Autorenporträt Golo Mann

PDF der Druckfassung aus Sezession 59 / April 2014

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Für Golo Manns Stel­lung inner­halb der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Intel­lek­tu­el­len ist eine Bege­ben­heit bezeich­nend, die sich 1960 zutrug, aber erst 1989 öffent­lich wur­de. Mann hat­te sich Ende der fünf­zi­ger Jah­re bereits durch eini­ge his­to­ri­sche Bücher her­vor­ge­tan, so daß es Bemü­hun­gen gab, ihn als His­to­ri­ker an eine Uni­ver­si­tät zu beru­fen. Hin­ter­trie­ben wur­de das nicht nur von kon­ser­va­ti­ver Sei­te, die ihm Natio­nal­ma­so­chis­mus vor­warf, son­dern auch von Leu­ten, von denen man das zunächst nicht erwar­tet hat­te, weil es sich bei den Betref­fen­den, wie bei Mann auch, um Remi­gran­ten han­del­te. Im kon­kre­ten Fall ver­hin­der­ten die in Frank­furt leh­ren­den Theo­dor W. Ador­no und Max Hork­hei­mer am Beginn der sech­zi­ger Jah­re mehr­fach eine Beru­fung, die vom zustän­di­gen Minis­te­ri­um bereits posi­tiv beschie­den wor­den war. Als Mann die bei­den des­halb 1989 öffent­lich als »Lum­pen« bezeich­ne­te, hat­te er die gan­ze Schü­ler­schaft der Frank­fur­ter Schu­le gegen sich und sah sich genö­tigt, sei­ne Vor­wür­fe in einer »Spä­ten Ant­wort« in der FAZ zu präzisieren.

Til­mann Lah­me hat für sei­ne Mann-Bio­gra­phie die Hin­ter­grün­de und Doku­men­te recher­chiert, ohne jedes Detail klä­ren zu kön­nen – vie­les hat sich offen­bar nicht in den Akten nie­der­ge­schla­gen, son­dern wur­de münd­lich gestreut. Im Kern ging es um zwei Vor­wür­fe, die Ador­no und Hork­hei­mer gegen Mann in Stel­lung brach­ten: sei­ne Homo­se­xua­li­tät, die damals öffent­lich nicht bekannt war, und sei­nen angeb­li­chen Anti­se­mi­tis­mus. Aus den vor­han­de­nen Unter­la­gen geht her­vor, daß bei­de eif­rig Mate­ri­al gegen ihn sam­mel­ten und sei­ne Rede »Über Anti­se­mi­tis­mus« (1960) dank­bar in Muni­ti­on gegen Mann ver­wan­del­ten, indem man sich vom Euro­pa­di­rek­tor des Ame­ri­can Jewish Com­mit­tee bestä­ti­gen ließ, daß Mann in sei­nem Vor­trag anti­se­mi­ti­sche Ste­reo­ty­pe ver­wen­det habe. Das genüg­te schließ­lich, so daß Mann auch vom Minis­te­ri­um fal­len­ge­las­sen wurde.

Manns Rede über den Anti­se­mi­tis­mus muß­te Ador­no und Hork­hei­mer miß­fal­len, weil er in ihr weder einer beson­de­ren anti­se­mi­ti­schen Ver­an­la­gung der Deut­schen das Wort rede­te, noch den Anti­se­mi­tis­mus als eine geschicht­lich unver­gleich­li­che Ein­stel­lung cha­rak­te­ri­sier­te. Mann ging es im Gegen­teil dar­um, die his­to­ri­schen Umstän­de deut­lich zu machen, aus denen her­aus der Anti­se­mi­tis­mus ratio­nal zu erklä­ren sei. Was an Uner­klär­li­chem blei­be, sei die mensch­li­che Nie­der­tracht all­ge­mein, die in der Frei­heit des Men­schen begrün­det lie­ge, das Gute wäh­len zu kön­nen, aber eben oft dem Bösen den Vor­zug zu geben. Mann ließ durch­bli­cken, daß dar­an kei­ne Auf­klä­rung, kei­ne Revo­lu­ti­on und auch kein ande­res Pro­gramm etwas wür­den ändern können.

