Er bedeute, sich den Banken, Deutschland und der EU zu unterwerfen. „Wir haben“, so Todd, „nur die Wahl zwischen Knechtschaft [= Macron] und Rassismus [= Le Pen]. Aber man kann sich nicht freiwillig für die Knechtschaft entscheiden.“ Emmanuel Macron, da zeigt sich Todd sicher, würde als Präsident dafür sorgen, daß Frankreich „durch die eigene Elite zerstört“ werde.
So oft Todd mit seinen Einwürfen für interessante Wendungen im „öffentlichen Diskurs“ sorgt, so sehr liegt er diesmal (bewußt?) daneben. Um zu verstehen, was hier im Raume steht, sei eine kleine Rückblende in den August 2014 erlaubt; zu diesem Zeitpunkt war Macron, der mit einiger Sicherheit der nächste französische Präsident sein wird, noch Wirtschaftsminister unter Präsident François Hollande. Damals forderte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung eine „Neugründung Europas“.
„Der Status Quo“ führe „in die Selbstzerstörung“, betonte Macron, „die Fliehkräfte sind zu groß, politisch wie ökonomisch“. Macron machte sich deshalb unter anderem für einen neuen „Euro-Kommissar“ stark, der die Wirtschafts‑, Finanz- und Sozialpolitik der Euro-Länder koordinieren soll. „Die Euro-Regierung würde geführt von einem Kommissar mit weitreichenden Befugnissen“, erläuterte Macron.
Der neue Posten „wäre nicht nur ein Euro-Finanzminister, sondern jemand, der auch Investitionsmittel vergibt oder in der Arbeitsmarktpolitik mitredet“. Macron räumte ein, daß sein Vorstoß, der auf eine Transferunion hinausläuft, „von Deutschland Tabubrüche“ verlange.
Apodiktisch erklärte Macron: „Eine Währungsunion ohne Finanzausgleich – das gibt es nicht! Die Starken müssen helfen.“ Die „Starken“, das ist vor allem Deutschland, dem dann die fette Rechnung präsentiert wird.
Macron regte an, die von ihm ins Auge gefaßte Reform bis spätestens 2019 in einem neuen EU-Vertrag zu verankern. Nach entsprechenden Vorbereitungen könnten die Veränderungen ab Herbst 2017 nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich und der Bundestagswahl in Deutschland umgesetzt werden. Die erste Etappe dorthin kann er am kommenden Sonntag mit ziemlicher Sicherheit bereits abhaken.
Sollte Macron seine Ziele weiter verfolgen, läuft das auf das hinaus, was Holger Schmieding, heute Chefvolkswirt der Berenberg Bank in London, bereits 1997 in der FAZ als „Gründerkrach“ der Währungsunion prognostiziert hat.
Schmieding sagte damals eine Boomphase in den „Randländern“ wegen der Euphorie, endlich Mitglied der Währungsunion zu sein, voraus. Diese Mitgliedschaft brächte eine Senkung ihrer kurzfristigen Zinsen auf das Niveau der Kernländer mit sich, was eine expansive Haushaltspolitik zur Folge haben werde, die insbesondere den Investitionen zugute käme.
Wenn dann aber die Leistungsbilanzen mit hohen Defiziten abschlössen, dann könnten diese Länder in eine tiefe Rezession abrutschen; der Europäischen Währungsunion drohe dann eine Art „Gründerkrach“. Schmieding weiter: „Die unausweichlichen Forderungen der Randländer […] nach zusätzlichen Finanztransfers der Kernländer [wird] die Währungsunion auf eine harte Belastungsprobe stellen“.
Genau dieser Punkt, so kann heute konstatiert werden, ist nun erreicht. Zu den „Randländern“ wie z.B. Griechenland oder Portugal hat sich mittlerweile auch das „Kernland“ Frankreich gesellt.
Die Apologeten des Euro haben diese Entwicklung mit Sicherheit erwartet, aber dem einen, alles überragenden politischen Ziel untergeordnet. Zur Erinnerung: Den als „DM-Nationalisten“ denunzierten Euro-Kritikern wurde unter anderem von Bundeskanzler Helmut Kohl entgegengehalten: „Die europäische Einigung ist eine Frage von Krieg und Frieden und die Einführung des Euros ein Stück Friedensgarantie.“
Will man den eigentlichen Kern dieser Einlassung identifizieren, muß man bis in das Jahr 1987 zurückblenden. Sein Kontext ist der sich anbahnende Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, in dem parallel die entscheidenden Weichen in Richtung einer Wirtschafts- und Währungsunion gestellt wurden.
Hierbei kommt dem Jahr 1987 aus französischer Sicht eine Schlüsselbedeutung zu. Damals erfuhr Mitterrand von einer bevorstehenden Initiative des Generalsekretärs der KPdSU, Michael Gorbatschow, die, so stand es in einer an Mitterrand gerichteten Note vom Januar 1987, eine „faszinierende Wirkung“ auf die Bundesrepublik Deutschland haben könnte, berücksichtige man den „Nationalneutralismus“ unter den Deutschen und das „Problem der Wiedervereinigung“.
