Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte mit dem Schwerpunkt Afrika in Hamburg und Leiter der vom Hamburger Senat dort eingerichteten Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“, gehört mit zu den Hauptanklägern, wenn es gilt, die angebliche „koloniale Amnesie in der deutschen Gesellschaft“ zu geißeln.
Besonders anstößig erscheint ihm in diesem Zusammenhang vor allem das Humboldt Forum, dessen „kolonialer Kern“ sich in einem Gebäude „manifestiere“, das „auch auf die im deutschen Kolonialreich verübten Greueltaten“ verweise. Der Genozid an den Herero und Nama sei im Namen des deutschen Kaisers Wilhelm II. verübt worden. Es wiege schwer, daß in der deutschen Hauptstadt „der Prunk der Monarchie feierliche Urstände“ feiere.
Aus seiner Sicht geht es bei der Debatte um das Humboldt Forum „um die großen Fragen der deutschen Geschichte und deutschen Identität“. Vor diesem Hintergrund erscheinen ihn das Humboldt Forum und das Stadtschloß auch als Versuch, die „deutsche Geschichte nach 1945 an die große, vermeintlich nicht-kontaminierte Geschichte des langen 19. Jahrhunderts rückzubinden“.
Die Geschichte des Kolonialismus „mit seinen inhärenten Praktiken des Rassismus und der Ausbeutung“ liege quer dazu. Die „Geschichte von Rassismus, Ungleichheit und Ausbeutung“ belaste das Humboldt Forum.
Wenn Zimmerer als Konsequenz daraus die „inhaltliche Dekolonialisierung des Museums“ einfordert und die Direktive ausgibt, man müsse sich der „Rolle der Sammlungen und Museen bei der Produktion des eurozentrischen Blicks, bei der Entstehung von Stereotypisierungen und Rassismen“ stellen, läuft das auf eine (gewünschte) Politisierung des Museumsbetriebes hinaus.
Wohin diese Politisierung führt, zeigt unter anderem das „Weltmuseum Wien“, das bis 2013 „Museum für Völkerkunde“ hieß. Welchem Geist dieses Museum heute folgt, brachte der Niederländer Steven Engelsman, bis Ende 2017 Leiter Direktor des Museums, wie folgt auf den Punkt:
200.000 Objekte mit Migrationshintergrund sind jetzt hier. Und zur gleichen Zeit wohnen hier in Wien 800.000 Menschen mit Migrationshintergrund auch aus der ganzen Welt. Und in gewissem Sinne ist das ihr kulturelles Erbe, was hier im Haus liegt.
Weiter erklärte Engelsman, der als „exzellenter internationaler Netzwerker auf dem Gebiet der europäischen und asiatischen Ethnologie“angepriesen wird:
Es gibt diese Menschen, die Migration verhindern wollen. Die Angst vor dem Fremden ist ein großes Thema in der Politik geworden und wird von nahezu allen Parteien aufgegriffen. Man kann diese nicht leugnen. Wir befassen uns genau damit in einem unserer Säle und gehen das Thema dort breit an. Es wird besonders für Schulklassen gut aufbereitet. Damit verstanden wird: Migration gehört zum Menschen wie Sonne und Regen zum Wetter. Und keine Partei kann verhindern, daß die Sonne scheint oder es regnet!
Seit seiner Wiedereröffnung sieht sich der Besucher nun mit indoktrinierenden Schautafeln konfrontiert, auf denen u. a. zu lesen steht:
„Wir leben in einer Welt in Bewegung. Migration ist heute ein natürlicher und guter Prozeß. Man sollte sie als etwas verstehen, das die Welt bereichert, und nicht unbedingt als Bedrohung sehen“
oder:
Viele museale Gegenstände werden mit kolonialer Macht, Zwang und Enteignung in Verbindung gebracht.
Auf diese Weise zeitgeistig aufdrapiert, wird das Museum zur volkspädagogischen Anstalt, zu einem Hort der offenen und verdeckten Selbstanklage bzw. zum Instrument der „Bewußtseinsveränderung“. Der Berliner Tagesspiegel ortete in diesem Konzept denn auch gleich eine „Blaupause für das Humboldt Forum“.
Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, einer der drei Gründungsintendanten des Humboldt Forums, brachte die damit verbundenen Botschaften in der Wochenzeitung Die Zeit wie folgt auf den Punkt:
Nicht die Wertschätzung der Exponate fremder Kulturen, sondern die hypostasierte Schuld, diese zu besitzen, steht gegenwärtig im Fokus.
Den „Postkolonialisten“ geht es freilich nicht nur um die „Schuld“ im Hinblick auf die möglicherweise zweifelhafte Herkunft mancher Exponate fremder Kulturen, sondern vor allem um die Dekonstruktion der „eurozentristischen Diskurse“ oder „Sichtweisen“.
Am Ende dieser Dekonstruktion steht dann in der Regel das, was vorausgesetzt wird, nämlich das Narrativ von Rassismus, Ungleichheit und Ausbeutung. Daß damit die eigene, spezifisch deutsch oder „weiß“ geprägte Kultur am Pranger steht, die das alles hervorgebracht haben soll, liegt in der Natur der Sache.
Es geht unter dem Deckmantel der Aufarbeitung des Kolonialismus also um etwas Grundsätzlicheres, nämlich um das „Weißsein“ insgesamt, das u. a. die sogenannte „Kritische Weißseinsforschung“ („Critical Whiteness“, KWF) zum Agitationsfeld ihrer dekonstruierenden Diskurse gemacht hat.
Wie die Multikulturalismus- oder Gender-Diskurse mit ihren nicht mehr überblickbaren Filiationen handelt es sich auch hier vor allem um einen Theorieexport aus den USA, der auf europäische Verhältnisse „kontextualisiert“ wird.
Kolonialismus und Postkolonialismus sind ein wesentliches Anwendungsgebiet der KWF, die längst auch die deutschen Universitäten erreicht hat und nun wichtigtuerische, wiederkäuende Zweit- und Drittverwerter hervorbringt, die mit den ihnen eigenen Sprachspielen die „weiße Dominanz- und Hegemonialkultur“, deren angeblich „unreflektierte Normen“ zu schleifen sind, in immer neuen Anläufen geißeln.
Zu den deutschen Propagandisten der KWF gehört zum Beispiel die Anglistin und Afrikawissenschaftlerin Susan Arndt, u. a. Autorin eines Buches über die „101 wichtigsten Fragen zum Thema Rassismus“, die den vorsichtigen Einwand, daß diese „Forschungsrichtung“ doch wohl kaum auf deutsche Verhältnisse übertragen werden könne, mit der Rassismuskeule aus dem Feld schlägt:
Rassismus ist ein paneuropäisch-westliches Narrativ mit globaler Wirkung und immenser struktureller Macht. Weißsein ist auf der ganzen Welt eine Währung, an der ökonomische, gesellschaftliche und politische Privilegien hängen.
Daß diese Privilegien und vor allem die weißgeprägte Kultur, die sie möglich gemacht hat, nun „kritisch dekonstruiert“ werden müssen, damit die „Mitte der Gesellschaft“ endlich aus ihrem rassistisch verseuchten Tiefschlaf erwacht, versteht sich dabei von selbst. Das hat auch der Berliner Tagesspiegel begriffen, der brav seine Lektion herunterbetet:
Will man als ‚weißer Deutscher‘ der rechten Kulturrevolution Einhalt gebieten, sollte man sich im Sinne der Critical Whiteness zunächst mit den eigenen Privilegien und Vorurteilen und vor allem mit der unbekannten Erfahrungswelt der Diskriminierten befassen. Die deutsch-weiß-christliche Normalität wird demgemäß nicht bloß durch AfD-Agitprop und Pegida-Parolen lanciert, sondern von der Mitte der Gesellschaft stillschweigend – und oft unwissentlich – vorausgesetzt.