Daß Ador­no und Hork­hei­mer sol­chen Auf­wand betrie­ben, um Manns Beru­fung zu ver­hin­dern, hat­te meh­re­re Grün­de. Der wich­tigs­te dürf­te gewe­sen sein, daß sie kei­nen Pro­fes­sor neben sich dul­den woll­ten, der als Remi­grant die­sel­be mora­li­sche Unan­greif­bar­keit gehabt hät­te wie sie selbst. Das wäre unpro­ble­ma­tisch gewe­sen, wenn Mann auch Mar­xist gewe­sen wäre und mit ihnen auf der­sel­ben Sei­te gestan­den hät­te. Das Gegen­teil war der Fall, und das war seit den Jah­ren der Emi­gra­ti­on bekannt, denn alle drei kann­ten sich aus dem kali­for­ni­schen Exil. Daher war ihnen die Abnei­gung bekannt, die Mann ins­be­son­de­re gegen Ador­no heg­te, ohne sie bis dahin öffent­lich gemacht zu haben. Die­se Abnei­gung war nicht nur per­sön­li­cher Natur, son­dern rühr­te eben auch aus der anti­mar­xis­ti­schen, kon­ser­va­ti­ven Grund­hal­tung, die Mann bereits in den drei­ßi­ger Jah­ren vom Rest der Emi­gra­ti­on isolierte.

Jedoch: Auch Mann konn­te auf mar­xis­ti­sche Jugend­jah­re zurück­bli­cken, er war im nach­hin­ein aller­dings nicht beson­ders stolz auf die­se Pha­se. In sei­nem Buch Erin­ne­run­gen und Gedan­ken, in dem er die Jah­re bis zum Exil auto­bio­gra­phisch schil­dert, geht er auf die­se Ver­ir­rung aus­führ­lich ein. Mann war damals ein typi­scher Jung­in­tel­lek­tu­el­ler aus gutem Haus, der von den Arbei­tern die Revo­lu­ti­on erwar­te­te und sich wun­der­te, daß sie aus­blieb. Um in Kon­takt mit die­ser Klas­se zu kom­men, arbei­te­te er wäh­rend sei­nes Stu­di­ums 1928 kurz­zei­tig als Berg­ar­bei­ter und ver­öf­fent­lich­te dar­über in einer Ber­li­ner Tages­zei­tung »Stu­di­en eines Dichtersohns«.

Damit stand, wie soll­te es anders sein, sein ers­ter publi­zis­ti­scher Ver­such unter dem Schat­ten des Vaters, und es war für Golo Mann, der am 27. März 1909 in Mün­chen gebo­ren wur­de, wie für die meis­ten sei­ner Geschwis­ter ein Lebens­pro­blem, sich aus die­sem Schat­ten zu lösen. Die Fami­lie Tho­mas Mann gilt nicht umsonst bis heu­te als das Para­de­bei­spiel der Groß­bürg­erfa­mi­lie, in der Schreib­ta­lent zur Erb­mas­se gehört und sich ein tra­gi­sches Schick­sal an das ande­re reiht. Wie die meis­ten sei­ner Geschwis­ter, aus­ge­nom­men viel­leicht Eli­sa­beth, die als Jüngs­te die beson­de­re Zunei­gung des Vaters genoß, war auch Golo zeit­le­bens psy­chisch labil. Die Ursa­che sah er im über­mäch­ti­gen Vater und der lieb­lo­sen Mut­ter (die er bis zu ihrem Tod betreu­te). Im Gegen­satz zu sei­nen Brü­dern Klaus und Micha­el, die im Selbst­mord ende­ten, stell­te er sei­ne Exis­tenz nie in Fra­ge. Aller­dings hat­te er mit schwe­ren Depres­sio­nen zu kämp­fen und war zeit­le­bens tablettenabhängig.

