Was dem Leser hier vorliegt, ist ein ungewöhnlicher Reisebericht. Der Radebeuler Maler, Autor und langjährige Beiträger der Jungen Freiheit Sebastian Hennig – bekannt durch seine PEGIDA-Chronik Spaziergänge über den Horizont – hat sich auf eine Wanderung durch das Herz von »Dunkeldeutschland« begeben, die ihn über mancherlei Umwege von Radebeul bis Potsdam führte. Besser sollte man dafür vielleicht den romantischen Begriff der »Fußreise« benutzen. Er folgt damit den Spuren des sprachmächtigen Dresdner Journalisten und Heimatfreundes Edgar Hahnewald, der in den 1920er Jahren seine Wandererfahrungen in Buchform niedergelegt hatte und Anfang der 1960er Jahre im westdeutschen Exil verstarb. Dies klingt und ist unspektakulär, aber gerade aus diesem Sich-Einlassen auf das unspektakulär Vorhandene gewinnt das Buch seine Qualität. Zugleich lädt Hennig die Landschaft mit der Kraft persönlicher und historischer Erinnerungen auf. Er durchwandert keine ungezeichneten Oberflächen, sondern immer schon geprägte Räume, die auch zum Anlaß werden, Elemente der eigenen politischen Biographie zu reflektieren. »Unbewußt strebten meine Gänge zur Vergegenwärtigung einer abwesenden Bedeutung der durchstreiften Länder.«
Die Beobachtungsgabe des Autors führt dem Leser durch die Folgen der Einheit entvölkerte und entkernte Landstriche plastisch vor Augen. Über das Örtchen Nössig etwa heißt es: »Die Werkstätten und Läden sind überall geschlossen. An seiner abgesperrten Schmiede wurde der Nössiger Dorfschmied auf ein altes Laken porträtiert. Keine Kneipe, kein Lebensmittelgeschäft, nicht einmal ein Getränkehändler ist zu finden. Dafür verkünden überall Schilder die absurde Phrase ›Altgold ist Bargeld‹.« Die Verheerungen des Straßenbaus werden ebenso festgehalten wie die Schönheiten des wechselnden Lichts auf den Feldern, die meist überraschend aus dem Nichts auftauchenden Bewohner dieser aus der Zeit gefallenen Gegenden und die Spuren einer bedeutenderen Vergangenheit in Gestalt einer ehemaligen Kommende oder alten Kirche.
Die Intensität der Beschreibungen ebenso wie Stil und Detailverliebtheit erinnern bei völliger Eigenständigkeit an nicht wenigen Stellen an den leidenschaftlichen Topographen Peter Handke. Mit ihm teilt Hennig auch die Aversion gegen Verkehr, aggressive Radfahrer, anmaßende (meist westdeutsche) Reisebekanntschaften und steril renovierte Altbauten. Deutlich unterscheidet ihn jedoch der ganz andere Erfahrungsraum eines, der die Erfahrungen einer Diktatur mit der einer nachfolgenden zähen Kolonisierung durch eine von Geschichte entleerte Konsumgesellschaft zu vergleichen vermag. Diese beiden Systeme bleiben mit ihren Spuren in der Landschaft wie im Bewußtsein des Erzählers stets präsent und erlauben dem Leser, die erwanderten Räume auch in ihrer Tiefe als geronnene Zeit zu erleben. Die Leseerfahrung wird durch eine Vielzahl in den Text verwebter Photos noch suggestiver.
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Sebastian Hennigs Unterwegs in Dunkeldeutschland kann man hier bestellen.