„Wie politisch darf Kirche sein?“ lautet der Titel auf dem Cover der September-Ausgabe des Cicero. Dieses zeigt einen kopflosen Bischof, der die Hände zur Merkelraute faltet. Stola und Pellegrina sind mit Bildern der als alternativlos vermarkteten politischen Themen verziert: Schwulenehe, Windräder, Moscheen, ein Kreuz, ein Herz. Chefredakteur Christoph Schwennicke schreibt vorweg:
Die beiden hiesigen Kirchenoberen, Kardinal Reinhard Marx für die Katholiken und Heinrich Bedford-Strohm für die Protestanten, gerieren sich als großkoalitionär-ökumenisches Paar, das den Kurs der Kanzlerin bedingungslos unterstützt und Kritiker in den eigenen Reihen nicht duldet.
Nun ist über die Anbiederung der Kirchenoberen an Merkels Politik der offenen Grenzen und Masseneinwanderung schon einiges geschrieben worden. Von der Asylindustrie, die den beiden christlichen Kirchen neuen Aufschwung und Arbeitsplätze verschafft über die „Käßmannisierung der Politik“ (Klaus Schroeder) bis hin zu Unerträglichkeiten.
Hier toppt Kardinal Rainer Maria Woelki auf der nach allen Seiten offenen Dichterskala jeden Gutmenschen. Selbst Bischofskollegen sind über Woelkis Flüchtlingsaussagen „not amused“. Amüsant sind seine Aussagen allerdings schon. Zuletzt meinte Woelki zum Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei, es sei
eine Schande für Europa, dass wir mit einem solchen Land solche Abkommen schließen, damit wir hier augenscheinlich weiter in einer geschlossenen Gesellschaft unserem Wohlstand frönen können. Eine Politik zu loben, die die Zahlen der Migranten senkt um den Preis, dass diese in Lagern an der afrikanischen Küste in Hotspots unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten werden, kann nur als zynisch bezeichnet werden.
Nun müssen die deutschen Bischöfe nicht in ihren geschlossenen Gesellschaften dem Wohlstand frönen, sie könnten ihre fürstlichen Bleiben jederzeit den Ausgegrenzten aller Länder öffnen. Der sogenannte kleine Mann wird wahrscheinlich seinen hart erarbeiteten Wohlstand lieber mit der eigenen Sippe teilen und darüber bestimmen wollen, wer und wie viele daran teilhaben. Denn er spürt in des Wortes wahrstem Sinne: Die direkte Umsetzung der „Wohlstandsfrönerei“ in eine weltweite Politik dürfte bald an ihre Grenzen stoßen.
Wo spirituell ausgezehrte und finanziell gesättigte Kirchenobere zu Politakteuren werden, haben auch der niedere Klerus und der brave Kirchgänger nicht mehr viel zu lachen. Nicht nur hinterläßt ein verirrter Hirte hunderte verwirrte Schafe; wo Gebet, Glaubensbekenntnis und Gottesdienst (Transzendenz) verlorengehen, da geschieht das Gute nicht mehr aus christlicher Freiheit, geschweige denn aus Freude, sondern aus Zwang und Verbissenheit.
Wie es sich anfühlt, wenn die Individualethik Jesu kurzschlüssig in die Sozialethik eines Staates überführt wird, hat Sophie Dannenberg in ihrem Leitartikel „BYE BYE Transzendenz“ im genannten September-Cicero auf beklemmende Weise beschrieben.
Sie schreibt von Christen, die sich verpflichtet fühlen, den „Geflüchteten“ zu helfen. Vom Reich Gottes, das in der „kirchlichen Flüchtlingshilfe“ ausgebrochen ist. Von begeisterten Frauen, die Angela Merkels Grenzöffnung vom September 2015 großartig finden. Die „wie verliebt in ihre Flüchtlinge sind. Nicht in Einzelpersonen, eher in das Gesamtphänomen“.
Von Helferinnen, die fühlen, wie „eine Welle der Dankbarkeit warm auf sie zurauscht“. Und die nicht wollen, dass das je wieder aufhört“. Und daß „Skepsis tabu sei“. Umwerfend Dannenbergs Beschreibung einer ehrenamtlichen Flüchtlingshelferin in der evangelischen Kirche Heilig Kreuz-Passion in Berlin-Kreuzberg:
Die Ehrenamtliche, die mit dabeisitzt, heißt Marita Leßny, 63, kurzhaarig, mit einem Mund, der von selber lächelt. Sie hat sieben erwachsene Kinder. Im Gemeindeblatt wird sie als „Die große Mutter“ vorgestellt. Sie hat in den letzten zweieinhalb Monaten 31 Termine beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten begleitet: mindestens vier Stunden, eher sechs: Sie nennt die Flüchtlinge „meine Jungs“. Ohne Begleitung würden sie oft weggeschickt, erklärt sie. „Jeder braucht mal ein bisschen Familie. Und ich kann das bieten. Wenn jeder mit den Flüchtlingen so umgehen würde wie ich, gäbe es viel weniger Probleme. Ich glaube nicht, dass ein Anis Amri solche Kontakte hatte.
