver­pflich­tet, »sei­ne Eltern jeder­zeit zu ach­ten und zu unter­stüt­zen, wenn sie bedürf­tig sind« (Arti­kel 29,1). Arti­kel 29 legt auch fest, daß jeder­mann die Pflicht habe, sei­ner natio­na­len Gemein­schaft zu die­nen und die Sicher­heit des Lan­des, des­sen Staats­bür­ger er sei oder in dem er sich auf­hal­te, nicht zu gefähr­den und die natio­na­le Unab­hän­gig­keit und die ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät sei­nes Lan­des zu bewah­ren und zu stär­ken und einen Bei­trag zu sei­ner Ver­tei­di­gung zu leisten.

Von Inter­ven­ti­on ist da nicht die Rede, in den Kriegs­recht­fer­ti­gun­gen der west­li­chen Welt hin­ge­gen schon. Macht­po­li­tik, Inva­sio­nen, Beset­zung frem­den Ter­ri­to­ri­ums gibt es seit Anbe­ginn der Geschich­te, aber die west­li­che Selbst­le­gi­ti­mie­rung zur mili­tä­ri­schen »huma­ni­tä­ren Inter­ven­ti­on«, um anders­wo die Men­schen­rech­te zu schüt­zen, ist eine Erschei­nung unse­rer Tage. Die Aus­übung direk­ter Herr­schaft ist seit dem Ende der Kolo­ni­al­zeit nicht nur nicht mehr à la mode, son­dern ein­fach zu teu­er, sie ren­tiert sich nicht mehr.

Der Druck auf Kon­for­mi­tät mit west­li­chen hege­mo­nia­len Vor­ga­ben mit­tels Men­schen­rechts­ideo­lo­gie ist eine flan­kie­ren­de Stra­te­gie der Unter­gra­bung staat­li­cher Sou­ve­rä­ni­tät. In Außer­eu­ro­pa wehrt man sich gegen die­se hege­mo­nia­le Ideo­lo­gie des Wes­tens. So betont die Erklä­rung von Bang­kok in den Arti­keln 4 und 5 das Recht der Staa­ten auf Sou­ve­rä­ni­tät und ter­ri­to­ria­le Integrität.

Jed­we­der Ver­such, die Ein­hal­tung der Men­schen­rech­te zur Bedin­gung für die Leis­tung von Ent­wick­lungs­hil­fe zu set­zen, wird abge­lehnt und die Erzeu­gung poli­ti­schen Drucks durch die ent­spre­chen­de Instru­men­ta­li­sie­rung der Men­schen­rech­te wird zurück­ge­wie­sen. In Arti­kel 6 der Erklä­rung von Bang­kok wird dar­über hin­aus allen Län­dern, ob groß oder klein, das Recht zuge­spro­chen, ihre poli­ti­schen Sys­te­me sel­ber zu gestal­ten, über die Nut­zung ihrer Res­sour­cen frei und eigen­stän­dig zu ent­schei­den und bei der Gestal­tung ihrer öko­no­mi­schen, sozia­len und kul­tu­rel­len Ent­wick­lung unge­hin­dert ihren eige­nen Weg zu gehen.

Daß die Bang­kok-Erklä­rung solch ein Gewicht auf die staat­li­che Sou­ve­rä­ni­tät legt, kommt nicht von unge­fähr. Unter dem Stich­wort »Welt­rechts­prin­zip« (Uni­ver­sal Juris­dic­tion) nahm in der letz­ten Deka­de des 20. Jahr­hun­derts die seit län­ge­rem geüb­te Pra­xis juris­ti­sche Form an, das natio­na­le Straf­recht auch auf sol­che Sach­ver­hal­te anzu­wen­den, bei denen der Tat­ort nicht im Inland liegt. Wenn sich eine Straf­tat gegen nach dem Völ­ker­straf­recht geschütz­te Rechts­gü­ter rich­tet, kön­nen auch sol­che Täter zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den, die nicht die Staats­an­ge­hö­rig­keit des betref­fen­den Staa­tes besitzen.

Der Sicher­heits­rat der Ver­ein­ten Natio­nen rich­te­te in die­sem Sin­ne 1993 und 1994 Tri­bu­na­le für Kriegs­ver­bre­chen ein, die im ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en und in Ruan­da began­gen wur­den. 1998 wur­de der chi­le­ni­sche Ex-Dik­ta­tor Augus­to Pino­chet auf­grund des Ersu­chens eines spa­ni­schen Rich­ters für sech­zehn Mona­te in Lon­don fest­ge­setzt, weil ihm zur Last gelegt wur­de, daß Sicher­heits­kräf­te unter sei­nem Kom­man­do zur Zeit der Mili­tär­dik­ta­tur in Chi­le etwa 3000 Men­schen umbrach­ten und vie­le Tau­sen­de folterten.

