Kapitaldelikte (2): Wachstum ohne Ende

Wachstum ist die Droge, von der alle abhängig sind. Warum nicht über einen kalten Entzug nachdenken?

Lutz Meyer

Lutz Meyer kommt aus der linksanarchistischen Szene, seine Themen findet er auf der Straße.

Wirt­schafts­wachs­tum, so die all­ge­mei­ne Über­zeu­gung, ist ein Muss. Sta­gna­ti­on bedeu­tet nach die­ser Den­kungs­art schon Rück­schritt. Nur das stän­di­ge Mehr garan­tiert den Wohl­stand. Es fehlt zwar seit jeher nicht an Mah­nern, die auf die End­lich­keit natür­li­cher Res­sour­cen und dar­aus resul­tie­ren­de Wachs­tums­gren­zen ver­wei­sen. Doch dem Wachs­tums­wahn tut das kei­nen Abbruch – die Ver­ken­nung der Rea­li­tät zeich­net ihn ja gera­de als Wahn aus.

Hier geht es mir nicht nur um den Wachs­tums­wahn der Unter­neh­men. Jedem hier soll­te sehr bewusst sein, daß auch jeder Ein­zel­ne, sei er nun unter­neh­me­risch tätig oder nicht, stän­dig mehr und stän­dig Bes­se­res will: Wer ein Ein­zim­mer­apart­ment bewohnt, strebt in der Regel nach der Zwei- oder Drei­zim­mer­woh­nung. Wer die bewohnt, möch­te wahr­schein­lich bald eine Dop­pel­haus­hälf­te bezie­hen. Und so wei­ter und so fort – über­trag­bar auf alle Lebens­ver­hält­nis­se. Wo es nicht ums Woh­nen geht, geht es um Urlaubs­rei­sen, das Auto, den Ver­mö­gens­zu­wachs, das unter­hal­tungs­elek­tro­ni­sche Equip­ment, den Frei­zeit­sport (kaum aller­dings um Bil­dung – hier ist der Drang nach Aus­wei­tung selt­sa­mer­wei­se nur begrenzt spürbar).

Nun mag man an die­ser Stel­le ein­wen­den, daß nun ein­mal alles Leben nach dem Mehr und der Aus­wei­tung stre­be – und hät­te die­ser Drang uns nicht seit­her beseelt, wür­den wir unser kar­ges Getrei­de noch immer mit der Feu­er­stein­si­chel ern­ten und wären in lan­gen Win­tern zäh­ne­klap­pernd Hun­gers­nö­ten aus­ge­setzt. Dem lie­ße sich ent­ge­gen, daß ein begrenz­tes Wachs­tum und auch ein gewis­ses Fort­schrei­ten in Rich­tung Absi­che­rung der Exis­tenz durch­aus in Ord­nung ist – das kom­plett ent­grenz­te, glo­ba­li­sier­te Wachs­tum unse­rer Tage aber ent­fes­selt eine kaum noch beherrsch­ba­re Dyna­mik und ist des­halb nicht in Ord­nung. Ent­grenzt – weil die­se Art von Wachs­tum kei­nen Halt und kein Ende kennt: der Luxus von ges­tern ist das All­ge­mein­gut von heu­te, was heu­te gut genug für alle war, gilt mor­gen vie­len schon als Zumu­tung. Ent­grenzt – weil wir inzwi­schen soweit sind, daß Gren­zen zwi­schen Län­dern und Kul­tu­ren nur noch als wachs­tums­ge­fähr­den­de Han­dels­hemm­nis­se wahr­ge­nom­men und des­halb besei­tigt wer­den. Ent­grenzt – weil wir in unse­rem Stre­ben nach dem Mehr gar nicht mehr auf die Fol­gen unse­res Han­delns ach­ten, wir miss­ach­ten jedes Maß. Ent­grenzt auch, weil das Wachs­tums­stre­ben inzwi­schen zumin­dest der Theo­rie nach auch den Aus­griff auf fer­ne Wel­ten umfasst und das bis­lang erd­ge­bun­de­ne Men­schen­we­sen sich außer­halb sei­ner bis­he­ri­gen Hegung und Ein­gren­zung neu defi­niert und dabei alle Erdung verliert.