Inso­fern war es für Golo Mann wich­tig, auf soli­den Bei­nen zu ste­hen, und nicht wie sei­ne bei­den älte­ren Geschwis­ter Klaus und Eri­ka eine rei­ne Schrift­stel­ler­lauf­bahn ein­zu­schla­gen. Wich­tig auf die­sem Weg hin zur Selb­stän­dig­keit waren zwei Leh­rer. Zunächst Kurt Hahn, der die Inter­nats­schu­le auf Schloß Salem lei­te­te, die Mann, nach schu­li­schen Pro­ble­men, von 1923 bis zum Abitur 1927 besuch­te. Hahn beein­druck­te Mann durch sei­nen päd­ago­gi­schen Eros, sei­ne Ernst­haf­tig­keit und vor allem ver­dank­te er ihm im Ver­gleich zum Eltern­haus glück­li­che Jugend­jah­re, in denen sein poli­ti­sches Den­ken erwach­te und sich erpro­ben konn­te. Die Wahl des Stu­di­en­fachs fiel zunächst auf Jura, spä­ter wech­sel­te Mann auf Geschich­te und Phi­lo­so­phie. Hier war es der Phi­lo­soph Karl Jas­pers, der Mann präg­te. Beim ihm schloß er in Hei­del­berg sein Stu­di­um mit einer Dis­ser­ta­ti­on über Hegel ab und woll­te anschlie­ßend das Staats­examen für das Höhe­re Lehr­amt (Geschich­te und Latein) able­gen. Die poli­ti­schen Ereig­nis­se lie­ßen das nicht mehr zu. Mann folg­te sei­nen Eltern und Geschwis­tern 1933 ins Exil, obwohl er dazu wohl zunächst nicht gezwun­gen gewe­sen wäre. 1936 wur­de er schließ­lich als Sohn Tho­mas Manns aus­ge­bür­gert. Mit dem Dok­tor­ti­tel hat­te sich Mann, auch wenn das Examen nur mit­tel­mä­ßig aus­fiel, den Respekt sei­nes Vaters erwor­ben (der sel­ber kei­ne abge­schlos­se­ne Aus­bil­dung hat­te); im Exil zog die­ser sei­nen Sohn des öfte­ren als poli­ti­schen Bera­ter heran.

Auch wenn sich Mann wäh­rend sei­ner Hei­del­ber­ger Jah­re bis zum Schluß sozia­lis­tisch enga­gier­te, dürf­te in der Exis­tenz­phi­lo­so­phie von Jas­pers der Grund für sein pes­si­mis­ti­sches Men­schen­bild zu suchen sein. Vor die­ser Grun­die­rung wand­te sich Mann dann im Exil, das ihn nach Frank­reich, in die Schweiz, nach Prag und schließ­lich in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten führ­te, gegen die Welter­lö­sungs­ideo­lo­gien unter­schied­li­cher Fär­bung. Bei Jas­pers konn­te Mann ler­nen, daß der Mensch immer schei­te­re und daß gera­de in die­sem Schei­tern sei­ne Grö­ße gewin­nen kön­ne. Aus sei­nen Arti­keln der drei­ßi­ger Jah­re, die in den Exil­pu­bli­ka­tio­nen Die Samm­lung sowie Maß und Wert, aber auch in Schwei­zer Zei­tun­gen erschie­nen, geht sein welt­an­schau­li­cher Wan­del deut­lich her­vor. Hier wand­te er sich von sozia­lis­ti­schem Pazi­fis­mus und inter­na­tio­na­ler Soli­da­ri­tät ab und eig­ne­te sich einen Rea­lis­mus an, der ihn immer wie­der zum Buh­mann machen soll­te, etwa, als er nach 1945 von den Deut­schen eine rea­lis­ti­sche Ein­schät­zung über die Zukunft der annek­tier­ten Ost­ge­bie­te forderte.