Die Ver­tei­di­ger des Welt­rechts­prin­zips brin­gen vor, daß es für Tyran­nen, Kriegs­ver­bre­cher und Mas­sen­mör­der nun kaum noch einen siche­ren Platz gebe, an dem sie sich einer Straf­ver­fol­gung ent­zie­hen könn­ten. Auch Kri­ti­ker des Welt­rechts­prin­zips wie Hen­ry Kis­sin­ger geste­hen zu, daß an sich nichts dage­gen ein­zu­wen­den sei, wenn Kriegs­ver­bre­chen, Völ­ker­mord und Fol­ter ver­folgt würden.

Schwe­rer wie­gen in ihren Augen jedoch die Aus­höh­lung des Sou­ve­rä­ni­täts­prin­zips und der Miß­brauch des Rechts für poli­ti­sche Zwe­cke, was einen gere­gel­ten diplo­ma­ti­schen Umgang der Staa­ten mit­ein­an­der lang­fris­tig unmög­lich mache. So sag­te die Vor­sit­zen­de der Kadi­ma-Par­tei und ehe­ma­li­ge israe­li­sche Außen­mi­nis­te­rin Tzi­pi Liv­ni im Dezem­ber 2009 einen Vor­trag in Lon­don ab, nach­dem ein bri­ti­sches Gericht einen Haft­be­fehl wegen angeb­li­cher Kriegs­ver­bre­chen im Gaza-Krieg im Jahr zuvor gegen sie aus­ge­stellt hat­te. Man stel­le sich fer­ner die Fol­gen für die freie Mei­nungs­äu­ße­rung vor, wenn Islam­kri­tik irgend­wo zum »Haß­ver­bre­chen« erklärt wür­de. In Schwe­den und Groß­bri­tan­ni­en könn­te das dem­nächst der Fall sein.

Recht kann grund­sätz­lich nur im Inne­ren einer poli­ti­schen Gemein­schaft gel­tend gemacht wer­den. Solan­ge es kei­nen Welt­staat und kei­ne Welt­re­gie­rung gibt, kann eine men­schen­recht­lich begrün­de­te »huma­ni­tä­re Inter­ven­ti­on« nur dann Legi­ti­mi­tät gewin­nen, wenn sie durch den Beschluß im Rah­men von über­staat­li­chen poli­ti­schen Ver­ei­ni­gun­gen abge­si­chert ist.

Alain de Benoist bringt mit sei­ner Kri­tik die Sache auf den Punkt: Im Namen der als Ideo­lo­gie miß­brauch­ten Idee der Men­schen­rech­te wer­de in stei­gen­dem Maße die inter­na­tio­na­le Rechts­ord­nung außer Kraft gesetzt, die aus dem West­fä­li­schen Frie­den her­vor­ge­gan­gen sei. Die Ver­let­zung von Men­schen­rech­ten die­ne als Begrün­dung des Rechts – oder sogar der Pflicht – zur »huma­ni­tä­ren Inter­ven­ti­on« mit mili­tä­ri­schen Mitteln.

Mit ande­ren Wor­ten: Der Prä­ven­tiv­krieg wird gerecht­fer­tigt, obwohl er nichts ande­res ist als der Angriffs­krieg nach tra­di­tio­nel­lem Rechtsverständnis.

Der Ver­dacht liegt nahe, daß jeder Staat sich unter dem Vor­wand, die Ver­let­zung von Men­schen­rech­ten zu süh­nen oder zu ver­hin­dern, das Recht anma­ßen kann, sich in die inne­ren Ange­le­gen­hei­ten jedes ande­ren Staa­tes ein­zu­mi­schen. Damit wird der poli­tisch-mili­tä­ri­sche Inter­ven­tio­nis­mus fak­tisch wie­der ein­ge­setzt, dem die Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung theo­re­tisch ein Ende gesetzt hatte.

Das »Recht« auf huma­ni­tä­re Inter­ven­ti­on, für das es kei­nen völ­ker­recht­li­chen Prä­ze­denz­fall gibt, birgt somit die Gefahr in sich, daß Staa­ten oder Instan­zen, die vor­ge­ben, im Namen der Men­schen­rech­te und zum Woh­le einer nicht näher bestimm­ten »inter­na­tio­na­len Gemein­schaft« zu han­deln, ande­ren Län­dern ihre Welt­sicht auf­zwin­gen kön­nen.» Das Risi­ko der Ent­glei­sung einer sol­chen Dok­trin, die end­lo­sen Krie­gen den Weg ebnet, ist offen­sicht­lich – aus Kriegs­recht, jus in bel­lo, wird Recht auf Krieg, jus ad bel­lum« (de Benoist).

Im Extrem­fall läuft eine »huma­ni­tä­re Inter­ven­ti­on« also auf nichts ande­res her­aus als das »Recht« der Stär­ke­ren, also der Super­mäch­te, Welt­po­li­zei zu spie­len, um ihre eige­nen Inter­es­sen im Namen wohl­klin­gen­der höhe­rer Prin­zi­pi­en durchzusetzen.

