Network – das System der Systeme

Network, ein Film unter der Regie von Sidney Lumet nach einem Originaldrehbuch von Paddy Chayefsky,... 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

lief im Novem­ber 1976 in den ame­ri­ka­ni­schen Kinos an und gewann im Fol­ge­jahr vier Oscars. Vier­zig Jah­re spä­ter gilt er in den USA als kano­ni­sier­ter natio­na­ler Klas­si­ker, wäh­rend einer sei­ner Haupt­cha­rak­te­re, der »zor­ni­ge« Fern­seh­pro­phet Howard Bea­le, wie der Pate oder Dir­ty Har­ry zu den iko­ni­schen Figu­ren des Kinos der sieb­zi­ger Jah­re zählt. In der zen­tra­len Sze­ne, an die sich wohl jeder erin­nert, der Net­work gese­hen hat, hält der aus Ver­zweif­lung über­ge­schnapp­te Nach­rich­ten­spre­cher Bea­le, der kurz vor sei­ner Ent­las­sung steht, vor lau­fen­der Kame­ra eine spon­ta­ne Brand­re­de zum Sta­tus quo des Lan­des und der »mie­sen« Zei­ten vol­ler Depres­si­on, Arbeits­lo­sig­keit und Kri­mi­na­li­tät, an deren Ende er sei­ne Zuschau­er auf­ruft, zu »Wut­bür­gern« zu mutie­ren und end­lich ihren Frust in die Welt hin­aus­zu­schrei­en: »Ich weiß nicht, was man gegen die Depres­si­on tun kann, gegen die Infla­ti­on, gegen die Rus­sen und die Ver­bre­chen auf den Stra­ßen … Ich weiß nur, daß ihr erst ein­mal wütend wer­den müßt. Ihr müßt sagen: ›Ich bin ein mensch­li­ches Wesen, ver­dammt noch mal, mein Leben hat einen Wert!‹ Also: Ich will jetzt, daß ihr auf­steht! Ich will, daß ihr sofort auf­steht, zum Fens­ter geht, es auf­macht, den Kopf raus­steckt und schreit: IHR KÖNNT MICH ALLE AM ARSCH LECKEN, ICH LASS MIR DAS NICHT MEHR LÄNGER GEFALLEN!« – wor­auf­hin es tat­säch­lich lan­des­weit zu »thy­mo­ti­schen« Aus­brü­chen kommt.

Pars pro toto zeigt Lumet den Hin­ter­hof eines Miet­hau­ses, des­sen Fens­ter und Bal­ko­ne sich mit zuneh­mend durch­ein­an­der­schrei­en­den, lust­voll pro­tes­tie­ren­den Men­schen fül­len, wäh­rend gleich­zei­tig ein Gewit­ter mit Blit­zen und Regen­güs­sen tobt. In der Ori­gi­nal­fas­sung lau­tet der Satz: »I’m as mad as hell and I’m not going to take it any­mo­re!« – »Ich bin stink­sauer, und ich laß mir das nicht län­ger gefal­len!« Die­ser berühm­te Höhe­punkt kommt etwa in der Mit­te eines Films, des­sen Ziel­schei­be zunächst haupt­säch­lich das grel­le, ver­dum­men­de Busi­neß des kom­mer­zi­el­len Fern­se­hens zu sein scheint. Dreh­buch­au­tor Chayef­sky, ein 1923 gebo­re­ner Sohn jüdi­scher Ein­wan­de­rer aus der Ukrai­ne, hat­te 1976 bereits zwei Oscars in der Tasche, war einer der erfolg­reichs­ten Broad­way- und TV-Autoren und galt als unkon­ven­tio­nel­ler Lin­ker, zu einer Zeit, als Lin­ke noch durch­aus »kul­tur­kon­ser­va­tiv« argu­men­tie­ren konn­ten. Sei­nem Bio­gra­phen Dave Itz­koff zufol­ge haß­te Chayef­sky am Fern­se­hen »die grel­le Dumm­heit, das Hin­ter­her­he­cheln nach Moden und sei­ne Vor­lie­be für Effekt­ha­sche­rei; die Reduk­ti­on all des­sen, was an der ame­ri­ka­ni­schen Kul­tur unver­wech­sel­bar und wert­voll war, zur Grund­nah­rung der Spiel­shows, Lie­der und Tän­ze; sei­ne Ten­denz, jeden Zuschau­er zur glei­chen Zeit zur sel­ben Den­ke zu zwin­gen; und sei­nen all­ge­mei­nen Man­gel an künst­le­ri­scher Integrität«.

