Ich habe dem SZ-Journalisten Johan Schloemann auf Anfrage ein paar etwas ausführlichere Zeilen über meine “Motivation” zu Blog, Buch und diskursivem Exhibitionismus geschickt. Das untenstehende hat er von mir erhalten:
Was mich motiviert hat zu den “Dialogen mit H.”? Der “Widerstreit zweier Diskursarten” (Jean-Francois Lyotard), der sich als Abbild der gegenwärtigen Polarisierung der Gesellschaft zwischen uns abspielt. Da stehen sich zwei unvereinbare Wahrnehmungen der Wirklichkeit gegenüber, wir spielen täglich “Ich-sehe-was-das-du-nicht-siehst”. Wo ich Krise sehe, sieht er Bereicherung, wo ich phänotypische Unterschiede sehe, sieht er Gleichheit, wo ich geschichtliche Umbrüche sehe, sieht er Individuen, wo ich Agon sehe, sieht er Konsens.
Jeder sieht den anderen als “Mainstream”, jeder sieht den anderen in einer “Echokammer”, jeder sieht die Ideologie des anderen als Gefahr. Die Frage ist dann: Gibt es einen Beobachter zweiter Ordnung, der entscheiden kann, wessen Wahrnehmung trügt? Gibt es Diskursregeln, die bestimmen könnten, wer recht hat?
Linke, und eben auch mein Mann, täuschen sich in diesen Fragen über eines: daß sie als Diskurshegemonen die Wahrnehmungswerkzeuge seit Jahrzehnten geformt, deformiert und untauglich gemacht haben. Mit linker Utopie in Leib und Seele kann man die Migrationskrise, die Islamisierung, die Wehrlosigkeit des westlichen Männertypus usw. nicht erkennen. Und das – hier kommt der Richter ins Spiel – führt zu einer Form der “Apperzeptionsverweigerung” (Heimito von Doderer), die man als Rechte kaum umhin kann, als selbstgewählte und eisern durchgehaltene Dummheit zu bezeichnen, die kein kognitives (klar!), sondern ein moralisches Gebrechen ist.
Ich fragte mich also, seit ich 2015 mit meinem Mann Helmut Lethen zu diskutieren begann, ob es ernsthaft Dummheit ist? Naivität? Reeducationfolgen dieser Generation? Deutsche Schuld-Ideologie? Er hat all das gelesen, worauf wir Rechten uns beziehen, hat es aber nie ernsthaft als Handlungsimpuls verstanden, sondern als ästhetische Avantgarde, und wenn Handlungsfolgen, dann tödliche, gesehen von der Zentralperspektive des Dritten Reichs her. Daher rühren die Tabus, die “Rahmenbedingungen”, die selber wieder eine Herrschaftsgeste sind. Auf dieser Ebene finden die verbalen Schlagabtausche im Hause Lethen statt.
Doch das ganze spielt nur, weil wir eine bald zwanzigjährige Ehe mit all ihren verschiedenen Ebenen des Halts, der Rückversicherung, des Vertrauens, der Erfahrungen im Hintergrund haben. Mit irgendeinem Linksintellektuellen wäre ein so zähes Ringen um Begriffe, um Moral, um Identität und Abstreiten von Identität, auch um verletzte Gefühle natürlich, schlicht unmöglich.
Deswegen, weil wir nicht bloß diskursiv Exemplarcharakter haben (d.h. so richtig schön typisch sind für die Links-rechts-Spaltung, speziell im Generationenkonflikt noch obendrein), sondern weil dieser Bindungshintergrund da ist, können wir die schmerzhafte Zerreißprobe aushalten. Und weil das einmalig ist in der Kombination, ist es auch Lehrstück für Außenstehende, Zeitgeistausschnitt, es muß erzählt werden.
Nun zum Buch: Martin Lichtmesz und ich haben über ein Jahr immer wieder Erfahrungen in Gesprächen und Konfrontationen unter Anwesenden und medialen Konfrontationen unter Abwesenden gesammelt und auch die Leser der “Sezession” dazu aufgerufen, über ihre Erfahrungen in einer polarisierten, vom “Gegen-Rechts-Furor” ergriffenen Gesellschaft zu berichten. Mein familiärer Erfahrungsschatz spielt in “Mit Linken leben” sichtbar gar keine große Rolle.
Es ist ja für ein Ratgeberbuch, das es neben der Analyse linker Rede‑, Lebens- und Denkmuster auch sein soll, völlig unsinnig, diese unsere Partnerschaft irgendwie als modellhaft zu empfehlen. Wir sind eine extreme Ausnahme! Viel eher geht es darum, Rechtssein als Selbstdefinition dem Zugriff der linken Käferbestimmer zu entziehen, aus der Defensive zu treten, einen rechten Tugendkatalog anzubieten für das unausweichliche Leben unter Linken. Von den Tugenden, die im lethenschen Eheleben vonnöten sind, drei als Auswahl, ich zitiere aus unserem Buch:
- Kultiviere Deinen Hochmut.
