Kulturkritik und Pop

Neulich rief ich Günter Maschke in Frankfurt am Main an, um ihn um die Identifzierung eines Zitats von Joseph de Maistre zu bitten,... 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

das ich in eng­li­scher Über­set­zung im Inter­net gefun­den hat­te. Ver­mit­telt hat­te mich Kon­rad Weiß vom Karo­lin­ger-Ver­lag, der eini­ge Haupt­wer­ke des gro­ßen katho­li­schen Reak­tio­närs her­aus­ge­ge­ben hat. 

Maschke woll­te sich mein Fund­stück nicht vor­le­sen las­sen und bat mich, es ihm doch zu »schi­cken«. Ich ver­stand nicht so recht, wie er das mein­te. »Darf ich Sie etwas Dum­mes fra­gen? Haben Sie eine E‑Mail-Adres­se?« Er lach­te pol­ternd auf: »Sie kön­nen sich glück­lich schät­zen, daß ich noch ein Stand­te­le­phon besit­ze. Ich habe kei­nen Com­pu­ter, kein Inter­net, nichts … nur den Fern­se­her habe ich noch nicht raus­ge­hau­en. Man kann ja nicht immer nur vom Auf­hal­ten reden, einer muß es auch tun …« Schließ­lich para­phra­sier­te ich ihm den Inhalt des Zitats. Maschke erkann­te es auf Anhieb und konn­te es aus­wen­dig auf­sa­gen. Er bat mich um mei­ne Adres­se, er wer­de es suchen und mir per Post zuschicken.

Mei­ne Sym­pa­thie für eine frei­wil­lig gewähl­te, indi­vi­du­al­kat­echon­ti­sche Rück­stän­dig­keit die­ser Art ist gren­zen­los. Ich muß­te an einen von mir seit über einem Jahr­zehnt hoch­ver­ehr­ten Sen­s­ei aus Mün­chen den­ken, einen impo­nie­rend gebil­de­ten, kon­ser­va­tiv akzen­tu­ier­ten Alt­lin­ken, der unter ande­rem bei Hans Sedl­mayr stu­diert hat­te und von ihm wesent­li­che Impul­se emp­fing. Sei­ne Brie­fe sind stets hand­schrift­lich ver­faßt oder auf einer alten Schreib­ma­schi­ne getippt, die Kuverts tra­gen einen Adreß­stem­pel, der schon so lan­ge in Gebrauch ist, daß das Präfx »West-« vor »Deutsch­land« mit  Tin­te durch­ge­stri­chen wer­den muß. Als Cine­phi­ler der alten Schu­le wei­gert er sich bis heu­te stand­haft, auf Zel­lu­loid gedreh­te Fil­me in Form von Video­kas­set­ten oder DVDs anzu­se­hen: denn auch Gemäl­de und Bau­wer­ke dür­fe man nicht nur in Form von Repro­duk­tio­nen ken­nen. Es ist nicht nur der ana­chro­nis­ti­sche Charme sol­cher Gewohn­hei­ten oder auch Ticks, den ich so bestechend fin­de: Bei Men­schen die­ser Art fin­det sich in der Regel oft auch eine Geduld und kon­zen­trier­te Auf­nah­me­fä­hig­keit, die einem Zeit­al­ter, das meint, sich mit ein paar schnel­len Klicks wirk­li­ches Wis­sen aneig­nen zu kön­nen, ver­lo­ren­ge­gan­gen ist. Mein Mün­che­ner Sen­s­ei ist einer der weni­gen Men­schen, den ich kein ein­zi­ges Mal einen dum­men oder auch nur nicht­druck­rei­fen Satz habe sagen hören.

Den Anschluß zu ver­pas­sen und »down to date« zu blei­ben hal­te ich mit­un­ter gar für einen Grund, stolz zu sein. Mit amü­sier­ter Genug­tu­ung las ich das Geständ­nis des kon­ser­va­ti­ven Essay­is­ten Theo­do­re Dal­rym­p­le auf takimag.com, daß er bis­lang kei­ne Ahnung gehabt habe, wer Robin Wil­liams sei. Es ist heu­te Ehren­sa­che, die Posi­ti­on des Rück­zugs zu ver­tei­di­gen, wie es auch Ehren­sa­che ist, »Kul­tur­pes­si­mist« zu sein. Man erkennt bei­na­he tod­si­cher die Kanail­le – oder in den Wor­ten von Botho Strauß: die con­di­ti­on-sal­aud – an der Ver­ächt­lich­ma­chung die­ses Eti­ketts. Letz­te­res gehört zum Stan­dard­in­ven­tar der land­läuf­gen Preis­de­mo­kra­ten. Die Kri­tik an der Mas­sen­kul­tur hat die­sel­ben Wur­zeln wie die Kri­tik an der Mas­sen­de­mo­kra­tie, ja man könn­te über­spitzt sagen: die Kri­tik am Popu­lä­ren ist immer auch eine Kri­tik an der Demo­kra­tie, inklu­si­ve aller Zwei­schnei­dig­keit, die etwa einen libe­ra­len Apo­lo­ge­ten der Demo­kra­tie erschreckt, wenn sie zu Ergeb­nis­sen kommt, die die­ser als regres­siv, reak­tio­när oder geschmack­los empfindet.