Botho Strauss hat 1993 den Begriff „Anspruchs­un­ver­schämt­heit“ geprägt. Er bezieht ihn auf sei­ne defor­mier­ten, ver­gnü­gungs­lär­men­den Lands­leu­te, die den Hals nicht voll krie­gen kön­nen und dabei ihre Wür­de ver­lie­ren. Heu­te, ein Vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter, müss­te der Befund weit­aus dras­ti­scher aus­fal­len. Der ver­gnü­gungs­lär­men­de Lands­mann ist inzwi­schen im End­sta­di­um sei­nes wohl­stands­ver­ur­sach­ten Kon­sum­de­li­ri­ums ange­langt. Ist nicht allein der Begriff des Ver­brau­chers schon ver­rä­te­risch? Der Ver­brau­cher schafft nichts, er ver­mehrt nichts, er ver­braucht nur. Stumpf, hirn­los, auto­ma­tisch – wie ein Teil einer kom­ple­xen Kon­sum­me­cha­nik, inner­halb deren er eine kon­kre­te Funk­ti­on erfüllt: näm­lich den Ver­zehr, um die Bahn frei­zu­ma­chen für Neu­es. Die dabei mas­sen­haft pro­du­zier­ten Aus­schei­dun­gen tau­gen nicht ein­mal als Dün­ger, son­dern sind Müll (teils immer­hin recyclebar).

Schaut man sich die explo­si­ons­ar­ti­ge Ver­meh­rung des Ver­sand­han­dels an, so wird man auch hier­in unschwer ein Wachs­tums­phä­no­men erken­nen. Fol­ge sind ver­stopf­te Ver­kehrs­we­ge, erhöh­te Emis­sio­nen, ster­ben­de Innen­städ­te, aus­beu­te­ri­sche Arbeits­ver­hält­nis­se bei den Logis­tik­un­ter­neh­men und chro­ni­scher Bewe­gungs­man­gel bei den rund um die Uhr Belie­fer­ten. Es wächst immer auch die Kehr­sei­te, der Schat­ten­be­reich. An die­sem Bei­spiel kann man das schön stu­die­ren – wäh­rend der Online­han­del wächst und wächst, lei­den Umwelt und sozia­les Gefü­ge, Volks­ge­sund­heit und Infra­struk­tur. Wer Wachs­tum um jeden Preis will, wird irgend­wann insol­vent sein.

Doch wenn man nun ein­mal gel­ten lässt, daß das Stre­ben nach Wachs­tum einer­seits eine anthro­po­lo­gi­sche Grund­kon­stan­te und damit unver­meid­bar ist, ande­rer­seits von die­ser aber gro­ße Gefah­ren für das Men­schen­we­sen selbst aus­ge­hen, wür­de sich die Fra­ge stel­len, wie man sich denn ver­nünf­ti­ger­wei­se zum Wachs­tum ver­hal­ten soll­te. Hilft die gute alte kon­ser­va­ti­ve Tugend der Beschei­den­heit? Das wäre ein Anfang, immer­hin. Doch es soll­te nicht das letz­te Wort sein.

Man spricht gern vom gesun­den Wachs­tum. Damit meint man für gewöhn­lich aber lei­der nicht eine spe­zi­el­le, eben gesun­de Form des Wachs­tums, son­dern will sagen: Wachs­tum als sol­ches ist gesund, alles ande­re ist krank. Doch wach­sen nicht auch Tumo­re? Wie also könn­te denn eine gesun­de und dann wohl spe­zi­el­le Form des Wachs­tums aus­se­hen? Wäre es ein bloß  begrenz­tes Wachs­tum? Wer wür­de die Gren­zen fest­le­gen dür­fen? Und wäre es ansons­ten qua­li­ta­tiv gleich, nur eben quan­ti­ta­tiv beschränkt? Man müss­te wohl in der Tat über die Qua­li­tät des Wachs­tums nach­den­ken. Nicht die Zah­len müs­sen wach­sen, nicht die Umsät­ze, nicht der Aus­stoß der Fabri­ken, nicht die Men­gen und Mar­gen. Wachs­tum ist als Meta­pher ursprüng­lich dem orga­ni­schen Bereich ent­lehnt: Pflan­zen wach­sen. Amei­sen­hü­gel wach­sen. Und genau hier müss­te ein Begriff des gesun­den Wirt­schafts­wachs­tums künf­tig ver­or­tet sein. Was aber ist orga­ni­sches Wachstum?

