Er leidet seit Jahren unter politischem Waschzwang und wird über seinem Wunsch, dem Establishment zu beweisen, daß er die Spielregeln begriffen habe, zum Denunzianten.
Vielleicht gibt es in unserem Milieu (das trotz aller Hygienemaßnahmen noch immer von liberal-konservativ und libertär über identitär und neurechts hin zu nationalkonservativ und traditional reicht) keinen Mann, der zugleich so eifrig und nervtötend ist.
Was ist geschehen, was ist schon wieder los? Björn Höcke, für seine Dresdner Rede vielgescholten und zurechtgewiesen, hatte im Anschluß an seinen Auftritt noch ein Interview gegeben. Anton Troianovski vom Wall Street Journal stellte Fragen nach Höckes Geschichtsbild, nach seiner Bewertung der nationalsozialistischen Ära und nach seiner Kritik an der Geschichts- und Erinnerungspolitik der Bundesrepublik Deutschland.
Troianovski hat seinen Artikel unter der Überschrift »The German Right Believes It’s Time to Discard the Country’s Historical Guilt« (Die deutsche Rechte meint, es sei an der Zeit, die historische Schuld des Landes abzustreifen) bereits am 2. März publiziert. Gestern nun brachte die Junge Freiheit unter der Schlagzeile »Höcke dementiert Äußerung zu Hitler« eine Meldung über Troianovskis Beitrag: Der Autor habe auf Nachfrage der JF bestätigt, daß Höcke folgendes zu Protokoll gegeben habe:
Das große Problem ist, daß man Hitler als das absolut Böse darstellt. Wir wissen aber natürlich, daß es in der Geschichte kein Schwarz und kein Weiß gibt.
Es gebe, so Troianovski gegenüber der Jungen Freiheit, eine Tonbandaufnahme, die diese Aussage Höckes belege. Höcke, von der JF mit diesem Zitat konfrontiert, wies von sich, derlei je gesagt zu haben.
Mehr muß man eigentlich gar nicht zusammentragen, um den an Besessenheit grenzenden Hygienefimmel Steins deutlich zu machen. Er verantwortet die JF, und es gibt in seiner Zeitung wohl kaum einen Beitrag gegen Höcke, den er nicht höchstpersönlich in seiner Stoßrichtung ausgerichtet und plaziert hätte. Die Ingredienzien diesmal:
- Es erscheint in einer englischsprachigen Zeitung ein Bericht über die geschichtspolitische Kritik der deutschen Rechten. Dieser Bericht wird von keinem deutschsprachigen Organ zum Thema gemacht.
- Vier Tage später sind es Die Welt und die Junge Freiheit, die fast zeitgleich Beiträge zu Höckes Aussagen bringen.
- In der Welt wird dabei Troianovskis Gesamtbeitrag kurz als das zusammengefaßt was er ist: Ein Überblick über das Geschichtsverständnis und alternative geschichtspolitische Weichenstellungen führender AfD-Politiker. Neben Höcke hat nämlich auch Frauke Petry auf Troianovskis Fragen geantwortet – die Welt hält fest, daß Petrys Äußerungen nicht weit von denen Höckes entfernt seien und daß diese Aussagen vom konservativen Teil des Wahlvolkes geteilt würden.
- Die Junge Freiheit hingegen verschweigt Petrys Anteil an Troianovskis Artikel. Vielmehr macht die JF Höckes Äußerung über die Grauanteile jedwedes historischen Gegenstands zum einzigen und damit zentralen Inhalt des Berichts und ordnet ihn nicht relativierend, sondern suggestiv in den Zusammenhang der Dresdner Rede. Höcke wird so als Wiederholungstäter, der sich dann sogar seiner Worte nicht mehr erinnern will und mit dem Verweis auf ein Tonbandprotokoll der Lüge überführt werden könnte.
- Damit ist Höckes Aussage samt Wahrnehmungslenkung in der bundesdeutschen Presselandschaft angekommen, und sollte eine neuerliche Lawine daraus werden, wird man sagen müssen: Es waren die eigenen Leute, die sie auslösten.
- Diese Lawine scheint nun tatsächlich abzugehen: Bild hat den JF-Bericht samt Tonband-Argument aufgegriffen und fragt: “War es das für Höcke?”
So leid es mir tut: Der Begriff »Lückenpresse« muß diesmal und mit Berechtigung auf das Flaggschiff der rechten Milieupresse angewandt werden, und der ganze Vorgang reiht sich nahtlos in Steins Bemühen ein, die AfD als harmloses Korrektiv zum Bestehenden, als kritische Ergänzung der politisch-medialen Klasse zu entwickeln.
Dies ist der Grund für die eifrigen Parteitagsbesuche Steins: Als in Essen vor gut anderthalb Jahren Bernd Lucke gestürzt wurde und die AfD als Alternative erhalten blieb, soll Stein als ungebetener und gänzlich parteiischer Stimmungsmacher für Lucke so aufdringlich geworden sein, daß ihm von genervten Delegierten signalisiert wurde, dies stünde einem Journalisten schlecht zu Gesicht.
Und so ist es immer: Wenn eine grundsätzliche Entscheidung ansteht, glühen am Hohenzollerndamm die Drähte, wird sortiert, wird geputzt, kommt der politische Raumspray zum Einsatz.
Jedoch trägt dies alles nicht recht etwas aus: Mehrheiten herstellen, Stimmen einsammeln, personelle Signale setzen – das kann jeder Kreisvorsitzende besser, weil auf dieser Ebene das zugleich betont Neutrale und extrem Verschwitzte eines Chefredakteurs nicht kontraproduktiv zu wirken beginnt. Dissonantes Understatement, möchte man sagen, und man sagts und liegt nicht falsch.