Komme es nicht zu einem Fortschritt in der „europäischen Konstruktion“, so Mitterrands Schlußfolgerung, drohe „ein „deutsches Spiel zwischen dem Osten und dem Westen“. Aus der Sicht Mitterrands war es wahrscheinlich, daß die Avancen Gorbatschows ein höheres Maß an politischem „Eigensinn“ auf deutscher Seite nach sich ziehen könnte.
Möglicherweise würden sie sich gegenüber den „Erwartungen“, die von seiten Frankreichs oder der Europäischen Gemeinschaft an sie herangetragen würden, „widerstrebender“ zeigen. So drückte es der Politologe Tilo Schabert in seinem zugegebenermaßen oft „sperrig“ zu lesenden Buch Wie Weltgeschichte gemacht wird. Frankreich und die deutsche Einheit (Stuttgart 2002) aus. Es lohnt sich aber, dieses Werk trotz seiner „Sperrigkeit“ aufmerksam zu lesen, weil es vieles über die Ziele der französischen Deutschlandpolitik verrät.
Mitterrand rieb sich Schabert zufolge insbesondere an der deutschen Wirtschaftsmacht:
Doch in Mitterrands Wahrnehmung von Deutschlands Verhalten […] formt sich in diesem Jahr, 1987, eine Vorstellung aus, die ihn zu weit mehr als einem Mahnen trieb. ‚Deutschland‘ (die Bundesrepublik), so setzte es sich als Überzeugung in seinem [Mitterrands] Bewußtsein fest, holte sich aus seiner ökonomischen Macht die politische Macht, die es sonst nirgendwo besaß, hier aber für sich entdeckte: Mittels seiner ökonomisch beherrschenden Stellung beherrschte es seine europäischen Partner politisch.
Die Wirtschaftsmacht verschaffte Deutschland in der Gemeinschaft mit ihren europäischen Partnern eine überragende Stellung, die zu dieser Gemeinschaft aus der Sicht Mitterrands immer weniger paßte.
„Da war ein deutsches, die Fortführung des europäischen Baus behinderndes, wenn nicht verhinderndes Problem“, kommentiert Schabert, „und die Deutschen, wie es dem französischen Präsidenten schien, zogen zu dem Weg, auf dem die Lösung lag, nicht mit.“ In dieser Situation kam es am 25. August 1987 zu einem richtungsweisenden Gespräch mit dem spanischen Ministerpräsidenten Filipe Gonzáles in Mitterrands Ferienhaus in Latche in der Gascogne, in dem Mitterrand laut Schabert folgendes sagte:
Wir müssen auf eine gemeinsame Währung zugehen. […] Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß sie [die Deutschen], weil sie keine diplomatische und militärische Macht vom gleichen Rang wie ihre Wirtschaft haben, ihre Herrschaftsausübung auf die Wirtschaft verlagern, mit dem dafür natürlichsten Mittel der Übertragung, dem Geld. Die Mark ist das, was die Macht von Deutschland offenbart.
Am 17. August 1988 wurde Mitterrand gegenüber den Mitgliedern des französischen Ministerrates noch deutlicher:
Was besorgniserregend ist, das ist die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik. Die Haltung von Westdeutschland auf diesem Gebiet ist im Widerspruch mit den anderen Zügen seines Verhaltens gegenüber Europa. Man muß sehr wohl begreifen, daß Deutschland ein großes Volk ist, das bestimmten Eigenschaften der Souveränität beraubt ist. […] Sein Platz in der Diplomatie bleibt beschränkt. Es wiegt diese Schwäche mit seiner Wirtschaftsmacht auf. Die Deutschmark ist in gewisser Weise seine Nuklearmacht.
Laut Schabert gibt es von den Worten, die Mitterrand damals an seinen Ministerrat richtete, noch eine zweite Version, die deutlich pointierter formuliert ist:
[Deutschland] ist der Eigenschaften der Souveränität beraubt. Ihm liegt an seiner Macht. Doch seine Macht, das ist die Wirtschaft, die Deutsche Mark, das ist seine Atommacht. Ich glaube nicht, daß wir die Deutschen dahingehend überzeugen werden, daß sie ihre [Wirtschafts-]Politik ändern. Ich hoffe es trotzdem.
Hier findet sich im übrigen ein schlagender Beleg für die Einlassungen des Bundesfinanzministers Schäuble von Mitte November 2011, als er in Frankfurt/Main rund 300 Vertretern der internationalen Finanzwelt gegenüber erklärte, Deutschland sei seit dem 8. Mai 1945 „zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen“. Souverän wäre Deutschland erst dann, wenn es in einem „vereinten Europa“ aufgegangen sei.
Nettosteuerzahler
Mitterand hat das damals gut erkannt. Daß die neue Währung aber für Frankreich noch schlechter werden würde, hatte er sich wohl nicht gedacht.
Der Euro ist jedenfalls ein ideologisches Projekt, welches keinen ökonischen Nutzen stiftet, weder für uns Deutsche, noch, mittlerweile, für unsere europäischen Nachbarn. Ihen abzuschaffen muß ein vorrangiges Ziel bleiben.