Orga­ni­sches Wachs­tum sehe ich über­all dort, wo mensch­li­chen Gemein­schaf­ten sich ohne regu­lie­ren­de Ein­grif­fe eines selbst nicht mehr ori­en­tie­rungs­fä­hi­gen Staa­tes neu fügen. Orga­ni­sches Wachs­tum fin­det statt, wenn das Zusam­men­spiel der Kom­po­nen­ten des Mit­ein­an­ders sich neu ord­net – und zwar nach eige­nen Regeln, nicht nach von außen kom­men­den Vor­ga­ben. Bei­spiel: Drei Nach­barn bau­en in ihren Gär­ten unter­schied­li­che Sachen an – der eine ist auf Obst spe­zia­li­siert und hält Bie­nen, der ande­re auf Gemü­se, der drit­te hat Kar­tof­feln. Man beginnt zu tau­schen, hilft sich gegen­sei­tig bei der Ern­te. Es bil­den sich außer­halb der gro­ßen Wirt­schafts­kreis­läu­fe und ihrer Anony­mi­tät fes­te, per­so­nen­ge­bun­de­ne Struk­tu­ren her­aus, von denen alle pro­fi­tie­ren. Viel­leicht erwei­tert sich der Kreis noch um einen Teich­wirt, einen Geflü­gel­hal­ter und einen Wald­bau­ern, der an alle Brenn­holz lie­fert und dafür mit allem ver­sorgt wird, was die Gär­ten und Stäl­le der ande­ren her­ge­ben. Das ist natür­lich nur ein Modell, das in die­ser Form auch nur im klei­nen Maß­stab oder nur behelfs­wei­se funk­tio­niert. Doch es ist gleich­zei­tig auch eine Art Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt, um den her­um Wei­te­res sich anla­gern kann. Tausch­ge­schäf­te aller Art umfas­sen auch Dienst­leis­tun­gen wie Repa­ra­tu­ren, Fahr­diens­te, die War­tung von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­te­men, Nach­hil­fe für die Kin­der oder Haa­re­schnei­den. In dem Maß, in dem das Wachs­tum hier zunimmt, wird es in der gro­ßen Wirt­schaft abneh­men. Das Wich­tigs­te aber, was hier zum Wach­sen gebracht wird, ist das Gefühl der Iden­ti­tät. Das Gefühl der Zuge­hö­rig­keit zu einer Gemein­schaft, in der jeder Ein­zel­ne eine wich­ti­ge tra­gen­de Rol­le inne­hat und eben nicht das aus­tausch­ba­re Räd­chen im Getrie­be ist.

Lutz Meyer

Lutz Meyer kommt aus der linksanarchistischen Szene, seine Themen findet er auf der Straße.

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Kommentare (13)

quarz

26. Februar 2018 12:23

" ... daß Grenzen zwischen Ländern und Kulturen nur noch als wachstumsgefährdende Handelshemmnisse wahrgenommen und deshalb beseitigt werden."

Dabei haben Easterly und Levine bereits in ihrer klassischen Studie von 1997 (und andere nach ihnen) herausgearbeitet, dass die starke ethnische Fragmentierung vieler afrikanischer Staaten ein Hindernis für das Wirtschaftswachstum ist. Als schädlich hat sich also erwiesen, dass Grenzen gerade nicht zwischen Kulturen, sondern quer zu ihnen gezogen wurden.