Mit dem etwa gleich­alt­ri­gen Sid­ney Lumet kam ein wei­te­rer jüdisch­stäm­mi­ger Lin­ker ins Spiel, der als künst­le­risch und poli­tisch inte­ger galt; sein nüch­ter­ner, natu­ra­lis­ti­scher Stil kühl­te Chayef­skys Nei­gung zur über­bor­den­den Gro­tes­ke etwas ab, wodurch Net­work zu einem eigen­tüm­li­chen Balan­ce­akt zwi­schen absur­dis­ti­scher Über­zeich­nung und distan­zier­ter, intel­lek­tu­el­ler Kul­tur­kri­tik geriet. Küh­ne erzäh­le­ri­sche Ellip­sen und Schnit­te zer­le­gen den Film in bei­na­he frag­men­ta­ri­sche Sze­nen, die der Zuschau­er selbst mit­ein­an­der ver­bin­den muß; anti­the­tisch zur Ästhe­tik des Fern­se­hens spie­len sich wesent­li­che Sze­nen bei­na­he bei­läufg ab. Vie­le Details blei­ben einer voll­stän­di­gen Erklä­rung ent­zo­gen. Der abge­half­ter­te, dem Suff ver­fal­le­ne, Selbst­mord­ge­dan­ken hegen­de Bea­le (Peter Finch) agiert zunächst aus purer Ver­bit­te­rung, außer­stan­de, das Thea­ter der »Lügen­pres­se« noch län­ger mit­zu­spie­len, mit der aso­zia­len Dreis­tig­keit eines Man­nes, der nichts mehr zu ver­lie­ren hat. Zunächst ver­kün­det er, öffent­lich Selbst­mord bege­hen zu wol­len, was er in der nächs­ten Sen­dung so kom­men­tiert: »Zuge­ge­ben, ein biß­chen ver­rückt. Aber ich fand plötz­lich alles beschis­sen.« Ori­gi­nal: »I just ran out of bull­shit«, etwa: »Mir ist ein­fach kein Mist mehr ein­ge­fal­len, den ich erzäh­len kann.« Plötz­lich bringt er Din­ge zur Spra­che, die kei­nen Platz in der Opi­um­höh­le des Enter­tain­ments haben: »›Beschis­sen‹, das ist die rich­ti­ge Bezeich­nung für unser Leben. Wir alle wis­sen nicht, war­um wir die­se Qua­len und sinn­lo­sen Ernied­ri­gun­gen durch­ma­chen müssen.«

Bea­les »authen­ti­sche« Offen­heit läßt die Ein­schalt­quo­ten sei­ner Sen­dung wie­der dra­ma­tisch nach oben schnel­len, und vor allem die von Faye Duna­way gespiel­te, kar­rie­re­gei­le Pro­gramm­che­fin wit­tert gigan­ti­schen Pro­fit mit »zor­ni­gen Anti-Kul­tur‑, Anti-Estab­lish­ment-Pro­gram­men«. Dabei soll ihr nicht nur Bea­le, der »Pro­phet« des »Man­nes auf der Stra­ße«, die­nen, son­dern auch eine mili­tan­te schwar­ze Kom­mu­nis­tin nach dem Vor­bild von Ange­la Davis, die ihr einen Deal mit der links­extre­men Ter­ror­grup­pe »Öku­me­ni­sche Befrei­ungs­ar­mee« ver­mit­telt, die sich für die Rea­li­ty-Show »Die Mao-Tse-Tung-Stun­de« mit auf­re­gen­dem Film­ma­te­ri­al von ech­ten Anschlä­gen, Ent­füh­run­gen und Bank­über­fäl­len enga­gie­ren läßt. Damit wird natür­lich jeder Anspruch des poli­ti­schen Radi­ka­lis­mus wie auch des thy­mo­ti­schen Auf­stan­des gegen die sekun­dä­re Welt ad absur­dum geführt und erneut in eine Pose, eine Show, einen Kon­sum­ar­ti­kel und blo­ßes Enter­tain­ment umge­wan­delt und damit neutralisiert.