Bei einem solchen „Blitzkrieg der Mitmenschlichkeit“ (Matthias Matussek) und so viel „selbstloser Zudringlichkeit“ (Franz Werfel) bleibt man sprachlos zurück. Das ist gnadenlos! Ganz vorsichtig sei daran erinnert, daß der Mörder von Maria Ladenburger, der „Bub“ Hussein K., „solche Kontakte“ hatte und ihm das geboten wurde, was die „große Mutter“ ein „ein bisschen Familie“ nennt.
Wie paßt das zusammen? Und nennt man eine solche gutmenschliche Selbstgerechtigkeit nicht besser Vermessenheit, Hochmut? Wunderbar beschrieben im Neuen Testament, etwa am Beispiel vom Pharisäer und vom Zöllner. „Gott, ich danke dir, daß ich nicht wie die anderen Menschen bin.“ (Lk 18,9ff.)
Für Sophie Dannenberg klingt das Schwärmen der Helfer über „ihre Flüchtlinge“, als sei es deren „ontologische Funktion, uns alle ekstatisch zu erlösen, von unserer eigenen blöden Kultur. Und dem Christentum irgendeinen Sinn zurückzugeben“. Als konservativer Christ kann man nur verzweifeln. Wo findet man Antworten?
Einer Gesinnungsethik wird die sogenannte Verantwortungsethik gegenübergestellt. Hier sei – mal wieder – ganz eindringlich auf die ausgezeichnete Tugendethik von Josef Pieper hingewiesen. Diese sei nicht nur den Herren Woelki, Marx und Bedford-Strohm zum gründlichen Studium anempfohlen, sondern auch jedem Gutmenschen und allen, die am Gutmenschentum leiden. Den letzten als Seelentrost. In verständlicher Sprache und lebenserfahren schreibt der Philosoph über die vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß.
So findet man z.B. in dem Büchlein Zucht und Maß im Kapitel über die Demut Tröstliches. Wir sind nicht zum Gutsein verdammt – wenn wir das rechte Maß finden. Der Mensch sucht nach Überlegenheit, Vorrang und Geltung auch im moralischen Bereich. Dazu schreibt Pieper: “Die Tugend der Zucht und des Maßes, sofern sie diesen naturhaften Drang an die Ordnung der Vernunft bindet, heißt Demut. Demut gründet darin, daß der Mensch sich so einschätzt, wie es der Wahrheit entspricht. Damit ist fast schon alles gesagt“. Und weiter:
Demut ist […] eine innere Haltung, geboren aus der Entscheidung des Willens. Sie ist, hinblickend auf Gott und die eigene Kreatürlichkeit, die Haltung der restlosen Anerkennung dessen, was, kraft göttlichen Willens, wirklich ist; sie ist einfältige Hinnahme vor allem dieses Einen: daß der Mensch und die Menschheit nicht Gott ist und nicht „wie Gott“. […] Demut aber im strengen Sinn besagt die Ehrfurcht, kraft deren der Mensch sich Gott unterwirft.
Sich Gott unterwerfen. Damit können selbst viele Christen nichts mehr anfangen. Der „transzendentale Bezugsrahmen“ ist verlorengegangen. Das Reich Gottes erschöpft sich in der Vision eines universalen Politparadieses. Aber wie erstrebenswert ist ein solches irdisches Paradies überhaupt?
Wer nur davon angewidert ist, daß „wir in einer geschlossenen Gesellschaft unserem Wohlstand frönen“ und nicht in einer offenen, der frönt eben immer noch dem Wohlstand. Das Reich Gottes ist von einer anderen Qualität, als die Verheißung einer weltweiten Konsumgemeinschaft suggeriert. Es ist eben „nicht von dieser Welt“. Es ist nicht von einem anderen, besseren Reich im zeitlich-räumlichen Sinne die Rede, sondern von der Vergegenwärtigung des Ewigen.
„Wenn wir in uns selbst ein Bedürfnis entdecken, das durch nichts in dieser Welt gestillt werden kann, dann können wir daraus schließen, daß wir für eine andere Welt erschaffen sind.“ So drückt das in weltlicher Sprache C.S. Lewis aus. Ob die „große Mutter“ unsere spirituellen Bedürfnisse stillen kann, darf bezweifelt werden.
Wenn Angela Merkel bei einem Wahlkampfauftritt in Rosenheim zur Vergewaltigung einer Joggerin proklamiert: „Solche Verbrechen dürfen nicht mehr stattfinden“, dann ist das nicht einmal eine armselige Verheißung. Es ist Ignoranz pur. Empathielosigkeit pur. Suicide pact.
Ich werde deshalb am Wahlabend mit einer Flasche Cremant d‘Alsace etwas dem Wohlstand frönen und zu erbaulicher Lektüre greifen, etwa zu Thomas von Kempens Nachfolge Christi, und werde lesen:
Nichts sei dir groß, nichts erhaben, nichts angenehm und willkommen als Gott allein und was von Gott kommt. Erachte alles für eitel, was ein Geschöpf dir an Trost bietet. Eine Seele, die Gott liebt, verschmäht alles, was weniger ist als Gott. Gott allein, der Ewige, Unermeßliche, der alles erfüllt, ist der Seele Trost und des Herzens wahre Freude.
Maiordomus
Monika Leiser ist für mich die Ida Friederik Görres unserer Tage. Ihre Themenpalette ist übrigens noch breiter als hier durchaus verdienstvoll und kirchenkritisch formuliert. Dass die gläubige Katholikin jedoch aus der staatlich grundierten Kirche ausgetreten ist, spricht Bände.