Vor vielen Jahren gab es mal einen Non-book-Bestseller in jenem berüchtigten »Kleinstverlag«: Es handelte sich um ein Plakat, das unter der Überschrift DIVISION ANTAIOS per Pop-Art-Grafik achtunddreißig Denker und Täter ungefragt eingemeindete in eine so unkonventionelle wie heterogene (und, klar, fiktive) Kampftruppe. Darunter fanden sich nolens volens schneidige Typen wie Heinrich I., Friedrich Nietzsche und Rudi Dutschke, aber auch Zeitgenossen: Günther Maschke und Camille Paglia beispielsweise. Auf der Frankfurter Buchmesse 2017 nun hatte der Verlag Antaios mit einem Flugblatt für Rumoren gesorgt: Es war ein »Wegweiser« für »das konservative, rechtsintellektuelle Milieu«. Aufgeführt wurden ein paar Dutzend Messestände, deren Besuch lohnte, weil hier »Nonkonformes« ausgestellt würde. Das war informativ, aber auch bissig gedacht: »Manche Verlage tragen längst auf beiden Schultern Wasser«, hieß es im Flugblatt. Gemeint waren damit Verlage wie DVA (Sarrazin) oder Reclam (Konrad Ott), in denen verkaufsträchtig »rechte« Thesen präsentiert werden, bei denen man doch gern wüßte, wie die linkslastige Verlegerschaft dies jenseits pekuniärer Interessen verteidigen würde!
Kurz: Konrad Paul Liessmann, der Wiener Philosophieprofessor, der nicht nur eine elegante Feder führt, sondern druckreif spricht und jedes kritische Interview besteht, wäre dringend zwangszuverpflichten für die »Division«! Sein aktuelles Buch Bildung als Provokation erscheint als Aufsatzsammlung, die in drei Kapitel untergliedert ist. Im ersten geht es eminent »Zur Sache der Bildung«, das zweite wildert »Am Rand der Kultur«, das dritte beinhaltet Zwischenrufe aus den »Niederungen der Politik«. Liessmann, Jahrgang 1953, ist ein begnadeter Essayist. Bildung, schreibt er, fungiere heute als eine Art Jokerwort. »Bildung« als Ungefähres gelte als Allheilmittel und Schlachtruf, wo Institutionen und Praktiken versagt haben; als biochemisch unbestimmter Impfstoff gegen allerlei Auswüchse. Bildung, so stellt Liessmann es dar, ist in Wahrheit ein Dehnbares und eine Schimäre. Klar ist, was heute keinesfalls unter »Bildung« falle: schnödes »Faktenwissen«, »als sollten lieber Meinungen und Ideologien vermittelt werden«. Was heute gilt, ist die »Kompetenzorientierung«. Kenntnisse, die nicht »situationsadäquat« seien, also nicht zur Lösung einer tagesaktuellen Frage beitrügen und somit unmittelbar »nützlich« sind, gelten als verzichtbar und unangemessen. Willkommen im postfaktischen Zeitalter! Kulturelle und ästhetische Traditionen, klagt Liessmann, spielten im heutigen Lehrbetrieb, der die Gleichwertigkeit sämtlicher kulturellen Erzeugnisse zum Gebot gemacht hat, kaum eine Rolle. Liessmann geht es, und das ist unerhört, nicht um eine Umstülpung der Lehrpläne, sondern gar um diese (soll man sagen: demokratieskeptische?) Erkenntnis: Bildung sei nicht als soziales Massenprojekt, sondern nur als individueller Akt möglich. Wie nun das? Individualisierung des Unterrichts (sprich: jeder nach seinen – begrenzten – Möglichkeiten) wird großgeschrieben in der zeitgenössischen Pädagogik, das eigentliche »Individuum und seinen Eigensinn« hingegen möchte man gern eliminieren. Heute gehe es um Operationalisierbarkeit, Quantifizierbarkeit und letztlich um eine »Chancengleichheit«, die aber in Wahrheit auf »Erfolgsgleichheit« abziele. Echte Bildung, und Liessmann argumentiert hier provokant gegen die Bildungslüge als »Religionsersatz«, bedeute immer, daß »vieles nur für Wenige bedeutsam« sei. Ist das undemokratisch? Liessmann kontert, daß heute unter dem Deckmantel der individuellen Autonomie »Bildung« zu einem Programm mutiert sei, das »kognitive Ressourcen« skrupellos für globale Märkte aufbereite. Dies alles hätten bereits Dietrich Schwanitz, Konrad Adam, Christoph Türcke, Julian Nida-Rümelin und Josef Kraus in markige Worte gefaßt? Sei’s drum. Liessmann lohnt die Lektüre, und wie.
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Konrad Paul Liessmanns Bildung als Provokation kann man hier bestellen.