Ver­ges­sen wir nie­mals die Fun­da­men­te. In Staats­brie­fe 11/2000 stell­te Hans-Diet­rich San­der die The­se auf, daß es »in Deutsch­land eine Kul­tur, eine deut­sche Kul­tur« gar nicht mehr gebe. Ein »strin­gen­ter Beweis« dafür sei, »daß seit lan­gem die Rede von Kul­tur­pes­si­mis­mus ver­stummt ist«. Sie sei hin­fäl­lig gewor­den, »jetzt, da es kei­ne Kul­tur mehr gibt. Die Deut­schen, die heu­te leben, haben den Lebens­zu­sam­men­hang mit ihren klas­si­schen Küns­ten und ihrer Phi­lo­so­phie ver­lo­ren, haben ihre Sit­ten und Brauch­tü­mer hin­ter sich gelas­sen, sind bar von Inner­lich­keit, Emp­find­sam­keit und stren­ger Begrifflich­keit, die einst den deut­schen Volks­geist krön­ten. Es gibt in grosso modo nur noch musea­le Bezü­ge, wozu nicht nur Muse­ums­be­su­che, son­dern auch Kon­zert­gän­ge gehö­ren.« Kul­tur wer­de heu­te nicht mehr geleis­tet und aktiv nach­voll­zo­gen, son­dern allen­falls kon­su­miert: »Was von Kul­tur übrig­blieb, ist nicht mehr als Unter­hal­tung.« Das gilt auch für das, was ursprüng­lich »popu­lä­re« Kul­tur, näm­lich Volks-Kul­tur bedeu­te­te. Die­ser Kul­tur­schwund habe indes­sen den gesam­ten Erd­ball ergrif­fen. San­der zitier­te dazu André Gide, der bereits 1938 in sei­nem Tage­buch bemerk­te: »Wenn man so wei­ter­macht, wird es bald nicht mehr vie­le Leu­te geben, die Bedürf­nis danach haben, die etwas davon ver­ste­hen, nicht mehr vie­le Leu­te, die mer­ken, daß man nichts mehr davon versteht.«

In die­ser Lage braucht man sich über den wohl­fei­len Hohn nicht wun­dern, den die Kul­tur­wohl­füh­ler, Hip­pen, Pro­gres­si­ven und »Welt­of­fe­nen« über einen Mann wie Botho Strauß aus­gie­ßen, weil er Face­book und Twit­ter ver­schmäht und sich par­tout nicht mit dem »Plu­ri­mi-Fak­tor« ver­söh­nen und den »intel­lek­tu­el­len Göt­zen­dienst vor dem Popu­lä­ren« leis­ten will. Sie has­sen und ver­la­chen ihn für Pas­sa­gen wie die­se: »Inzwi­schen pak­tiert auch die Kunst lie­be­die­ne­risch mit Quo­te und brei­tem Publi­kum. Kaum einer, der Ver­brei­tung nicht für Erhö­hung hiel­te. Er müß­te denn schon sei­ner Erfol­ge über­drüs­sig sein und aus purem Sno­bis­mus die Über­zeu­gung hegen: Die Fra­ge des Niveaus wird in Zukunft wie­der von der Begren­zung des Zugäng­li­chen abhän­gen.« In die­ser Hin­sicht ist Strauß ein treu­er Schü­ler von Theo­dor W. Ador­no geblie­ben, der der Mas­sen­kul­tur zutiefst miß­trau­te und sie beschul­dig­te, die Kul­tur­gü­ter in blo­ße Waren zu ver­wan­deln. Die in eine »Indus­trie« umfunk­tio­nier­te Kul­tur die­ne nur mehr dem Kon­sum, dem Kapi­ta­lis­mus und dem Kon­for­mis­mus. Dage­gen hielt Ador­no an einem eli­tä­ren Kunst­be­griff fest. Als die »Neue Lin­ke« der spä­ten sech­zi­ger Jah­re auf den Wel­len von Pop und Rock zum Sie­ges­zug ritt, stand Ador­no die­ser Ent­wick­lung mit Befrem­den, ja Erschre­cken und Ver­ach­tung gegenüber.

