David Van Reybrouck: Für einen anderen Populismus. Ein Plädoyer

David Van Reybrouck: Für einen anderen Populismus. Ein Plädoyer, Göttingen: Wallstein 2017. 96 S., 12.90 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Popu­lis­mus ist im poli­ti­schen und media­len Betrieb so etwas wie das The­ma der Stun­de. Ob Mélen­chon oder Le Pen, Wagen­knecht oder Gau­land, Pode­mos-Lin­ke oder AfD-Rech­te – irgend­wie sind sie alle Popu­lis­ten, die mit Bezug­nah­me auf das Volk gegen das Estab­lish­ment zu Fel­de zie­hen. Den so Geschol­te­nen wird unter­stellt, sie wür­den kom­ple­xe Vor­gän­ge ver­ein­facht dar­stel­len und ver­kürzt agie­ren. Doch genau dies voll­zie­hen die Popu­lis­mus­kri­ti­ker, wenn sie welt­an­schau­li­che poli­ti­sche Grup­pie­run­gen als »popu­lis­tisch« dar­stel­len, ohne sich mit ihren mate­ri­el­len und geis­ti­gen Grund­la­gen auseinanderzusetzen.

Die Not­wen­dig­keit einer tat­säch­li­chen Popu­lis­mus-Ana­ly­se rea­li­sie­ren unter­des­sen zumin­dest eini­ge der Autoren, die sich dem Gegen­stand vor­nehm­lich aka­de­misch nähern möch­ten. Geschei­tert, eine Theo­rie des Popu­lis­mus vor­zu­le­gen, ist noch Jan-Wer­ner Mül­ler (Was ist Popu­lis­mus?, Ber­lin 2016) mit sei­ner Gefäl­lig­keits­ar­beit für das poli­tisch hege­mo­nia­le Lager. Zumin­dest eini­ge objek­tiv-sach­li­che Ansät­ze fin­den sich in Flo­ri­an Hart­lebs Publi­ka­tio­nen. Bernd Ste­ge­mann (Das Gespenst des Popu­lis­mus, Ber­lin 2017) rich­te­te die Debat­te neu aus. Er roll­te das popu­lis­ti­sche Feld auf, indem er ver­schie­de­ne Arten des Popu­lis­mus sezier­te und Ent­ste­hungs­be­din­gun­gen der­sel­bi­gen im neo­li­be­ra­len Zeit­al­ter klug ana­ly­sier­te und zur Dis­kus­si­on stell­te. Nun folgt also ein wei­te­rer Essay aus der Feder des bel­gi­schen His­to­ri­kers David Van Reybrouck.

Für einen ande­ren Popu­lis­mus will ein »Plä­doy­er« sein. Ein Plä­doy­er, hin­ter den Wäh­lern popu­lis­ti­scher Par­tei­en die Staats­bür­ger zu sehen, denen man nicht her­risch gegen­über­tre­ten soll­te. Reyb­roucks Mah­nung im Vor­wort zur deut­schen Über­set­zung (aus dem Juli 2017 datie­rend) rich­tet sich in die­sem Sin­ne an die intel­lek­tu­el­le Öffent­lich­keit: Er ver­ste­he schlech­ter­dings nicht, wie­so Pro­gres­si­ve und Libe­ra­le so viel Empa­thie für Flücht­lin­ge pre­dig­ten, dies aber nicht zustan­de­bräch­ten, wenn es um ein­hei­mi­sche Sozi­al­hil­fe­emp­fän­ger geht. Die Stoß­rich­tung ist also eini­ger­ma­ßen klar; hier spricht ein nüch­ter­ner Popu­lis­mus­ver­ste­her, der im Essay selbst dar­legt, daß der Popu­lis­mus ein Sym­ptom für tie­fer­sit­zen­de Pro­ble­me der west­li­chen Gesell­schaf­ten ver­kör­pert. Sei­ne Ana­ly­se ist weit­ge­hend zutref­fend: Er dia­gnos­ti­ziert eine wach­sen­de Wahr­neh­mungs­kluft zwi­schen aka­de­mi­scher Ober­schicht und brei­ten Schich­ten des Vol­kes, Arro­ganz der Eli­ten, die Kri­se der poli­ti­schen Reprä­sen­ta­ti­on, eine Spal­tung in »pro­gres­si­ve« Höher­qua­li­fi­zier­te und »popu­lis­ti­sche« Gering­qua­li­fi­zier­te usw. usf. Das alles ist aber nicht so ori­gi­nell, daß es sich 2017 gelohnt hät­te, die­sen Text aus dem Jah­re 2008 zu über­set­zen. Ins­be­son­de­re bei Bernd Ste­ge­mann fin­den sich ver­wand­te Über­le­gun­gen – und die­se sind aktu­el­ler, poin­tier­ter, tiefschürfender.

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David Van Reyb­roucks Für einen ande­ren Popu­lis­mus kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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