Aber ich habe für diesen Montagshelden ein paar Artikel gelesen und ein bisschen recherchiert und jetzt weiß ich wohl, dass die meisten Spieler der kroatischen Nationalelf genauso Millionäre sind wie das bei anderen Mannschaften der Fall ist, dass das örtliche Vereinssystem balkanös-korrupt und auf die alles beherrschende Talentschmiede Dinamo Zagreb zugeschnitten ist und, dass viele kroatische Fans mit diesem System durchaus unzufrieden sind. Aber gut, bei dieser WM und besonders beim vergangenen Finale ging es ja nicht um Fußball, deshalb: Zurück zum Thema.
Im Finale standen sich – sei es Schiebung oder Schicksal – zwei Antagonisten gegenüber: Eine Mannschaft voller kultureller und ethnischer Buntheit, welche das Land Frankreich repräsentieren sollte und die kroatische Elf, die halt aus Kroaten bestand: Ustascha-Liedgut und “Slawa Ukraini” traf auf Diversity und Republikanismus. Wie kaum zwei andere verkörperten dabei zwei Spieler diese Pole. Der eine: Kylian Mbappé, aufgewachsen im französischen Banlieu im berüchtigten Département Seine-Saint-Denis, Sohn algerischer und kamerunischer Eltern, Stürmer. Der andere, Dejan Lovren, Bürgerkriegsflüchtling, aufgewachsen in Deutschland, nach Ablauf des Visums Rückkehr nach Kroatien, Abwehrspieler.
Lovren war es, der nach dem Sieg über Argentinien gemeinsam mit seinen Mannschaftskameraden ein Lied der kroatischen Rechtsrockband „Thompson“ angestimmt und ein Video der Szene ins Netz gestellt hatte. Dadurch geriet er, wenn auch nur kurzzeitig, in die Kritik, denn in dem Lied findet sich nicht nur der Nationalistengruß „Za Dom – Spremni!“, sondern auch wenig charmante Zeilen über die serbischen Nachbarn – kurios eigentlich, wenn man bedenkt, dass sein serbischstämmiger Teamkollege Danijel Subašić zum heimlichen Helden des Turniers wurde.
Mbappé hingegen ist, spätestens mit seinem Tor im Finale, zur Identifikationsfigur der farbigen Vorstadtjugend der französischen Metropolen geworden, die nach dem Sieg der Mannschaft zu tausenden in den Städte strömte um mal ordentlich die Sau rauszulassen. Was dann geschah, liest sich in diesem Artikel der Süddeutschen fast wie ein Kapitel aus Emmanuel Macrons Manifest „Révolution“:
„Es ist, als ob Frankreichs gesamte Jugend für einen kurzen Moment die Utopie von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zelebrieren wollte. Wobei die Devise der Republik schon vor dem Finale von manchen abgewandelt wurde in Liberté, Égalité, Mbappé, weil der Held aus Bondy wie die gesamte Mannschaft den Franzosen in den vergangenen Wochen einen nicht mehr so selbstverständlichen Teamgeist vorgelebt hat. “Ich will Frankreich verkörpern”, hat Mbappé gesagt. “Ich will alles für Frankreich geben.” Das ist ein Bekenntnis, und mit Mbappé bekennen sich an den Tagen des Siegesrauschs auch die Banlieues.“
Später dann: „Die Festivitäten anno 2018 werden kurzzeitig überschattet von kleineren Krawallen, in Paris, Lyon und anderen Städten. Scheiben gehen zu Bruch, Geschäfte werden geplündert. Fast 300 Casseurs, “Kaputtmacher”, werden von der Polizei festgenommen. Natürlich fällt der Verdacht schnell wieder auf jene, die aus den schlechteren Vierteln in die Innenstädte eingedrungen sind. Aber dieser Ärger ist am Montag – ausnahmsweise – schnell wieder vergessen.“
Zu welchem Frankreich sich diese Banlieues bekannten und wie diese „kleineren Krawalle“ aussahen, denen am Samstag, dem französischen Nationalfeiertag bereits landesweite Brandstiftungen an 845 Autos und Festnahmen von über 500 Personen vorangegangen waren, davon kann man sich hier und hier einen Überblick verschaffen, jedenfalls musste die Partymeile auf der Champs-Elysees mit Tränengas geräumt werden. Von 145.000 (Stand 2015) französischen Polizeibeamten waren an diesen Tagen 110.000 im Einsatz.
Wie weit Mbappé von Lovren entfernt ist, und das, obgleich beide auf ihre Art Nationalisten, der eine Republikaner, der andere halt Kroate, sein mögen, das zeigte sich auch an einer anderen Szene: Als die Protest-Darsteller von „Pussy Riot“ das Feld betraten und in Polizeiuniformen gekleidet auf die Spieler beider Mannschaften zurannten, hätte der Unterschied kaum größer sein können: Einer von beiden spielte mit, erhob beide Hände zum Abklatschen, der andere riss einen Störer zu Boden und half den Sicherheitsleuten ihn vom Platz zu tragen.
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Kleiner Nachtrag:
Anscheinend geht man auf dem internationalen Fußballparkett sehr unterschiedlich mit politischem Druck um: Während z.B. Oliver Bierhoff sich im Nachhinein sogar noch von seiner allerzaghaftesten Özil-Kritik distanzierte, legen die Kroaten einfach eine Schippe drauf: Zur Willkommensfeier in Zagreb, die trotz des umfassenden Einsatzes bengalischer Lichter ungleich zivilisierte ablief, als das Pendant des westeuropäischen Erstplatzierten, fuhr die kroatische Mannschaft auf einem offenen Bus durch die Straßen. Allerdings nicht allein: „Das war unsere erste Bedingung“, so Luka Modric laut der WELT. „Als klar war, dass wir hier eine große Veranstaltung haben würden, wusste ich, dass Marko Perkovic singen muss.“ Marko Perkovic ist, die meisten werden es geahnt haben, der Sänger der oben erwähnten Rockband Thompson. So ist es halt im Fußball, wie im echten Leben: Wer sich distanziert, verliert. Auch, wenn er Weltmeister ist.
Tobinambur
"Eine Mannschaft voller kultureller und ethnischer Buntheit, welche das Land Frankreich repräsentieren sollte..."
Von ethnischer Buntheit sollte man hier nicht mehr sprechen, denn das ist der Mainstream-Jargon für die offensichtliche und fast vollständig durchgesetzte Monochromie.