Die Ent­wick­lung zum Kon­ser­va­ti­ven wird aber auch in der Hin­wen­dung zu dem The­ma sei­nes ers­ten Buches deut­lich, an dem er, mit Unter­bre­chun­gen, sechs Jah­re arbei­te­te: Fried­rich von Gentz. Die­ser Staats­mann, der als Bera­ter Met­ter­nichs eine gan­ze Epo­che präg­te, schien das zu reprä­sen­tie­ren, was Mann such­te: eine Mög­lich­keit, die Posi­tio­nen »kon­ser­va­tiv« und »natio­nal« zu ent­kop­peln, was ihn zwangs­läu­fig zum alt­eu­ro­päi­schen Kon­ser­va­tis­mus füh­ren mußte.

Der Gentz war 1942 abge­schlos­sen, konn­te aber erst nach Kriegs­en­de erschei­nen. Bis dahin lehr­te Mann an einem ame­ri­ka­ni­schen Col­lege Geschich­te und wur­de 1943 zur US Army ein­be­ru­fen, die ihn vor allem in der Rund­funk­pro­pa­gan­da auf dem euro­päi­schen Kriegs­schau­platz ein­setz­te. Erschüt­tert über die Zer­stö­run­gen, der er bei sei­nem ers­ten Deutsch­land­be­such nach Kriegs­en­de sah, ver­ließ er die Army, ange­wi­dert von dem »Sie­ger­ge­s­in­del«. Aller­dings war damit kei­ne neue Lie­be zu den Deut­schen ver­bun­den, denen er sein Leben lang miß­trau­isch gegen­über­stand – und den­noch galt sein gan­zes Werk dem Nach­weis, daß es in der deut­schen Geschich­te kei­ne Zwangs­läu­fig­kei­ten gege­ben habe und sich die Deut­schen auch in ihren schlech­ten Jah­ren nicht grund­sätz­lich von ande­ren Völ­kern unter­schie­den hätten.

Mann kehr­te zunächst in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten zurück und arbei­te­te dort wie­der als Geschichts­leh­rer, bevor er 1953 in die Schweiz zog. Mit sei­nem his­to­ri­schen Erst­ling, dem Gentz, im Rücken bemüh­te sich Mann um einen Lehr­auf­trag oder eine Pro­fes­sur an einer deut­schen Hochschule.

Aller­dings stieß er zunächst auf Ableh­nung. Beim Gentz wur­den die feh­len­den Fuß­no­ten bemän­gelt, außer­dem hat­te Mann in Phi­lo­so­phie pro­mo­viert und ver­füg­te über kei­ne aka­de­mi­schen Netz­wer­ke. Daß er schließ­lich 1960 an der TH Stutt­gart Pro­fes­sor wur­de, blieb Epi­so­de. Mann ließ sich – nach einem psy­chi­schen Zusam­men­bruch – bereits 1963 wie­der beur­lau­ben und leg­te die Pro­fes­sur schließ­lich ganz nie­der. Auf das Pro­fes­so­ren­ge­halt war er auch nie ange­wie­sen. Als Sohn Tho­mas Manns pro­fi­tier­te er von den Tan­tie­men aus des­sen Werk, die über­aus üppig waren, und konn­te auch bald von sei­ner Arbeit als Publi­zist und His­to­ri­ker gut leben.