Die Wen­de kommt, als Bea­le eines Nachts eine nahe­zu dämo­ni­sche Visi­on hat, die er als gött­li­che Stim­me inter­pre­tiert, die sei­ne Mis­si­on nun end­gül­tig bekräf­tigt. Fort­an scheint Bea­le einer wasch­ech­ten, eupho­ri­sie­ren­den Psy­cho­se ver­fal­len zu sein. Erst nach die­ser Visi­on folgt sei­ne legen­dä­re »Mad as hell«-Rede. Wäh­rend die Ver­mark­tung sei­nes »Pro­phe­ten­tums« augen­schein­lich immer sen­sa­tio­na­lis­ti­scher und faden­schei­ni­ger wird, ver­folgt Bea­le unbe­irrt sei­nen Kurs, offen­bar blind für den erneu­ten »bull­shit«, der um ihn her­um auf­ge­baut wird und der sei­ne Bot­schaft auf para­do­xe Wei­se bekräf­tigt: »Die­se Röh­re ist das Evan­ge­li­um, die letz­te Offen­ba­rung. Die­se Röh­re kann krö­nen und stür­zen, Prä­si­den­ten, Päps­te, Pre­mier­mi­nis­ter. Die­se Röh­re ist die gefähr­lichs­te, furcht­erre­gends­te gott­ver­damm­te Macht in die­ser gott­lo­sen Welt. Wehe uns, wenn sie je in die Hän­de der fal­scher Leu­te kommt, Freun­de … Das Fern­se­hen ist nicht die Wahr­heit. Das Fern­se­hen ist ein Zir­kus, ein Jahr­markt, eine rei­sen­de Trup­pe von Akro­ba­ten, Mär­chen­er­zäh­lern, Tän­zern, Sän­gern, Jon­gleu­ren, Abnor­mi­tä­ten, Löwen­bän­di­gern und Fuß­ball­spie­lern.« Sei­ne Rede kul­mi­niert in dem Auf­ruf, die Appa­ra­te end­lich abzu­dre­hen, wor­auf er in pro­phe­ti­scher Ver­zü­ckung kol­la­biert, wäh­rend der Kame­ra­kran für eine Nah­auf­nah­me des am Boden Lie­gen­den her­an­schnellt wie eine Viper, ein jaz­zi­ger Tusch erklingt und sich das Publi­kum applau­die­rend von den Sit­zen erhebt, ange­heizt durch pro­fes­sio­nel­le Animateure.