Der britische Publizist Douglas Murray zählt das auch hier wieder mitschwingende Schuld-Narrativ in seinem gerade auf deutsch veröffentlichten Buch Der seltsame Tod Europas: Immigration, Identität, Islam neben der (islamischen) Masseneinwanderung, dem Verblassen der Bindekräfte des Christentums und der immer weitergehenden Einschränkung der Redefreiheit zu denjenigen Faktoren, die den Niedergang des Westens kennzeichnen.
Dieser Niedergang geht quasi zwangsläufig mit einem immer weiter um sich greifenden Kulturrelativismus einher. Ein Beispiel hierfür gab Macron im Januar 2017 während seines Wahlkampfes, als er erklärte:
Es gibt keine französische Kultur. Es gibt Kultur in Frankreich. Und die ist verschiedenartig.
Als gelehrige Nachbeterin Macrons stieß die ehemalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, kurz danach in das gleiche Horn, als sie behauptete, daß eine „spezifisch deutsche Kultur“ „schlicht nicht identifizierbar“ sei.
Was sich hier pars pro toto widerspiegelt, ist, legt man das Buch von Murray zugrunde, die Krise des Vertrauens der Europäer in die Legitimität ihrer eigenen Überzeugungen und Traditionen, sprich: in die eigene Kultur. Unentwegt am Köcheln gehaltene Schuldgefühle und Selbstzweifel, wie sie auch in der Art und Weise sichtbar werden, wie die oben angesprochene Kolonialismusdebatte geführt wird, ziehen eine sukzessive Erosion der Fundamente der eigenen Kultur nach sich.
Diese Kultur wird als „einfältig“ denunziert; sie soll nun endlich „Vielfalt“, „diversity“ Platz machen, damit wir nicht in „Inzucht degenerieren“, wie es der Christdemokrat Wolfgang Schäuble ausdrückte, mittlerweile der dienstälteste Abgeordnete der deutschen Parlamentsgeschichte.
Murray macht auf die unterschwellige Botschaft aufmerksam, die mit der „Vielfalts“-Propaganda verbunden ist: Offenbar bräuchten nur die (schuldbelasteten) europäischen Kulturen – und hier insbesondere die deutsche, wird man ergänzen müssen – Migration, um „vielfältiger“ oder „toleranter“ zu werden, außereuropäische (= schuldfreie) hingegen nicht.
Es ist unübersehbar, daß sich die hier im Hintergrund stehenden Maximen des geschichtslosen Universalismus vor allem gegen das „weiße Europa“ wenden. Dieser Universalismus wird unter dem Codewort „kultureller Wandel“ „kommuniziert“.
Er hat unter anderem eine Art Appeasementpolitik gegenüber kulturfremden Erscheinungen wie „Ehrenmorden“, Zwangs‑, Viel- oder Kinderehen oder Genitalverstümmelungen hervorgebracht, die im klaren Gegensatz zu dem stehen, was in Deutschland zum Kanon der „zivilisatorischen Errungenschaften“ gezählt wird.
Daß derartige Erscheinungen mehr oder weniger hingenommen werden, zeigt, wie weit der sogenannte „kulturelle Wandel“ in Deutschland bereits vorangeschritten ist. Der Euphemismus „kultureller Wandel“ bedeutet bei Lichte betrachtet nichts anderes als die Verunsicherung darüber, welche Grundlagen unserer Kultur noch als nicht „rassistisch durchseucht“ und damit als entsorgungswürdig gelten können.
Dieser „Wandel“ läuft auf die immer voranschreitende Auflösung der eigenen Kultur hinaus, verstanden als „Lebensweise einer Gesellschaft“, wie es der US-Ethnologe Clifford Geertz Kultur einmal definiert hat.
Diese Lebensweise und die dahinterstehende Mentalität stehen heute im Zuge des Migrations- und Rassismusdiskurses zur Disposition. Insofern geht es jetzt tatsächlich, um noch einmal auf Jürgen Zimmerer zurückzukommen, „um die großen Fragen der deutschen Geschichte und deutschen Identität“.
Andreas Vonderach
Das Buch von Susan Arndt, „101 wichtigsten Fragen zum Thema Rassismus" habe ich mal angelesen, die Frau ist vollkommen irre.