Wie manch’ anderen bat Kollegin Kositza auch mich vor einigen Tagen um ein paar Buchempfehlungen zum Weihnachtsfest. In Anbetracht meiner umfänglichen Unfähigkeit mich für eine entsprechend sparsame Auswahl an Titeln zu entscheiden ließ ich die Bitte einstweilen rechts liegen. Nun hat mich das schlechte Gewissen doch gepackt und deshalb reiche ich nach, allerdings auf Sonntagsheldenart.
Will sagen: Von mir gibt es nicht nur Buchempfehlungen, sondern gleich den ganzen Autoren, mit Haut und Haaren, mit stürmischen Jugendaufzeichungen und hieroglyphischem Spätwerk.
Den Einstieg macht gleich mal ein unverzichtbares literarisches Schwergewicht.
Das Vulgäre an den Werken von Hermann Hesse ist, dass sie zu großen Teilen autobiographisch sind. Zumindest lernt man das in der Schule und so ist man als Leser rascht versucht, bei der Lektüre allerlei qua Küchenpsychologie erkannte Neurosen und Traumata aus dem Text herauszufreudianisieren. Eine allzu analytische Herangehensweise ist dem Lesegenuss indess meist abträglich und deshalb möchte ich einen anderen Ansatz vorschlagen.
Neben Eichendorff und Heine war Hesse in jungen Jahren für mich fast ein Heiliger, jedenfalls ein willkommener Pfad abseits des Weges allseits angepriesener “Jugendliteratur” und Fantasyromane, den ich beschritt, so oft mir eines der begehrten Büchlein in die Hände fiel. Manches verschlang ich gierig und ungefiltert (so zum Beispiel die Klassiker “Unterm Rad” und “Der Steppenwolf”), anderes führte ich mir mit der überheblichen Ernsthaftigkeit eines 16-Jährigen zu Gemüte (besonders “Demian”) und einige Titel las ich kurz an, nur um sie dann verstauben zu lassen (“Siddhartha”).
Nun ist das hessesche Opus im Großen und Ganzen eine Lektüre, die es mit dem Heranwachsenden sehr wohl meint. Will sagen: Die Identifikationsflächen sind groß, rasch findet man sich wahlweise in der Figur des gelehrigen bis in den Tod getriezten Sensibelchens wieder, oder aber im jungen Heißsporn, der in einer von Hesses unzähligen Kurzgeschichten allzumenschliche Abenteuer im Heuschober verlebt.
Das alles ist fast ein Jahrzehnt her, Heine finde ich inzwischen ganz fürchterlich (das legt sich bestimmt wieder, wenn ich alt genug bin, um seine ästhetisch-Ess-Tee-Tisch-Schenkelklopfer wieder lustig zu finden) und mit Eichendorff beschäftige ich mich nur noch in Mendelssohns Vertonungen.
Hesse aber ist irgendwie geblieben und dabei hat sich der Kanon der Bücher, die ich von ihm lese nur unwesentlich verändert: In unregelmäßigen Abständen der Steppenwolf, gelegentlich Demian, oder Peter Camenzind. Mit Abstand am häufigsten nehme ich jedoch zu mir das unscheinbare Bändchen Wanderung, welches ich damals im Anhang zu meiner Ausgabe des Demian fand. Es steht gleichberechtigt neben anderen Veröffentlichungen mit ebensolchen Allerweltsnamen wie Heumond, oder einem kleinen Büchlein mit dem Titel Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.
Weshalb dieses Buch – das wusste ich anfangs gar nicht so genau. Es handelt sich bei der Wanderung um eine relativ willkürliche Sammlung an Gedichten und kurzen bis sehr kurzen Aufsätzen mit Betrachtungscharakter. Kein Schmöker also in den man sich besonders tief versenken kann, kein Roman, der einen den ganzen Tag gefangen nimmt, keine verstrickte Erzählung, über die man noch wochenlang nachdenkt. Und doch: Inhaltlich bis ins Wesentlichste trivial war dieses Buch für mich tatsächlich nichts anderes als eine wirksame Medizin.
Genau das ist also auch der Rat mit dem ich es an dieser Stelle bewenden lassen möchte: Hermann Hesses einfache Betrachtungen eignen sich nicht zum Nachdenken. Sie taugen nicht für ein Universitätsseminar, wohl aber dazu, einen bis zum nächsten Morgen durchzubringen. Ich habe deshalb immer ein Buch von Hesse in meiner Reiseapotheke und ich empfehle jedem Leser es mir nachzutun und sei es nur, um zur Abendstunde noch einen verträglichen Schluck deutsche Lyrik als Absacker zu sich zu nehmen, nachdem man sich einen Tag lang von den Öffentlich-Rechtlichen hat vollkotzen lassen.
Übrigens: Ein Werk habe ich bewusst ausgelassen: Narziß und Goldmund ist so ein Buch, dem ich damals richtig verfallen bin. Ich lese es so häufig wie möglich, warte also regelrecht gierig die Zeit ab, die es braucht, um die unwesentlichen Inhalt einer Lektüre verblassen zu lassen, bevor ich mich wieder in das Buch stürze, immer mit der Sorge es mir dieses Mal endgültig zu verderben, oder überzulesen. Auch hier selbstverständlich: Absolute Lektüreempfehlung.
Franz Bettinger
Autobiographisches ist vulgär? Hermann Hesse (der Mann, nicht der Autor) war für mich stets eine komische Type, auch von der Erscheinung her, irgendwie verklemmt. Probleme mit den Weibern? Mit was sonst! Vielleicht liege ich ja falsch. Anscheinend hat er das Unerfüllte in ihm in den Werken kompensiert und da seine Träume ausgelebt. Hesse ist natürlich ein ganz großer, kein Zweifel. Das Beste an seinem Werk ist der unaufdringliche Stil, die Kunst, etwas zu erzählen. Es stimmt schon, was Herr Wessels schreibt: Hesse gehört in den Rucksack. Er ist Opium für die Seele.