Utz

26. Februar 2018 15:36

Ich hätte da eine ganze Menge Fragen.
1. Sie sagen, das mit den Bienen und den Kartoffeln ist nur ein Modell, aber Sie konkretisieren das nicht, so daß ich mir das nicht wirklich vorstellen kann und der Eindruck bleibt, daß Sie doch meinen, so müßte man zumindest anfangen. Was meinen Sie konkret?
2. Diese Ideen klingen so ähnlich wie das, was Niko Paech vorschwebt. Dem habe ich die folgende Frage bei einem Vortrag auch einmal gestellt, aber irgendwie hat mich seine Antwort auch nicht schlauer gemacht. Ich stelle sie hiermit Ihnen noch einmal: Könnte es sein, daß es von Menschen absichtlich begrenztes Wachstum so wenig gibt wie es "ein bißchen schwanger" gibt? Wenn man die eingespielten kapitalistischen Abläufe, die auf Wachstum geeicht sind, unterbricht, müßte doch eigentlich alles zusammenbrechen, wenn das Wachstum wegfällt, oder?
3. So ähnlich: Wenn ein Land alleine den "kalten Entzug" macht, werden es dann nicht die Rating Agenturen abwerten und zur Übernahme preisgeben?
4. Kann es sein, daß die Modelle von Nachbarschaftshilfe, Tauschringe, Lokalwährungen, Reperaturcafes, etc. nur deshalb ein Nischendasein führen können, weil sie so unbedeutend sind? Würden sie wenn sie wachsen würden, nicht von Großkapitalisten auf die eine oder andere Art, da sie dann Konkurrenz wären, platt gemacht?
5. Ihr Anmahnen der Bescheidenheit finde ich super. Aber wie sollte das funktionieren, wenn schon der Vorschlag eines vegetarischen Tages von den Grünen, dazu führt, daß sei bei Wahlen drastisch abgestraft werden? Gibt es vielleicht gar keine Bremse, bevor das ganze an die Wand fährt, und dann ein sehr schmerzhafter Neubeginn möglich ist?
6. Alle bisherigen Versuche Umwelt und Ressourcen zu schonen (nicht alle dieser Versuche waren meiner Meinung nach verkehrt) haben immer nur zu einem größeren Ressourcenverbrauch geführt. Meines Erachtens deshalb, weil diejenigen, die Macht haben, sich nicht einfach die Butter vom Brot nehmen lassen, und immer neue Wege finden, ihre Ziele beizubehalten, und die sind nicht an Nachhaltigkeit orientiert. Zudem haben sie die Hilfe der Politik. Wie kann das umgangen werden?

Seemann

26. Februar 2018 15:54

Herr Meyer, vielen Dank für diesen Text, den kann ich nur zustimmen. Dirk Müller argumentiert ähnlich wie ich das mitbekommen habe. Ich glaube aber, dass all die Warnungen auf taube Ohren stossen.

Martin Heinrich

26. Februar 2018 18:11

Fragen über Fragen:
Das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Wo endet das Gemeinschaftsgefühl? Ab welcher Gruppengröße? 100 Personen? 200 Personen? Sollen die Ballungsräume mit zig-Millionen Einwohnern (Großraum Tokio, Yokohama, Ruhrgebiet) zur Kibbuz-Wirtschaft zurück? Und apropos Wachstum: Ist jedes Bevölkerungswachstum auch organisch? Oder das von Schädlingen oder Unkräutern?

Insgesamt atmet der Artikel den Geruch von Armut, Verzicht, von Plan-, Mangel- und Kommandowirtschaft, die durch den warmen Mief des Kollektivs erträglich gemacht werden soll.

Aber damit es nicht so unversöhnlich klingt: Dieses Gemeinschaftsgefühl, das hier ersehnt wird, das gab es nicht einmal in meiner norddeutschen Kleinstadt in der ich aufwuchs. Hier, wo noch bis Anfang der 1980er Jahre die scheinbar intakte Adenauer-Bürgerlichkeit herrschte, gab es diese Gemeinschaft nicht.
Vielleicht finden Sie die im Schützengraben, im Kloster oder in Wehrdörfern, überall da, wo Gefahr, Zwang oder Not herrschen. Alle schwärmten von der Kameradschaft im Schützengraben. Und alle waren froh, wenn sie ihn hinter sich lassen konnten ...