Der Spaß hat aller­dings ein Ende, als Bea­le in der nächs­ten Rede den Aus­ver­kauf ame­ri­ka­ni­scher Medi­en und Unter­neh­men an aus­län­di­sche Mäch­te anpran­gert – die Sau­dis wür­den nicht nur kurz davor ste­hen, den Sen­der zu über­neh­men, sie hät­ten bereits das hal­be Land und Dut­zen­de ame­ri­ka­ni­sche Gesell­schaf­ten auf­ge­kauft. »Es gibt nur eine Macht, die das ver­hin­dern kann«, wet­tert Bea­le, »und das seid ihr!« Er for­dert sei­ne Zuschau­er auf, das Wei­ße Haus mit Pro­test­te­le­gram­men zuzu­de­cken. Nun hat Bea­le exakt jene rote Linie über­schrit­ten, die bis heu­te nie­mand über­schrei­ten darf, der als Rebell oder Wider­ständ­ler gedul­det oder gar in das Spek­ta­kel ein­ge­bun­den wer­den will: Denn er ruft den demo­kra­tisch-patrio­ti­schen Volks­auf­stand aus, um die Sou­ve­rä­ni­tät der Nati­on vor dem Zugriff durch raum­frem­de, plu­to­kra­ti­sche Kräf­te zu ret­ten. Dies ist der Rubi­kon, vor dem auch heu­te jeder Lin­ke steht, der es mit sei­ner Glo­ba­lis­mus- und Kapi­ta­lis­mus­kri­tik ernst meint: Wenn er die Din­ge kon­se­quent zu Ende denkt, wird er erken­nen müs­sen, daß ganz beson­ders das Big Busi­neß dar­an inter­es­siert ist, die Sou­ve­rä­ni­tät der Natio­nen und ihrer Völ­ker auf­zu­lö­sen. Bea­le hat aller­dings sei­ne Lek­ti­on noch nicht voll­stän­dig begriffen.

Die end­gül­ti­ge Erleuch­tung erlangt er in der wohl geni­als­ten Sze­ne des Films, in der sich ihm erneut auf bei­na­he sur­rea­le Wei­se ein »gött­li­ches« Wesen offen­bart. Die Fern­seh­häupt­lin­ge sind ent­setzt, daß Bea­le den Deal mit den Ara­bern aus­ge­plau­dert hat. Jen­sen, der Chef des Sen­ders, bestellt Bea­le in einen rie­si­gen, fürst­lich mit baro­cker Kunst ein­ge­rich­te­ten Kon­fe­renz­saal, wo er am Ende einer lan­gen Tafel Platz nimmt. Jen­sen zieht die Vor­hän­ge zu und ver­dun­kelt die­ses »Wal­hal­la«, wie er es nennt. Nur noch die Kron­leuch­ter und die Lam­pen auf dem Tisch bren­nen gedämpft. Jen­sen hebt plötz­lich, mit uner­war­tet don­nern­der Thea­tra­lik, zu einer Rede an, in der die wah­ren kos­mi­schen Kräf­te ent­hüllt wer­den, die Netz­wer­ke aller Netz­wer­ke, und die Mäch­te, die sie steu­ern. Und sie haben nichts mit der Macht des Vol­kes und dem Zorn der Wut­bür­ger zu tun: »Sie haben sich in das Spiel der Urge­wal­ten der Natur ein­ge­mischt, Mr. Beal! Sie sind ein alter Mann, der noch in Begrif­fen wie Natio­nen und Völ­ker denkt. Es gibt kei­ne Natio­nen, es gibt kei­ne Völ­ker, es gibt kei­ne Rus­sen, es gibt kei­ne Ara­ber, es gibt kei­ne Drit­te Welt, es gibt kei­nen Wes­ten, es gibt nur ein ein­zi­ges, gro­ßes, holis­ti­sches Sys­tem der Sys­te­me. Ein rie­si­ges, unge­heu­er mäch­ti­ges, ver­floch­te­nes, sich gegen­sei­tig beein­flus­sen­des, mul­ti­va­ria­bles, mul­ti­na­tio­na­les Domi­ni­on von Dol­lars. Petro-Dol­lars, Elek­tro-Dol­lars, Mul­ti-Dol­lars, Deut­sche Mark, Gul­den, Rubel, Pfund, also jede Art von Geld. Es ist das inter­na­tio­na­le Wäh­rungs­sys­tem, das die Glo­ba­li­tät des Lebens auf die­sem Pla­ne­ten bestimmt. Das ist die natür­li­che Ord­nung der Din­ge. Das ist die ato­ma­re und die sub­ato­ma­re und die galak­ti­sche Struk­tur der Din­ge heut­zu­ta­ge. Sie erschei­nen da auf ihrem lächer­li­chen klei­nen Bild­schirm und weh­kla­gen über Ame­ri­ka und Demo­kra­tie. Es gibt kein Ame­ri­ka, es gibt kei­ne Demo­kra­tie. Es gibt nur IBM und ITT und AT&T und DuPont, Dow, Uni­on Car­bi­de und Exxon. Das sind die Natio­nen der Welt heutzutage.«