Durch Vor­trä­ge und Essays hat­te er sich nach und nach einen Ruf als eigen­stän­di­ger Kopf und gro­ßer Sti­list erwor­ben, so daß bald auch Buch­pro­jek­te an ihn her­an­ge­tra­gen wur­den. Zu den erfolg­reichs­ten gehört die Deut­sche Geschich­te des 19. und 20. Jahr­hun­derts, mit der die gewerk­schaft­lich gepräg­te Bücher­gil­de Mann beauf­trag­te. Geplant war das Buch als Fort­set­zung von Ricar­da Huchs drei­bän­di­ger Deut­schen Geschich­te, setz­te sich aber als eigen­stän­di­ges Werk sofort nach Erschei­nen durch. Die Ver­kaufs­zah­len über­tra­fen alle Erwar­tun­gen; bis heu­te ist es lie­fer­bar, obwohl die For­schung seit­dem nicht ste­hen­ge­blie­ben ist. Das Geheim­nis des Ban­des liegt im erzäh­le­ri­schen Zugriff auf die Geschich­te, der nicht bei Struk­tu­ren und der Ana­ly­se von Hin­ter­grün­den ver­harrt, son­dern Geschich­te als eine gro­ße Abfol­ge von Ereig­nis­sen und han­deln­den Per­so­nen begreift. Mann gelang es, den Fluß der Geschich­te immer wie­der zu stop­pen, um dem Leser poin­tiert zu zei­gen, wel­che Kon­se­quen­zen sich aus einer Epo­che erga­ben. Hin­zu kommt, daß Mann neben der klas­si­schen Diplo­ma­tie­ge­schich­te die kul­tur­ge­schicht­li­chen Aspek­te inte­grier­te, so daß ein Gesamt­bild ent­steht. In den Wer­tun­gen ist Mann oft sehr per­sön­lich, was den Leser an den Text bindet.

Ein ganz anders gear­te­tes Pro­jekt war die Pro­py­lä­en Welt­ge­schich­te, deren Her­aus­ge­ber­schaft Mann 1957 über­nahm. Er stell­te auch hier das erzäh­len­de Moment in den Vor­der­grund und ver­sam­mel­te in jedem Band zahl­rei­che Gelehr­te, ohne dabei den Anspruch des Gesamt­werks aus den Augen zu ver­lie­ren. Als 1960 die ers­ten Bän­de erschie­nen, waren auch sie so erfolg­reich, daß sie bald in ver­schie­de­nen Son­der­aus­ga­ben breit gestreut wer­den konnten.

Die sech­zi­ger Jah­re hiel­ten aller­dings nicht nur schö­ne Ereig­nis­se für Mann bereit. Sei­ne For­de­rung, die Oder-Nei­ße-Gren­ze anzu­er­ken­nen, führ­te zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit den Ver­trie­be­nen­ver­bän­den, die anläß­lich der Ver­lei­hung des Schil­ler­prei­ses in Mann­heim öffent­lich gegen ihn demons­trier­ten. Manns Ableh­nung des Eich­mann-Buches von Han­nah Are­ndt, der er Baga­tel­li­sie­rung, Zynis­mus und Ver­ächt­lich­ma­chung des Wider­stan­des gegen Hit­ler vor­warf, führ­te zum Bruch mit Karl Jas­pers, der sei­ne Lieb­lings­schü­le­rin gegen Mann ver­tei­dig­te. Nach­dem Mann lan­ge die SPD unter­stützt hat­te, weil sie mit der Neu­en Ost­po­li­tik auf ihn zu hören schien, warn­te er vor dem Ein­fluß der 68er-Bewe­gung und mach­te sich dadurch zur Ziel­schei­be der ent­spre­chen­den Pro­tes­te, die unter ande­rem bei der Ver­lei­hung des Büch­ner-Prei­ses laut­stark vor­ge­tra­gen wurden.

Poli­tisch galt Mann den­noch als Anhän­ger der SPD. Um so ver­wun­der­ter war die Öffent­lich­keit, als Mann seit den sieb­zi­ger Jah­ren zuneh­mend auch par­tei­po­li­tisch ins kon­ser­va­ti­ve Lager wech­sel­te. Der SPD konn­te Mann nicht mehr trau­en, weil sie sei­ner Mei­nung nach dem Ein­fluß von Kom­mu­nis­ten erle­gen war und sich in der Neu­en Ost­po­li­tik von den Sowjets über den Tische zie­hen ließ. Mann sah hier Roman­tik und kei­ne Real­po­li­tik am Werk. Hin­zu kam noch, daß er mit der damals wie­der­keh­ren­den natio­na­len Fra­ge bei den Lin­ken nichts anfan­gen konn­te. Sein Ablö­sungs­pro­zeß ging so weit, daß er im Bun­des­tags­wahl­kampf 1980 offen Par­tei für Franz Josef Strauß ergriff. Das brach­te Mann den Vor­wurf poli­ti­scher Nai­vi­tät ein.

