Der neurechte Netzkosmos ist innerhalb der letzten zwei Jahre zu einem veritablen Mitspieler in der Welt der Meinungsindustrie geworden. Egal ob bei der Bundestagswahl, bei der Torpedierung irgendeines neuen Hashtags, der zur Nachricht des Tages wird, oder durch Solidaritätskampagnen für unter Beschuss geratene Kameraden – die rechte Diskursblase erwies sich stets als fruchtbar und konnte, im Rahmen ihres Wahrnehmungsbereiches, teils beachtliche Erfolge erringen.
Das fiel auch der Truppe des öffentlich-rechtlichen Programms „funk“ auf, die man wohl als Leibhaftigwerdung der erwähnten Meinungsindustrie bezeichnen kann. Wie anders soll man es nennen, wenn Menschen von Steuergeldern dafür bezahlt werden, auf Netzplattformen, die für viele Menschen inzwischen einen nicht unerheblichen Teil der von ihnen erfahrenen Realität ausmachen, so tun, als wären sie zehn Jahre jünger, als sie tatsächlich sind, und – ohne inhaltliche Qualifikation, aber kraft der jugendlichen Ästhetik ihrer Videos – gezielte Beeinflussung der Nutzer dieser Plattformen betreiben, die jene Filmchen wiederum mithilfe von gekauften Werbealgorithmen unter denjenigen Inhalten präsentiert bekommen, die sie eigentlich interessieren. Das ist keine Verschwörung, es hat auch nichts mit ethischen Mediencodizes zu tun und natürlich auch nicht mit jener vielfältigen Kreativität und einer vermeintliche Egalitarisierung der Medien, die zum Markenkern von Unternehmen wie Facebook, Twitter oder YouTube geworden sind.
Stattdessen handelt es sich bei diesem Vorgang um den – übrigens typisch deutschen – Versuch, den vagabundierenden Irrationalismus der Netzkultur zu institutionalisieren und für den vorgegebenen Wertekanon in Stellung zu bringen. Als größten Feind dieses Kanons machte man dabei den triebhaftesten, niedrigsten, aus der allergrausamsten Schlangengrube der Menschenfeindlichkeit emporgestiegenen Motor aller gesellschaftlichen Fürchterlichkeiten aus: Den Hass. Eine gewiefte Verschlagwortung, die in den vergangenen Monaten zusammen mit vielen anderen Themen über den großen Teich zu uns nach Europa geschwappt ist. In Amerika ist sie noch wirksamer: Wer „Hasssprache“ (hate speech) benutzt, um Leute zu verletzen, steht semantisch quasi auf einer Stufe mit dem Vebrecher, der ein „Hassverbrechen“ (hate crime) begeht, das gemäß amerikanischer Rechtssprechung wesentlich schwerer zu bestrafen ist.
Aber zurück zu den nicht mehr ganz so jungen Wilden von „funk“. Die haben sich nämlich mit reichlich Verspätung quasi mitten in die geheime Zentrale des Hasses reingeschummelt und in der als hierarchische Onlineaktionsgruppe organisierten „Reconquista Germanica“ verdeckt und extrem investigativ recherchiert. Dabei mussten sie an ihre Grenzen gehen – um in der Hierarchie der virtuellen Gruppe aufzusteigen, galt es Kredibilität zu erlangen, also hassten sie in erster Reihe mit und dokumentierten diesen Vorgang. Solcherlei hate-postings lesen sich dann zum Beispiel so:
„#Fluechtlinge machen #Urlaub in ihrer Heimat. Unglaublich, was in diesem Land passiert! @BJBerlinJournal“
schrieb einer von ihnen etwa über einen Verweis auf einen entsprechenden Artikel. Sie merken: Das Ressentiment schwitzt aus jeder ekelhaften Pore dieser Zeilen. Doch damit nicht genug; um ihre Recherchemöglichkeiten voll auszunutzen, mieteten sie sich ein total hippes Geheimquartier in einer hergerichteten Industrieruine und hausten dort in einem kommunitären Investigativbüro zwischen unverputzten Wänden und dem wohl erbärmlichsten Versuch einer Mindmap, den das Internet jemals gesehen hat. Ihr Team: Eine in allen Farben des Regenbogens schillernde Truppe aus Geisteswissenschaftlern, Psychologen, Netzaktivisten und Hackern, gruppiert um den dauerbetroffenen Rayk Anders, dem die ganzen Sachen irgendwie voll nah gehen, aber der sich trotzdem definitiv nicht unterkriegen lässt. Dabei schimmert zwischen den Zeilen eine Kernhypothese durch, die der unstrukturierten Handlung der als „Dokumentation“ vermarkteten Meinungsmache als roter Faden dient: Hinter der vordergründigen Ironie der Netztrolle stecke ein perfider Plan weniger rechtsextremer Aktivisten, die versuchen, die leichtgläubigen Mediennutzer mit sich ins Verderben zu ziehen.