Die­se Welt unter der Herr­schaft der Mana­ger, der welt­um­span­nen­den Kon­zer­ne und der Tota­l­öko­no­mi­sie­rung aller Lebens­be­rei­che wird aller­dings eines Tages das fried­vol­le Ende der Geschich­te ein­läu­ten, die Poli­tik durch Wirt­schaft erset­zen und die Uto­pie des Kapi­tal­li­be­ra­lis­mus ver­wirk­li­chen: »Unse­re Kin­der wer­den sie erle­ben, die per­fek­te Welt, in der es weder Krieg noch Hun­gers­not gibt, weder Unter­drü­ckung noch Bru­ta­li­tät. Eine rie­si­ge öku­me­ni­sche Hol­ding­ge­sell­schaft, für die alle Men­schen arbei­ten wer­den, um einen gemein­sa­men Proft zu erwirt­schaf­ten, und alle Men­schen wer­den an die­ser Gesell­schaft einen gewis­sen Anteil haben. Alle Bedürf­nis­se wer­den befrie­digt. Angst und Schre­cken wer­den ver­schwun­den sein, und auch Lan­ge­wei­le wird es nicht mehr geben.« Jen­sen erklärt Bea­le, er habe ihn »aus­er­ko­ren, die­ses Evan­ge­li­um zu ver­kün­den«. War­um? »Weil Sie beim Fern­se­hen sind, Sie Dumm­kopf. 60 Mil­lio­nen Men­schen sehen Sie jeden Abend.«

»Ich habe das Ant­litz Got­tes gese­hen«, ant­wor­tet Bea­le ehr­fürch­tig. Als er erneut auf dem Bild­schirm erscheint, um die­se »Kon­zern­kos­mo­lo­gie« zu ver­kün­den, gibt er ihr jedoch eine über­ra­schen­de Wen­dung. Zunächst preist er zwar den Erfolg des mil­lio­nen­fa­chen Pro­tests der Fern­seh­zu­schau­er und ihres Kamp­fes »für ihr Erbe«, denn angeb­lich wur­de der Deal mit den Ara­bern in letz­ter Sekun­de abge­wehrt: »Das Volk hat gespro­chen, das Volk hat gewon­nen. Es war eine gran­dio­se Demons­tra­ti­on der Demo­kra­tie.« Aber mehr dür­fe man sich nicht mehr erwar­ten. »Es ist nicht anzu­neh­men, daß sowas noch­mal pas­siert. Denn tief in unse­rem Inne­ren wis­sen wir, daß die Demo­kra­tie ein ster­ben­der Rie­se ist, ein altersschwa­ches, tod­kran­kes poli­ti­sches Kon­zept, das sich in den letz­ten Qua­len win­det.« Damit sei nicht die USA als Welt­macht gemeint, weit ent­fernt. Nein, »es ist das Indi­vi­du­um, das am Ende ist. Es ist das ein­zig­ar­ti­ge, ein­zel­ne mensch­li­che Wesen, das am Ende ist. Jeder von euch, jeder ein­zel­ne von euch ist am Ende«.

