Robert Pfaller: Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden

Erwachsene Menschen genießen »Geschlecht, Begehren, Geselligkeit, zivilisiertes Rollenspiel, finstere Genüsse, weiße Lügen oder schwarze Wahrheiten, gespaltenes Sprechen, befreiendes Fluchen oder auch nur charmantes Scherzen und Glück im allgemeinen«.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Der erwach­se­ne Mensch kann des­we­gen »erwach­sen« genannt wer­den, weil er der­glei­chen beherrscht, weil er kul­ti­viert ist, weil er Zwei­deu­tig­kei­ten erträgt, weil er sub­li­mie­ren kann. Er muß nicht vor adult lan­guage gewarnt wer­den, braucht kei­ne Schock­pho­to­gra­phien auf Tabak­pa­ckun­gen und kei­ne uni­ver­si­tä­ren Schutz­räu­me vor Vor­le­sun­gen alter wei­ßer Män­ner. Viel­leicht, merkt Pfal­ler an einer Stel­le sei­nes Buches an, ist ja das übel beleu­mun­de­te mans­plai­ning, daß Män­ner immer Frau­en alles erklä­ren müs­sen, kei­ne Herr­schafts­ges­te, son­dern Höf­lich­keit: er das Leben erklärt bekom­men soll, ist jün­ger an Jah­ren – und wel­che Frau möch­te nicht für jün­ger gehal­ten werden?

Robert Pfal­ler, Wie­ner Psy­cho­ana­ly­ti­ker und Phi­lo­soph, Žižek-Schü­ler und lin­ker Den­ker, ist auf der rich­ti­gen Spur. Er erkennt mit siche­rem Gespür die logi­schen und psy­cho­lo­gi­schen Abgrün­de von Höf­lich­keit, schwar­zem Humor (per­fek­te Ana­ly­se!), poli­ti­scher Kor­rekt­heit, soge­nann­ter »Haß­re­de« und der »Tyran­nei der Inti­mi­tät« (Richard Sen­nett) in unse­rer post­mo­der­nen Moderne.

Die gegen­wär­tig gras­sie­ren­de Ermun­te­rung an alle Mar­gi­na­li­sier­ten, Müh­se­li­gen und Bela­de­nen, ihre Marot­ten in Form von iden­ti­ty poli­tics in die Öffent­lich­keit zu tra­gen, zer­stört die Öffent­lich­keit, weil sie infan­ti­li­siert wird. Das ist die Haupt­the­se des Buches.

Pfal­ler begrün­det die­se The­se aller­dings falsch. Er meint, der Sinn von Öffent­lich­keit wäre »Gleich­heit« im sozio­öko­no­mi­schen Sin­ne. Am glo­ba­len Kapi­ta­lis­mus wäre das beson­ders Per­fi­de, daß er, indem er jeder Mino­ri­tät und jedem Ein­zel­sub­jekt zu einer »Iden­ti­tät« ver­hilft, die Men­schen ungleich statt gleich macht. Sie kämp­fen nicht mehr für Gleich­be­rech­ti­gung, son­dern nur mehr für ihre Beson­der­heit, soli­da­ri­sie­ren sich nicht, son­dern stel­len ihre Schutz­räu­me und Iden­ti­täts­po­li­ti­ken gegeneinander.

Pfal­ler for­dert poli­tisch mehr Gleich­heit, »weil Men­schen, die Aus­sicht auf Gleich­heit haben, auf­hö­ren, ihre Vor­tei­le in Dif­fe­ren­zen zu suchen.«

Jedoch – ist nicht das Ver­spre­chen von mehr zukünf­ti­ger Gleich­heit eine ziem­lich pater­na­lis­ti­sche Behand­lung der Leu­te? Und ist es nicht außer­dem anthro­po­lo­gisch zweifelhaft?

Unglei­che sind sehr viel eher in der Lage, die Zumu­tun­gen der ande­ren zu ertra­gen, weil sie um deren Abgrün­de wis­sen und dar­um, daß die Welt nicht auf­geht. Der Autor muß, so scheint es, sei­ne poli­ti­sche Ziel­set­zung (lin­kes Klas­sen­be­wußt­sein, Kampf gegen den Kapi­ta­lis­mus und Ver­hin­dern des Rechts­po­pu­lis­mus) auf Bie­gen und Bre­chen in sei­ne fei­ne Beob­ach­tung ein­flech­ten, wodurch er sie an vie­len Stel­len zerlöchert.

Pfal­ler argu­men­tiert gegen den heu­ti­gen Femi­nis­mus bei­spiels­wei­se exakt so, wie es auch Camil­le Paglia tut: »Hat­ten die Kon­ser­va­ti­ven lan­ge Zeit der Gesell­schaft den Sex zu ver­bie­ten ver­sucht, so war es plötz­lich die auf­be­geh­ren­de Lin­ke selbst, die Grün­de dage­gen fand.« Nur Erwach­se­ne (phy­sisch wie psy­chisch) kön­nen mit dem Sex umge­hen. Daß sie »star­ke und gefähr­li­che Wesen« im nietz­sche­schen Sin­ne und nicht schwa­che Opfer sind, ist für Pfal­ler aller­dings gleich­be­deu­tend mit ihrer demo­kra­ti­schen citoy­enne­té (um nicht Bür­ger­lich­keit sagen zu müssen).

War­um nur hängt er fest an der (mit sei­nen eige­nen Werk­zeu­gen ana­ly­sier­ba­ren) Illu­si­on, daß die Lin­ke der Rech­ten über­le­gen wäre, inso­fern sie »Ver­nunft« reprä­sen­tie­re und des­halb »erwach­sen« wäre? Zu jeder Ver­nunft gibt es nicht erst seit Freud eine min­des­tens genau­so gro­ße Men­ge Unver­nunft – der Witz des Erwach­sen­seins besteht doch dar­in, des­sen ein­ge­denk zu sein, und mit sei­nem Über-Ich und auch mit dem von Pfal­ler ins Spiel gebrach­ten kind­li­chen Unter-Ich haus­hal­ten zu kön­nen. Da er aber lei­der an sei­ner Illu­si­on fest­hängt, schreibt er dann so kind­lich-froh­ge­mu­te Sät­ze wie »Alles was uns heu­te stört, könn­ten wir dann eben­so gut begrü­ßen und gut­hei­ßen«. Klar, wir könn­ten total glück­lich sein und nicht immer die Rol­le der abge­häng­ten nei­di­schen Res­sen­ti­ment­rech­ten spie­len. Dazu müß­ten wir aber Lin­ke oder Kin­der wer­den, und nicht die Erwach­se­nen, die wir längst sind.

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Robert Pfal­lers Erwach­se­nen­spra­che. Über ihr Ver­schwin­den aus Poli­tik und Kul­tur, Frank­furt a.M.: S.-Fischer-Verlag 2017. 205 S., 15 € kann man hier bestel­len.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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