Ich gebe ganz aufrichtig zu: In den ersten Minuten des Films war ich ein wenig verunsichert. Die Hipsterabsteige in der Ruine, der sympathische Pathos des endlich-mal-wirklich-verstehen-Wollens und die Ankündigung investigativer Recherche versprachen einen nicht zu vernachlässigenden Propagandawert. Und auch das Gesamtkonzept – eine buntdurchmischte Truppe, die aussieht wie das lebendig gewordene Wunschbild der befreiten Multikultigesellschaft im Kampf gegen böse Internetnazis – hätte womöglich aufgehen können.
Wenn man tatsächlich etwas rausgefunden hätte. Die heißeste Information – der bekannte AfDler Lars Steinke hat mal an einer Onlineaktion der „Reconquista Germanica“ teilgenommen – wurde dem hochprofessionalisierten Rechercheteam in einem Interview offenbart; und zwar von Steinke selbst, der gar nicht versuchte, diese Aktivität geheimzuhalten. Auch in den anderen Interviews bleiben die fiesen Nachfragen aus. Im Gegenteil: In nicht unerheblichem Maße werden O‑Töne der verschiedenen Aktivisten ausgestrahlt – zwar unterlegt mit der bekannten bedrohlich-tristen Soundkulisse und behutsam zusammengeschnitten – aber ohne die Bloßstellung zu erreichen, die an der Stelle womöglich geplant worden war.
Der absolute Höhepunkt dann am Ende: Nachdem sie in den düsteren Kreisen der rechten Netzkrieger genug Erfahrung gesammelt haben, fühlt sich das Rechercheteam bereit, eine eigene Internetarmee aufzubauen, um in den digitalen Feldzug gegen den Hass zu ziehen. Nach kurzer und anscheinend sehr erniedrigender Weltnetzschlacht in den Kommentarspalten von YouTube und Co. gestehen sie ihre Niederlage ein. Zwischenzeitlich war es anscheinend Netzaktivisten gelungen, die gesamte Social-Media-Präsenz des „funk“-Vorzeigedullies Tarik Tesfu inklusive seines YouTube-Kanals auszulöschen. Die kleine rechte Truppe aus vermeintlich im Keller der Eltern lebenden Pickelgesichtern hatte offensichtlich etwas mehr auf dem Kasten als der von öffentlichen Geldern bezahlte Hacker der Gruppe, dessen Hauptaufgabe es zu sein schien, eine Transe zu sein.
Vielleicht war diese Niederlage der ausschlaggebende Grund dafür, dass die Dokumentation mit dem treffenden Namen „Lösch‘ Dich!“ eigentlich gar nicht zur Ausstrahlung bestimmt war. Blöd nur, dass sie irgendwie trotzdem ihren Weg ins Netz gefunden hat. Da half nur noch das am weitesten entwickelte Waffensystem des bundesrepublikanischen Infokrieges: Oberwürstchen Böhmermann sprang seinen Kollegen bei und kündigte an, seinerseits eine „Reconquista Internet“ aufstellen zu wollen. Den entsprechenden Aufruf verlas er – in Anlehnung an ein vergleichbares Video rechter Internettrolle – mit Stahlhelm, Sturmhaube und pathetischer Stimme, aus der zeitweise jegliche Ironie gewichen war. Bei seiner Ankündigung, die Identitäten und Social-Media-Profile rechter Netzaktivisten zu veröffentlichen, spiegelte sich in seinen Augen als Inbegriff der repressiven Toleranz dann auch eine uns nur zu gut bekannte Fratze wider: Es war der alte Hass, die Begeisterung an der vernichtenden Logik des Mobs, gegen das Rayk und seine Truppe dereinst zu Felde gezogen waren.
Den Film „Lösch‘ Dich“ finden Sie unter diesem Link. Und wo wir schonmal dabei sind: Vergessen sie nicht, dem Video einen Daumen nach unten zu geben.
silberzunge
Nachdem Shlomo von der Vulgären Analyse die peinliche Rayk-"Doku" geleakt hat, bekam man im Staatsfunk wohl Angst. Es ist ja erheiternd, dass der Böhmermann mit Rayk gemeinsame Sache macht und einen programmatischen Schwerpunkt des Senders gegen die Rechten im Netz setzt. Es war im Übrigen die erste Sendung, die ich von Böhmermann gesehen habe. Ich kann es kaum glauben, dass es in Deutschland Menschen gibt, die DAS komisch finden. Rayk ist natürlich über die Gebühr betroffen, weil er mit einer Muslima verheiratet ist und demnach alles tut, um den Islam zu schützen. Anstatt das innerislamisch zu klären, wettert er gegen Rechts. Bringt auch mehr Prestige und Verständnis.
Noch dazu stellte sich ja heraus, dass der Discord-Kanal von Reconquista Germanica öffentlich ist und man sicht dort nicht "reinhacken" muss. Insgesamt einfach nur erbärmlich, aber eben typisch für Lakaien des Staatsfunks.