SEZESSION: Frau Leiser, Sie waren am Sonntag in Kandel, haben neben 1000 anderen teilgenommen an der Demonstration des Frauenbündnisses. Wie ist Ihr Eindruck?
LEISER: Zunächst, es waren mehr als 1000 andere, ich schätze so etwa 1500 Teilnehmer. Mein erster Eindruck: Das sind ja ganz normale Menschen, so wie du und ich, die sich hier versammeln.
SEZESSION: Es gab eine Gegendemonstration »gegen Rassismus«, an der sich der SPD-Oberbürgermeister von Kandel beteiligte, und die AfD hatte ihre Anhänger aufgefordert, der Demonstration insgesamt fernzubleiben, da man nicht wisse, ob nicht auch Leute aus NPD-Strukturen beteiligt seien. Also: politische, weltanschauliche Befindlichkeiten von beiden Seiten …
LEISER: Ja, ich ging selbst mit Zweifeln auf diese Demo, da in einigen Medien davor gewarnt wurde, dieses »Frauenbündnis« gelte eher als rechts. Ich traf aber nur nette, besorgte Bürger, viele Frauen, die für die Sicherheit ihrer Kinder auf die Straße gehen wollte. Ein junger Mann erzählte mir ganz spontan von seinen Ängsten. Er habe eine 16 Monate alte Tochter, um deren Zukunft er sich Sorgen mache.
Mein erster Eindruck: Die Menschen wollen zuallererst über ihre Ängste und Gefühle von Angst, Ohnmacht, Wut und Trauer sprechen. Erst dann über Politik. Daß Herr Junge von der AfD von einer Teilnahme abgeraten hatte, erfuhr ich erst im Nachhinein. Es war aber Dr. Christina Baum, eine AfD Abgeordnete aus BaWü anwesend. Sie hielt eine leidenschaftliche Rede.
SEZESSION: 1500 Leute – das ist für einen Ort wie Kandel eine beeindruckende Anzahl. Wie war die Stimmung? Verzweifelt? Kämpferisch? Und wie wurde die Gegendemo aufgenommen?
LEISER: Die Stimmung war kämpferisch, die Frauen traten sehr selbstbewußt und freiheitsliebend auf. Ein Text der Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, der vorgelesen wurde, gibt die Stimmung gut wieder (Die Rede ist in Auszügen bei PI zu finden). Die Veranstalter hatten zu Beginn der Demo kleine Zettel mit fünf Parolen zum Mitskandieren verteilt. Eine Parole war an die bunte Gegendemonstration gerichtet und lautete: »Bunte Schirme, kein Verstand – Wer schützt endlich unser Land?!«
Damit wurde noch einmal auf die unsägliche Aktion der 30 linken Provokateure, die den Schweigemarsch von 600 Bürgern am 2. Januar 18 mit bunten Schirmen gestört hatten, hingewiesen. Aus diesem bunten Kreis soll auch der Verteidiger des Mörders von Mia stammen, worauf ein Redner bei der Abschlußkundgebung hinwies. Entsprechend wurde das Getröte und Geschrei der Bunten von den friedlichen Bürgern quittiert: »Widerstand!« und »Volksverräter!« (das galt wohl dem Bürgermeister in der bunten Runde).
Am Rande erwähnt: Der Marktplatz war an diesem Tag ab 12 Uhr gesperrt. Außer für den Bürgermeister mit seiner Truppe. Die Frauendemo drängte sich mit der 1O-fachen Teilnehmerzahl vor dem Bürgerhaus. Dazwischen trennte die Polizei die beiden »Gruppen«, die eigentlich andersherum hätten stehen müssen. Das Volk auf dem Markt, das bunte Völkchen vor dem Bürgerhaus.
SEZESSION: Wie geht es Ihrer Meinung und Kenntnis nach nun weiter? Verstetigt sich der Protest? Greift er auf Kaiserslautern über? Ein Mal Luft ablassen, reicht nicht aus, da sind wir uns sicher einig.
LEISER: Das Frauenbündnis will sich am 3. März wieder in Kandel treffen. Ich glaube nicht, daß der Protest auf nahegelegene Städte wie Mannheim, Ludwigshafen, Karlsruhe, Kaiserslautern oder Landau übergreift. Das ist meines Erachtens auch nicht nötig. Aber ich bin sicher, daß sich Widerstandsorte auch im Westen bilden werden. Kandel ist einer davon.
Denn, so steht es auf dem Anstecker des Frauenbündnisses: Kandel ist überall. Dieses schöne saubere Städtchen in der wunderschönen Südpfalz steht wirklich für alles, »was uns lieb und teuer ist« und war bisher ein Ort, in dem »wir gut und gerne leben«. »Heimat, Freiheit, Tradition« war in Kandel bisher keine Parole, sondern gelebte Wirklichkeit.
Und hier zeigt sich exemplarisch, was auf dem Spiel steht. Die örtlichen Vertreter von Politik und Kirche wollen jetzt möglichst schnell zur Normalität zurückkehren. Liest man. Dazu soll es wohl ein Bürgerfest, ebenfalls im März geben. Man darf gespannt sein.
H. M. Richter
"Der Marktplatz war an diesem Tag ab 12 Uhr gesperrt. Außer für den Bürgermeister mit seiner Truppe. Die Frauendemo drängte sich mit der 1O-fachen Teilnehmerzahl vor dem Bürgerhaus."
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Ein Satz, der schlagartig die gegenwärtige Situation in unserem Land erhellt und symptomatisch beschreibt.
Wer den Untergang der DDR erlebte, hat bereits erfahren: Derartiges geht auf Dauer nicht gut.
Irgendwann holen sich die Bürger ihre Stadt zurück.
Und das Volk das Land.