in der Politik schwer auszuhalten gewesen sein mögen: Antifaschisten griffen Infostände an, stahlen 10 000 von 12 000 Wahlplakaten und sorgten für ein Klima der Angst, für das sie sich nicht nur bei Twitter selbstbewußt (es droht ja ohnehin keinerlei staatliche Repression, keine gesellschaftliche Kritik) feiern ließen. Zugleich schwächte sich die AfD um den blassen Landeschef Jörg Nobis selbst: Man dachte, durch inhaltliche Zugeständnisse ans Establishment und Ausklammern von potentiellen Reizthemen (Flüchtlingsfrage bspw.) könne man den Antifa-Furor stoppen oder zumindest abschwächen. Das war, wie zu erwarten gewesen ist, eine vollkommene Fehlannahme, die man nur mit der stupenden Naivität der in Kiel Verantwortlichen erklären wird können. Diese Naivität äußerte sich auch in den Wahlstudios der Öffentlich-Rechtlichen.
Der AfD-Spitzenkandidat Nobis, der im Zuge des Bundesparteitags im April bei Phoenix ohne jede Not oder Notwendigkeit als willfähriger Kronzeuge für einen sofortigen Rausschmiß Björn Höckes agierte und dafür als Gegenleistung das Lächeln des Moderators gewann, blieb auch hier ein abschreckendes Beispiel für kommende Wahlabende. Er ging nicht, wie es für eine junge, unverbrauchte und wirklich alternative Partei statthaft wäre, in die Offensive; er attackierte nicht Ralf Stegners Landesverband der SPD, der wider Erwarten um mehrere Prozentpunkte abstürzte und alle Wahlziele verfehlte; er zeigte vor Millionenpublikum keinerlei Courage und warf Grünen, Sozialdemokraten oder Linken mit keiner Silbe ihre direkte Zusammenarbeit mit Antifa-Gruppen vor, die den Wahlkampf seiner eigenen Partei auf verschiedene Art und Weisen sabotierten. Nein, was Nobis tat, war etwas ganz anderes: Er wollte den letzten braven, anständigen Bürger geben, er gratulierte der CDU zu ihrem Endspurt, ihrem respektablen Wahlerfolg. Er versuchte, durch möglichst harmlose Bemerkungen die Abneigung der anderen Spitzenkandidaten zu überwinden. Ist es ein solches Duckmäusertum, was AfD-Wähler von ihrem Spitzenpersonal erwarten? Man darf das zumindest bezweifeln.
Daß es auch anders geht, zeigte in den verschiedenen TV-Wahlstudios AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen. Er blieb stets höflich und souverän (bewies also »bürgerliche« Manieren), vertrat dabei aber dezidierte Standpunkte, ohne der Gegenseite präventiv Zugeständnisse einzuräumen. Daß Ralf Stegner wütend den Raum verließ, als Meuthen in aller Ruhe auf den gewaltfördernden Zusammenhang zwischen SPD-Agitation gegen AfD-Wahlkämpfer und tätliche Angriffe auf selbige hinwies, wird Meuthen eher hoch anzurechnen als anzulasten sein. Nun sind Charaktere verschieden, und Jörg Nobis mag als FDP-Denkender in blauem Gewand kein Typ für fundamentalen Widerspruch sein. Durch derartige Avancen in Richtung der Merkelpartei CDU wie am Wahlabend bestärkt er aber bedauerlicherweise nur jene Kräfte innerhalb des liberalkonservativen Beritts, die schon seit Jahren von nichts anderem träumen als von einer schwarz-gelb-blauen Koalition.
Eine solche gewünschte Bittstellerrolle als Mehrheitsbeschaffer für jene Kräfte, die – weit einflußreicher und effektiver als jede linke Formation – seit Jahrzehnten für die bundesdeutsche Misere verantwortlich zeichnen, korreliert indes wohl kaum mit dem Wunsch vieler AfD-Wahlkämpfer und ‑Wähler, “dem Establishment” oder “dem Mainstream” – konkret auch: Angela Merkel – eine Abfuhr zu erteilen, ob dieser Wunsch nun weltanschaulich rückgebunden ist oder sich aus einem instinktiven Protestempfinden speist. Vor allem aber beweist diese Hoffnung auf eine Koalition mit Christdemokraten und Liberalen, die bereits zum jetzigen Zeitpunkt geäußert wird, eine grundsätzliche Unkenntnis sowohl der Lage an sich als auch der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte.