War sei­ne Bot­schaft zuvor noch »Alle Macht dem Vol­ke«, und den angeb­lich sou­ve­rä­nen Indi­vi­du­en, aus denen es sich zusam­men­setzt, so malt Bea­le nun ein düs­te­res Bild der »Schö­nen neu­en Welt«, in der das Indi­vi­diuum zur aus­tausch­ba­ren, ohn­mäch­ti­gen Zif­fer wird: »Die Völ­ker der gan­zen Welt wer­den mas­sen­pro­du­zier­te, mas­sen­pro­gram­mier­te, nume­rier­te, gefühl­lo­se Gegen­stän­de.« Dies scheint die Kehr­sei­te oder Kri­tik von Jen­sens Uto­pie zu sein; jeden­falls pre­digt Bea­le nun auf­rich­tig, was er gelernt hat: daß demo­kra­ti­sche Mit­tel gegen die herr­schen­den Mäch­te nutz­los sind, daß jeder Auf­stand ein Sur­ro­gat und jeder popu­lis­ti­sche Appell eine Illu­si­on ist. Eine depri­mie­ren­de Bot­schaft, die nie­mand mehr hören will, beson­ders nicht das bis­he­ri­ge Stamm­pu­bli­kum der 18- bis 35jährigen. Bea­les Ein­schalt­quo­ten sin­ken wie­der ins Boden­lo­se, aber Jen­sen besteht aus einem unerfnd­li­chen Grund dar­auf, die Sen­dung im Pro­gramm zu behal­ten. Die Pro­gramm­chefs beschlie­ßen dar­auf­hin, die Stars der »Mao-Tse-Tung-Stun­de« auf den läs­tig gewor­de­nen Pro­phe­ten anzu­set­zen. Bea­le wird vor lau­fen­der Kame­ra von den Ter­ro­ris­ten erschos­sen, und natür­lich fährt auch die­ses Mal der Kame­ra­wa­gen rou­ti­niert auf das blut­ver­schmier­te Gesicht des Toten zu. »Das war die Geschich­te von Howard Bea­le, der ers­te bekannt­ge­wor­de­ne Fall eines Man­nes, der erschos­sen wur­de, weil sei­ne Ein­schalt­quo­te zu nied­rig war.« Wie auch heu­te, hat sich bereits in Lumets Film die extre­me Lin­ke zum Erfül­lungs­ge­hil­fen und Voll­stre­cker des Glo­bal­ka­pi­ta­lis­mus gemacht. Die von Jen­sen for­mu­lier­te Uto­pie bleibt wei­ter­hin das Leit­bild der glo­ba­len Eli­ten, die auch den gro­ßen Bevöl­ke­rungs­aus­tausch in Euro­pa vor­an­trei­ben, der ideo­lo­gisch eben­falls auf einer öko­no­mi­schen Reduk­ti­on des Men­schen basiert.

1996 schrieb Pana­jo­tis Kon­dy­lis: »Der Kern der heu­ti­gen Welt­la­ge ist die Aus­brei­tung der pro­du­zie­ren­den und kon­su­mie­ren­den Mas­sen­de­mo­kra­tie, das stän­di­ge Wach­sen der Erwar­tun­gen in der Welt und daher auch eine Ver­schär­fung der Kon­kur­renz, die unter dem Druck öko­lo­gi­scher und demo­gra­phi­scher Fak­to­ren bedenk­lich wer­den kann.« Wobei die­se »Mas­sen­de­mo­kra­tie«, so könn­te man anmer­ken, eigent­lich eine Post­de­mo­kra­tie oder Simu­la­ti­ons­de­mo­kra­tie ist, die mit der Beales­schen »popu­lis­ti­schen« Auf­fas­sung von Demo­kra­tie, wie sie heu­te etwa von »Occu­py« und PEGIDA ver­tre­ten wird, nichts mehr gemein hat. Der Mythos, daß der demo­kra­ti­sche Furor der mün­di­gen Bür­ger den glo­ba­lis­ti­schen Levia­than bezwin­gen kön­ne, ist wei­ter­hin einer der letz­ten Stroh­hal­me, an den sich poli­ti­sche Oppo­nen­ten und Dis­si­den­ten von links und rechts klam­mern; der Kom­men­tar von Net­work fällt hier­zu eher pes­si­mis­tisch aus.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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