Willi Jasper: Der gläserne Sarg. Erinnerungen an 1968.

Der aufmerksame Leser der Sezession sollte zunächst Heft 70 (Februar 2016) konsultieren,

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

in dem Arne Frei­wald in sei­nem Auf­satz »Mao in Deutsch­land« die schil­lern­de Welt der mao­is­ti­schen Grup­pie­run­gen in West­deutsch­land ab den 1960er Jah­ren plas­tisch verdichtete.

Danach fällt der Ein­stieg in das her­aus­ra­gen­de Buch Wil­li Jas­pers deut­lich leich­ter, weil man den ers­ten Über­blick über die K‑Grup­pen-Welt – von KPD/Aufbauorganisation (AO)über KPD/Marxisten-Leninisten(ML) bis zu den expli­zi­ten Natio­na­lis­ten der Mar­xis­ten-Leni­nis­ten Deutsch­land (MLD) und den eben­so expli­zi­ten Anti­na­tio­na­len um Kom­mu­nis­ti­schen Bund Nord (KB)und Kom­mu­nis­ti­schen Bund West­deutsch­land (KBW) – wie­der im Bewußt­sein hat.

Sie alle waren das Resul­tat eines auto­ri­tä­ren Wan­dels der anti­au­to­ri­tä­ren 68er Über­bleib­sel. Nach dem Stre­ben für Eman­zi­pa­ti­on und tota­le Befrei­ung such­ten sie im auto­ri­tä­ren Chi­na Maos ideo­lo­gi­sche Ori­en­tie­rung; sie waren über­wie­gend straff hier­ar­chisch kon­sti­tu­iert und ver­meng­ten mao­is­ti­sche, leni­nis­ti­sche und anti­so­wje­ti­sche Theo­re­me mit bun­des­deut­schen Problemen.

Der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Wil­li Jas­per zähl­te sei­ner­seits zur KPD/AO, die stark von Ger­ma­nis­ten geprägt war. Für alle K‑Gruppen glei­cher­ma­ßen defi­niert er ihre Mao-Apo­theo­se als Fas­zi­na­ti­on für die Wider­spruchs-Denk­schu­le des chi­ne­si­schen Dik­ta­tors, »erfüllt von der uto­pi­schen Hoff­nung, die sozia­len Unge­rech­tig­kei­ten des Kapi­ta­lis­mus und die glo­ba­le Aus­beu­tungs­si­tua­ti­on auf­he­ben zu kön­nen. In die­sem Sin­ne woll­ten wir ›dem Vol­ke die­nen‹ und rebel­lier­ten gegen die bür­ger­li­che deut­sche Kulturtradition«.

Die Rebel­li­on, so unter­schied­lich sie aus­fiel, führ­te eini­ge der Mao­is­ten in eine zeit­wei­li­ge geis­ti­ge Kol­la­bo­ra­ti­on mit dem Geno­zid­re­gime Pol Pots; vor allem der KBW tat sich in der Ver­herr­li­chung des »Agrar­kom­mu­nis­mus« hervor.

Pro­mi­nen­te Mit­glie­der waren bei­spiels­wei­se Joscha Schmie­rer (spä­ter Bera­ter der Rot-Grün-Regie­rung Schröder/Fischer) oder Win­fried Kret­sch­mann, der aktu­el­le grü­ne Minis­ter­prä­si­dent Baden-Württembergs.

Man könn­te aus­gie­bi­ge­res Name drop­ping betrei­ben, letzt­lich wird – jen­seits kon­kre­ter indi­vi­du­el­ler Ver­feh­lun­gen – in einem all­ge­mei­nen Sin­ne deut­lich, daß rech­te Akteu­re von heu­te kei­ner­lei Recht­fer­ti­gungs­be­darf vor anti­fa­schis­ti­schen Anklä­gern mit kul­tur­re­vo­lu­tio­nä­rem Hin­ter­grund von damals akzep­tie­ren soll­ten; die »Kul­tur­re­vo­lu­ti­on von rechts« (Alain de Benoist) kennt kei­ne Affir­ma­ti­on des Mas­sen­mor­des, muß sich also nicht vor jenen erklä­ren, die einst – etwa im links­in­tel­lek­tu­el­len Kurs­buch – Pol Pots all­seits bekann­te Mas­sen­mor­de als »viet­na­me­si­sche Pro­pa­gan­da« abkanzelten.

Ansons­ten ist das Buch emi­nent lesens­wert: Stel­len­wei­se liest es sich wie ein his­to­risch-poli­ti­scher Roman. Dar­un­ter muß die anschau­li­che War­nung davor, als poli­tisch radi­ka­le Strö­mung in die »Sack­gas­se von Mili­ta­ri­sie­rung und Dog­ma­ti­sie­rung« ein­zu­bie­gen, eben­so sub­su­miert wer­den wie das ange­ris­se­ne Phä­no­men der Kar­rie­re­we­ge alter Mao­is­ten und Links­ra­di­ka­ler, die heu­te das Estab­lish­ment durch­zie­hen und ihre alten Ideo­lo­gien zuguns­ten markt- und links­li­be­ra­ler Agen­den abstreiften.

Daß gera­de sie oft­mals jene sind, die beson­ders mora­lisch und laut »gegen rechts« argu­men­tie­ren, zeigt, daß Selbst­kri­tik nicht unbe­dingt als die expli­zi­te Stär­ke der Vete­ra­nen von 1968ff. gel­ten kann.

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Wil­li Jas­pers Der glä­ser­ne Sarg. Erin­ne­run­gen an 1968 und die deut­sche »Kul­tur­re­vo­lu­ti­on«, Ber­lin: Matthes & Seitz Ber­lin 2018. 256 S., 24 € kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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