Nur wer aufgrund eigener ideologischer Denkblockaden – die er als »bürgerlich« verbrämt, die aber vor allem im schlechten Sinne reaktionär sind – nicht weiß, welche politischen Kräfte primär für die aktuelle Situation in der Bundesrepublik verantwortlich sind (Spoiler: es ist nicht die Linkspartei), gerät ja überhaupt in Gefahr, sich bei Schwarzen und Gelben um Wohlwollen zu bemühen, anstatt klipp und klar zu sagen: Mit euch nicht, und zwar nicht heute, nicht morgen, und wenn übermorgen, dann nur mit euch in einer minoritären Position, in der Rolle als selbstkritische Streiter für einen Neubeginn, dessen grundsätzliche Ausgestaltung freilich uns, nicht euch obliegt. Das ist ein frecher Anspruch, gewiß, und zum jetzigen Zeitpunkt irreal, aber Forderungen schwächen sich im politischen Alltag, in politischen Prozessen, in der Realität als solcher ohnehin ab. Wer jedoch gleich in der Aufbau- und Etablierungsphase der eigenen Wahlpartei als potentieller Mehrheitsbeschaffer gegen das rot-rot-grüne Gespenst auftritt, wird als überflüssige Reformerpartei vom Schlage ALFAs (das ist, by the way, die Partei Bernd Luckes) enden.
Denn es ist ein grundsätzliches Übel, zwanghaft nach Anerkennung und Koalitionsbeteiligung zu streben. Johannes Agnoli hob bereits 1967 in Die Transformation der Demokratie (zuletzt Hamburg 2012) hervor, daß es dem bürgerlich-liberalen Denken innewohne, den »Lockvogel der politischen ›Verantwortung‹« gegenüber den noch ungezähmten oppositionellen Kreisen einzusetzen, sie also verhandlungsbereit zu machen, um ihnen die entscheidenden, wirklich oppositionellen Ideen um der Regierungsfähigkeit willen auszutreiben. Die Vorgehensweise hierbei ist evident: Das etablierte Kartell von Kräften aus Politik und Medien arbeitet daran, jede sich bildende Fundamentalopposition abzuschwächen und sukzessive Gesprächsbereitschaft in Richtung der »gemäßigteren« Insurgenten zu signalisieren (man denke an Schleswig-Holstein oder an NRW, wo kommende Woche gewählt wird). Wenn für Teile der jeweiligen Protestpartei die Gefühle des Widerspruchs parlamentarisch vertreten zu sein scheinen, wenn für Teile dieser Opposition immerhin einige Ziele durch Annäherung an die »Mitte« durchsetzbar und schließlich einige Forderungen verhandelbar zu sein scheinen, erhöht sich, so Agnoli, »die Bereitschaft zur Untätigkeit«, dann ist man am sprichwörtlichen »Katzentisch« angekommen – und in gewissen Redaktionsräumen knallen die Sektkorken.
Die Integration in den herrschenden Apparat vollzieht sich so Schritt für Schritt mit unterschiedlichen Folgen. Der etablierte Parteienblock stabilisiert dabei etwa seine Herrschaft, wenn die Opposition ohne jede Not beginnt, Teil des Ganzen zu werden, sich anschmiegt, abschwächt, mitspielt. Dabei wußte schon der trotzkistische Renegat James Burnham in seiner Schrift Die Machiavellisten (Zürich 1949) mitzuteilen, daß solcherart gewendete Oppositionelle, denen man kleine Zugeständnisse macht, damit sie den großen Konsens nicht mehr hinterfragen, »in bezug auf die gut verschanzte Macht ebenso unbedeutend wie früher die Hofnarren« seien.
Das Brisante an der ganzen Angelegenheit ist indes aber, daß gerade den »Unversöhnlichen« – also den Grundsätzlichen, weltanschaulich Rückgebundenen – vorgeworfen wird, wie Narren zu agieren, so als ob gerade sie für schlechte Wahlumfragen oder ‑ergebnisse verantwortlich wären. Nun ist Schleswig-Holstein nicht Brandenburg, Nordrhein-Westfalen nicht Thüringen, aber es bleibt doch zu konstatieren, daß beispielsweise eben in Brandenburg und Thüringen konstant um die 20 Prozent in Umfragen erzielt werden, obwohl man dort doch angeblich so »forsch«, »provokativ«, »sozialpopulistisch« und »rechts« agiere, während man in NRW oder Schleswig-Holstein eben froh sein muß, die Fünfprozenthürde zu stemmen. Freilich: Wahlen auf Bundesebene gewinnt man nicht mit 20 Prozent in Thüringen alleine, und man muß speziell auch beginnen, im Westen zu punkten. Der Beweis, daß dieser Erfolg aber durch inhaltliche und habituelle Anpassung an den Mainstream zustandegebracht werden könne, steht noch aus. Schleswig-Holstein ist ein erstes Argument gegen dieses Agieren, und NRW wird kommenden Sonntag ein zweites sein.
Ralf Beez Ofw d. R.
Danke, für diesen ausgezeichneten und herausragenden Beitrag, den ich vollstumfänglich teile, weil ich auch die gleichen Beobachtungen gemacht habe!