Es gibt nur wenige Autoren, denen man den sprichwörtlichen »Großen Wurf« zutraut, wenn es um eine Weltgeschichte des Kommunismus geht. Gerd Koenen (u.a. Das rote Jahrzehnt) ist einer von ihnen, und er hat das ambitionierte Projekt nicht nur gewagt, sondern auch noch mit Bravour gemeistert. Dabei hat Koenen weder neue Quellen entdeckt noch fundamentale Umwälzungen in der Geschichtsschreibung im Sinn. Was Koenen leistet, ist gleichwohl etwas Kolossales: Er schreibt die (bisherige) Lebensgeschichte des kommunistischen Traums, der in der Menschheitshistorie so oft und so massiv in einen manifesten Alptraum umschlug.
Koenen betreibt sein Projekt entlang der Farbenlehre. Rot – das ist die Urfarbe, anregend, aufregend, emotional stimulierend; die Assoziationen reichen von Krieg und Kampf über Leidenschaft und Zorn bis hin zu Blut und Opfergeist. Rot – das war (und ist) die politische Signalfarbe jenes Teils der politischen Sphäre, der von unterschiedlichen Spielarten des Sozialismus bis zu ebenso unterschiedlichen Vorstellungshorizonten des Kommunismus reicht.
Der Autor schreibt die Geschichte des letzteren, nicht lediglich des Marxismus, und daher ist es folgerichtig, daß Koenen mit den Ursprüngen beginnt. Etymologisch betrachtet, stammt der Kommunismus vom lateinischen »communis« (»cum munis«) ab; »cum munis« meint: Man ist dem Gemeinwesen etwas schuldig – im Gegensatz zu denen, die »immunis« waren, also von Abgaben befreit. Kommunismus ist zunächst die Ideologie der Gemeinschaftlichkeit, der Primärverpflichtung gegenüber dem Ganzen, moderner gefaßt: des Kollektivismus. Kommunismus als Idee (und als solche wird sie von heutigen Neokommunisten wie Alain Badiou und Slavoj Žižek wieder stärker akzentuiert) ist aber mehr, und als solche ist diese Idee, salopp gesagt, so alt wie die Menschheit selbst. Koenen wagt sich mit Engels zurück bis zur neolithischen Revolution, widmet sich den Großen Erzählungen menschlicher Frühgeschichte, befragt Platon und Aristoteles, beschreibt anhand zahlreicher Philosophen die »Dialektik der Moderne«, untersucht Denker des Frühsozialismus, bevor er in den 1840er Jahren bei Marx und Engels angelangt ist. Von jenen kritischen Denkern, die Koenen als Ex-Kommunist hervorragend kennt und porträtiert, führt die Route über Umwege zu Lenin, Trotzki und Stalin, hernach zu Pol Pots Killing fields, vor allem auch zu Mao und dem zeitgenössischen China im Spannungsfeld zwischen der Alleinmacht der kommunistischen Nomenklatura und einer sich stetig weiterentwickelnden kapitalistischen Wirtschaftsordnung.
Das Werk ist eine Tour de force, die den Leser fordert, ihm aber weitgehend Erkenntnisgewinn verschafft und an vielen Stellen anspornt, selbständig weiterzuforschen und die Originaltexte zu lesen. Was Koenen betreibt, ist überwiegend klassische Ideengeschichte. Aber gerade weil er das Fachgebiet der Ideengeschichte wählte, läßt sich just auf diesem Terrain die Kritik anbringen, daß sich der Autor phasenweise zu sehr auf den Kommunismus in seiner doktrinären Parteihülle fokussiert. Was Koenen vorlegt, ist die Geschichte des kommunistischen »Mutterschiffs«. Doch da die Erkenntnis meist an Rändern wächst und dieses Diktum auch für die facettenreiche Ideologienwelt des Kommunismus seine Gültigkeit besitzt, wäre es lesenswert gewesen, noch die »Beischiffe« kennenzulernen, die vom Mutterschiff zwangsweise separiert wurden (mit allen eliminatorischen Folgen) oder sich selbst separiert haben, sprich: Man vermißt die intellektuelle Dissidenz, die Kritik am doktrinären Regime-Kommunismus durch Kommunisten.
Zwei Erkenntnisse liefert Koenen derweil noch en passant mit:
Zum einen hebt er die konservative Dimension (ur)kommunistischer Überzeugungswelten hervor. Der starke Gemeinschaftsgedanken, die Suche nach einer stabilen harmonischen Ordnung, die »Revolution« als »Rückkehr« (lat. von »revolvere«) zu einem (mitunter imaginierten) früheren Zustand – das hat schlechterdings wenig mit dem zu tun, was heutige »Kommunisten« vertreten. Und es läßt zumindest punktuell idealtypische Kommunisten und Konservative näher an sich heranrücken als an gegenwärtig reüssierende Neoliberale.
Zum anderen räumt Koenen mit der Vorstellung auf, die 1923er Liaison zwischen Kommunisten und Nationalisten in Deutschland sei lediglich eine temporäre Raffinesse des Komintern-Funktionärs Karl Radek gewesen. Vielmehr habe Lenin selbst bereits 1920 anläßlich des sowjetrussischen Krieges gegen Polen davon gesprochen, auf die nationalrevolutionäre Mobilmachung Deutschlands gegen Versailles gebaut zu haben. Von dieser Hoffnung führt über den Fall Schlageter und Clara Zetkins Würdigung der deutschen Freikorps als die »energischsten, entwicklungsfähigsten Elemente« absteigender Mittelschichten eine Linie zur KPD-»Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes« vom August 1930. Das Feld des Kommunismus war immens; Koenen zeichnet es herausragend nach.
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Brandolf
Der sogenannte sowjetrussische Krieg gegen Polen war ein Verteidigungskrieg des bolschewistischen Russlands gegen ein regional-hegemoniale Ambitionen verfolgendes Polen unter Führung des revisionistischen Imperialisten Marschall Pilsudski - dem Vorbild des jetzigen pseudo-nationalistischen Diktators oder eher USA-abhängigen Möchtegern-Diktators Polens Jaroslav Kaczynski. Marschall Pilsudski hatte sich damals angeschickt das Polnisch-Litauische Reich in Gestalt eines von ihm erdachten Staatenbundes zwischen Ostsee und Schwarzmeer wiederherzustellen.
Polen war in der sogenannten Zwischenkriegsperiode eine äußerst aggressive - aber im Gegensatz zum heutigen Polen wenigstens souveräne - Nation.