Eine vom »Pop« beherrsch­te Welt hat aus der Ador­no­schen Per­spek­ti­ve Züge des Zukunfts­staats aus Ray Brad­bu­rys Roman Fah­ren­heit 451. Dar­in sind die Lek­tü­re und der Besitz von Büchern ver­bo­ten, und es gibt eigens »Feuerwehr«-Brigaden, die sie auf­spü­ren und ver­nich­ten sol­len. Die media­le Kom­mu­ni­ka­ti­on läuft über sprech­bla­sen­lo­se Comics und Breit­wand­bild­schir­me mit infan­ti­len TV-Shows und Mode­ra­to­ren, die die Zuschau­er duzen. Die Waf­fen dage­gen, die der dis­si­den­te Feu­er­wehr­mann Mon­tag für sich ent­deckt, hei­ßen Dos­to­jew­ski, Dickens oder Bal­zac. Eine hoff­nungs­los roman­ti­sche Vor­stel­lung? Botho Strauß schrieb: »Wir ande­ren«, die sich der Nivel­lie­rung ver­wei­gern, »müs­sen neue unzu­gäng­li­che Gär­ten bau­en! Zurück zur Avant­gar­de! Den Kunst­be­griff gilt es auf Brenn­punkt­grö­ße zu ver­en­gen. Das natür­li­che Bedürf­nis gegen­über dem schran­ken­los inklu­die­ren­den Sys­tem geht nach dem aus­ge­wähl­ten Zirkel.«

Kann eine sol­che Keh­re tat­säch­lich die »schö­ne neue Welt« aus den Angeln heben? Das wäre schon wie­der zu funk­tio­nal gedacht: Eine Kon­zen­tra­ti­on wie die­se muß man um ihrer selbst wil­len leis­ten wol­len. Es muß immer Men­schen geben, die sich mit puris­ti­scher Aus­schließ­lich­keit einer bestimm­ten Idee hin­ge­ben, eine nur ihnen anver­trau­te Flam­me hüten, ein Ide­al erfül­len, stell­ver­tre­tend für alle, die dafür zu schwach sind. Ich bin über­zeugt, daß dies, wie etwa die Mön­che und Mys­ti­ker des Mit­tel­al­ters, dem Gan­zen auf unsicht­ba­ren Kanä­len unge­heu­re Kräf­te zuführt. Und wenn die­ses Gan­ze es ver­dient, viel­leicht sogar zu sei­nem Fall beiträgt.

Um nun aber nicht auf Stroh­män­ner ein­zu­schla­gen: Gibt es ihn denn eigent­lich noch wirk­lich, den etwas lächer­lich gewor­de­nen kon­ser­va­ti­ven Affekt gegen »die Pop­kul­tur« als Hort der Ver­mas­sung, als gro­ße, plär­ren­de, glit­zern­de Dampf­wal­ze, unter der alle wirk­li­che Kunst und Kul­tur platt gewalzt wer­den? Als Ver­der­be­rin der Jugend, die durch Rock­mu­sik zu Dro­gen­miß­brauch, Hedo­nis­mus, sexu­el­ler Liber­ti­na­ge und vul­gä­ren Moden ani­miert wird und sich die Ohren und Augen für fei­ne­re Töne ver­kleis­tert? Was ist »Pop« heu­te über­haupt? Ist das nur MTV, »Big Brot­her«, »Deutsch­land sucht den Super­star«, »Germany’s Next Top­mo­del«, der Euro­vi­si­on Song Con­test, die all­ge­gen­wär­ti­gen Cele­bri­ty-News? Und was ist dage­gen Kul­tur im Zeit­al­ter »nach den Kul­tu­ren« (Frank Lis­son), in der post-post­mo­der­nen Beliebigkeit?