Franz Bettinger

26. Februar 2018 22:13

Nichts kann ewig wachsen. Der Krebs versucht es. Er zerstört dabei den Körper, in dem er wuchert und wuchert, und geht am Ende mit diesem zugrunde. Bäume, Wälder, aber auch Tier-Populationen vermehren sich nicht grenzenlos. Sie wachsen, kommen an ein Limit und sterben bzw. schwanken in der Populatons-Dichte. Das sind Naturgesetze. Der Mensch und die menschliche Zivilisation machen davon keine Ausnahme. Es läge daher im Interesse der 'Menschheit' oder wenigstens eines jeden Volkes, über einen gesunden Rahmen für das Wohin und das Wie-Viel nachzudenken. Wie viele Menschen verträgt Deutschland? Wie viel Wirtschaft braucht das Land? Ist weniger nicht manchmal besser? Wollen wir in Ameisenburgen wie Hongkong und in Moloch-Städten wie Bangkok leben? Ist es ein Fortschritt, zwei Verdiener in der Familie zu haben? Oder war die alte Familien-Struktur bekömmlicher, in der einer (typischer Weise die Frau) für Haushalt und Kinder zuständig war? Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand. - Warum träumen Leute von Bhutan?

Kuonirat

26. Februar 2018 22:18

Haben Sie vielen Dank für diesen schönen Aufsatz, Herr Meyer! Ich kann Ihnen da nur voll und ganz zustimmen. Und gern möchte ich Ihnen noch mitteilen, wie froh ich über Ihre sozioökologische Stimme in diesem Blog bin. So fühle ich mich immer bestens vertreten.

quarz

26. Februar 2018 23:22

@Bettinger

"Wie viele Menschen verträgt Deutschland?"

Es gehört ja zu den großen Seltsamkeiten unserer Zeit, dass ausgerechnet jene politische Bewegung keinerlei Sensoren für die Frage der (quantitativen wie qualitativen) Verträglichkeit im soziokulturellen Zusammenleben von Menschen zu haben scheint, die einst angetreten ist, um den Zeitgenossen die Bedeutung ökologischer Gleichgewichte ins Bewusstsein zu rufen.

Das Relikt

27. Februar 2018 11:01

Unbegrenztes Wachstum und die daraus folgende Katastrophe sind natürlich. Gleichgewicht ist nicht natürlich. Ökosysteme sind nicht im Gleichgewicht. Sie stürzen von einem Extremzustand in den Nächsten. Tiere vermehren sich ungebremst, bis das Limit erreicht ist, dann kommt das Massensterben. Das Gleichgewicht der Natur ist eine Fiktion der Menschen, die sich aus der Statistik ergibt. Die Extremzustände ergeben das Gleichgewicht, als Durchschnittswert.

Leben ist tragisch - kommt drüber hinweg.

Utz

27. Februar 2018 16:05

@ Das Relikt
Sie schreiben:
"Gleichgewicht ist nicht natürlich. Ökosysteme sind nicht im Gleichgewicht. Sie stürzen von einem Extremzustand in den Nächsten. Tiere vermehren sich ungebremst, bis das Limit erreicht ist, dann kommt das Massensterben. Das Gleichgewicht der Natur ist eine Fiktion der Menschen, die sich aus der Statistik ergibt. Die Extremzustände ergeben das Gleichgewicht, als Durchschnittswert.

Leben ist tragisch - kommt drüber hinweg."

Interessante Sicht! Schlußfolgerung? Laßt uns Party machen, solange das noch geht? Könnte man so sehen/machen ... solange man keine Kinder hat. Natürlich ist nicht nur, daß sich Dinge bis zur Katastrophe zuspitzen, natürlich ist auch, daß Eltern für ihre Kinder kämpfen und spätestens da ist Schluß mit "drüber wegkommen".