Die Gering­schät­zung der geis­ti­gen Fähig­kei­ten Manns, die aus die­sem Urteil spricht, gibt es auch heu­te noch. In der mate­ri­al­rei­chen Bio­gra­phie von Til­mann Lah­me wer­den eben­die­se Ver­mu­tun­gen wie­der­holt. Wenn sich Mann für die Lin­ke ein­setz­te, habe er es aus Über­zeu­gung getan, wenn er sich kon­ser­va­tiv äußer­te, sei das ent­we­der nicht durch­dacht gewe­sen, oder er habe sich vor einen Kar­ren span­nen las­sen, ohne es zu mer­ken. Dabei wird über­se­hen, daß der gesell­schaft­li­che Wan­del, der mit dem Sie­ges­zug der 68er ein­her­ging, einen Den­ker wie Mann not­wen­dig in die Oppo­si­ti­on trei­ben muß­te. Denn als Leh­rer und Ver­fas­ser von Geschichts­bü­chern war ihm die Bil­dungs­fra­ge ein zen­tra­les Anlie­gen. Daß er sich gegen die Gleich­ma­che­rei der Lin­ken aus­sprach, ist daher nicht verwunderlich.

Sein wich­tigs­tes Buch war schließ­lich ein selbst­ge­wähl­tes The­ma, das ihn bereits seit sei­ner Jugend inter­es­siert hat­te: Wal­len­stein. Sei­ne Staats­examens­ar­beit hat­te er zum For­schungs­stand zu Wal­len­stein ver­faßt, und ab der zwei­ten Hälf­te der sech­zi­ger Jah­re begann er mit der Arbeit an einer Bio­gra­phie, die 1971 erschien und bis heu­te als Stan­dard­werk gilt und auf­ge­legt wird. Auf mehr als tau­send Sei­ten erzählt Mann das Leben des Heer­füh­rers aus dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg. Gleich­zei­tig ist sein Buch eine his­to­ri­sche For­scher­leis­tung, was Mann dies­mal durch einen umfang­rei­chen Anmer­kungs­ap­pa­rat beleg­te. Er ver­stand sein Buch als einen Gegen­ent­wurf zur Struk­tur­ge­schich­te, er stell­te die Per­sön­lich­keit in den Mit­tel­punkt der his­to­ri­schen Erzäh­lung. Mann sah bei der Geschichts­wis­sen­schaft kei­ne Theo­rie­be­dürf­tig­keit und fühl­te sich durch den Erfolg sei­ner Bücher, die ihn zum meist­ge­le­se­nen His­to­ri­ker der Bun­des­re­pu­blik mach­ten, in sei­ner Auf­fas­sung bestätigt.

Sei­ne Erin­ne­run­gen und Gedan­ken, die 1986 als letz­tes mono­gra­phi­sches Buch von Mann erschie­nen, sind auch eine Refle­xi­on über sei­ne lin­ken Wur­zeln und den Pro­zeß der Abna­be­lung von die­sen Über­zeu­gun­gen. Mann erkrank­te 1992 an Krebs und starb am 7. April 1994 in Lever­ku­sen, betreut von sei­ner Fami­lie, die er sich durch Adop­ti­on sei­nes ehe­ma­li­gen Lebens­ge­fähr­ten, der gehei­ra­tet und eine Fami­lie gegrün­det hat­te, schaf­fen konnte.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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