Die Bundeskanzlerin erklärt daraufhin, sie wolle alles dafür tun, daß „unser Staat“ ein starker Staat sei. „Unsere Demokratie, unser Rechtsstaat, unsere Werte, unsere Mitmenschlichkeit“ seien der „Gegenentwurf zum haßerfüllten Weltbild des Terrorismus“.
Alle Umstände, die bisher über den Fall Anis Amri bekannt geworden sind, haben allerdings gezeigt, daß Deutschland weit davon entfernt ist, ein „starker Staat“ zu sein.
Im Gegenteil: Ein als „Gefährder“ eingestufter islamischer Extremist, der die deutschen Behörden mit verschiedenen Identitäten zum Narren hielt, konnte sich, obwohl sein Asylantrag abgelehnt worden war und er eindeutige aufenthaltsrechtliche Auflagen hatte, in Deutschland dennoch monatelang wie ein Fisch im Wasser bewegen – bis er schließlich zuschlug und zwölf Menschenleben ausradierte.
Die diffuse Darstellung der Ermittlungsergebnisse durch Behörden und Medien paßt dabei ins Bild. Fahnder hätten Amris Fingerabdrücke an der Fahrertür s des LKWs, mit dem der terroristische Anschlag in Berlin durchgeführt wurde, gefunden. Praktischerweise hinterließ der Täter in diesem LKW auch Papiere (= Aufenthaltsdokument mit dem eindeutigen Hinweis „Der Inhaber ist ausreisepflichtig!“) und ein Mobiltelefon, das offenbar erst viele Stunden nach dem Anschlag bei einer „erneuten Untersuchung“ im LKW gefunden wurde.
Ausweispapiere, so wird u. a. durch Focus Online kolportiert, würden von den IS-Attentätern bewußt am Tatort zurückgelassen, um sicherzustellen, daß ihre Identität bekannt werde. „Der Ausweis ist eine Art Police für die Terror-Lebensversicherung“, von der nun die Familie des Terroristen finanziell profitieren soll, weiß der Focus.
Was ist bisher über den Attentäter bekanntgeworden? Bevor er nach Deutschland kam, saß er in Italien vier Jahre wegen Brandstiftung in Haft – er hatten zusammen mit anderen Tunesiern ein Flüchtlingslager in Brand gesetzt – und war dort von der Gefängnispolizei bereits als „Islamist“ eingestuft worden.
Nach Verbüßung seiner Strafe sollte er nach Tunesien abgeschoben werden, was an „Problemen mit den tunesischen Behörden“ gescheitert sei; meint: Zum einen hatte Amri keine Papiere, zum anderen wollte ihn niemand in Tunesien haben. Der Tunesier blieb deshalb in Italien und konnte sich dann, so die Zeit, aus einer Flüchtlingsunterkunft nach Deutschland absetzen, wo er sich u.a. als Ägypter ausgab.
Dort soll er sich im Umfeld eines salafistischen Predigers namens Abu Walaa bewegt haben, der inzwischen im Gefängnis einsitzt. Amris Asylantrag in NRW wurde nicht nur abgelehnt, gegen ihn wurde auch ein Verfahren wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ in Gang gesetzt.
Mittlerweile lebte Amri aber in Berlin, und das Verfahren wurde an die Berliner Staatsanwaltschaft abgegeben, die Amri überwachen ließ. Im November soll sich dann auch das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) mit Amri „beschäftigt“ haben, der weiterhin ungehindert seinen „Geschäften“ nachgehen konnte, ohne offenbar – er war ja nur noch „geduldet“ – irgendwelchen Auflagen nachzukommen.