Man bedarf seiner für den Mut und auch für die Dreistigkeit, zu sagen: Etiam si omnes, ego non. Der »hôhe mout« der Ritter bedeutete vor allem eine großzügige Gesinnung. Anderssein sollte keine Frage eines bloßen Abweichens von einer Normalität sein, sondern von Integrität und Überzeugungstreue. »Handeln Sie so, als ob Ihre eigene Integrität den Zerfall der Welt, das Chaos aufhalten könnte«, schrieb Joachim Fernau an einen jungen Leser. Hochmut ist nicht Arroganz, sondern Bewußtsein einer Selbstzucht.- Kultiviere Deine Bescheidenheit.
Verachte weder den Mainstream als Ganzes noch pauschal die Menschen, die ihm folgen. Erkenne und anerkenne das Trennende ebenso wie das Verbindende. Hüte Dich vor Anwandlungen von Dünkel. Die bloße Außenseiterpose hat besonders für künstlerisch gesinnte Menschen, seltene Vögel und einsame Stechpalmen, die vielleicht zuviel Botho Strauß oder Heidegger gelesen haben, etwas Verführerisches. Aber sie allein genügt nicht. Irgendwo gibt es immer Berührungsflächen, Anknüpfungsfähiges, Beeinflußbares, Brauchbares, sogar Bewundernswertes. Laß den Kontakt nicht abbrechen, nimm daran teil, und wenn nötig, ziehe Dich wieder in deinen Wald zurück.- Strebe eine kongruente Lebensführung an.
Das Politische und das Private sind für Linke gefährlich verwoben, weil sie sie nicht unterscheiden können. Für Rechte sind das Politische und das Private verschiedene Sphären derselben durchgehaltenen Lebensführung. Statt andere zu missionieren, ändere und verbessere Dich selbst, halte Wort, wurzele Dich ein, binde Dich, schaffe Dir ein Habitat, in dem Du so gut wie möglich so leben kannst, wie es Deinen Überzeugungen entspricht.Und zu guter Letzt ein Brecht-Zitat aus dem Tugendkatalog am Ende von “Mit Linken leben”, für den Brechtforscher und seine Gattin gleichermaßen: “Nicht einmal den Kampf vermeidet / Wer den Kampf vermeiden will; denn / Es wird kämpfen für die Sache des Feinds / Wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.”
Was für eine Geschichte hat Schloemann nun daraus gemacht? In dem Artikel erscheine ich als mehr oder weniger spinnerte Nudel, die aus unerfindlichen Gründen zu den Identitären “übergelaufen” ist, dabei habe ich doch so vernünftig angefangen und war überall “gern gesehen”. Jetzt renne ich mit Fackeln durch die Gegend, das sieht man eher ungern, und “glaube” an den Großen Austausch, daß Georges Soros politischen Einfluß hat und an sonstige Verschwörungstheorien.
Der Gatte hingegen, der ist saturiertes, seriöses Establishment, “angekommen in der BRD”, Mainstream, und das ist auch gut so. Schloemann erzählt eine intellektuelle Abschwirrgeschichte, ein Biedermeier, dessen Idylle von wirrer rechter Querulanz gestört wird. Ziellos nach rechts getrudelte Existenzen wie ich haben in diesem Rahmen überhaupt keinen realen Anlaß für ihre so überaus seltsamen Gedanken, ihnen geht es doch gut in der “Akademikerfamilie”.
Nicht, daß da 2015 irgend etwas passiert wäre oder jetzt noch in der Welt da draußen passiert. Unsereins will bloß “Diskurshoheit” erlangen, und sei es im Ehegemach.
Aufschlußreich ist dabei, was Schloemann unter den Tisch fallen läßt oder durch bestimmte Formulierungen verzerrt und vernebelt. Wenn er von dem “Problem” spricht, daß “mit neuen Rechten, besonders durch Konversionen dorthin, Freundschaften, Familien und Liebe zerbrechen können”, dann suggeriert er, als wären es einseitig die “neuen Rechten” (wir sprechen hingegen von einem viel weiteren Personenkreis), die diesen Bruch in die Familien und Freundschaften tragen, analog zu dem betriebsblinden Vorwurf, daß “Rechtspopulisten” boshafterweise “die Gesellschaft spalten” würden, die ohne sie keine Probleme hätte.
