Hans-Joachim Maaz: Das falsche Leben.

Eine Rezension von Christian Marschall

Hans-Joa­chim Maaz: Das fal­sche Leben. Ursa­chen und Fol­gen unse­rer norm­o­pa­thi­schen Gesell­schaft, Mün­chen: C.H. Beck 2017. 256 S., 16.95 €

Krank sei das und, ja, »geis­tes­ge­stört«, was Mer­kel und »die da oben«angestellt haben mit der deut­schen Flücht­lings­po­li­tik, mit ihrem Lob der offe­nen Gren­zen, mit ihrer Dif­fa­mie­rung von kri­ti­schen Stim­men. Sol­che Dia­gno­sen hört man oft, sie wer­den aus zor­ni­gem oder hilf­lo­sem Affekt aus­ge­ru­fen. Fach­kun­dig ist die­se Ein­schät­zung natür­lich nicht.

Wenn nun mit Hans-Joa­chim Maaz, dem renom­mier­ten Psy­cho­ana­ly­ti­ker und Psy­cho­the­ra­peu­ten – sein Buch über den Gefühls­stau (1990) zählt zu den ech­ten Klas­si­kern und ver­dient, aber­mals gele­sen zu wer­den – sich ein Exper­te anschickt, nicht nur die Kanz­le­rin, son­dern die gan­ze Gesell­schaft auf die Couch zu bug­sie­ren, darf man skep­tisch gespannt sein: Fern­dia­gno­se und ein Kol­lek­tiv als Pati­ent? Ist das zuläs­sig, kann die Dia­gno­se zuver­läs­sig sein?

Maaz war vor andert­halb Jah­ren in die Schlag­zei­len gera­ten, nach­dem er Mer­kel einen nar­ziss­ti­schen Grö­ßen­wahn und irra­tio­na­les Han­deln attes­tiert hat­te. In sei­nem nun vor­lie­gen­den Buch zu den »Über­an­ge­paß­ten«, also an »Normopathie«Leidenden, holt er aus. Und zwar nicht zu einem Schlag, son­dern zu einer gründ­li­chen Fun­die­rung sei­ner The­sen. Maaz ist für Schnell­schüs­se nicht zu haben, wir haben es hier kei­nes­falls mit einer pole­mi­schen Abrech­nung zu tun. Alles ande­re als das! Dar­um benö­tigt er zunächst 128 Sei­ten (und zwei von vier Tei­len des Buchs), bevor er in medi­as res geht. Die­se Zeit und die­sen Raum braucht es, um die Grund­la­gen einer Arbeit am »fal­schen Selbst«zu klären.

Wir ler­nen zunächst die unter­schied­li­chen Aus­for­mun­gen und Ent­ste­hungs­be­din­gun­gen eines ver­küm­mer­ten Selbst ken­nen, die sowohl in der eige­nen Bio­gra­phie als auch in den Zeit­läuf­ten begrün­det sind: Wor­aus resul­tiert eine bedroh­te, eine unge­lieb­te, abhän­gi­ge, gehemm­te, ver­nach­läs­sig­te oder über­for­der­te Per­sön­lich­keits­struk­tur? Wie kommt es zu Abwehr­me­cha­nis­men und Kom­pen­sa­tio­nen wie Pro­jek­ti­on, Spal­tung und Reak­ti­ons­bil­dung, und wor­an erken­nen wir, daß dies unge­sund ist? Es ist kei­ne ein­fa­che, son­dern eine über­aus dich­te Lek­tü­re. Maaz schreibt jedoch nicht nur elo­quent, son­dern pflegt eine kla­re Sprache.

In Teil III wid­met er sich dem Pati­en­ten Deutsch­land. Wie gehen wir mit dem Aus­lö­ser der aktu­el­len Schief­la­ge – der Flücht­lings­kri­se und den extre­men Reak­tio­nen dar­auf – um, wo lie­gen die Ursa­chen, wo Hei­lungs­chan­cen? Den Grenz­öff­nern und den Will­kom­mens­jub­lern beschei­nigt er (in unter­schied­li­chem Maße, da wir es sowohl mit Tätern als auch mit Mit­läu­fern zu tun haben) ein aus Illu­sio­nen und Irra­tio­na­li­tä­ten gespeis­tes »abhängiges«und »über­for­der­tes Selbst«. Die Leug­nung rea­ler Bedro­hun­gen, die phra­sen­haf­te Selbst­über­schät­zung (»Wir schaf­fen das!«) gehö­ren kern­haft zum Bild einer nar­ziß­ti­schen Per­sön­lich­keits­stö­rung. Der­art struk­tu­rier­te Per­so­nen ver­stei­gen sich »zu Ent­schei­dun­gen von unüber­seh­ba­rer Trag­wei­te, deren Last ande­re zu tra­gen haben, und mit Fol­gen, deren sach­li­ches Kal­kül durch den Rausch, das ver­meint­lich Gute zu tun, nicht mehr zuge­las­sen wird.«

Hin­zu kommt, daß die der­art »abgespaltenen«Bedrohungen nun auf einen aus­ge­mach­ten Feind pro­ji­ziert wer­den: auf Kri­ti­ker, mit denen man nicht in Dia­log tritt, son­dern die man nach allen Regeln die­ser inva­li­den Kunst dif­fa­miert. Mit die­sen als »rechtsradikal«Gebrandmarkten wird ein Stell­ver­tre­ter­kon­flikt aus­ge­foch­ten. Maaz kennt und benennt auch das »fal­sche Selbst«der (rech­ten) Mer­kel-Kri­ti­ker, aber er hält den außer­par­la­men­ta­ri­schen oppo­si­tio­nel­len Affekt für eine heil­sa­me Regung. Ihm »fällt der Eifer auf, mit dem pro­vo­kan­te Sprü­che als ›Bewei­se‹ aus­ge­schlach­tet wer­den, um die Kri­tik zu dif­fa­mie­ren und auf kei­nen Fall inhalt­li­che Wahr­hei­ten zuzu­las­sen. Was ist gefähr­li­cher: ein dum­mer Spruch, der Affek­te ver­öf­fent­licht, oder ein dif­fa­mie­ren­des Argu­ment, daß die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung über kon­flikt­rei­che Ent­wick­lun­gen ver­hin­dern will?«

Falls es einen Ein­wand gäbe zu Maaz’ Ana­ly­se, dann wäre es die­ser: Er schreibt, die Re-edu­ca­ti­onnach dem Zwei­ten Welt­krieg habe nicht oder nur ober­fläch­lich statt­ge­fun­den, indem der Umgang mit Schuld kol­lek­ti­viert wor­den sei. Dem könn­te man mit Hin­blick auf die sub­ti­le Psy­cho­po­li­tik mit ihren haar­fei­nen, sich tief ins Kul­tur­le­ben win­den­den Ver­äs­te­lun­gen man­ches entgegnen.

Wir sagen das bei man­chem Buch: Das soll­ten sie lesen, die Macht­ha­ber und Wort­füh­rer! Maaz’ klu­ges Buch über das fal­sche Leben möch­te man ihnen nach­ge­ra­de verordnen.

Hans-Joa­chim Maaz’ Das fal­sche Leben kann man hier bestel­len

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