Zurück zu Höcke und seinem aus dem Zusammenhang gerupften Satz über das Problem, das daraus entsteht, wenn man Hitler als das absolut Böse beschreibt:
Nichts Historisches ist “absolut böse”, und nicht zuletzt in der JF ist hinlänglich beschrieben worden, welche Art Geschichtspolitik und Vergangenheitsbewirtschaftung betoniert werden, wenn man historische durch religiöse Kategorien ersetzt.
Stein könnte bei seinem redaktionellen Vordenker, dem KR- und Faschismus-Spezialisten Karlheinz Weißmann, nachfragen, was so falsch oder so schlimm an Höckes Aussage sei. Er würde wohl ein lässiges »Nichts« zu hören bekommen (womit Weißmann recht hätte), allenfalls ergänzt um die Aussage, daß es Situationen gebe, in denen man solche Themen besser umschiffe – der realpolitischen Klugheit wegen (womit Weißmann wiederum recht hätte).
Stein könnte aber auch zu Rolf Peter Sieferles Finis Germania greifen (in seinem eigenen Buchdienst zu haben), das mein Verlag aus dem Nachlaß dieses eminent klugen Kulturphilosophen herausgeben durfte. Sieferle skizziert in einem seiner kurzen Texte, derer dreißig in dem Bändchen versammelt sind, folgende Problemlage:
Von der Vielzahl starker Ideologien, die das 20. Jahrhundert beherrscht und mobilisiert hatten, ist nur noch das fadenscheinige Banner des Antifaschismus übriggeblieben. Um so heftiger klammert man sich daran und versucht, ihn zu einer Art Staatsreligion zu machen. Zugleich scheint sich jedoch abzuzeichnen, daß dem Antifaschismus eine neue programmatische Bedeutung zuwächst, die eine spezifische, paradoxe Struktur besitzt.
„Auschwitz“ oder „die Nazis“ stehen innerhalb dieser ideologischen Figur für die totale Negation des „Menschen“, die einst historisch real geworden ist. Mit Hitler und seinen Komparsen sind der säkularisierte Teufel und das Personal der Hölle leibhaftig auf der Erde erschienen. Dieser Teufel hat eine singuläre Tat vollbracht, die Massenvernichtung der Juden, welcher die folgende Bedeutung zugeschrieben wird: Es handelte sich um nichts Geringeres als die praktische Negation des humanitären Universalismus.
Hitler hat jedoch nicht etwa „den Menschen“ als solchen vernichtet, sondern das Gegenteil dieser Allgemeinheit, die „Juden“, d.h. eine Partikularität. Gerade dieser Versuch der Vernichtung einer (völkisch-rassischen) Besonderung im Namen einer anderen (völkisch-rassischen) Besonderung ist aber das extremste Dementi des humanitären Universalismus bzw. der Idee der Menschheit und ihrer unveräußerlichen Rechte. Mit dem Faschismus ist daher der Anti-Mensch aufgetreten, so daß der Anti-Faschismus zu einer Religion des Menschen werden kann, die ihre Symbole in ebendieser Negation des Menschen findet.
Dies erklärt den Eifer, mit dem jede „Historisierung“, „Relativierung“ und „Vergleichbarkeit“ von Auschwitz bekämpft werden soll. Wer „Auschwitz“ relativiert, relativiert die totale Unmenschlichkeit und somit die Integrität des Menschen. Damit würde aber das einzig Absolute, welches die moderne Gesellschaft, die von Relativismen und Perspektivismen aller Art zerfressen ist, besitzen könnte, ebenfalls relativiert. Die Festschreibung des Auschwitz-Mythos kann daher als Versuch verstanden werden, einer skeptischen Welt Gewißheiten zurückzugeben.
Es ist wie stets, wie bei Benoist oder Mohler oder Nolte oder Weißmann oder jetzt eben bei Sieferle: Stein liest nicht, was jene denken, die bei ihm schreiben oder – Sieferle – hätten schreiben können. Für ihn ist immer alles verblüffend neu, wenn ihn jemand mit etwas konfrontiert, das man durchdacht haben muß, und die Lösung aller Probleme scheint dann stets in der situativen Distanzierung von alledem zu liegen, was er nicht begriffen hat oder wovon er vermutet, daß es kompliziert werden könnte.
So wird das nichts mit der Alternative. Aber zum Glück ist diese auch nicht angewiesen auf solches Sperrholzbohren: Es gibt seit einer Woche aus der Feder der Spiegel-Journalistin Melanie Amann ein zwar nicht AfD-freundliches, aber zumindest kenntnisreiches Buch, das unter anderem die Geschichte dieser Partei nachzeichnet. Stein und die Junge Freiheit kommen darin trotz allen Gestrampels eigentlich nicht vor.
Muß jemandem, der so sehr eingreifen will, daß er zur Lückenpresse wird, schon zu denken geben, finde ich.
Lektüre fürs erste:
Rolf Peter Sieferle: Finis Germania, Antaios 2017.
Melanie Amann: Angst für Deutschland, Knaur 2017.
Zadok Allen
Traurig, die Entwicklung der JF, einfach traurig. Stein hat sich in seine Reformitis und autosuggestive Normalitätssimulation derart verbissen, daß er zunehmend wie ein Bleideckel über dem Blatt, seinen Redakteuren und freien Mitarbeitern liegt. Das war auch schon am rapiden Verfall des rein journalistischen Niveaus der Zeitung über die Jahre meines Abos hinweg spürbar.
So wird die JF als Sedativ und Nostalgie-Album für die kümmerlichen Reste des altbundesrepublikanischen Reihenhaus-Bürgertums enden. Das dortige Abonnenten-Potential dürfte sie ja nun weitgehend ausgeschöpft haben.