In Wahrheit verhält sich die Sache meistens genau umgekehrt: Wer Schritte rechts vom Mainstream wagt, dem drohen sozialer Druck, Exklusion, Stigmatisierung, Diffamierung usw. bis hin zur Existenzgefährdung. Indem Schloemann aus dem Problem eine reine Privatsache macht, unterschlägt er einen unserer zentralen Punkte: daß die Lufthoheit der linken, linksliberalen, globalistischen Ideen eine Machtfrage ist und der soziale Druck eines ihrer wichtigsten Machtmittel.
Eng damit zusammen hängt Schloemanns Titulierung der Amadeu-Antonio-Stiftung als “antirechts”, womit er sich um die schlichte Tatsache herumschummelt, daß es sich hierbei um eine ideologisch, strukturell und personell durch und durch linksextreme Kiste handelt, die aber bezeichnenderweise von der braven Mainstreammitte (und vom Staat selbst) wie selbstverständlich gegen die Kritik und Dissidenz von rechts in Anschlag gebracht wird.
Damit belegt er die linke Definitionsmacht in actu. Den Kernpunkt, den Lichtmesz und ich in unserem Buch angreifen, daß nämlich die Definition dessen, was “rechts” ist und deshalb exkludiert, bekämpft und stillgestellt gehört, von links ausgeht und alpdruckhafter Konsens ist, muß der süddeutschen Beobachtung entgehen.
Lachen mußte ich über diese Formulierung:
In dem Werk von Lichtmesz / Sommerfeld, das Argumentationshilfen gegen liberale Mehrheiten bietet und etwa Opferbereitschaft für das Volk als Schicksalsgemeinschaft dagegensetzt…
Auch hier stecken zwei subtil sarkastische Framings drinnen, die unsere Position verzerren: Wir betrachten unseren Standpunkt keineswegs als per se “antiliberal” – man erkläre dies etwa unseren Freunden von der FPÖ, die sich schließlich selbst “Freiheitliche” nennen (oder unseren libertären Weggefährten von eigentümlich frei ), sondern wir kritisieren bestimmte Formen des Liberalismus, die wir als fatale Immunschwächeviren betrachten, die den Westen von innen zerstören.
Den Begriff “Opferbereitschaft” schließlich hat er uns untergejubelt, um mal eben eine Wagner- oder NS-lastige Fanfare erklingen zu lassen. Der Tonfall unseres Buches ist jedoch eher ironisch und weit von einem solchen Pathos entfernt (ein Volk ist für uns allerdings tatsächlich eine “Schicksalsgemeinschaft”).
Warum also mach ich’s meinem Mann so schwer, der doch sein Leben eigentlich schon wohlverdient im Marbacher Literaturarchiv abliefern wollte? Frei nach Reinhard Mey, mit vertauschten Links-Rechts-Rollen:
Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich intellektuell,
Du bist so wunderbar negativ
Und so erfrischend destruktiv.
Annabelle, ach Annabelle,
Du bist so herrlich unkonventionell,
Ich bitte dich, komm sei so gut,
Mach meine heile Welt kaputt!
Weil es um etwas Reales geht, verdammt nochmal! Das einem Linken zu erklären, ohne daß er zu pathologisieren beginnt oder die Haßkappe überstülpt, ist ein zentraler Zweck unseres Buches.
Schließlich noch eine Sache: Unser Buch ist keineswegs, wie Schloemann schreibt, als “Gegenmittel” zu dem Buch von Steinbeis/Leo/Zorn Mit Rechten reden gedacht, das ebenfalls auf der Buchmesse vorgestellt wird; es war schon in Arbeit, lange bevor wir davon erfuhren.
Außer der lustigen Alliterationstitelei “Mit Linken leben” gibt es wenig Gemeinsamkeiten; unser Buch ist eben keine Talkrunde, die sich geschwätzig und selbstbezogen an Phantomen abarbeitet, sondern das wirkliche Leben, entweder “Ausnahme oder schon Exempel”.
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Martin Lichtmesz u. Caroline Sommerfeld: Mit Linken leben, Schnellroda 2017. 336 Seiten, 18 Euro – hier einsehen und bestellen!
Der Gehenkte
Um ehrlich zu sein: ich war vom SZ-Artikel gestern schon wenig verunsichert, weil man ja wußte, daß dahinter noch eine Geschichte steht. Gut, daß sie hier erzählt wird. Man muß heutzutage leider alles speichern und kopieren - denn der nächste Wort-Verdreher kommt bestimmt. Danke! Als Lebensform ist diese Ehe natürlich atypisch. Sie kann überhaupt nur von zwei ungewöhnlichen Menschen gelebt werden. Als gesellschaftlicher Konflikt hingegen ist sie prototypisch und das rechtfertigt auch das mutige Öffnen der Wohnungstür.