Ich könnte mich auch für einen "kalten Entzug" erwärmen, sozusagen einen verspäteten Morgenthau-Plan, eine geplante Katastrophe, bei der nur die Menschen auf dem Land überleben. Sympathisch: Schnellroda würde überleben. Sehr sympathisch: die Pullfaktoren für "Flüchtlinge" wären auf einen Schlag weg. Warum ich das aber niemals aktiv befördern würde, und was mir das Projekt unsympathisch machen würde: meine Kinder hat's in Großstädte verschlagen, weshalb ich doch sehr hoffe, daß uns noch bessere Lösungen einfallen.

Das Relikt

27. Februar 2018 19:47

@Utz

"Laßt uns Party machen, solange das noch geht? "

Ist das Ihre Schlussfolgerung? In diesem Fall ist es eine vulgäre Schlussfolgerung, die hoffentlich nicht zuviel über Sie aussagt.

Ich ziehe aus obiger Erkenntnis eher die Gewissheit, dass wir Menschen nicht die Allmacht haben alles nach unserem Willen zu perfektionieren, dass wir aber auch fairerweise nicht der Verpflichtung dazu unterliegen - daher steht uns Demut gut an, die uns aber auch die Hoffnung auf inneren Frieden ermöglicht.

quarz

27. Februar 2018 21:05

@quarz

Im Universum nimmt die Entropie unentrinnbar zu. Es ist aber albern, angesichts dessen ordnungsskeptischen Fatalismus zu predigen. Gerade das Leben, das sie dem homöostatisch gesinnten Menschen als Übermacht präsentieren, der er sich zu beugen habe, hat ja selber, gegen den Strom der Entropie ankämpfend, seine bewundernswerte Komplexität etabliert. Und ich als Wesen mit Präferenzen und Zielen werde genauso mit gewisser Aussicht auf Erfolg Strukturen schaffen, die der anorganischen und organischen Umwelt ihren Stempel aufdrücken. Und gerade das ist die Kunst des Wellenreiters: nicht gegen die Macht der Welle anzukämpfen und an ihr zu zerbrechen, sondern ihre Gewalt zu nutzen, um die eigene Intention umso wirkungsvoller umzusetzen.

Utz

28. Februar 2018 05:20

@ Das Relikt
Danke für Ihre Antwort. Jetzt verstehe ich besser, wie Sie das gemeint haben.

Zur Erklärung: Party meinte in dem Fall natürlich Ressourcenverbrauch.

Mit der Demut kann ich mich gut anfreunden. Und wenn der innere Frieden nicht gleich dazu führt, daß wir unsere Kampfgefährten im Stich lassen, bin ich auch damit einverstanden.

Immer noch S.J.

28. Februar 2018 09:26

Ein sehr anregender Text von Lutz Meyer, dessen Beiträge mir gefehlt haben. Wie berechtigt die Kennzeichnung des wirtschaftlichen Wachstums als Droge ist, kann spontan mit dem aktuellen Diesel-Urteil gezeigt werden. Während eine große Anzahl von Leuten das Urteil als Siegeszug der ökologischen bzw. gesundheitspolitischen Vernunft bejubelt, scheint sich kaum die Frage zu stellen, ob es wirklich zu bevorzugen ist, wenn Millionen von Dieselbesitzern ihre alten, aber funktionstüchtigen (und oft bemerkenswert sparsamen) Autos abstoßen und im Gegenzug mit dem Erwerb anderer Autos die zweifellos ressourcenverschlingende Produktion von Neuwagen in Schwingung versetzen. In jedem Fall wird das heilige Wachstum befeuert. In Anbetracht einer Vielzahl von Interessen von gigantischen finanziellen Ausmaßen allein in diesem Zusammenhang gestatte ich mir die pessimistische Schlussfolgerung, dass organisches Wirtschaftswachstum in großen Volkswirtschaften vollkommen unmöglich und selbst in kleinen, überschaubaren Kommunen eine Illusion ist, eine Selbsttäuschung.