Die Gefahr, daß eine mili­tä­risch und öko­no­misch füh­ren­de Macht durch ihre Stär­ke in die Lage ver­setzt wird, ihre eige­nen Inter­es­sen für die­je­ni­gen der Gesamt­heit zu erklä­ren, und im Namen der Men­schen­rech­te mili­tä­risch inter­ve­niert, droht frei­lich nicht sei­tens Chi­nas oder Ruß­lands. Für mili­tä­ri­sche Inter­ven­tio­nen benö­ti­gen sie kei­nen recht­fer­ti­gen­den Rekurs auf die Men­schen­rech­te, ihnen wür­de der ein­fa­che Ver­weis auf die natio­na­len Inter­es­sen genügen.

Es sind viel­mehr die USA, die bis­her ohne UN-Man­dat han­del­ten, wie bei­spiels­wei­se im Koso­vo­krieg 1999 und im Zwei­ten Irak­krieg 2003 als Anfüh­rer einer »Koali­ti­on der Wil­li­gen«. Ihrem Selbst­ver­ständ­nis als aus­er­wähl­te Nati­on gemäß, deren »offen­kun­di­ge Bestim­mung« es ist, die Welt nach eige­nen Maß­stä­ben umzu­for­men, dürf­ten die USA dies sogar als ihr gutes Recht betrachten.

Ein ideel­les Instru­ment, das ursprüng­lich der Legi­ti­mie­rung bür­ger­li­cher Frei­heit in natio­na­ler Eigen­art und staat­li­cher Sou­ve­rä­ni­tät dien­te, wird mehr und mehr dazu miß­braucht, zu zer­stö­ren, wozu es gedacht war.

Die ame­ri­ka­ni­sche Beru­fung auf die Men­schen­rech­te hat Tra­di­ti­on. Am Vor­abend des Zer­falls des kom­mu­nis­ti­schen Impe­ri­ums dach­te Zbi­gniew Brze­zinski, das fleisch­ge­wor­de­ne Urbild des Kal­ten Krie­gers, über Stra­te­gien einer »pro­gres­si­ven post­kom­mu­nis­ti­schen Demo­kra­ti­sie­rung« der kom­mu­nis­ti­schen Welt nach.

Die akti­ve Pro­pa­gie­rung der Men­schen­rech­te spielt in sei­nen kaum ver­klau­su­lier­ten impe­ria­len Vor­stel­lun­gen eine zen­tra­le Rolle.

Dabei ist völ­lig egal, ob in den USA Demo­kra­ten oder Repu­bli­ka­ner am Ruder sind. John Ker­ry, Barack Oba­mas neu­er Außen­mi­nis­ter, hielt am 20. Febru­ar 2013 eine Rede an der Uni­ver­si­tät von Vir­gi­nia in Char­lot­tes­ville, die alle sorg­fäl­tig lesen soll­ten, die sich für die Fra­ge inter­es­sie­ren, wie sich hege­mo­nia­ler Anspruch und Men­schen­rechts­rhe­to­rik in den Vor­stel­lun­gen ame­ri­ka­ni­scher Eli­te-Ange­hö­ri­ger verbinden:

Unter Barack Oba­mas Lei­tung wer­den die USA wei­ter­hin als die unver­zicht­ba­re Nati­on die Welt in ein zwei­tes gro­ßes ame­ri­ka­ni­sches Jahr­hun­dert füh­ren, nicht weil die USA es so wol­len, son­dern weil die Welt die USA braucht. Märk­te schaf­fen, uni­ver­sel­le Rech­te durch­set­zen und für unse­re Wer­te ein­ste­hen – dies ist die Hoff­nung einer neu­en Gene­ra­ti­on ver­netz­ter Welt­bür­ger (»inter­con­nec­ted world citizens«).

An Ker­rys Pathos wird der qua­si-reli­giö­se Cha­rak­ter der säku­la­ren Men­schen­rechts­ideo­lo­gie offen­bar. Nicht ohne Grund hüllt sich die­se Heils­leh­re in eine lega­lis­ti­sche Form: »Kei­ner ist solch ein Lega­list wie der tüch­ti­ge Säku­la­rist« (Ches­ter­ton).

Daß sie schei­tern wird, hat jedoch der prag­ma­tischs­te US-Prä­si­dent des 20. Jahr­hun­derts, einer der klügs­ten Köp­fe der ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik, Richard Nixon, schon 1994 vor­aus­ge­sagt: »Chi­nas wirt­schaft­li­che Macht läßt ame­ri­ka­ni­sche Beleh­run­gen über die Men­schen­rech­te unklug erschei­nen. Bin­nen eines Jahr­zehnts wer­den sie irrele­vant sein. Bin­nen zwei­er Jahr­zehn­te sind sie lächerlich«.

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