Christian Baron: Proleten, Pöbel, Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten

Christian Baron: Proleten, Pöbel, Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten, Berlin: Das Neue Berlin 2016. 288 S., 12.99 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

 Es ist nicht ein­fach, heut­zu­ta­ge links zu sein. Milieu­in­ter­ne Sprach­re­ge­lun­gen wer­den ver­schärft, Ver­hal­tens­wei­sen auf ihre poli­ti­sche Zuläs­sig­keit geprüft, aka­de­mi­sches Geschwur­bel exal­tier­ter Zir­kel abso­lut gesetzt, abwei­chen­de Mei­nun­gen sank­tio­niert. »Links« zu sein heißt heu­te: mate­ri­ell satu­riert ideo­lo­gi­sche Nischen kon­stru­ier­ter Min­der­hei­ten­fel­der zu beackern. Nur noch ein­zel­ne »umstrittene«Akteure der Lin­ken spre­chen an, was in Zei­ten kapi­ta­lis­ti­scher Kri­sen­po­li­tik inter­es­sie­ren müß­te: Ver­tei­lungs- und Gerech­tig­keits­fra­gen. Statt des­sen wer­den brei­te Schich­ten der Gesell­schaft von der aka­de­mi­sier­ten Lin­ken für ihre »regressiven«Ansichten und ihr »reak­tio­nä­res« Welt­bild verspottet.

Chris­ti­an Baron setzt hier an und sagt: Lin­kes Unter­schich­ten­bas­hing ist so weit­ver­brei­tet wie gefähr­lich. Sein Buch Pro­le­ten, Pöbel, Para­si­ten ist dabei vor allem auto­bio­gra­phi­sche Erzäh­lung, gar­niert mit stra­te­gi­schen und poli­ti­schen Kurz­ana­ly­sen. Baron spricht mit Opfern des Kapi­ta­lis­mus, die in Sozi­al­bu­den ver­rot­ten, wäh­rend er als lin­ker Akti­vist auf Sze­never­an­stal­tun­gen erle­ben muß, wie eben­je­ne Schich­ten igno­riert oder belä­chelt wer­den – von Leu­ten, die von sich selbst den­ken, beson­ders auf­ge­klärt und »links«zu den­ken. Was Baron kri­ti­siert, ist Lebens­wirk­lich­keit der typi­schen, eher anti­deutsch als anti­ka­pi­ta­lis­tisch aus­ge­rich­te­ten »Lifestyle-Antifa«dieser Tage, die mit Ador­no-Zita­ten gegen die Fuß­ball-Eupho­rie der »Masse«polemisiert, aus behü­te­tem Eltern­haus stammt, abge­ho­be­ne Sze­ne­codes ver­wen­det sowie in den eige­nen Struk­tu­ren jene sozia­le Durch­läs­sig­keit blo­ckiert, die zumin­dest okka­sio­nell für die gesam­te Gesell­schaft gefor­dert wird.

Der Ein­blick in lin­ke Par­al­lel­wel­ten liest sich flüs­sig, über­zeu­gend und – für Außen­ste­hen­de – unter­halt­sam. Unter dem Strich blei­ben meh­re­re Erkennt­nis­se. Ers­tens wird deut­lich, war­um die heu­ti­ge poli­ti­sche Lin­ke – habi­tu­ell, stra­te­gisch und inhalt­lich – regel­mä­ßig in Reih und Glied mit der herr­schen­den Klas­se steht: Man hat, da die »gro­ßen Fra­gen« nicht mehr dis­ku­tiert wer­den, grosso modo ähn­li­che Zie­le und teilt sich die Ein­fluß­sphä­ren. Zwei­tens erweist sich der hier errun­ge­ne Sieg auf gesell­schafts- bzw. iden­ti­täts­po­li­ti­schem Feld als Pyr­rhus­sieg, da die sozia­le Fra­ge mit aller Här­te in die Sphä­re der Poli­tik zurück­kehrt und nun von »rechts«beachtet wird, wäh­rend die Lin­ke Nischen­de­bat­ten führt.

Drit­tens wird spür­bar, daß auch jene klü­ge­ren Köp­fe von links, die sich den skiz­zier­ten Pro­zes­sen ver­wei­gern, selbst nur ein Sym­ptom der grund­le­gen­de­ren Kri­se sind. Denn Baron for­dert zwar ein fun­da­men­ta­les Umden­ken und einen lin­ken »Popu­lis­mus« (geschult an Carl Schmitt und Chan­tal Mouf­fe), schießt aber gleich­zei­tig gegen Sahra Wagen­knecht mit eben­je­nen Argu­men­ten, die von der Jungle-World-Lin­ken gegen das Fei­gen­blatt einer an den popu­lä­ren Klas­sen aus­ge­rich­te­ten Links­par­tei ver­wen­det wer­den, etwa: Man kopie­re die reak­tio­nä­re Rech­te, wenn man eine rea­lis­ti­sche Zuwan­de­rungs­po­li­tik fordere.

Auch die­se sub­stan­ti­el­le Rat­lo­sig­keit ist kein Zufall. Denn Chris­ti­an Baron ist nicht nur Wis­sen­schaft­ler, son­dern auch Redak­teur bei der Tages­zei­tung neu­es deutsch­land(nd). Und eben­je­nes nd, das sich ganz dem Pro­jekt »R2G« (Rot-Rot-Grün) ver­schrie­ben hat, steht exem­pla­risch für den Kurs einer Anpas­sung an die bür­ger­li­che Groß­stadt­lin­ke mit Min­der­hei­ten­fe­tisch bei Preis­ga­be der (meist ost­deutsch behei­ma­te­ten) ehe­ma­li­gen Stamm­kli­en­tel, die sich aus Arbei­tern, pre­kär Beschäf­tig­ten und Opfern der Hartz-Refor­men zusam­men­setz­te. Auch Barons Ana­ly­se dürf­te nicht hel­fen, die offe­ne Flan­ke einer im Nie­der­gang befind­li­chen Lin­ken zu schließen.

Chris­ti­an Baron: Pro­le­ten, Pöbel, Para­si­ten kann man hier bestel­len.

 

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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