In Wirk­lich­keit sind die Fron­ten zwi­schen »Kul­tur« einer­seits und »Pop« ande­rer­seits, eben­so wie zwi­schen dem »E« (ernst) und dem »U« (unter­hal­tend), heu­te längst nicht mehr so klar, wie sich das Ador­no und ande­re Kul­tur­kri­ti­ker einst vor­ge­stellt haben – wenn sie es über­haupt jemals waren. Auch die Theo­re­ti­ker der Pop- und Rock­mu­sik ver­such­ten, Sub­ka­te­go­rien ein­zu­füh­ren, um die Läm­mer von den Böcken zu tren­nen, etwa den »bösen« Kom­merz (sagen wir Miley Cyrus) vom »guten« Inde­pen­dent (sagen wir Chel­sea Wol­fe) zu unter­schei­den. Der künst­le­ri­sche Abstand zwi­schen Hele­ne Fischer und Scott Wal­ker ist wohl in etwa so groß wie der zwi­schen Boh­len und Bach, den­noch wer­den bei­de als »Pop« sub­su­miert. Wäh­rend die E‑Musik sich im 20. Jahr­hun­dert in sprö­de Ver­wei­ge­rungs­hal­tung und Selbst­de­kon­struk­ti­on auf­ge­löst hat, ist ihr Geni­us in das Popu­lä­re hin­über­ge­wech­selt, wie auch die ver­gleich­bar abge­wirt­schaf­te­te gegen­ständ­li­che Male­rei in Comics, in Fan­ta­sy, im Gefäl­li­gen und im Kitsch ihr Refu­gi­um gefun­den hat.

Die Mas­sen­kul­tur ist eine Tat­sa­che. Der Wider­stand gegen sie ist eben­so zweck­los wie der Wider­stand gegen Vanil­le­eis, wie Feder­i­co Felli­ni ein­mal über das Fern­se­hen sag­te. Sie umgibt uns wie die Luft zum Atmen, und aus­nahms­los jeder Mensch par­ti­zi­piert in der einen oder ande­ren Wei­se an ihr, auch wenn man­che dar­in ersti­cken. Iko­ni­sche Pop­stars, Car­toon­fgu­ren und Film­zi­ta­te die­nen welt­weit als Sym­bo­le der Ver­stän­di­gung, erzeu­gen tat­säch­lich so etwas wie die Illu­si­on eines »glo­bal vil­la­ge« und einer gemein­sa­men über­na­tio­na­len Kul­tur. An die­ser Stel­le möch­te ich den Blick um 180 Grad dre­hen und für den Anschluß, für das Sich-Ein­mi­schen, für die Schaf­fung von Berüh­rungs­flä­chen plä­die­ren. Hier also ein Aus­zug aus einem wei­te­ren Inter­net­fund­stück, dem »offe­nen Brief« eines Blog­gers an Botho Strauß, den der Absen­der dreist ega­li­tär duzt: »Du schreibst in die­sem Essay vom bestän­di­gen Nie­der­gang der Kunst in Rich­tung Ori­en­tie­rung an der Mas­se und so sehr ich Dir dar­in instink­tiv zustim­men will: Ich kann es nicht. Ich möch­te Dich an den Schul­tern packen, Dich schüt­teln und rufen: ›Bit­te sieh genau­er hin!‹ Unten, unter den in dem Tep­pich aus Zei­tun­gen, Zeit­schrif­ten, Radio- und Fern­seh­sen­dun­gen vor­kom­men­den Din­gen, unter dem Geplap­per der Mas­sen, unter der auf den ers­ten Blick sicht­ba­ren Tar­no­berflä­che einer gigan­ti­schen Müll­hal­de kriecht und lebt ein rie­si­ges Uni­ver­sum an lesens‑, hörens‑, sehens­wer­ter Kul­tur, die man aller­dings (zumal ohne Inter­net) nicht mehr so leicht zu fnden in der Lage ist.« Die »Dau­er­ver­füg­bar­keit von allem im Hier und Jetzt, der per­ma­nen­te Strom von Infor­ma­tio­nen und Kul­tur­gü­tern«, die­ser »end­lo­se Strom an Enter­tai­nern und Enter­tain­ment, den das Inter­net mit sich bringt: Das alles hat die wirk­lich guten Din­ge nicht weg­ge­schwemmt oder ver­schwin­den las­sen, son­dern es hat sie im Gegen­teil noch wert­vol­ler gemacht.« So sehr sich der Kul­tur­pes­si­mist in mir dage­gen sträubt: der Blog­ger hat recht. Dem, der damit umge­hen kann, ste­hen heu­te die herr­lichs­ten Din­ge frei zur Ver­fü­gung, und dar­um wer­de ich nicht müde, die Seg­nun­gen von Por­ta­len wie you­tube zu prei­sen. Ich will an die­ser Stel­le nicht den x‑ten Arti­kel über neu­rech­te »meta­po­li­ti­sche Anknüp­fun­gen an die Pop­kul­tur« und ähn­li­ches schrei­ben. Der Kern der Meta­po­li­tik soll­te vor allem die Schaf­fung eines Bewußt­seins dafür sein, daß die »Rech­te« mit ihren The­men und Prä­fe­ren­zen, Moti­ven und Moti­va­tio­nen inhalt­lich kei­nes­wegs vom gro­ßen Gan­zen iso­liert ist, son­dern viel­mehr ein wesent­li­ches Stück vom Gan­zen ver­tritt, das brei­te Schich­ten angeht und immer wie­der von neu­em zum Leben erwa­chen wird und von Inter­es­se bleibt.

