Gelegentlich erreichen mich, via Mail oder über private Kanäle, Hinweise, Empfehlungen, oder Wünsche mit dem Betreff „Sonntagsheld“. Das kann vom privaten Faible bis hin zur bekannten Persönlichkeit jeder sein, in der Regel entscheide ich dann nach Aktualitätsbezug, der eigentlich den Basso continuo dieser Kolumne darstellt.
Vor ein paar Tagen erreichte mich wieder so eine E‑Mail mit dem freundlichen Hinweis auf einen jungen, toten Russen namens Jewgeni Alexandrowitsch Rodionow.
Tot also und das nicht erst seit gestern, sondern schon seit 22 Jahren, auch Geburts- und Todesdatum gaben keinen vernünftigen Andockpunkt, aber wenn ich mir in den vergangenen 67 Artikeln etwas angewöhnt habe, dann ist es der Grundsatz die Helden zu feiern wie sie fallen.
Und von allen freundlichen Hinweisen hat mich keiner so berührt wie dieser. Deshalb erzähle ich heute die Geschichte des heiligen Soldaten Jewgeni Rodionow und seiner Mutter.
Am 23. Mai 1996 wurde der Wehrdienstleistende Rodionow von einem tschetschenischen Islamisten enthauptet, nachdem man ihn mehrere Monate lang gefangen gehalten und gefoltert hatte. Was hatte er, von dessen Verschwinden seine Mutter erfuhr, weil man dachte er sei desertiert, getan, um dieses Schicksal zu verdienen?
Rodionow wollte Koch werden, las ich bei meiner Recherche und er wollte – als er zum Wehrdienst eingezogen wurde – seinen Dienst unbedingt in Tschetschenien ableisten. Die Informationen über seine Dienstzeit sind spärlich, was man über sein kurzes Leben herausfindet, das ist vollgesogen mit der düsteren Mystik der russischen Orthodoxie und klingt wie eine Geschichte aus den Straßen des brennenden Konstatinopels.
Soviel ist bekannt: Er versah seinen Dienst mit einer Handvoll weiterer Kameraden an einem Militärposten auf einer einsamen Straße, als die Gruppe bei der Kontrolle eines Krankenwagens von tschetschenischen Rebellen angegriffen und überwältigt wurde. Die folgenden drei Monate Gefangenschaft und ein Frühlingstag im Mai waren es, die den jungen Jewgeni zu einem Märtyrer machen sollten.
Als er elf Jahre alt war, hatte er beim Kirchenbesuch mit der Großmutter ein silbernes Kreuz geschenkt bekommen, das er seitdem nicht mehr abgelegt hatte. Als die Tschetschenen die Halskette entdeckten, forderten sie ihn auf das Kreuz abzunehmen und zum Islam zu konvertieren, doch Jewgeni weigerte sich.
Sie ließen ihm die Kette, folterten ihn und sperrten ihn ein – Jewgeni versuchte zu fliehen, scheiterte jedoch. Am 23. Mai, seinem 19. Geburtstag, irgendwo bei Bamut, wiederholten sie ihre Forderung – diesmal mit einem Messer in der Hand.
Jewgeni weigerte sich wieder und wurde, zusammen mit seinem Kameraden Andrey Trusov enthauptet, die zwei anderen Soldaten, Igor Yakovlev und Alexander Zheleznov, wurden erschossen.
Hier könnte die Geschichte aufhören, aber wir könnten sie nicht erzählen ohne Ljubow Rodionowa, die Mutter des toten Soldaten, der seit dem Bekanntwerden seines Schicksals von Russlands Soldaten wie ein Heiliger verehrt wird.
Als sie von offizieller Stelle von der angeblichen Desertion ihres Sohnes erfuhr, stieg Ljubow in einen Zug nach Tschetschenien, um ihn zu suchen. Fast ein Jahr lang wanderte sie das Bürgerkriegsgebiet ab, folgte verminten Straßen, versetze ihr Haus, um Geld zu haben und befand sich zeitweise selbst in der Gefangenschaft tschetschenischer Rebellen.
Am Ende traf sie den Mann, der ihrem Sohn den Kopf abgeschnitten hatte: Ruslan Chaichorojew berichtete Ljubow von ihrem Jewgeni, der lieber hatte sterben wollen, als seinen Glauben zu verraten. Dann verkaufte er ihr seinen Leichnam und seinen Kopf.
Bei der Exhumierung der verscharrten Toten erkannte Ljubow ihren Sohn an seinen Stiefeln und an einer silbernen Halskette mit einem Kreuz – die Rebellen hatten nicht gewagt, sie ihm abzunehmen.
Gast auf Erden
...erinnert sehr stark an "die21". Wie tief ist orthodoxer Glaube in den Menschen verwurzelt, über deren uns fremd anmutende Riten und Liturgien wir mit unserem westlichen Stuhlkreis-Klerikalismus lange Zeit allenfalls die Nase gerümpft haben. Das Heilige kehrt aber auch hierzulande zurück; immer mehr Menschen spüren, dass es die "große Scheidung", wie C.S.Lewis formulierte, doch gibt; sie wird dem Westen immer mehr abverlangt. Danke für das Recherchieren dieser Berichte, auf dass die ungenannten Helden genannt werden.