Heribert Prantl wies in der Süddeutschen Zeitung in einem Kommentar darauf hin, daß der „Verstoß gegen eine Meldepflicht und gegen eine Aufenthaltsbeschränkung Straftaten seien, weswegen Amri in U‑Haft genommen hätte werden müssen“. Es geschah aber nichts. Prantl: „Die Ausländerbehörde tat nichts, und die Strafverfolger kümmerten sich nicht darum, daß die Ausländerbehörde nichts tat.“
Und das bei einer Person, gegen die ein Verfahren wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ im Raum stand.
Wie berechtigt die Einstufung als „staatsgefährdend“ war, zeigt ein Bericht des Bayerischen Rundfunks, der u.a. auf einen Vermerk der Sicherheitsbehörden vom März 2016 hinwies, in dem es heißt: „Generell wirbt A. (Amri) im gesamten Bundesgebiet offensiv bei anderen Personen darum, gemeinsam mit ihm islamistisch motivierte Anschläge zu begehen.“
Und weiter: „Amri habe auch versucht, sich großkalibrige Schnellfeuergewehre zu beschaffen. Schließlich heißt es, es sei davon auszugehen, ‚daß A. seine Anschlagsplanungen ausdauernd und langfristig verfolgen wird‘.“
Schließlich brachen die Behörden die Überwachung des „hochmobilen“ und offensichtlich hochgefährlichen Amri im September ab, weil ihnen angeblich keine „islamistischen Tätigkeiten“ auffielen; er soll sich „nur“ als „Kleindealer“ betätigt haben. Nach Informationen der Welt soll Marokkos Nachrichtendienst aber genau in dieser Zeit zweimal Warnungen an den BND weitergeleitet haben, und zwar am 19. September und am 11. Oktober 2016. Dabei ging es u.a. um die Bereitschaft von Amri, „einen Terroranschlag durchzuführen“.
Wie man es auch dreht und wendet: Es bleiben mit Blick auf das Agieren deutscher Behörden zahlreiche, sagen wir es vorsichtig, „Ungereimtheiten“. Die involvierten Behörden haben mit ihrem inkonsequenten Agieren im Fall Amri dokumentiert, daß es in Deutschland möglich ist, trotz Überwachung und offenbar eindeutiger Hinweise ausländischer Behörden einen Terroranschlag zu planen und durchzuführen sowie einen angeblich dichten Fahndungsschleier offenbar problemlos in Richtung Italien zu durchbrechen.
Erst zwei geistesgegenwärtige italienische Polizisten setzten dem „hochmobilen“ Treiben von Anis Amri ein Ende, bevor dieser weitere Menschenleben auslöschen konnte.
Der ehemalige MI6-Chef Richard Barrett warnte jüngst vor ca. 7000 terrorverdächtigen Islamisten in Deutschland. Es sei nahezu unmöglich, alle diese Personen überwachen. Zur Einordnung dieser Vorgänge hat Andreas Tögel im Blog von Andreas Unterberger die notwendigen Worte gefunden:
Europa hat sich den Terror mutwillig ins Land geholt. Dessen Urheber kommen immer aus derselben Ecke – das sollten mittlerweile auch die naivsten und dümmsten Willkommensaktivisten begriffen haben. […] Europa beschreitet […] den Weg der unbeschwerten Autodestruktion und wird damit jedenfalls erfolgreich sein – falls es sich nicht fünf nach zwölf noch seiner Geschichte besinnt und daran erinnert, wie 732, 1529 und 1683 der Aggression erfolgreich begegnet wurde.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Linker Rechter
Andreas Tögel ist selbst naiv, wenn er schreibt: "Dessen Urheber kommen immer aus derselben Ecke – das sollten mittlerweile auch die naivsten und dümmsten Willkommensaktivisten begriffen haben." Das Gegenteil ist der Fall: Der Kampf gegen "Rechts" wird intensiviert werden. Deutsche Opfer bekommen lediglich im Ausland ein Gesicht, damit keine Identifikation mit diesen stattfinden kann. Und in einem Vierteljahr kann sich bereits niemand mehr an den LKW und brennende Obdachlose erinnern.