Lothar Fritze: Der böse gute Wille. Weltrettung und Selbstaufgabe in der Migrationskrise

Lothar Fritze: Der böse gute Wille. Weltrettung und Selbstaufgabe in der Migrationskrise, Waltrop und Leipzig: Edition Sonderwege (Manuscriptum) 2016. 202 S., 15.80 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Noch ein Buch zur Mas­sen­ein­wan­de­rung? Ist das wirk­lich nötig? Nun, wenn es einen unkon­ven­tio­nel­len Zugang zur Zuwan­de­rungs­kri­tik wählt, lau­tet die Ant­wort: Ja, das Buch ist nöti­ger denn je.

Lothar Frit­ze, pro­mo­vier­ter Phi­lo­soph und außer­plan­mä­ßi­ger Poli­tik­pro­fes­sor an der Chem­nit­zer Uni­ver­si­tät, hat­te in der Ver­gan­gen­heit schon eini­ge Debat­ten durch­zu­ste­hen, in denen ihm unter ande­rem vor­ge­wor­fen wur­de, die Spiel­re­geln der bestehen­den Moral­dis­kur­se inner­halb der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Geis­tes­wis­sen­schaf­ten zu miß­ach­ten, etwa in der Dis­kus­si­on um die Legi­ti­mi­tät des geschei­ter­ten Hit­ler-Atten­tats von Georg Elser. Jetzt, ange­sichts der Grenz­öff­nun­gen für Migran­ten, greift Frit­ze zur Feder, um dem mora­li­schen Uni­ver­sa­lis­mus der Zuwan­de­rungs­be­für­wor­ter auf die Pel­le zu rücken und die Fol­gen der »Dia­lek­tik des guten Wil­lens« zu kritisieren.

Der Autor aner­kennt dabei durch­aus die mora­li­sche Pflicht, Not­lei­den­den zu hel­fen. Er betont aber zugleich, daß bei­spiels­wei­se eine Per­son, die in der Tür­kei ein Boot besteigt, gemäß Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on kein Flücht­ling ist, daß also zual­ler­erst zu klä­ren wäre, wo die für jede staat­li­che Gemein­schaft nöti­ge Gren­ze der Hilfs­pflicht ver­läuft. Geht man von der Prä­mis­se aus, daß Fra­gen der Zuwan­de­rung unter uni­ver­sa­lis­ti­schen Gesichts­punk­ten – etwa: alle Men­schen haben ein Inter­es­se an den­sel­ben Grund­gü­tern, es gibt kein Recht auf Ungleich­be­hand­lung – zu betrach­ten sind, müß­te man tat­säch­lich jedem die Migra­ti­on erlau­ben und eine ent­spre­chen­de »Will­kom­mens­kul­tur« affir­mie­ren. Eine sol­che schran­ken­lo­se mora­li­sche Hal­tung stel­le jedoch, so Frit­ze, »die Bestands­si­che­rung des Eige­nen zur Disposition«.

Die prak­ti­sche Kon­se­quenz der herr­schen­den Will­kom­mens­kul­tur wäre also à la longue die Bereit­schaft, »das Eige­ne […] auf­zu­op­fern«. Opfe­re man jedoch das Eige­ne und set­ze somit sei­ne staat­li­che Exis­tenz aufs Spiel, zer­stö­re man im glei­chen Zuge auch die eige­ne (poli­ti­sche, öko­no­mi­sche etc.) Fähig­keit, ande­ren zu hel­fen – damit wäre künf­ti­gen Hilfs­pflich­ten nicht mehr nach­zu­kom­men und ein direk­ter Weg von der tota­len Auf­nah­me­be­reit­schaft zur tota­len Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit beschritten.

Frit­ze tou­chiert zudem die Fra­ge des Wider­stands­rechts der ange­stamm­ten Bevöl­ke­rung, wenn er her­vor­hebt, daß nie­mand die Poli­tik der offe­nen Gren­zen schwei­gend erdul­den müs­se. Viel­mehr habe die Poli­tik die Pflicht, ein funk­tio­nie­ren­des Gemein­we­sen zu erhal­ten, also auch Gut­ge­mein­tes zu unter­las­sen, wenn es in der Desta­bi­li­sie­rung oder gar Zer­stö­rung eben­je­nes Gemein­we­sens mün­den könn­te. Der Tota­li­ta­ris­mus­for­scher sieht hier Par­al­le­len zum kom­mu­nis­ti­schen Heils­ver­spre­chen, wonach mensch­li­ches Lei­den mini­miert wer­den soll­te, indes das Gegen­teil erreicht wur­de. In der heu­ti­gen Gesell­schaft wer­de nun – mora­lisch begrün­det – die gren­zen­lo­se Mensch­heits­ge­sell­schaft gefor­dert. Zugleich aber wür­den Pro­ble­me impor­tiert und jeder mit einer »bei­spiel­lo­sen Aggres­si­vi­tät« atta­ckiert, der sich den »hyper­mo­ra­li­schen Refle­xen« verweigere.

Schritt für Schritt dekon­stru­iert Lothar Frit­ze so die moral­phi­lo­so­phi­schen Grund­la­gen der staat­lich geför­der­ten Will­kom­mens­kul­tur. Eben­je­ne Ideo­lo­gie zu ent­lar­ven, sei der ent­schei­den­de Schritt, um einen fun­da­men­ta­len Bewußt­seins­wan­del der Men­schen zu errei­chen. Frit­ze ist guter Din­ge: Da die herr­schen­de Lage men­schen­ge­macht und min­des­tens teil­wei­se poli­tisch gewollt sei, kön­ne man gegen­steu­ern und – nach dem Bewußt­seins­wan­del durch Auf­klä­rung der Bür­ger – einen Neu­an­fang wagen. Eine mög­lichst wei­te Ver­brei­tung des vor­lie­gen­den Buches wäre für die­ses Ansin­nen hilfreich.

Lothar Frit­zes Der böse gute Wil­le kann man hier bestel­len .

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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