Die Behauptung, der beste Teil eines Buches seien die Literaturangaben ist, sofern es sich nicht um die Gattung der Bibliographie handelt, ein vollständiger Verriß. Für Thor v. Waldsteins neu erschienenen Kaplakenband Macht und Öffentlichkeit muß eine Ausnahme gemacht werden. Die einem 67 kleinformatige Seiten umfassenden Text zugeordneten 143 Endnoten stellen dabei keine Bibliographie des Themas dar. Sie bilden keinen Forschungsstand ab, sondern verweisen gezielt auf jene Werke, die einer bürgerlichen Aufklärung über diesen weitschweifigen Stoff dienlich sind. Dies erst ermöglicht eine glaubwürdige wie auch verdauliche Einführung in das breite Thema »Macht und Öffentlichkeit«, die den Leser im Rahmen der je eigenen zeitlichen und geistigen Möglichkeiten zum Selbststudium einlädt. Damit schließt v. Waldstein keine wissenschaftliche, doch eine klaffende publizistische Lücke. Denn aufgrund des außergewöhnlichen Umfangs und des thematischen und disziplinären Facettenreichtums der beiden Fragen, wie Öffentlichkeit eigentlich zustande kommt und was sie bewirkt, werden diese fast stets auf eine von zwei Arten angegangen: Entweder verfaßt ein Medienwissenschaftler oder Soziologieprofessor eines jener fünfhundertseitigen Lehrbücher, die von Erstsemestern ohnehin nicht gelesen werden. Oder ein Journalist versucht sich an einer wahlweise essayistischen, wahlweise investigativen Abrechnung mit der Lügen‑, ‑Lücken- und Lumpenpresse, die bei aller Erheiterung doch nichts als sporadische Einsichten enthält.
Thor v. Waldstein hingegen gelingt es in 21 kurzen, sprachlich farbenfroh gestalteten Kapiteln, die verschiedenen Teilgebiete seiner Thematik nicht einfach nur anzureißen, sondern in sie hineinzugreifen und den Kern der jeweiligen Problematiken herauszureißen. Dabei geht es um die Herkunft der heutigen Öffentlichkeit aus dem Widerspruch des aufstrebenden und zunehmend aufklärerischer empfindenden Bürgertums gegen die Arkanpolitik fürstlicher Kabinette, in der sich die öffentliche Meinung als Gegenmacht zur Staatsgewalt herauskristallisierte; um den anthropologisch/soziologischen Mechanismus, der sich jeder unverfälschten Öffentlichkeitsbildung entgegenstellt, oder um die Unberechenbarkeit des Mediums Internet, die darin begründet ist, daß weder die weitere technische Entwicklung vorhersehbar ist, noch die soziale Wirkungsweise des relativ neuen Mediums wirklich erforscht ist, und zahlreiche bekannte Effekte (wie etwa die »Echokammer«) von ihrer Eigenlogik her zu einander diametral entgegengesetzten Ergebnissen führen könnten.
Macht und Öffentlichkeit verleugnet dabei nicht, daß es einer spezifischen Lage entsprungen ist, die der Autor mit den Worten beschreibt, »die Neue Rechte spräche am häufigsten von dem, was ihr fehlt«. Das rechte Dauertrauma der Machtlosigkeit aufgrund mangelnder oder feindlich gesteuerter Öffentlichkeit bleibt bestimmend, auch wenn Strategien zur Überwindung dieses unersprießlichen Zustandes grob skizziert werden.
Der Konzentration auf die konkrete Lage ist wohl auch die erstaunlichste Lücke dieses Buches geschuldet. Thor v. Waldstein stellt früh fest, »daß es echte Öffentlichkeit nicht gibt und nie gegeben hat«. Das ist ein Schluß, zu dem er ausgerechnet durch das Anlegen des habermasschen Maßstabes gelangt, wonach Öffentlichkeit nur dort besteht, wo keine angebbare Gruppe von ihr ausgeschlossen ist. Die Aussage, daß echte Öffentlichkeit nach allem Ermessen unmöglich ist, hat freilich außerordentliche demokratietheoretische Konsequenzen, die v. Waldstein kaum streift.
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