Es entsteht eine Diskussion zwischen meinem Kommilitonen und einer jungen Frau in der Pflegeausbildung über Einwanderung und Rassismus.
Azubine: „Das ist mir egal ob das Deutsche oder Ausländer sind. Ich sehe das nicht ein. Ich bin jeden Nachmittag kaputt, während zwei Bekannte von mir auf Hartz 4 den ganzen Tag auf dem Sofa rumgammeln. Die haben einen riesen Flachbildfernseher und alles. Und das sind Deutsche, das gibt’s ja da genauso.“
Student: „Darum geht’s doch gar nicht. Ja, Schmarotzer gibt’s auch unter Deutschen, aber das war früher immer die Ausnahme. Jetzt machen wir das schmarotzen Dürfen zur Norm und sagen noch, daß alle Welt dazu kommen soll. Und dann kommen auch Völker, bei denen die IQ-Verteilung etwas anders aussieht als bei uns. Die können in unserer Gesellschaft gar nicht anders als schmarotzen. Bei Deutschen sieht die dann so aus (macht eine Handbewegung, die in etwa eine Glockenkurve darstellt) und bei Nigerianern so (macht dieselbe Handbewegung versetzt noch einmal). Wenn du das zusammentackerst, dann sieht das aus wie zwei Kamelhöcker und du hast zusätzlich zu den Deutschen die hier sind (deutet ungefähr auf das untere Ende der deutschen Verteilungskurve) noch die ganzen Leute hier obendrauf.“
Die junge Azubine ist völlig unbeeindruckt und spult weiter ihren Text ab: „Ich finde einfach nur, daß Leute die nicht arbeiten, nicht genausoviel, oder sogar mehr haben sollten, wie Leute die arbeiten. Das hat doch mit der Einwanderung nichts zu tun und egal wie man jetzt zu der Masseneinwanderung steht und ich bin auch eher dagegen, aber usw. usw.“
Später, wir sind in der Stadt unterwegs, ich spöttle ein wenig über meinen Freund:
Ich: „Und? Erfolg gehabt in deiner Diskussion?“
Er: „Diskussion kann man‘s nicht wirklich nennen. Aber das ist ja in 80% der Fälle so.“
Ich: „ Die Fähigkeit Menschen als Statistik zu begreifen ist nicht wirklich weit verbreitet.“
Er: „Nicht wirklich.“
Ich: „Dabei geht es dabei nicht einmal um die Mathematik dahinter, es reicht ja, soweit vom einzelnen Menschen abstrahieren zu können, daß man sich Menschengruppen irgendwie mit unterschiedlichen Verteilungen denken und sich das dann graphisch vorstellen kann.“
– – –
Szenenwechsel: Ein anderes Fest. Ich sitze mit zwei Ingenieuren zusammen. Der eine erzählt von einem Problem seiner Firma. Das Unternehmen hat jetzt einen Bauvertrag am Hals, bei dem es selbst und nicht der Bauherr das Risiko für Fehler des Geometers trägt. Ich will irgendwie mitreden und frage ihn, was das bedeutet.
Erster Ingenieur: „Der Geometer macht die Messungen, nach denen dann alle schaffen und wenn der sich nur um einen Zentimeter oder zwei irrt, dann passen die ganzen Teile nicht.“
Ich: „Und das Risiko trägt nicht der Geometer?“
Erster Ingenieur: „Nein, wenn der sich irrt, dann macht der dir eine neue Messung, aber der zahlt nicht für die ganzen Träger und Fenster, die schon angefertigt wurden.“
Ich: „Das ist dann aber ein beschissener Vertrag, wenn der dafür nicht aufkommen muß.“
Die beiden schauen mich komisch an.
Zweiter Ingenieur: „Äh, das ist ein ganz normaler Vertrag. Das wird dir keiner anders machen.“
Soviel zu meinem Versuch mich konstruktiv in dieses Gespräch einzubringen, ohne mich zum Affen zu machen. Ich war schließlich mit der Materie vollständig unvertraut und wollte bloß mitschwätzen. Die beiden Ingenieure dachten sich wohl auch nichts weiter dabei.
Warum können wir politischen Menschen nicht ähnlich mit der Ignoranz umgehen, die unserem Spezialgebiet von anderen widerfährt? Daß wir es nicht können, scheint ein Ergebnis unserer demokratischen Erziehung zu sein. Die Forderung an den mündigen Bürger, sich gefälligst zu informieren und seine eigene Meinung zu bilden, damit er am öffentlichen Diskurs teilhabe und am Wahltag seiner Bürgerpflicht nachkomme indem er sein X‑Millionstel zur demokratischen Willensbildung beitrage, erscheint uns meist selbstverständlich.
Und witzigerweise sind es gerade die Rechten, die hier die größten Enttäuschungen erleben. Die anderen haben immerhin gute Chancen, daß Lieschen Müller auf Verlangen ihre Phrasen ausspuckt. Da kann man sich bequem darüber hinwegtäuschen, daß es eben genau das ist und nicht mehr: Die Wiedergabe aufgeschnappter Phrasen.
Diese Erwartung ist bei Lichte betrachtet reichlich sonderbar. Für den normalen Menschen hat es sicherlich größeren Nutzen, die üblichen Vertragskonditionen eines Geometers zu erfahren, als sich über IQ-Verteilungskurven und ihre gesellschaftlichen und politischen Implikationen zu unterrichten. Es könnte schließlich sein, daß er einmal ein Haus baut.
Dabei bedeutet das ja nicht, daß normale Menschen sich überhaupt nicht politisch informieren. Sie tun es nur weder aus Eigeninteresse, noch aus Bürgerpflicht, sondern aus Neugier. Diese Neugier ist bei dem einen stärker, bei dem anderen schwächer ausgeprägt und hat naturgegebenerweise eine Vorliebe für das Aufsehenerregende oder Empörende, überhaupt für das sinnlich Vorstellbare gegenüber dem trockenen Brot der Theorie.
Andersherum: Wenn ich einen Geometer beauftrage, dann ist es sicherlich interessant ihm bei der Arbeit zuzusehen oder mit ihm über seine Tätigkeit zu plaudern. Nur, er verschone mich mit den Problemen seiner Gerätschaften und Berechnungen. Sollte dann noch irgendein Neunmalkluger daherkommen und von mir verlangen, die Messungen des Geometers kritisch zu hinterfragen, dann kann ich ihn nur an den Baustatiker verweisen.
Überhaupt, die beiden sollen machen, das das Haus gerade steht und nicht einstürzt!
ALD
Sehr gut.