Den­je­ni­gen, die eine spe­zif­sche Tie­fe aus­lo­ten, soll­ten jene bei­ste­hen, die die Brei­ten ver­mes­sen. Eine rech­te Kul­tur­kri­tik soll­te sich also idea­ler­wei­se nicht zur sehr in einem »eli­tä­ren« Affekt ein­igeln, son­dern die Augen auf­ma­chen und »genau­er hin­schau­en«: nicht nur, um zu ver­ste­hen, wel­che Bil­der, Sze­nen, Gefüh­le die Gesell­schaft gera­de bewe­gen, wel­che in Unter­hal­tung ver­pack­te Dok­tri­nen ihr ein­geflößt wer­den, son­dern, um die­se Din­ge auch aktiv mit dem eige­nen Leben und Den­ken zu ver­knüp­fen. Ich nen­ne hier nur das Bei­spiel der inzwi­schen zum Teil stu­pen­den Qua­li­tät man­cher ame­ri­ka­ni­scher Fern­seh­se­ri­en, deren Dreh­bü­cher, Regie und schau­spie­le­ri­sche Leis­tun­gen sich mit dem Bes­ten mes­sen kön­nen, was die Film­ge­schich­te des letz­ten Jahr­hun­derts zu bie­ten hat. Hier sind drei, die eine Men­ge Stoff für eine »rech­te« Betrach­tung ent­hal­ten, und es sind nicht die ein­zi­gen: Brea­king Bad ist eine Tour de Force, die die Wie­der­ent­de­ckung einer archai­schen, amo­ra­li­schen Männ­lich­keit zele­briert; die in den frü­hen sech­zi­ger Jah­ren ange­sie­del­te Serie Mad Men schil­dert ver­füh­re­risch die Schön­heit, Grö­ße wie auch den Abgrund einer kon­ser­va­ti­ven Gesell­schaft vor ihrer Libe­ra­li­sie­rung und eine am Zenit ste­hen­de Eli­te vor ihrem Fall, wäh­rend eine Kri­mi­se­rie wie True Detec­ti­ve bis an den Rand voll­ge­packt ist mit reli­giö­sen, christ­lich-gnos­ti­schen Themen.

Solan­ge kom­ple­xe Kunst­wer­ke wie die­se von einem Mil­lio­nen­pu­bli­kum gese­hen wer­den, darf man sei­nen Kul­tur­pes­si­mis­mus getrost rela­ti­vie­ren. Sie erzäh­len wirk­li­che Din­ge über das Leben und den Tod, über Frau­en und Män­ner, über die Gesell­schaft und das Indi­vi­du­um, also über uns selbst. Ich glau­be, daß hier auch die wah­ren Mythen der Moder­ne zu fnden sind. Ich nen­ne dies nur als ein Bei­spiel unter vie­len – eine aus­führ­li­che Bestands­auf­nah­me muß ein­mal geleis­tet wer­den. Jen­seits alber­ner pro­gres­si­ver Posen und einer Pop­kul­tur­ver­göt­zung, wie sie man­che Intel­lek­tu­el­le betrei­ben, sind die Din­ge, die um uns her­um pro­du­ziert, kon­su­miert und »kom­mu­ni­ziert« (noch so ein von Botho Strauß ver­ach­te­ter Aus­druck) wer­den, es wert, daß man sie wahr­nimmt und absor­biert, ohne daß dabei die kul­tu­rel­len und künst­le­ri­schen Maß­stä­be und Hier­ar­chien preis­ge­ge­ben wer­den müß­ten. Homer hat uns etwas zu sagen, aber »Hei­sen­berg«, der Haupt­cha­rak­ter aus Brea­king Bad, eben­so. Wir müs­sen der­lei erken­nen und nutzen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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