Die Geächteten und Der Fragebogen – gleich zwei Epochenwerke, eines für die Zeit vor, eines für die Zeit nach 1945, hat uns Ernst von Salomon hinterlassen. Über diese zwei Bücher ist in unserem Milieu bereits ein ganzer Batzen an Aufsätzen und Artikeln geschrieben worden; auch der Autor hinter den Zeilen wurde eingängig vorgestellt, betrachtet und – genial – vertont:
[https://www.youtube.com/watch?v=e1xQEA7edVg&list=PLEDC027FAF105F0E9]
Ich möchte meine Leser daher gar nicht mit wiedergekäuten biographischen Daten langweilen, sondern einen Blick werfen auf ein Buch, das im Fahrwasser der zwei großen Werke wenig Beachtung findet und das – gerade im Hinblick auf meine letztwöchige Empfehlung – durchaus zu Unrecht.
Anfang 1933 veröffentlichte Ernst von Salomon Die Kadetten. Es handelt, nicht mehr und nicht weniger autobiographisch als die hesseschen Werke ähnlichen Schlages, von seiner Zeit in den Kadettenanstalten in Karlsruhe und Berlin-Lichterfelde 1913 bis 1918.
Für den geneigten Leser ist das Buch natürlich zuerst ein Epochenbild aus den letzten Tagen des wilhelminischen Zeitalters, ein fragmentarischer Zugang in eine Welt, die schon damals weitestgehend parallel zur Gesellschaft existierte. Das wird umso deutlicher durch den Krieg, der in von Salomons Bericht nicht die zentrale Rolle einnimmt, die man ihm in einem Weltkriegsroman zugetraut hätte. Er ist viel mehr eine Mischung aus fernem Donnergrollen und einem Sehnsuchtsort jugendlichen Tatendranges von dem gelegentlich ein ehemaliger Mitschüler auf die eine oder andere Art und Weise verändert zurückkehrt.
Den Kern der Erzählung bildet jedoch das alltägliche Leben in der Anstalt, von dem von Salomon ein Bild zeichnet, das seinen Zeitgenossen Hesse wahrscheinlich vernichtet hätte: Zucht, gnadenloser Drill, eine unerbittliche Spannung, die geeignet scheint Kinderseelen zu zerreißen und dazu die alltäglichen Grausamkeiten, die Jungen einander in ihrer Schulzeit eben so antun.
Wir werden vom Schicksal hart oder weich geklopft. Es kommt auf das Material an. (Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach)
las ich einmal auf dem Rücken einer Sezessionausgabe (ich glaube sogar es war meine erste). Und genau das trifft in diesem Fall zu: Was für Hermann Hesse ein Todesurteil gewesen wäre, hämmerte den ungestümen Ernst von Salomon erst so richtig in Form. Sein überschäumender Tatendrang, der auch in den Kadetten immer wieder hervorbricht, wurde durch die Ausbildung in der Anstalt, die – wie es die dramatischen Folgen eines plötzlichen Luftangriffes erahnen lassen – vornehmlich eine Ausbildung der Haltung und der Form, als eine der Fertigkeiten ware, erst auf eine Art und Weise kanalisiert, die die Taten der nachfolgenden Jahre überhaupt möglich machte.
Die Kadetten, das sind ungefähr 400 Seiten Jungenabenteuer, Sehnsucht, Knöpfeputzen, Exerzieren, und eine Kaserne voll Jungens, die es kaum erwarten kann, den ihnen vorausgefallenen Kameraden nachzufolgen. Es ist die Geschichte einer Erziehung zum Tode, die Geschichte eines Drucks der geeignet ist, Menschen zu zedrücken, oder zu Diamanten zu formen und alles in allem so unverschämt antimodern, dass die Lektüre eine wahre Freude ist.
Wer also zwischen den Jahren Die Geächteten zur Hand nehmen möchte, dem sei wärmstens angeraten, diese Lektüre ein wenig aufzuschieben und sie stattdessen an die der Kadetten anzuschließen. Inhaltlich gehen die Bücher quasi nahtlos ineinander über, stilistisch unterscheiden sie sich zwar, reiben sich aber nicht.
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Die Kadetten gibt es bei Rowohlt seit neuestem wieder, hier bestellen.
Thomas Martini
"Die Kadetten, das sind ungefähr 400 Seiten Jungenabenteuer, Sehnsucht, Knöpfeputzen, Exerzieren, und eine Kaserne voll Jungens, die es kaum erwarten kann, den ihnen vorausgefallenen Kameraden nachzufolgen."
Trotz der schön geschrieben Empfehlung werde ich zu solchen Schriften keinen Zugang finden. Dafür ist meine Sehnsucht nach einer deutschen Kulturnation zu stark, und meine Abscheu vor Militarismus zu groß. Dennoch weiß ich diesen Beitrag sehr zu schätzen, und bedanke mich vielmals für die Anregung.
Mein Sonntagsheld in diesem Kontext wäre Otto Reutter. "Der träumende Michel", "Seh'n Sie, darum ist es schade, daß der Krieg zu Ende ist", oder auch "Ich möcht' erwachen beim Sonnenschein", wären so Stücke, die man sich durchaus mal geben sollte.